Sara de Sancto Aegidio

französische Medizinerin des 14. Jahrhunderts

Sara de Sancto Aegidio oder Sara von St. Gilles (bl. 1326 in Marseille) war eine französische Medizinerin des 14. Jahrhunderts. Sie ist die einzige mittelalterliche Jüdin, von der dokumentiert ist, dass sie Medizin unterrichtete.[1]

Sara, die Witwe des Mediziners Avraham aus St. Gilles, ist bekannt durch einen Lehrvertrag, datiert auf den 28. August 1326.[2] Darin nahm sie Salves (Salvetus) de Burgonovo, Davids Sohn, für die Dauer von sechs Monaten (bis zum nächsten Pessachfest) als ihren Schüler in Medizin und Physik an. Salves, der aus Salon-de-Provence stammte, sollte während seiner Ausbildung von Sara Kost, Logis und Kleidung erhalten und dafür alle Honorare, die er in dieser Zeit eventuell erhielt, an seine Lehrmeisterin abtreten. Darüber hinaus wurde keine Bezahlung für die Ausbildung vereinbart. Da die Studienzeit recht kurz war, vermutet Joseph Shatzmiller, dass Salvetus bereits gute Vorkenntnisse mitbrachte.[3] Vermutlich war Sara in Marseille offiziell oder halb-offiziell als Medizinerin anerkannt, ein Status, den mehrere jüdische Frauen im Mittelalter hatten, der von den christlichen Behörden aber offenbar nur widerwillig verliehen wurde.[4]

Der Lehrvertrag erlaubt für die Zeit vor der Großen Pest Einblicke in die Ausbildung jüdischer Mediziner, denen ein Medizinstudium an Universitäten verwehrt war. Seit 1250 und verbindlich seit 1300 mussten alle Mediziner in Südeuropa eine Prüfung ablegen, bevor ihnen erlaubt wurde, in einer Stadt zu praktizieren. Auch die jüdischen Kandidaten mussten für die licentia practicandi nicht nur praktische ärztliche Fähigkeiten nachweisen, sondern auch Kenntnisse in dem, was damals als Hilfswissenschaft der Medizin betrachtet wurde: Logik, Mathematik, Physik, Astronomie und Metaphysik.[5] Das Prüfungsverfahren eröffnete den jüdischen Medizinern und den Medizinerinnen unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit eine legale Möglichkeit, den Arztberuf auszuüben.[6] Wenn Sara de Sancto Aegidio einen Schüler annahm, um ihn für diese Prüfung zu trainieren, so ist es sehr wahrscheinlich, dass sie zu dem Kreis jüdischer und nichtjüdischer Frauen gehörte, die die Prüfung selbst abgelegt hatten.[7]

Weitere Archivalien aus Marseille, die Sara de Sancto Aegidio erwähnen, sind nicht bekannt, damit auch keine zusätzlichen Informationen zu ihrer Biografie.

Literatur Bearbeiten

  • Emily Taitz, Sondra Henry, Cheryl Tallan: The JPS Guide to Jewish Women: 600 B.C.E.to 1900 C.E., Philadelphia 2003, S. 86.
  • Joseph Shatzmiller: On Becoming a Jewish Doctor in the Middle Ages. In: Sefarad 43/2 (1983), S. 239–250. (PDF)
  • Joseph Shatzmiller: Apprenticeship or Academic Education: The Making of Jewish Doctors. In: Andreas Speer, Thomas Jeschke (Hrsg.): Schüler und Meister (= Miscellanea Mediaevalia. Band 39). De Gruyter, Berlin / Boston 2016, S. 503–510.
  • L. Barthelémy: Les médecins de Marseille avant et pendant le moyen âge. Marseille 1883, S. 31.
  • Ernest Wickersheimer: Dictionnaire biographique des médecins en France au Moyen Age, Band 2. Champion, Paris 1936 (Nachdruck: Droz, Genf 1979), S. 730 und 732.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Cheryl Tallan: Doctors: Medieval. In: Jewish Women’s Archive.
  2. Archives de Provence, Marseille, 881E82, fol. 122. Vgl. Joseph Shatzmiller: On Becoming a Jewish Doctor in the Middle Ages, 1983, S. 247 Anm. 27.
  3. Joseph Shatzmiller: On Becoming a Jewish Doctor in the Middle Ages, 1983, S. 248.
  4. Joseph Shatzmiller: On Becoming a Jewish Doctor in the Middle Ages, 1983, S. 248f.
  5. Joseph Shatzmiller: Apprenticeship or Academic Education: The Making of Jewish Doctors, Berlin / Boston 2016, S. 506.
  6. Carmen Caballero Navas: Medicine among Medieval Jews: The Science, the Art, and the Practice. In: Gad Freudenthal (Hrsg.): Science in Medieval Jewish Cultures. Cambridge University Press, Cambridge 2011, S. 321–342, hier S. 335: In part, the licensing system was implemented to make it possible to fill the social need for medical care, by granting a vast network of practitioners, especially non-Christians and women (whatever their religion) who had no access to university or the right to practice medicine legally.
  7. Carmen Caballero Navas: Medicine among Medieval Jews: The Science, the Art, and the Practice. In: Gad Freudenthal (Hrsg.): Science in Medieval Jewish Cultures. Cambridge University Press, Cambridge 2011, S. 321–342, hier S. 339.