Das Wurstkartell war ein Wirtschaftskartell von 21 führenden Wurstherstellern in Deutschland. Es wurde auch als Atlantic-Kreis bezeichnet, weil das erste Treffen im Hotel Atlantic in Hamburg stattgefunden hat.[1]

Die Unternehmen hatten sich von 1982 bis mindestens 2011 über Preisspannen für ihre Produkte im Bereich Fleisch- und Wurstwaren aus Geflügel bzw. Schwein abgestimmt und dadurch höhere Preisforderungen gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel durchgesetzt.[2][3]

Im Jahre 2014 verhängte das Bundeskartellamt eine Gesamtstrafe von rund 338,5 Mio. Euro gegen die 21 beteiligten Unternehmen und 33 Führungskräfte.[4] Es handelte sich um eine der höchsten Kartellstrafen in der Geschichte des Bundeskartellamts,[2] die einige Unternehmen allerdings aufgrund eines Wurstlücke genannten Schlupflochs im deutschen Kartellrecht umgehen konnten.[5]

Beteiligte Unternehmen Bearbeiten

An dem Kartell waren die folgenden Unternehmen beteiligt:[1]

  1. Bell Deutschland Holding GmbH, Seevetal (zuvor Abraham Schinken / Zimbo, Coop-Gruppe)
  2. Böklunder Plumrose GmbH & Co. KG, Böklund/ Könecke Fleischwarenfabrik GmbH & Co. KG, Bremen (Zur Mühlen Gruppe, Tönnies Holding)
  3. DöllingHareico GmbH & Co. KG, Elmshorn
  4. Herta GmbH, Herten (Nestlé)
  5. Franz Wiltmann GmbH & Co. KG, Versmold
  6. H. Kemper GmbH & Co. KG, Nortrup
  7. H.E. Reinert Holding GmbH & Co. KG, Versmold / Sickendiek Fleischwarenfabrik GmbH & Co. KG, Neuenkirchen-Vörden
  8. Hans Kupfer & Sohn GmbH & Co. KG, Heilsbronn
  9. Heidemark Mästerkreis GmbH & Co. KG, Emstek-Höltinghausen
  10. Heinrich Nölke GmbH & Co. KG, Versmold
  11. Höhenrainer Delikatessen GmbH, Feldkirchen-Westerham
  12. Lutz Fleischwaren GmbH, Landsberg am Lech (Vion)
  13. Marten Vertriebs GmbH & Co. KG, Gütersloh
  14. Meica Ammerländische Fleischwarenfabrik Fritz Meinen GmbH & Co. KG, Edewecht
  15. Metten Fleischwaren GmbH & Co. KG, Finnentrop
  16. Ponnath Die Meistermetzger GmbH, Kemnath
  17. Rudolf und Robert Houdek GmbH, Starnberg
  18. Rügenwalder Mühle Carl Müller GmbH & Co. KG, Bad Zwischenahn
  19. Westfälische Fleischwarenfabrik Stockmeyer GmbH, Sassenberg (heristo AG)
  20. Wiesenhof Geflügelwurst GmbH & Co. KG, Rietberg (PHW-Gruppe)
  21. Willms Fleisch GmbH, Ruppichteroth

Ermittlungen des Bundeskartellamts Bearbeiten

Den Anlass für Ermittlungen durch das Bundeskartellamt gab eine anonyme Anzeige. In der Folge führte das Bundeskartellamt am 22. Juli 2009 an insgesamt 19 Standorten Durchsuchungen durch. Anfang 2012 wurde die Ermittlung um weitere Unternehmen und deren verantwortlich handelnde Personen erweitert. Insgesamt wurde gegen 26 Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen sowie 51 natürliche Personen Verfahren eingeleitet.[3]

Am 15. Juli 2014 gab das Bundeskartellamt eine Gesamtstrafe von rund 338,5 Mio. Euro gegen die 21 beteiligten Unternehmen und 33 Führungskräfte bekannt. Mit 128 Mio. Euro entfiel der größte Betrag auf die Tönnies-Holding. Des Weiteren entfielen 99,6 Mio. Euro auf Bell Deutschland, 6,9 Mio. Euro auf Sickendiek und 3,2 Mio. Euro auf Marten.[6]

Anschließende Zusammenschlüsse beteiligter Unternehmen Bearbeiten

Im Nachgang der Intervention des Bundeskartellamts kam es zu mehreren Zusammenschlüssen beteiligter Unternehmen:

Die Tönnies-Tochtergesellschaft Zur-Mühlen-Gruppe, größter deutscher Wurstproduzent, integrierte zunächst die Tochtergesellschaften Böklunder Fleischwarenfabrik und Könecke Fleischwarenfabrik.[7] In den Folgejahren erfolgten eine Reihe von Übernahmen: 2015 die Fleisch- und Wurstwarenproduktion von Nölke,[8] 2016 DöllingHareico,[9] 2017 Marten[10] und Teile von Lutz Fleischwaren (Zur Mühlen Gruppe: Standorte in Landsberg, Weimar und Chemnitz, Tönnies Holding: Standort in Badbergen),[11] 2018 Teile des stillgelegten Standorts Glonn von Houdek,[12] und 2019 das Wurstwarengeschäft von Bell Deutschland.[13]

2019 gab das Bundeskartellamt die Fusion der Firmen Kemper und Reinert/Sickendiek frei. Der daraus entstandene Konzern The Family Butchers ist der zweitgrößte deutsche Wurstproduzent.[14]

Wurstlücke Bearbeiten

Durch ein Schlupfloch im deutschen Kartellrecht konnten einige Konzerne den vom Bundeskartellamt verhängten Bußgeldern entgehen, indem sie die jeweiligen Tochterunternehmen durch Umstrukturierungen auflösten.[5]

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b Bundeskartellamt verhängt Bußgelder gegen Wursthersteller. In: bundeskartellamt.de. Bundeskartellamt, 15. Juli 2014, abgerufen am 17. November 2022.
  2. a b Wurstkartell muss über 300 Millionen Euro Strafe zahlen. In: Spiegel.de. 15. Juli 2014, abgerufen am 18. November 2022.
  3. a b Fallbericht Wurstkartell. In: bundeskartellamt.de. Bundeskartellamt, 1. September 2017, abgerufen am 17. November 2022.
  4. Josef Koch: Wurstkartell: Kartellamt gehen Millionen Bußgelder flöten. In: agrarheute.com. Agrarheute, 27. Juni 2017, abgerufen am 17. November 2022.
  5. a b Marc Chmielewski: Wurstkartell: Kartellamt gibt auf, Tönnies ist aus dem Schneider. In: juve.de. 19. Oktober 2016, abgerufen am 10. Juli 2017.
  6. Wurstkartell: Bell entkommt Millionen-Bußgeld. In: lebensmittelzeitung.net. Lebensmittel Zeitung, 26. Juni 2017, abgerufen am 20. November 2022.
  7. Ronja Ringelstein: Bundeskartellamt entgehen 128 Millionen. In: tagesspiegel.de. Der Tagesspiegel, 19. Oktober 2016, abgerufen am 20. November 2022.
  8. Tönnies bekommt Nölke. In: Allgemeine Fleischer-Zeitung. 28. Januar 2015.
  9. Geschichte - Hareico. In: hareico.de. Abgerufen am 20. November 2022.
  10. Tönnies schnappt sich Marten. In: lebensmittelzeitung.net. Lebensmittel Zeitung, 2. Mai 2017, abgerufen am 20. November 2022.
  11. LUTZ Fleischwaren Unternehmensgruppe: Tönnies, Vion und Zur Mühlen übernehmen Produktionsstandorte. In: insolvenz-portal.de. 28. Juli 2017, abgerufen am 20. November 2022.
  12. Tönnies kauft Anlagen von Houdek. In: fleischwirtschaft.de. Fleischwirtschaft (Zeitschrift), 18. September 2018, abgerufen am 20. November 2022.
  13. Norbert Lehmann: Tönnies-Tochter Zur Mühlen übernimmt deutsches Wurstgeschäft von Bell. In: agrarheute.com. Agrarheute, 29. Juli 2019, abgerufen am 20. November 2022.
  14. Die Fleisch- und Wurstwarenhersteller Kemper und Reinert dürfen fusionieren. In: bundeskartellamt.de. Bundeskartellamt, 20. November 2019, abgerufen am 20. November 2022.