Steinzeitliche Parallelgesellschaften

Koexistenz von mesolithischen Jägern und Sammlern und neolithischen Ackerbauern im heutigen Nordrhein-Westfalen

Als Steinzeitliche Parallelgesellschaften bezeichnet man die etwa 2000 Jahre dauernde Koexistenz von mesolithischen Jägern und Sammlern und neolithischen Ackerbauern im heutigen Nordrhein-Westfalen. Dieser Umstand ist durch paläoanthropologische mtDNA-Analysen von Bestattungen aus der Blätterhöhle in Hagen (Westfalen) belegt.

Lange wurde angenommen, dass die mesolithischen Jäger und Sammler vernichtet wurden oder nach Norden in ackerbaufreie Gebiete abwanderten. Nach Ruth Bollongino behielten sie zumindest in Nischenarealen ihre Lebensweise noch etwa 2000 Jahre lang bei und lebten parallel zu den zugewanderten Bauern, bevor ihre Lebensweise etwa um 3000 v. Chr. in Mitteleuropa endete.

Genetische Ergebnisse Bearbeiten

Populationsgenetische Studien konnten nachweisen, dass die ersten Ackerbauern Mitteleuropas (siehe auch Linearbandkeramische Kultur) keine Nachfahren der Jäger und Sammler, sondern Einwanderer waren. Es konnte belegt werden, dass mesolithische Frauen in neolithische Gesellschaften einheirateten, während sich genetische Linien neolithischer Frauen in mesolithischen Gruppen nicht fanden. Die Isotopenanalysen belegen, dass sich die Wildbeuter in unmittelbarer Nähe zu den Ackerbauern aufhielten und über Jahrtausende Kontakt mit ihnen hatten; dabei behielten sie ihre Ernährungsgewohnheiten bei.

Skandinavische Forscher fanden 2009 bei drei Proben aus einem Ganggrab bei Gökhem, in Schweden die mtDNA H;J;T,[1] in 19 Proben der mesolithischen Grübchenkeramischen Kultur in Gotland jedoch die mtDNA-Gruppen U4/5/5a;H1b. Mit einem groß angelegten Vergleich glauben sie bewiesen zu haben, dass die heutigen Skandinavier trotz tausendjähriger Nachbarschaft nicht Nachkommen der mesolithischen Vorbevölkerung, sondern überwiegend der neolithischen Einwanderer der Trichterbecherkultur (TBK – ab 4300 v. Chr.) sind.[2]

Kontext Bearbeiten

Das Flachgräberfeld von Schwerin-Ostorf ist das Relikt von Jägern und Sammlern der Ertebølle-Kultur bzw. der Lietzow-Kultur, die in Enklaven auf für die Landwirtschaft nicht nutzbaren Arealen im heutigen Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg im ansonsten von den Trägern der Trichterbecherkultur (TBK) genutzten Gebiet für eine gewisse Zeit fortbestand. Ein Übergang der Lebensweisen durch Adaption konnte auch in anderen Studien nicht belegt werden. Ein Hauptgrund dafür ist, dass die „eingekreisten“ Jäger und Sammler gar keine freien Areale mehr vorfanden, die zu einer Änderung der Lebensweise geeignet gewesen wären.

Siehe auch Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Wolfram Schier, Jörg Orschiedt, Harald Stäuble, Carmen Liebermann (Hrsg.): Mesolithikum oder Neolithikum? Auf den Spuren später Wildbeuter, Edition Topoi, Berlin 2021 (befasst sich mit der „Diskussion um regionale Parallelität von Gruppen mit wildbeuterischer und bäuerlicher Subsistenz“). (Digitalisat, PDF)
  • Vicki Cummings, Oliver Harris: Animals, People and Places: The Continuity of Hunting and Gathering Practices across the Mesolithic–Neolithic Transition in Britain. Cambridge University Press, 2017
  • Ruth Bollongino, Olaf Nehlich, Michael P. Richards, Jörg Orschiedt, Mark G. Thomas, Christian Sell, Zuzana Fajkošová, Adam Powell, Joachim Burger: 2000 Years of Parallel Societies in Stone Age Central Europe. In: Science. Band 342, Nr. 6157, 25. Oktober 2013, S. 479–481, doi:10.1126/science.1245049.
  • Willy Bastian: Das jungsteinzeitliche Flachgräberfeld von Ostorf, Kreis Schwerin. In: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg. Jahrbuch. 1961, ISSN 0067-9461, S. 7–130.
  • Detlef Gronenborn: Transregional Culture Contacts and the Neolithization Process in Northern Central Europe. In: Peter Jordan, Marek Zvelebil (Hrsg.): Ceramics before farming. The dispersal of pottery among prehistoric Eurasian hunter-gatherers. Left Coast Press, Walnut Creek CA 2009, ISBN 978-1-59874-245-9, S. 527–550.
  • Detlef Gronenborn: Climate: Crises, and the »Neolithisation« of Central Europe between IRD-events 6 and 4. In: Detlef Gronenborn, Jörg Petrasch (Hrsg.): Die Neolithisierung Mitteleuropas. = The Spread of the Neolithic to Central Europe. Internationale Tagung, Mainz 24. bis 26. Juni 2005 (= RGZM-Tagungen. 4). Band 1. Verlag des Römisch-Germanischen Zentralmuseums, Mainz 2010, ISBN 978-3-88467-159-7, S. 61–80.
  • Lothar Teichert: Das Tierknochenmaterial der erteböllezeitlichen Fundorte von Ralswiek-Augustenhof und Lietzow-Buddelin Kr. Rügen. In: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam. Band 23, 1989, ISSN 0079-4376, S. 59–73.

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Ancient European DNA : mtDNA & Y-DNA haplogroup frequencies by period. Funnelbeaker Culture. www.eupedia.com, abgerufen am 5. August 2012 (englisch).
  2. Helena Malmström, M. Thomas P. Gilbert, Mark G. Thomas, Mikael Brandström, Jan Storå, Petra Molnar, Pernille K. Andersen, Christian Bendixen, Gunilla Holmlund, Anders Götherström, Eske Willerslev: Ancient DNA Reveals Lack of Continuity between Neolithic Hunter-Gatherers and Contemporary Scandinavians. In: Current Biology. Band 19, Nr. 20, 3. November 2009, S. 1758–1762, doi:10.1016/j.cub.2009.09.017 (Online [abgerufen am 5. August 2012]).