Scherif

religiöser Titel von Nachkommen Mohammeds

Scherif oder Scharif, eingedeutscht aus arabisch شريف Scharīf, DMG šarīf ‚edel, vornehm‘ (Plural Aschrāf / أشراف / ašrāf oder Schurafā' / شرفاء / šurafāʾ, marokkanisch-arabisch chorfa), ist der religiöse Titel der Nachkommen des Propheten Mohammed, die von einem seiner beiden Enkel Hasan bzw. Husain abstammen. Im alten Arabien und im frühen Islam bezeichnete der Begriff allgemein hochstehende Persönlichkeiten der arabischen Stammesgesellschaft. Im Laufe der Zeit wurde seine Bedeutung jedoch immer weiter eingeschränkt, so dass er nur noch für Aliden verwendet wurde. In einigen Gebieten, so im Hedschas,[1] hat man ihn sogar nur den Hasaniden vorbehalten, während die Husainiden als Saiyids bezeichnet werden.

Scherifen und Saiyids bilden eine Art Erbadel im Islam. Eheeinschränkungen gelten allerdings nur für scherifische Frauen. Sie dürfen immer nur scherifische Männer heiraten, während scherifische Männer umgekehrt auch nicht-scherifische Frauen heiraten dürfen.[2] Im Hedschas und in Marokko haben sich verschiedene scherifische Dynastien herausgebildet.

Geschichte Bearbeiten

Im vorislamischen Arabien und im frühen Islam waren die Aschrāf Angehörige besonders edler arabischer Stämme bzw. die Oberhäupter prominenter Familien, die über die Zeit einen anerkannten Status innerhalb ihrer Stämme bzw. in einer bestimmten Stadt erlangt hatten. Die Aschrāf betrachteten sich selbst als Aristokraten (ahl al-faḍl) im Gegensatz zu den ungebildeten Massen. Der Begriff Scharīf bezeichnete eine Person mit vornehmem Stammbaum, von noblem Charakter und hohem gesellschaftlichem Rang. Als solcher stand der Scharīf dem "Schwachen" (ḍaʿīf) gegenüber.[3] In diesem Sinne erscheint der Begriff im Titel des genealogischen Werks Ansāb al-ašrāf von al-Balādhurī (gest. 892).

Die Fähigkeit, eine Verwandtschaft zum Propheten nachzuweisen, galt schon früh als Beleg für die Zugehörigkeit zu den Aschrāf.[4] So pries beispielsweise der schiitische Dichter Kumait die Haschimiten als Scherifen und Saiyids.[5] Schon im 9. Jahrhundert wurden diese Aschrāf im Abbasidenreich einem Obmann (naqīb) unterstellt.[6]

Nach as-Suyūtī (gest. 1505) bezeichnete der Begriff šarīf in früherer Zeit jeden Abkömmling von den Ahl al-bait, ganz gleich ob er zu den Tālibiden (Nachkommen von Abū Tālib ibn ʿAbd al-Muttalib) oder den Abbasiden gehörte.[7] Die Fatimiden, so erklärt as-Suyūtī, beschränkten ihn dann auf die Nachkommen von al-Hasan und al-Husain. Diese Bedeutung blieb dann auch in mamlukischer und osmanischer Zeit bestehen.[8] Der Obmann der Scherifen, auf arabisch Naqīb al-aschrāf genannt, führte ein Register über Geburten und Abgänge bei den scherifischen Familien, überprüfte, wenn Personen eine alidische Abkunft für sich behaupteten, die Richtigkeit dieser Behauptungen, und wachte über das Verhalten der Scherif, um sie bei etwaigen Exzessen oder Pflichtverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen.[9]

Ab dem 14. Jahrhundert wurde die scherifische Abstammung im Iran und in Ägypten durch einen grünen Turban oder ein grünes Abzeichen am Turban deutlich gemacht.[10]

Die Scherifen von Mekka Bearbeiten

Die Scherifen von Mekka waren ein weitverzweigtes Netz scherifischer Familien, die von ca. 968 bis 1925 die Herrscher von Mekka stellten. In europäischen Beschreibungen hat man die herrschenden Scherifen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Unterscheidung von den anderen Scherifen auch Großscherifen genannt. Aus der Nachkommenschaft des vorletzten Scherifen Hussain I. ibn Ali, der sich 1916 zum König des Hedschas ausrief, geht die heutige Dynastie der Haschimiten von Jordanien hervor.

Die Scherifen von Marokko Bearbeiten

Die erste bedeutende scherifische Dynastie auf dem Gebiet Marokkos waren die Idrisiden. Während der Merinidenzeit (1285–1465) wurden scharīfische Familien besonders stark an den Hof gebunden. Die Scherifen der verschiedenen Städte wurden jeweils von einem Mizwār („Oberhaupt“) angeführt. Wenn der Mizwār von Fès den Rat des Sultans Abū ʿInān Fāris aufsuchte, pflegte sich dieser zusammen mit allen Anwesenden aus Respekt vor ihm und seinem Vorfahren Mohammed zu erheben.[11] Der Mizwār von Sabta musste dem Herrscher jedes Jahr zum Prophetengeburtstag die Aufwartung machen.[12]

Mit den Saadiern erreichte zum ersten Mal wieder eine scharīfische Familie die direkte Herrschaft in Marokko. Auch die Alawiden, die bis heute in Marokko herrschen, sind eine scharīfische Herrscherfamilie.

Literatur Bearbeiten

  • C. van Arendonk u. W. A. Graham: „Sharīf“. In: The Encyclopaedia of Islam. New Edition Bd. IX, S. 329b–337b.
  • Herman Leonard Beck: L’image d’Idrīs II, ses descendants de Fās et la politique sharīfienne des sultans marīnides 656–869/1258–1465. Brill, Leiden, 1989, ISBN 90-04-09054-1.
    Original: Idrīs de kleine en de idrīsidische Shurafā' in Fās tijdens de Marīnieden. Dissertation an der Universität Leiden, 1984.
  • Patricia Crone: Slaves on horses: the evolution of the Islamic polity. Cambridge University Press, Cambridge 1980. S. 93–123.
  • Kazuo Morimoto (ed.): Sayyids and Sharifs in Muslim Societies: The Living Links to the Prophet Routledge, London, 2012.
  • Margit Pernau: Ashraf into middle classes: Muslims in nineteenth-‐‑century Delhi. Oxford University Press, New Delhi 2013.
  • Stefan Reichmuth: Scharif. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Hrsg. von Friedrich Jaeger. Online
  • Michael Winter: Ashrāf and naqābat al-ashrāf in Ottoman and modern times. In: Asian and African Studies. Band 19, 1985, S. 17–41.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Arendonk/Graham: "Sharīf" in EI² Bd. IX, S. 333.
  2. Arendonk/Graham: "Sharīf" in EI² Bd. IX, S. 335a.
  3. Arendonk/Graham: "Sharīf" in EI² Bd. IX, S. 330a.
  4. Arendonk/Graham: "Sharīf" in EI² Bd. IX, S. 330b.
  5. Arendonk/Graham: "Sharīf" in EI² Bd. IX, S. 331b.
  6. Arendonk/Graham: "Sharīf" in EI² Bd. IX, S. 333b.
  7. Arendonk/Graham: "Sharīf" in EI² Bd. IX, S. 331b.
  8. Arendonk/Graham: "Sharīf" in EI² Bd. IX, S. 332a.
  9. Arendonk/Graham: "Sharīf" in EI² Bd. IX, S. 333b-334a.
  10. Arendonk/Graham: "Sharīf" in EI² Bd. IX, S. 334.
  11. Beck: L’ image d’Idrīs II. 1989, S. 180f.
  12. Beck: L’ image d’Idrīs II. 1989, S. 176.