Was reif in diesen Zeilen steht ist ein Gedicht von Clemens Brentano. Es entstand um 1835[1] und erschien im November 1837 in der erweiterten Fassung des Gockelmärchens bei Schmerber in Frankfurt am Main.[2] Darin hatte Brentano die Verse seiner Jugendliebe Marianne von Willemer gewidmet.[3]

Clemens Brentano (nach 1833)

Enzensberger, der „Eingang“ als Titel des Gedichts aus den Schriften[4] entnommen hat, macht Angaben zur langjährigen, labyrinthischen Entstehungsgeschichte[5] dieses prosodisch einmaligen Denkmals der deutschen Sprache.

Struktur Bearbeiten

Das Gedicht besteht aus sechs jambischen Dreizeilern und einem Zweizeiler.[6] Auf zwei Vierheber[7] folgt ein dritter Vers mit nur drei Hebungen. Somit findet sich der im Minnesang übliche Bau des Liedes aus Auf- und Abgesang in diesem Dreizeiler wieder.

Das Gedicht schließt mit dem berühmten Zweizeiler „O Stern und Blume, …“.

Wortlaut Bearbeiten

Hebungen[8] sind in der ersten Strophe kursiv gesetzt. Die Schreibung folgt Enzensberger.[9]

Was reif in diesen Zeilen steht,
Was chelnd winkt und sinnend fleht,
Das soll kein Kind betrüben,
Die Einfalt hat es ausgesäet,
Die Schwermuth hat hindurchgeweht,
Die Sehnsucht hat’s getrieben;
Und ist das Feld einst abgemäht,
Die Armuth durch die Stoppeln geht,
Sucht Aehren, die geblieben,
Sucht Lieb, die für sie untergeht,
Sucht Lieb, die mit ihr aufersteht,
Sucht Lieb, die sie kann lieben,
Und hat sie einsam und verschmäht
Die Nacht durch dankend in Gebet
Die Körner ausgerieben,
Liest sie, als früh der Hahn gekräht,
Was Lieb erhielt, was Leid verweht,
Ans Feldkreuz angeschrieben,
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!

Interpretation Bearbeiten

Es liegen zahlreiche Untersuchungen vor. Mitunter lässt schon der Titel aufhorchen. Zum Beispiel hat Tunner ihre Arbeit mit „Die geheime heilige Geschichte des Herzens“ überschrieben. Die Autorin sieht das Gedicht als so etwas wie das lyrische Testament Brentanos an und nimmt das „reif“ im ersten Vers als formvollendet. Im Ton heiter und nachdenklich zugleich appelliere Brentano sowohl an die Sinne als auch an den Geist des Lesers. Mit dem beschworenen Bild vom Kinde sei letztendlich Gotteskindschaft gemeint in dem Sinne: Im Gegensatz zum Sentimentalischen propagiere Brentano das Naive. Der Romantiker Brentano glaube an die kreative Kraft der Sehnsucht. Demnach gipfele das dreigeteilte Gedicht, nach der aufgegangenen Saat als Schwermut in Sehnsucht. Die Quintessenz: Erlöst werde, der suche. Im Übrigen habe dem späten Brentano nichts an Verständlichkeit gelegen. Der Leser müsse mit dem Gedicht selbst ins Reine kommen.

Rezeption Bearbeiten

  • Walter Benjamin, Deutsche Menschen, Frankfurter Zeitung 1931f., Einleitung zum Brief Wilhelm Grimm an Jenny von Droste-Hülshoff, 9. Januar 1825 (GS Bd. 10, IV 1, S. 198).
  • Die letzten beiden Verse des Gedichts widerspiegelten den Urgrund alles menschlichen Seins zwischen Himmel und Erde.[10]
  • Mit „Sprachmusik“ werde in dem Gedicht „Unbildliches“ artikuliert – ein Ausweis für die Berechtigung der Poesie.[11]
  • Riley[12], Schultz[13] und Tunner[14] nennen weiter führende Untersuchungen: K. Togawa (1966), A. Bennholdt-Thommsen (Bonn 1967), Maria Schmidt-Ihms (Acta Germanica 3,1968, S. 153–165), Elisabeth Stopp (Modern Language Review 67, 1972, S. 95–117), G.-K. Kaltenbrunner (1978), Ricarda Winterswyl (Blätter für die Deutschlehrer 24, 1980, S. 33–38), Grete Lübbe-Grothues (Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1982, S. 262–276) und das Buch Emil Staigers (Die Zeit als Einbildungskraft des Dichters, Zürich 1939).

Literatur Bearbeiten

geordnet nach dem Erscheinungsjahr

  • Kurt May (Hrsg.), Walter Höllerer (Hrsg.): Hans Magnus Enzensberger: Brentanos Poetik (Diss. Erlangen 1955). 157 Seiten. Hanser München 1961. Schriftenreihe Literatur als Kunst
  • Erika Tunner: Die geheime heilige Geschichte des Herzens. Zu Clemens Brentanos Gedicht Was reif in diesen Zeilen steht. S. 421–433 in: Wulf Segebrecht (Hrsg.): Gedichte und Interpretationen. Band 3. Klassik und Romantik. Reclam UB 7892, Stuttgart 1984 (Aufl. 1994). 464 Seiten, ISBN 3-15-007892-X
  • Helene M. Kastinger Riley: Clemens Brentano. Sammlung Metzler, Bd. 213. Stuttgart 1985. 166 Seiten, ISBN 3-476-10213-0
  • Gerhard Schulz: Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration. Teil 2. Das Zeitalter der Napoleonischen Kriege und der Restauration: 1806–1830. 912 Seiten. C. H. Beck, München 1989, ISBN 3-406-09399-X
  • Horst Joachim Frank: Handbuch der deutschen Strophenformen. Francke Tübingen 1993 (2. Aufl.). 885 Seiten. ISBN 3-7720-2221-9[15]
  • Hartwig Schultz (Hrsg.): Clemens Brentano. 1778–1842 zum 150. Todestag. 341 Seiten. Peter Lang, Bern 1993, ISBN 3-906750-94-9

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

„Quelle“ meint die zitierte Textausgabe.

  1. Enzensberger, S. 95 Mitte
  2. Tunner, S. 421, 8. Z.v.u.
  3. Tunner, S. 422 oben
  4. zitiert bei Enzensberger, S. 155: Clemens Brentanos Gesammelte Schriften. Herausgegeben von Christian Brentano. Frankfurt am Main 1852/55. IX Bände
  5. Enzensberger, S. 95–105
  6. Frank, S. 57
  7. Frank, S. 30
  8. Hebung: Betonung einer Silbe oder eines Wortes.
  9. Enzensberger, S. 94, 4. Z.v.u.
  10. Schulz, 466, 8. Z.v.u.
  11. Schulz, S. 759, 7. Z.v.u.
  12. Riley, S. 93, erster Eintrag
  13. Schultz, S. 319
  14. Tunner, S. 433
  15. Die erste Auflage erschien bei Hanser in München.