Teichmüller-Raum

Äquivalenzklasse von Riemannschen Flächen
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In der Funktionentheorie bezeichnet der Teichmüller-Raum (nach Oswald Teichmüller) einen Raum von Äquivalenzklassen kompakter Riemannscher Flächen und ermöglicht so eine Klassifikation aller kompakten Riemannschen Flächen.

Definition Bearbeiten

Es gibt unterschiedliche Wege den Teichmüller-Raum zu definieren.

Definition 1 Bearbeiten

Sei   eine kompakte Riemannsche Fläche mit Geschlecht   und mit konformer Struktur  . Zwei Strukturen   auf der gleichen Fläche werden als äquivalent bezeichnet, wenn es einen konformen Diffeomorphismus   gibt, der homotop zur Identität ist. Der Raum all dieser Äquivalenzklassen von Riemannschen Flächen zum Geschlecht   heißt Teichmüller-Raum und wird mit   bezeichnet.

Definition 2 Bearbeiten

Sei   eine geschlossene, zusammenhängende, orientierbare topologische Fläche vom Geschlecht  .   ist die topologische Fläche, welche durch das Entfernen von   unterschiedlichen Punkten aus   entsteht, insbesondere  .

Markierte Riemannsche Fläche Bearbeiten

Ein Tupel   nennt man markierte Riemannsche Fläche wenn es aus einer riemannschen Fläche   mit   ausgezeichneten Punkten und einem orientierungserhaltenden Homöomorphismus   genannt Markierung besteht.

Teichmüller-Raum Bearbeiten

 
Das Diagramm ist homotopisch kommutativ.

Zwei markierte riemannsche Flächen   und   heißen äquivalent, geschrieben  , falls eine biholomorphe Abbildung   existiert, so dass die Abbildungen   und   homotope Abbildungen von   nach   sind. Das heißt, das abgebildete Diagramm ist homotopisch kommutativ.

Die Äquivalenzklassen werden mit   notiert.

Der Teichmüller-Raum   basierend auf   ist die Menge der Äquivalenzklassen  . Man kann ihn mit der Teichmüller-Metrik ausstatten, wodurch er zu einem metrischen Raum wird.[1]

Wenn die Euler-Charakteristik negativ ist ( ), dann entspricht jeder Punkt des Teichmüller-Raums einer hyperbolischen Metrik auf  , d. h. auf dem Komplement der   ausgezeichneten Punkte in  .

Klassifikation Bearbeiten

Nach einem Satz von Teichmüller ist  , versehen mit einer passenden Struktur einer Mannigfaltigkeit, für jede konforme Struktur   diffeomorph zum endlich-dimensionalen Vektorraum der quadratischen Differentialformen   auf  , dessen Dimension sich folgendermaßen berechnet:

  •  , falls  
  •  , falls  
  •  , falls  

Eine Abbildung zwischen Riemannschen Flächen ist genau dann holomorph, wenn sie konform (winkeltreu) und orientierungserhaltend ist. Somit lässt sich aus der Klassifikation der konformen Strukturen auch die Klassifikation der komplexen Strukturen gewinnen.

Motivation Bearbeiten

  • Für eine kompakte Riemannsche Fläche vom Geschlecht   gibt es eine natürliche bijektive Beziehung zwischen den konformen Strukturen und den hyperbolischen Metriken, die auf dieser Fläche definiert werden können. Somit lässt sich das Problem der möglichen konformen Strukturen auf eine geometrisch-analytische Frage der Metrik zurückführen. Die hyperbolischen Metriken werden von der universellen Überlagerung durch die hyperbolische Halbebene   induziert.
  • Der Raum aller Äquivalenzklassen von möglichen konformen Strukturen   auf einer Fläche   vom Geschlecht   verfügt über eine komplizierte Topologie und ist keine Mannigfaltigkeit; wobei zwei Strukturen   als äquivalent gelten, wenn eine konforme Abbildung zwischen ihnen existiert. Das motiviert die schwächere Äquivalenzrelation des Teichmüller-Raumes.
  • Es gibt für jede konforme Struktur   eine bijektive Abbildung   in den Raum der quadratischen Differentialformen   auf  , welcher offensichtlich einen Vektorraum bildet und der überdies endlich-dimensional ist. Dadurch wird schließlich eine Differenzierbarkeitsstruktur auf   definiert und   ist diffeomorph zu einem endlich-dimensionalen Vektorraum. Dieser letzte Schritt ist im Wesentlichen der oben formulierte Satz von Teichmüller.

Höhere Teichmüller-Theorie Bearbeiten

Die Holonomie-Darstellung bettet den Teichmüller-Raum   in den Quotienten

 

der Darstellungsvarietät ein, wobei   auf   durch Konjugation wirkt. Diese Einbettung identifiziert den Teichmüller-Raum mit der Menge der injektiven, diskreten Darstellungen. Letztere bilden eine Zusammenhangskomponente der Darstellungsvarietät und lassen sich auch durch verschiedene andere Bedingungen charakterisieren. Unter der Bezeichnung Höhere Teichmüller-Theorie werden Ansätze zusammengefasst, mit denen für höher-dimensionale Lie-Gruppen   und kompakte Flächen X spezielle Komponenten der Darstellungsvarietät   – “höhere Teichmüller-Räume”, deren Elemente nur treue Darstellungen mit diskretem Bild sind, zum Beispiel die Hitchin-Komponenten – charakterisiert werden sollen.[2]

Siehe auch Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • William Abikoff: The real analytic theory of Teichmüller space, Lecture Notes in Mathematics 820, Springer 1980
  • Lipman Bers: Finite dimensional Teichmüller spaces and generalizatons, Bulletin of the AMS, Band 5, 1981, Nr. 2, S. 131–172, Project Euclid[3]
  • F. Gardiner: Teichmüller theory and quadratic differentials, Wiley 1987
  • Y. Imayoshi, M. Taniguchi: Introduction to Teichmüller Spaces, Springer 1992
  • Jürgen Jost: Compact Riemann Surfaces. Springer Verlag, 2006, ISBN 3-540-33065-8
  • Olli Lehto: Univalent functions and Teichmüller spaces, Graduate Texts 109, Springer 1987
  • Subhashis Nag: The complex analytic theory of Teichmüller spaces, Wiley 1988
  • Athanase Papadopoulos (Hrsg.): Handbook of Teichmüller theory. Vol. I, European Mathematical Society (EMS), Zürich 2007, ISBN 978-3-03719-029-6, doi:10.4171/029. (IRMA Lectures in Mathematics and Theoretical Physics 11)
  • Athanase Papadopoulos (Hrsg.): Handbook of Teichmüller theory. Vol. II, European Mathematical Society (EMS), Zürich 2009, ISBN 978-3-03719-055-5, doi:10.4171/055. (IRMA Lectures in Mathematics and Theoretical Physics 13)
  • Athanase Papadopoulos (Hrsg.): Handbook of Teichmüller theory. Vol. III, European Mathematical Society (EMS), Zürich 2012, ISBN 978-3-03719-103-3, doi:10.4171/103. (IRMA Lectures in Mathematics and Theoretical Physics 19)
  • Mika Seppälä, Tuomas Sorvali: Geometry of Riemann surfaces and Teichmüller spaces, North-Holland 1992
  • Anthony Tromba: Teichmüller theory in Riemannian geometry, Birkhäuser 1992

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Yukio Matsumoto: Teichmüller spaces and crystallographic groups. In: Lecture Notes in Mathematical Sciences The University of Tokyo. 2019 (Lecture Notes der Universität von Tokyo).
  2. Burger, Iozzi, Wienhard: Higher Teichmüller spaces: From SL(2,R) to other Lie groups. In: Handbook of Teichmüller theory. Vol. III, arxiv:1004.2894v4
  3. Von Bers stammt das erste Lehrbuch dazu: Moduli spaces of Riemann surfaces, ETH Zürich 1964