Rutherfordin

seltenes Mineral, Uranylcarbonat [UO2|CO3]

Rutherfordin ist ein selten vorkommendes Mineral aus der Mineralklasse der „Carbonate und Nitrate“ (ehemals Carbonate, Nitrate und Borate, siehe Klassifikation). Es kristallisiert im orthorhombischen Kristallsystem mit der Zusammensetzung (UO2)(CO3)[3], ist also chemisch gesehen ein Uranylcarbonat.

Rutherfordin
Rutherfordin aus der Musonoi Mine, Kolwezi, Demokratische Republik Kongo (Sichtfeld 7 mm)
Allgemeines und Klassifikation
IMA-Nummer

1962 s.p.[1]

IMA-Symbol

Rfd[2]

Andere Namen

Diderichit

Chemische Formel
Mineralklasse
(und ggf. Abteilung)
Carbonate und Nitrate
System-Nummer nach
Strunz (8. Aufl.)
Lapis-Systematik
(nach Strunz und Weiß)
Strunz (9. Aufl.)
Dana

V/F.01
V/F.01-010

5.EB.05
14.01.04.01
Kristallographische Daten
Kristallsystem orthorhombisch
Kristallklasse; Symbol orthorhombisch-dipyramidal; 2/m 2/m 2/m
Raumgruppe (Nr.) Imm2[4] (Nr. 44)
Gitterparameter a = 4,84 Å; b = 9,27 Å; c = 4,30 Å[4]
Formeleinheiten Z = 2[4]
Physikalische Eigenschaften
Mohshärte 2 bis 3[5]
Dichte (g/cm3) gemessen: 5,7; berechnet: 5,682[6]
Spaltbarkeit vollkommen nach {010}, fast vollkommen nach {001}[6]
Farbe weiß, hellgelb, strohgelb, grünlichgelb, orange, bernsteinbraun
Strichfarbe weiß[5]
Transparenz durchscheinend
Glanz matt oder erdig, Seidenglanz in faserigen Aggregaten
Kristalloptik
Brechungsindizes nα = 1,700 bis 1,723
nβ = 1,716 bis 1,730
nγ = 1,755 bis 1,795[7]
Doppelbrechung δ = 0,055 bis 0,072[7]
Achsenwinkel 2V = 53° (berechnet)[7]
Pleochroismus sichtbar:
X = farblos, Y = hellgelb, Z = hellgrünlichgelb[7]

Rutherfordin findet sich meist in Form dichter bis pulvriger Massen auf Uraninit (UO2), bildet aber auch radialstrahlige, faserige bis filzige Aggregate und selten auch leistenförmige Kristalle bis etwa drei Millimetern Größe aus. Seine Farbe variiert zwischen Hellgelb bis fast Weiß, Strohgelb bis Grünlichgelb oder Orange bis Bernsteinbraun.

Etymologie und Geschichte Bearbeiten

Rutherfordin wurde am westlichen Abhang des Lukwengule im Ulugurugebirge in Tansania entdeckt und 1906 erstmals durch den deutschen Chemiker Willy Marckwald (1864–1942) beschrieben, der das Mineral nach dem bekannten Atomphysiker Ernest Rutherford benannte, um dessen Verdienste zur Erforschung der Radioaktivität zu ehren.[8] Es existieren zwei Typminerale, wovon sich eines im Naturkundemuseum Paris (Katalog-Nr. 109.1083) sowie ein weiteres am National Museum of Natural History (Katalog-Nr. 93291), Washington, D.C., USA befindet.

Klassifikation Bearbeiten

In der mittlerweile veralteten, aber noch gebräuchlichen 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz gehörte der Rutherfordin zur gemeinsamen Klasse der Carbonate, Nitrate und Borate und dort zur Abteilung der „Uranylcarbonate [UO2]2+ bis [CO3]2−“, wo er zusammen mit Blatonit, Joliotit und Oswaldpeetersit die unbenannte Gruppe V/F.01 bildete.

Die seit 2001 gültige und von der International Mineralogical Association (IMA) verwendete 9. Auflage der Strunz’schen Mineralsystematik ordnet den Rutherfordin in die verkürzte Klasse „Carbonate und Nitrate“, dort allerdings ebenfalls in die Abteilung der „Uranylcarbonate“ ein. Diese ist jedoch weiter unterteilt nach dem Stoffmengenverhältnis von Uranyl zu Carbonatkomplex, so dass das Mineral entsprechend seiner Zusammensetzung in der Unterabteilung „UO2 : CO3 < 1 : 1 – 1 : 2“ zu finden ist, wo es als einziges Mitglied die unbenannte Gruppe 5.EB.05 bildet.

Auch die vorwiegend im englischen Sprachraum gebräuchliche Systematik der Minerale nach Dana ordnet den Rutherfordin wie die veraltete Strunz’sche Systematik in die gemeinsame Klasse der „Carbonate, Nitrate und Borate“ und dort in die Abteilung der „Wasserfreien Carbonate“ ein. Hier ist er als einziges Mitglied/zusammen mit in der unbenannten Gruppe 14.01.04 innerhalb der Unterabteilung „Wasserfreie Carbonate mit einfacher Formel A+CO3“ zu finden.

Kristallstruktur Bearbeiten

 
Kristallstruktur von Rutherfordin in Richtung der kristallographischen b-Achse _ U _ O _ C

Rutherfordin kristallisiert orthorhombisch in der Raumgruppe Imm2 (Raumgruppen-Nr. 44)Vorlage:Raumgruppe/44 mit den Gitterparametern a = 4,84 Å; b = 9,27 Å und c = 4,30 Å sowie zwei Formeleinheiten pro Elementarzelle.[4] Das Uranyl-Ion weist dabei eine verzerrt hexagonal-bipyramidale Struktur auf. In der nebenstehenden Abbildung ragen die Uranyl-Sauerstoffatome nach oben und unten aus der Ebene heraus. In der äquatorialen Ebene koordiniert ein Carbonat-Anion vier Uranyl-Ionen, so dass diese zu linearen Schichten verknüpft werden. Diese Schichten liegen im Kristallgitter parallel zueinander, und zwar derart, dass die Uranyl-Sauerstoffatome die freie Koordinationsstelle des Carbonat-Anions koordinieren, so dass sich für dieses eine leicht verzerrte trigonal-bipyramidale Struktur ergibt.[9]

Eigenschaften Bearbeiten

Das Mineral ist durch seinen Urangehalt von bis zu 72,12 Gew.-% radioaktiv. Unter Berücksichtigung der Mengenanteile der radioaktiven Elemente in der idealisierten Summenformel sowie der Folgezerfälle der natürlichen Zerfallsreihen wird für das Mineral eine spezifische Aktivität von etwa 129,1 kBq/g[10] angegeben (zum Vergleich: natürliches Kalium 0,0312 kBq/g). Der zitierte Wert kann je nach Mineralgehalt und Zusammensetzung der Stufen deutlich abweichen, auch sind selektive An- oder Abreicherungen der radioaktiven Zerfallsprodukte möglich und ändern die Aktivität.

1954 führte Hans W. Bültemann fluoreszenzanalytische Untersuchungen an sekundären Uranmineralen durch, zu denen auch ein stark gelbgrün fluoreszierender Rutherfordin aus der Region Morogoro (Tansania) gehört haben soll. Bültemanns Beobachtung konnte jedoch durch synthetisch erzeugten und damit stoffreinen Rutherfordin nicht bestätigt werden.[11] Eine aufgrund der Zusammensetzung eher unwahrscheinliche Fluoreszenz wäre damit nur das Ergebnis von Fremdbeimengungen und Sekundärmineralbildungen in natürlich gebildeten Rutherfordinproben.

Bildung und Fundorte Bearbeiten

 
Paragenese von Rutherfordin (braun) mit Soddyit (gelb) aus der Kolwezi Mine, Demokratische Republik Kongo

Rutherfordin bildet sich als typisches Sekundärmineral durch Verwitterung aus Uraninit. Neben diesem können als weitere Paragenesen unter anderem noch Becquerelit, Billietit, Boltwoodit, Curit, Fourmarierit, Kasolit, Masuyit, Metatorbernit, Schoepit, Sklodowskit, Studtit und Vandendriesscheit auftreten.

Als seltene Mineralbildung konnte Rutherfordin nur an wenigen Fundorten nachgewiesen werden, wobei bisher (Stand: 2013) rund 50 Fundorte als bekannt gelten.[12] Seine Typlokalität Lukwengule im Ulugurugebirge ist dabei der bisher einzige bekannte Fundort in Tansania.

In Deutschland trat das Mineral unter anderem in den Gruben „Sophia“ bei Wittichen, „Segen Gottes“ bei Schnellingen/Haslach im Kinzigtal bzw. Alpirsbach und „Krunkelbach“ in Baden-Württemberg; in der Grube „Johannesschacht“ bei Wölsendorf in Bayern; in der Uranlagerstätte Ellweiler in Rheinland-Pfalz und bei Schneeberg im sächsischen Erzgebirge auf.

Der bisher einzige bekannte Fundort in Österreich ist der Übelskogel bei Waldenstein (Gemeinde Wolfsberg) in Kärnten, wo das Mineral in Gesteinsproben beim Tunnelbau für die Süd Autobahn A2 entdeckt wurde.

Weitere Fundorte liegen unter anderem in Australien, Brasilien, China, der Demokratischen Republik Kongo (Zaire), Frankreich, Kanada, Norwegen, Tschechien, im Vereinigten Königreich (Großbritannien) und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA).[13]

Vorsichtsmaßnahmen Bearbeiten

Aufgrund der starken Radioaktivität sollten Mineralproben von Rutherfordin nur in staub- und strahlungsdichten Behältern, vor allem aber niemals in Wohn-, Schlaf- und Arbeitsräumen aufbewahrt werden. Ebenso sollte eine Aufnahme in den Körper (Inkorporation, Ingestion) auf jeden Fall verhindert und zur Sicherheit direkter Körperkontakt vermieden sowie beim Umgang mit dem Mineral Mundschutz und Handschuhe getragen werden. Uran und die meisten Glieder seiner Zerfallsreihe sind Alpha- bzw. Betastrahler, deren Strahlung deutlich weniger tief in Gewebe eindringt als Gammastrahlung. Allerdings ist der Schaden, wenn diese Strahlung innerhalb des Körpers auftritt – im Vergleich zu Gammastrahlung – deutlich erhöht. Dies erklärt den Wert von Schutzausrüstung und sauberem Arbeiten bei der Handhabung dieser Substanzen, auch wenn derartige Maßnahmen gegen Gammastrahlung nahezu wirkungslos sind.

Siehe auch Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • W. Marckwald: Ueber Uranerze aus Deutsch-Ostafrika. In: Zentralblatt für Mineralogie, Geologie und Paläontologie. Jahrgang 1906, S. 761–763 (rruff.info PDF 381 kB).
  • C. Frondel, R. Meyrowitz: Studies of uranium minerals (XIX): Rutherfordine, Diderichite, and Clarkeite. In: American Mineralogist. Band 41, 1956, S. 127–133 (rruff.info PDF 435 kB).
  • Hans Jürgen Rösler: Lehrbuch der Mineralogie. 4. durchgesehene und erweiterte Auflage. Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie (VEB), Leipzig 1987, ISBN 3-342-00288-3, S. 717.
  • Friedrich Klockmann: Klockmanns Lehrbuch der Mineralogie. Hrsg.: Paul Ramdohr, Hugo Strunz. 16. Auflage. Enke, Stuttgart 1978, ISBN 3-432-82986-8, S. 583 (Erstausgabe: 1891).

Weblinks Bearbeiten

Commons: Rutherfordine – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Malcolm Back, Cristian Biagioni, William D. Birch, Michel Blondieau, Hans-Peter Boja und andere: The New IMA List of Minerals – A Work in Progress – Updated: January 2023. (PDF; 3,7 MB) In: cnmnc.main.jp. IMA/CNMNC, Marco Pasero, Januar 2023, abgerufen am 26. Januar 2023 (englisch).
  2. Laurence N. Warr: IMA–CNMNC approved mineral symbols. In: Mineralogical Magazine. Band 85, 2021, S. 291–320, doi:10.1180/mgm.2021.43 (englisch, cambridge.org [PDF; 320 kB; abgerufen am 5. Januar 2023]).
  3. a b IMA/CNMNC List of Mineral Names (PDF 1,3 MB; Februar 2013).
  4. a b c d Hugo Strunz, Ernest H. Nickel: Strunz Mineralogical Tables. 9. Auflage. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart 2001, ISBN 3-510-65188-X, S. 319.
  5. a b Stefan Weiß: Das große Lapis Mineralienverzeichnis. Alle Mineralien von A – Z und ihre Eigenschaften. 5., vollkommen neu bearbeitete und ergänzte Auflage. Weise, München 2008, ISBN 978-3-921656-70-9.
  6. a b Rutherfordine. In: John W. Anthony, Richard A. Bideaux, Kenneth W. Bladh, Monte C. Nichols (Hrsg.): Handbook of Mineralogy, Mineralogical Society of America. 2001 (handbookofmineralogy.org PDF 65,6 kB).
  7. a b c d Mindat – Rutherfordine.
  8. „W. Marckwald, Ueber Uranerze aus Deutsch-Ostafrika, Zentralbl. Min., Geol. Paläont., 1906, 761-63.“
  9. R. J. Finch, M. A. Cooper, F. C. Hawthorne, R. C. Ewing: Refinement of the crystal structure of rutherfordine. In: The Canadian Mineralogist. Band 37, 1999, S. 929–938 (rruff.info PDF 870 kB).
  10. Webmineral – Rutherfordine.
  11. C. Frondel, R. Meyrowitz: Studies of uranium minerals (XIX): rutherfordine, diderichite, and clarkeite. In: American Mineralogist. Band 41, 1956, S. 130 (rruff.info PDF 435 kB).
  12. Mindat – Anzahl der Fundorte für Rutherfordin
  13. Fundortlisten für Rutherfordin beim Mineralienatlas und bei Mindat.