Als Semimartingale werden in der Stochastik bestimmte Prozesse bezeichnet, die insbesondere für die Definition eines allgemeinen stochastischen Integrals von Bedeutung sind. Die Klasse der Semimartingale umfasst viele bekannte stochastische Prozesse wie den Wiener-Prozess (Brownsche Bewegung) oder den Poisson-Prozess.

Definition Bearbeiten

Gegeben sei ein vollständiger Wahrscheinlichkeitsraum   mit zugehöriger Filtration  .

Wir nehmen an, dass die Filtration

  • vollständig ist, das heißt alle  -Nullmengen sind  -messbar.
  •   ist rechtsstetig, das heißt   für alle  .

Das Semimartingal besitzt durch den Satz von Bichteler-Dellacherie zwei äquivalente Definitionen.

Definition 1 Bearbeiten

Ein Prozess   heißt einfach-vorhersehbar, falls   von der Form

 

für eine endliche Folge von Stoppzeiten   ist und für alle   fast sicher   sowie  .

Der Raum der einfach-vorhersehbaren Prozesse zusammen mit der durch die gleichmässigen Konvergenz in   induzierten Topologie bezeichnen wir als  .

Für einen Prozess   und für einen einfach-vorhersehbaren Prozess   definieren wir die lineare Abbildung   durch

 

Ein stochastischer Prozess   heißt Semimartingal, falls für jedes   der gestoppte Prozess   càdlàg und adaptiert ist und die Abbildung   stetig ist.[1]

Definition 2 Bearbeiten

Ein Semimartingal ist dann ein stochastischer Prozess   mit Werten in   mit:

  •   ist an   adaptiert,
  • die Pfade/Trajektorien von   sind càdlàg, also rechtsseitig stetig und die linksseitigen Limites existieren,
  • es existiert eine (nicht notwendig eindeutige) Darstellung:
     
    wobei   fast sicher endlich und  -messbar,   ein lokales Martingal und   ein FV-Prozess ist, das heißt ein adaptierter Càdlàg-Prozess dessen Pfade fast sicher endliche Variation auf jedem kompakten Zeitintervall in   haben.

Eigenschaften Bearbeiten

Stochastische Integration Bearbeiten

Wie bereits in der Einleitung angedeutet, lassen sich mit Hilfe von Semimartingalen allgemeine stochastische Integrale konstruieren. Semimartingale stellen die größte Klasse von Integratoren dar, für die ein Integral der Form

 

sinnvoll definiert werden kann.   stammt in diesem Fall aus der Menge aller lokal beschränkten vorhersagbaren Prozesse.

Stabilität unter Transformationen Bearbeiten

Die Klasse der Semimartingale ist unter vielen Operationen stabil. Nicht nur ist jedes gestoppte Semimartingal offensichtlich wieder ein Semimartingal, auch unter Lokalisierung, einem „Wechsel der Zeit“ oder einem Übergang zu einem neuen absolut stetigen Maß bleiben Semimartingale erhalten.

Die Menge aller Semimartingale bildet eine Algebra, d. h. insbesondere, dass mit   und   auch   bzw.   wieder Semimartingale sind.[2]

Beispiele Bearbeiten

Martingale Bearbeiten

Jedes Martingal ist trivialerweise ein Semimartingal, da jedes Martingal selbst ein lokales Martingal ist.

Außerdem ist jedes Submartingal ein Semimartingal sowie jedes Supermartingal, sofern es rechtsstetig mit linksseitig existierenden Grenzwerten ist.

Sprungprozesse Bearbeiten

Viele Sprungprozesse wie verallgemeinerte Poisson-Prozesse sind Semimartingale, da sie von beschränkter Variation sind.

Lévy-Prozesse Bearbeiten

Jeder Lévy-Prozess ist bzgl. seiner kanonischen Filtration ein Semimartingal.

Ito-Prozesse Bearbeiten

Unter anderem in der Finanzmathematik spielen Ito-Prozesse eine zentrale Rolle. Diese sind darstellbar als

 

wobei der letzte Term ein Ito-Integral mit Volatilitätsprozess   bezeichnet. Dieser Term ist ein lokales Martingal.

Literatur Bearbeiten

  • Jean Jacod, Albert N. Shiryaev: Limit Theorems for Stochastic Processes. 2. Auflage. Springer, Berlin 2002, ISBN 3-540-43932-3.
  • Philip Protter: Stochastic Integration and Differential Equations. 2. Auflage. Springer, Berlin 2003, ISBN 3-540-00313-4.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Philip Protter: Stochastic Integration and Differential Equations. In: Springer-Verlag (Hrsg.): Stochastic Modelling and Applied Probability. ISBN 3-540-00313-4, S. 51–52.
  2. Michael Mürmann: Wahrscheinlichkeitstheorie und Stochastische Prozesse. Springer Spektrum, Berlin / Heidelberg 2014, ISBN 978-3-642-38160-7, S. 399.