Unabhängigkeitsreferendum in Neukaledonien 2021

Am 12. Dezember 2021 wurde ein Referendum in Neukaledonien durchgeführt, bei dem die Stimmberechtigten über die Frage zu entscheiden hatten, ob Neukaledonien ein eigener, von Frankreich unabhängiger Staat werden sollte. Es war seit 2018 das dritte Referendum zu dieser Thematik. Wie zuvor lehnte die Mehrheit eine Unabhängigkeit ab. Im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Referenden hatten die Unabhängigkeitsbefürworter dieses Mal zum Boykott der Abstimmung aufgerufen, da sie mit dem Wahltermin nicht einverstanden waren und die Umfragen ein erneutes „Nein“ für die Unabhängigkeit prognostizierten.[1] Die Wahlbeteiligung lag mit 43,9 % nur etwa halb so hoch wie bei den früheren Referenden.

Emblem Neukaledoniens

Vorgeschichte Bearbeiten

Nach dem 1998 unterzeichneten Abkommen von Nouméa waren maximal drei Referenden über eine mögliche Unabhängigkeit Neukaledoniens vorgesehen. Die ersten beiden Referenden gingen für die Befürworter der Unabhängigkeit verloren. Beim ersten Referendum am 4. November 2018 stimmten 43,33 % der Wähler für die Unabhängigkeit und beim zweiten Referendum am 4. Oktober 2020 waren es 46,74 %.

Am 8. April 2021 stellten die im neukaledonischen Kongress (Congrès de la Nouvelle-Calédonie) vertretenen beiden Fraktionen der Unabhängigkeitsbefürworter der FLNKS, die Union nationale pour l'indépendance (UNI) und die Union calédonienne (UC), den Antrag, dass ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum abgehalten werden solle.[2] Nach dem Abkommen von Nouméa war ein solches Referendum abzuhalten, wenn es von mindestens einem Drittel der Abgeordneten im Kongress verlangt wurde. Ursprünglich hatten die UNI und UC einen Termin im September 2022 anvisiert. Aus Sorge vor einem Wahlsieg von Marine Le Pen bei der französischen Präsidentschaftswahl im April 2022 gab es Überlegungen in der UNI, den Abstimmungstermin schon im Jahr 2021 anzusetzen. Allerdings schien unsicher, ob dies angesichts der COVID-19-Pandemie zu realisieren war.[3]

Die Loyalisten, d. h. die Anhänger einer staatlichen Verbindung mit Frankreich, beispielsweise von der Avenir en Confiance (AEC) lehnten das Referendum grundsätzlich ab, da es die neukaledonische Gesellschaft spalte und nicht voranbringe.

Nach einwöchigen Gesprächen mit Unabhängigkeitsbefürwortern und Loyalisten setzte die französische Regierung den Termin für das Referendum auf den 12. Dezember 2021 fest. Der französische Minister für die Überseegebiete Sébastien Lecornu erklärte, dass es „im allgemeinen Interesse [läge], das Referendum so schnell wie möglich durchzuführen“. Lecornu kündigte außerdem an, dass es in Abhängigkeit vom Ausgang des Referendums eine Übergangsphase bis zum 30. Juni 2023 geben werde, in der dann entweder die Verbindung zwischen der Französischen Republik und dem neuen unabhängigen Staat geklärt oder die bisherigen Institutionen Neukaledoniens innerhalb des französischen Staatsverbunds überarbeitet werden müssten.[4] Bereits im Februar 2021 hatte Lecornu vor den Folgen einer unvorbereiteten Unabhängigkeit, die „katastrophal“ sein würden, gewarnt. Außerdem brachte er eine Änderung des Status Neukaledoniens ins Gespräch, wenn die Neukaledonier „ihren Wunsch, französisch zu bleiben, zum dritten Mal bestätigen würden“.[5] Die UC, die als einzige Vertreterin der Unabhängigkeitsbefürworter an den Gesprächen teilgenommen hatte, erklärte allerdings, dass sie sich durch die Äußerungen Lecornus nicht gebunden fühle, da diese nicht im Konsens beschlossen worden seien.[4] Am 4. Juni 2021 lehnte die UNI den dekretierten Referendumstermin als zu früh ab und forderte ein Referendum im September 2022.[6]

Der neukaledonische Kongress stimmte am 23. Juni 2021 konsultativ über die Regierungsvorlage zur Abhaltung des Referendums am 12. Dezember 2021 ab. Von den 56 Abgeordneten stimmten 28 dafür (darunter die loyalistischen Abgeordneten, aber auch die vier Abgeordneten von L'Éveil océanien, einer Partei der Einwanderer von Wallis und Futuna). 14 Abgeordnete aus der UNI stimmten dagegen und 12 enthielten sich (hauptsächlich aus der UC).[7]

Am 23. September 2021 gab die mit der Organisation des Referendums betraute Kommission bekannt, dass die folgenden Gruppierungen für die offizielle Wahlkampfkampagne zugelassen wurden:[8]

  • Groupement Union nationale pour l’indépendance
  • Parti travailliste
  • Gruppe der UC-FLNKS mit den Nationalisten
  • L’Eveil océanien.
  • Calédonie ensemble
  • Voix du Non 1, 2 und 3

Die ersten vier Gruppierungen traten für die Unabhängigkeit ein, die beiden letztgenannten waren dagegen.

Frage des Referendums Bearbeiten

Die Abstimmungsfrage ist dieselbe wie bei den Referenden 2018 und 2020:

« Voulez-vous que la Nouvelle-Calédonie accède à la pleine souveraineté et devienne indépendante ? »

„Wollen Sie, dass Neukaledonien volle Souveränität erlangt und unabhängig wird?“

Frage des Referendums vom 12. Dezember 2021[2]

Abstimmungsberechtigung Bearbeiten

Wie bei den vorangegangenen beiden Refendenden hatten nicht alle Bewohner Neukaledoniens, die bei französischen Präsidentschafts-, Parlaments- und Europawahlen wahlberechtigt waren, auch die Abstimmungsberechtigung beim Referendum. Die allgemeine Wählerliste (Liste électorale générale, LEG) enthielt 220.279 Wahlberechtigte, während die Wählerliste für das Referendum (Liste électorale spéciale à la consultation, LESC) 185.004 Wahlberechtigte aufwies. Etwa 35.000 Personen, die bei allgemeinen Wahlen abstimmungsberechtigt waren, durften daher nicht beim Referendum abstimmen.[9]

Nach den Bestimmungen, die im Abkommen von Nouméa ausgehandelt worden waren, musste für eine Aufnahme in die LESC neben der Eintragung in die LEG noch mindestens eine der folgenden Bedingungen erfüllt sein:[10]

  • Der Wähler musste bei der Volksabstimmung vom 8. November 1998 prinzipiell abstimmungsberechtigt gewesen sein. Wenn er zu diesem Zeitpunkt nicht die Wohnsitzvoraussetzung für die Abstimmungsteilnahme erfüllte, hatte er nachzuweisen, dass seine Abwesenheit auf familiäre, berufliche oder medizinische Gründe zurückzuführen war.
  • Ein Elternteil musste in Neukaledonien geboren sein und dort den Lebensmittelpunkt haben.
  • Der Wähler musste bis zum 31. Dezember 2014 einen ununterbrochenen Wohnsitz von 20 Jahren in Neukaledonien nachweisen können.
  • Der Wähler musste vor dem 1. Januar 1989 geboren sein und von 1988 bis 1998 seinen Wohnsitz in Neukaledonien gehabt haben.
  • Wenn der Wähler nach dem 1. Januar 1989 geboren wurde, musste er mindestens einen Elternteil haben, der die Bedingungen für die Teilnahme an der Volksbefragung vom 8. November 1998 erfüllte.

Insgesamt zeigte sich, dass die Zahl der Abstimmungsberechtigten seit 2018 merklich zugenommen hatte:[9]

LESC
4. Nov. 2018
LESC
4. Okt. 2020
LESC
5. Okt. 2021
Zunahme
2018–2021
in Prozent
2018–2021
Province Sud 112.711 117.379 120.705 +7.994 +7,09 %
Province Nord 040.048 041.349 042.132 +2.084 +5,20 %
Province des îles 021.406 022.071 022.167 +761 +3,56 %
Gesamt 174.165 180.799 185.004 +10.839 +6,22 %

Abstimmungsergebnis Bearbeiten

Eine klare Mehrheit der abgegebenen Stimmen lehnte die Unabhängigkeit ab. Allerdings war die Beteiligung der Bevölkerung in den Provinzen „Nord“ und „des îles“ sehr gering. 75.720 Wähler stimmten mit „Nein“ und 2.747 mit „Ja“, während sich 103.483 Personen enthalten haben.[11]

Ergebnisse in den Provinzen Bearbeiten


Nein

Ja

Beteiligung
Südprovinz 96,9 % 3,1 % 60,6 %
Nordprovinz 93,5 % 6,5 % 16,6 %
Loyalitätsinseln 85,6 % 14,4 % 4,5 %
Gesamt 96,5 % 3,5 % 43,9 %

Ergebnisse in den Gemeinden Bearbeiten

Provinz Gemeinde Wahl-
berechtigte
Beteiligung Ungültige
Stimmzettel
Leere
Stimmzettel
Gültige
Stimmzettel
Ja Nein
Zahl in % Zahl in % Zahl in % Zahl in % Zahl in% Zahl in %
Nordprovinz Belep 930 6 0,65 % - 0,00 % - 0,00 % 6 100,00 % 2 33,33 % 4 66,67 %
Südprovinz Boulouparis 2 893 1 799 62,18 % 32 1,78 % 17 0,94 % 1 750 97,28 % 39 2,23 % 1 711 97,77 %
Südprovinz Bourail 4 152 2 548 61,37 % 59 2,32 % 37 1,45 % 2 452 96,23 % 70 2,85 % 2 382 97,15 %
Nordprovinz Canala 3 551 49 1,38 % 3 6,12 % 2 4,08 % 44 89,80 % 16 36,36 % 28 63,64 %
Südprovinz Dumbéa 18 649 11 616 62,29 % 184 1,58 % 157 1,35 % 11 275 97,06 % 350 3,10 % 10 925 96,90 %
Südprovinz Farino 596 511 85,74 % 7 1,37 % 8 1,57 % 496 97,06 % 23 4,64 % 473 95,36 %
Nordprovinz Hienghène 2 479 29 1,17 % 5 17,24 % 1 3,45 % 23 79,31 % 9 39,13 % 14 60,87 %
Nordprovinz Houaïlou 3 710 259 6,98 % 8 3,09 % 13 5,02 % 238 91,89 % 43 18,07 % 195 81,93 %
Südprovinz Ile des Pins 1 802 418 23,20 % 19 4,55 % 4 0,96 % 395 94,50 % 55 13,92 % 340 86,08 %
Nordprovinz Kaala-Gomen 1 734 302 17,42 % 5 1,66 % 9 2,98 % 288 95,36 % 14 4,86 % 274 95,14 %
Nordprovinz Koné 4 500 1 261 28,02 % 28 2,22 % 26 2,06 % 1 207 95,72 % 92 7,62 % 1 115 92,38 %
Nordprovinz Kouaoua 1 180 182 15,42 % 6 3,30 % 4 2,20 % 172 94,51 % 26 15,12 % 146 84,88 %
Nordprovinz Koumac 2 776 1 475 53,13 % 16 1,08 % 15 1,02 % 1 444 97,90 % 37 2,56 % 1 407 97,44 %
Südprovinz La Foa 3 034 1 940 63,94 % 51 2,63 % 29 1,49 % 1 860 95,88 % 86 4,62 % 1 774 95,38 %
Loyalitätsinseln Lifou 10 797 525 4,86 % 13 2,48 % 10 1,90 % 502 95,62 % 67 13,35 % 435 86,65 %
Loyalitätsinseln Maré 6 937 256 3,69 % 10 3,91 % 20 7,81 % 226 88,28 % 42 18,58 % 184 81,42 %
Südprovinz Moindou 794 418 52,64 % 8 1,91 % 7 1,67 % 403 96,41 % 25 6,20 % 378 93,80 %
Südprovinz Mont-Dore 18 264 11 343 62,11 % 210 1,85 % 214 1,89 % 10 919 96,26 % 424 3,88 % 10 495 96,12 %
Südprovinz Nouméa 52 819 33 888 64,16 % 377 1,11 % 382 1,13 % 33 129 97,76 % 800 2,41 % 32 329 97,59 %
Nordprovinz Ouégoa 2 201 510 23,17 % 9 1,76 % 5 0,98 % 496 97,25 % 10 2,02 % 486 97,98 %
Loyalitätsinseln Ouvéa 4 385 223 5,09 % 6 2,69 % 7 3,14 % 210 94,17 % 26 12,38 % 184 87,62 %
Südprovinz Païta 12 703 7 886 62,08 % 122 1,55 % 132 1,67 % 7 632 96,78 % 263 3,45 % 7 369 96,55 %
Nordprovinz Poindimié 4 192 490 11,69 % 15 3,06 % 9 1,84 % 466 95,10 % 48 10,30 % 418 89,70 %
Nordprovinz Ponérihouen 2 675 161 6,02 % 5 3,11 % 3 1,86 % 153 95,03 % 15 9,80 % 138 90,20 %
Nordprovinz Pouébo 2 386 34 1,42 % 1 2,94 % - 0,00 % 33 97,06 % 7 21,21 % 26 78,79 %
Nordprovinz Pouembout 1 545 732 47,38 % 15 2,05 % 8 1,09 % 709 96,86 % 38 5,36 % 671 94,64 %
Nordprovinz Poum 1 438 109 7,58 % - 0,00 % 3 2,75 % 106 97,25 % 4 3,77 % 102 96,23 %
Nordprovinz Poya Nord 2 216 604 27,26 % 17 2,81 % 10 1,66 % 577 95,53 % 35 6,07 % 542 93,93 %
Südprovinz Poya Sud 197 171 86,80 % - 0,00 % - 0,00 % 171 100,00 % - 0,00 % 171 100,00 %
Südprovinz Sarraméa 518 85 16,41 % 4 4,71 % 3 3,53 % 78 91,76 % 8 10,26 % 70 89,74 %
Südprovinz Thio 2 218 200 9,02 % 3 1,50 % 3 1,50 % 194 97,00 % 17 8,76 % 177 91,24 %
Nordprovinz Touho 1 953 191 9,78 % 2 1,05 % 4 2,09 % 185 96,86 % 9 4,86 % 176 95,14 %
Nordprovinz Voh 2 362 559 23,67 % 18 3,22 % 9 1,61 % 532 95,17 % 27 5,08 % 505 94,92 %
Südprovinz Yaté 1 778 101 5,68 % 3 2,97 % 2 1,98 % 96 95,05 % 20 20,83 % 76 79,17 %
Neukaledonien 184 364 80 881 43,87 % 1 261 1,56 % 1 153 1,43 % 78 467 97,02 % 2 747 3,50 % 75 720 96,50 %
Quelle: Haut-commissariat de la République en Nouvelle-Calédonie[12]

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Des sondages instructifs dnc.nc, 6. Mai 2021, abgerufen am 8. April 2024 (französisch)
  2. a b Alix Madec, Dave Waheo-Hnasson: Nouvelle-Calédonie : les indépendantistes demandent l’organisation du troisième référendum d’autodétermination. In: Franceinfo. 8. April 2021, abgerufen am 23. September 2021 (französisch).
  3. Nouvelle-Calédonie : Les indépendantistes réclament l’organisation du troisième référendum. In: 20 Minutes. 8. April 2021, abgerufen am 23. September 2021 (französisch).
  4. a b Nouvelle-Calédonie : le troisième référendum aura lieu le 12 décembre. In: Le Point. 2. Juni 2021, abgerufen am 23. September 2021 (französisch).
  5. Nouvelle-Calédonie : Sébastien Lecornu favorable à un nouveau statut en cas de non au référendum sur l’indépendance. In: 20 Minutes. 28. Februar 2021, abgerufen am 23. September 2021 (französisch).
  6. Nouvelle-Calédonie : une partie des indépendantistes rejette la date du troisième référendum. In: Franceinfo. 4. Juni 2021, abgerufen am 23. September 2021 (französisch).
  7. Louis Perin, Françoise Tromeur: Référendum 2021 : avis favorable du Congrès sur le projet de décret organisant le scrutin. In: Franceinfo. 23. Juni 2021, abgerufen am 23. September 2021 (französisch).
  8. Françoise Tromeur: Référendum 2021 : huit partis et groupements politiques pourront participer à la campagne officielle. In: Franceinfo. 23. September 2021, abgerufen am 23. September 2021 (französisch).
  9. a b Clotilde Richalet: REFERENDUM 2021 - 185 004 électeurs inscrits sur la liste électorale. In: Le Petit Journal. 8. Oktober 2021, abgerufen am 10. Dezember 2021 (französisch).
  10. La liste électorale spéciale consultation. Haut-commissariat de la République en Nouvelle-Calédonie, abgerufen am 10. Dezember 2021 (französisch).
  11. Référendum en Nouvelle-Calédonie : Les résultats détaillés du référendum 2021 francetvinfo.fr, 13. Dezember 2021, abgerufen am 13. Dezember 2021 (französisch)
  12. Résultats définitifs Référendum NC du 12 décembre 2021. 13. Dezember 2021, abgerufen am 13. Dezember 2021 (französisch).