Stickstoffwerke Piesteritz

Chemieunternehmen im Wittenberger Stadtteil Piesteritz

Die SKW Stickstoffwerke Piesteritz GmbH (kurz SKWP) ist ein Chemieunternehmen im Wittenberger Stadtteil Piesteritz. Es gehört zu den 50 größten Betrieben Mitteldeutschlands. Als Deutschlands größter Ammoniak- und Harnstoffproduzent[3] produziert SKW Piesteritz mit einer Jahresleistung von über 4 Millionen Tonnen zum einen zahlreiche Industriechemikalien, zum anderen Spezialitäten der Agrochemie. Am Standort in der Lutherstadt Wittenberg, dem einzigen Agrochemie-Park Deutschlands, arbeiten auf 220 Hektar in über 30 Firmen etwa 1.500 Mitarbeiter.

SKW Stickstoffwerke Piesteritz GmbH

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Rechtsform GmbH
Gründung 1993
Sitz Lutherstadt Wittenberg, Deutschland
Leitung
Mitarbeiterzahl 863[2]
Umsatz 503 Mio. €[2]
Branche Chemie, Düngemittel
Website www.skwp.de
Stand: Dezember 2020
SKW Piesteritz aus der Ferne mit den Türmen der Wittenberger Altstadt im Hintergrund

Forschung Bearbeiten

Die unternehmenseigene Forschungsabteilung mit über 60 Mitarbeitern umfasst auch das 170 Hektar große Versuchsgut in Cunnersdorf bei Leipzig. Hier werden die Produkte des Unternehmens getestet und Vergleichsstudien durchgeführt. Die SKW Piesteritz ist außerdem Mitbegründer des Agrochemischen Institutes (AIP) in Lutherstadt Wittenberg, ein Gemeinschaftsprojekt mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und der Wirtschaftsförderung des Landkreises Wittenberg. Unter diesem Dach bilden Professoren aller naturwissenschaftlichen Fakultäten und des Zentrums für Ingenieurwissenschaften der MLU, verschiedene Firmen des Agro-Chemie Parks und der Region, persönliche Mitglieder sowie das Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie ein Forschungsteam.

Logistik Bearbeiten

Der Industriestandort Piesteritz liegt im Osten von Sachsen-Anhalt. Die beiden bedeutendsten Bahnmagistralen Ost- und Mitteldeutschlands kreuzen sich in der Lutherstadt Wittenberg. Eine von ihnen sowie die Bundesstraße 187 durchqueren sogar das Firmengelände. Über 30 Kilometer Gleisnetz auf dem Chemiegelände ermöglichen den Zugang zur Schiene. Im werkseigenen Hafen an der Elbe können große Binnenfrachtschiffe mit festen oder flüssigen Produkten beladen werden.

Agro-Chemie Park Bearbeiten

Der südliche Teil des Werksgeländes wurde Anfang der 1990er Jahre fast völlig beräumt. Bislang haben sich bereits über 30 Unternehmen angesiedelt, darunter Borealis Agrolinz Melamine Deutschland GmbH mit der bundesweit größten Melaminanlage, Louis Dreyfus mit der weltweit größten kombinierten Biodieselanlage mit Ölmühle und das Biomasseheizkraftwerk der Stadtwerke Leipzig. Weitere 20 Hektar stehen noch zur Verfügung. SKW Piesteritz entwickelt als größtes Unternehmen am Standort den Agro-Chemie Park als Flächeneigentümer weiter. Der große Kamin des Werkes ist 120 Meter hoch und trug ursprünglich einen Wasserbehälter an seinem Schaft.[4]

Geschichte Bearbeiten

 
Arbeiter im VEB Kombinat „Agrochemie“ Piesteritz, 1988
Jahr Mitarbeiter Umsatz
1990 ca. 8.900
2001 ca. 250 Mio. EUR
2002
2003 292 Mio. EUR
2005
2006 761 418 Mio. EUR[3]
2007 720 490 Mio. EUR[5]
2008 745 650 Mio. EUR[5]
2009 769 462 Mio. EUR[6]
2010 773 504 Mio. EUR[7]
2011 785 633 Mio. EUR

Das Reichsschatzamt beauftragte im März 1915 die Bayerische Stickstoffwerke AG mit der Errichtung des Reichsstickstoffwerks Piesteritz.

Nach sehr kurzer Bauzeit von März bis Weihnachten 1915 nahm das Kalkstickstoffwerk 1915/16 den Betrieb voll auf. Es wurde vom 25 km entfernten Braunkohlekraftwerk Golpa mit Strom versorgt.[8]

1920 wurde das Werk privatisiert und die Mitteldeutsche Stickstoffwerke AG Piesteritz gebildet. 1923 wurde die VIAG als Holding verschiedener Industrieunternehmen gegründet, mit dabei waren auch die Stickstoffwerke Piesteritz. 1926 wurde die Mitteldeutsche Stickstoffwerke AG an die Bayerischen Stickstoffwerke AG verpachtet und 1933 Teil dieses Unternehmens. Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre wurden viele weitere Chemieanlagen errichtet.

1945 besetzte die Rote Armee das Werk, gefolgt von der Umwandlung in eine Sowjetische Aktiengesellschaft (SAG). Zunächst wurden Anlagen (aber nicht das komplette Werk) im Rahmen der Reparationen der sowjetischen Besatzungszone mit Hilfe von Kriegsgefangenen abgebaut. 1954 wurde das Werk in einen volkseigenen Betrieb unter dem Namen VEB Stickstoffwerk Piesteritz umgewandelt. Anfang der 1970er Jahre entstanden zwei Ammoniak- und drei Harnstoff-Produktionsanlagen, die zum großen Teil von japanischen Firmen errichtet wurden. Im Rahmen der Kombinatsbildungen in der DDR wurde das Werk 1979 Leitbetrieb des VEB Kombinat Agrochemie und behielt diese Bezeichnung bis zur Wende.

1990 wurde das Unternehmen in die Stickstoffwerke AG umfirmiert. Unter Verwaltung der Treuhandanstalt wurden Anfang der 1990er Jahre viele veraltete Anlagen abgerissen, bestehende Bereiche saniert, aber auch die Beschäftigtenzahl von vormals fast 9000 auf ca. 700 reduziert. Auf dem Werksgelände blieben durch Ausgliederungen und neu gegründete Zulieferfirmen circa 3000 Arbeitsplätze erhalten.

1993 wurde die SKW Stickstoffwerke Piesteritz GmbH (SKW Piesteritz) gegründet. Sie ist nicht die Rechtsnachfolgerin der Stickstoffwerke AG, aber führt zum einen den modernen Teil der Produktion und zum anderen die Traditionen des Standorts in Form von Innovationen vor allem in Technik und Technologie weiter. Produktionsbasis bleiben die modernen Ammoniak- und Harnstoffkomplexe, der Salpetersäurebereich sowie die entsprechenden Neben- und Logistikanlagen des Nordwerkes, in deren Sanierung und Instandhaltung seit dieser Zeit kontinuierlich investiert wird. Der Trend ging bereits zu dieser Zeit zu höher veredelten Düngemittelspezialitäten. Deshalb konzentriert sich das Unternehmen bis heute auf die Produktion innovativer Stickstoffdüngemittel.

2002 bekam das Unternehmen neue Gesellschafter: das Schweizer Rohstoffhandelsunternehmen Ameropa Holding und die tschechische Agrofert-Gruppe übernahmen als Joint Venture sämtliche Anteile. Der Agrofert-Konzern, dessen alleiniger Eigentümer der Großindustrielle und ehemalige Ministerpräsident Tschechiens Andrej Babiš ist, wurde 2006 alleiniger Eigentümer von SKW Piesteritz.

Im August 2022 erklärte der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts Reiner Haseloff, dass SKW wegen der hohen Gaspreise die Produktion eingestellt habe.[9] Mitte September 2022 fuhr SKW die AdBlue-Produktion wieder uneingeschränkt hoch.[10]

Literatur Bearbeiten

  • Klaus Jasche, Reinhard Müller, Michael Fuchs: Chemie in Piesteritz – Innovation seit 1915. Makowski, München, 2009
  • Sven Müller-Hilgerloh: 80 Jahre Stickstoffwerke Piesteritz – Ein Geschichtsbuch zum Chemiestandort. SKW Stickstoffwerke Piesteritz GmbH, 1995
  • Klaus O. T. Beneke: Mitteldeutsche-Stickstoff-Werke A G, Piesteritz. Aus dem Nachlass des ehemaligen Direktors Richard Beneke (Bilder von ca. 1920 bis 1925), Uni Kiel (PDF-Datei, November 2006).

Weblinks Bearbeiten

Commons: SKW Stickstoffwerke Piesteritz – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Quellen Bearbeiten

  1. Leitung und Struktur
  2. a b c Geschäftsbericht 2020. 26. Februar 2021, abgerufen am 2. Oktober 2022.
  3. a b Wer zu wem: SKW Piesteritz
  4. Kamin des Borealis Agrolinz Melamine Werks. Abgerufen am 29. April 2022.
  5. a b Fokus Mittelstand. Wirtschaftsinformationen aus Mitteldeutschland. Ausgabe Dezember 2009 (Memento vom 17. April 2012 im Internet Archive). (PDF-Datei; 1 MB).
  6. Fokus Mittelstand. Wirtschaftsinformationen aus Mitteldeutschland. Ausgabe Dezember 2010 (Memento vom 5. Januar 2012 im Internet Archive). (PDF-Datei; 1,7 MB).
  7. Fokus Mittelstand. Wirtschaftsinformationen aus Mitteldeutschland. Ausgabe Dezember 2011 (Memento vom 31. Januar 2012 im Internet Archive). (PDF-Datei; 712 kB).
  8. Bruno Waeser: Die Luftstickstoff-Industrie mit Berücksichtigung der chilenischen Industrie und des Kokereistickstoffs. Springer-Verlag, 1932, ISBN 978-3-662-34599-3, S. 14 (google.com).
  9. Unsere Werke fliegen raus, während Putin Profit macht. In: www.t-online.de. 19. August 2022, abgerufen am 22. Oktober 2022.
  10. SKW Piesteritz fährt Produktion nach Betriebsstopp wieder hoch. In: www.mdr.de. 13. September 2022, abgerufen am 22. Oktober 2022.

Koordinaten: 51° 52′ 31,3″ N, 12° 34′ 58″ O