Run-Off bezeichnet das Einstellen des Neugeschäfts und das kostengünstige Fortführen von Altbeständen (Altverträge). Dies findet Anwendung bei Versicherungsunternehmen, insbesondere von Sach- und Lebensversicherern; auch im Bankwesen sind run-offs gängig, diese werden auch als Abwicklungsbanken bezeichnet. Unternehmen, die ohne Neugeschäft bestehende Bestände abwickeln bzw. Versicherungsunternehmen oder deren Bestände im Wege des Run-Offs übernehmen, nennt man Run-Off-Gesellschaften.

Geschäftsmodell (Versicherungen) Bearbeiten

Bei einem Run-off beendet das jeweilige Versicherungsunternehmen seine Geschäftstätigkeit, nimmt also keine Neukunden mehr auf, und überträgt seinen Versicherungsbestand auf ein anderes Unternehmen (Bestandsübertragung). Bei der Bestandsübertragung bekommen die Kunden einen neuen Vertragspartner. Eine Alternative dazu ist der Verkauf des gesamten Versicherungsunternehmens an einen Investor (Eigentümerwechsel). Dabei bleibt der Vertragspartner gleich, lediglich die Eigentumsverhältnisse ändern sich. In beiden Fällen spricht man von einem externen Run-Off. Ein so genannter interner Run-Off liegt vor, wenn das Versicherungsunternehmen sein Neukundengeschäft offiziell oder zumindest faktisch einstellt, den Bestand aber nicht an einen Dritten überträgt, sondern selbst fortführt.

Hauptursache der seit den 2010er Jahren in Deutschland durchgeführten Run-Offs ist insbesondere die andauernde Niedrigzinsphase, die es den Anbietern von Kapitallebensversicherungen erschwert, die zugesagten Renditen zu erwirtschaften. Aber auch umfangreicher Modernisierungsbedarf, vor allem im IT-Bereich, und gestiegene regulatorische Anforderungen machen es den Unternehmen zunehmend schwieriger, die notwendigen Mittel für gegebene Garantieversprechen und attraktive Überschüsse zu erwirtschaften. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten kann es daher sinnvoll sein, das Neukundengeschäft einzustellen oder den Geschäftsbereich Lebensversicherung vollständig an Spezialisten zu übertragen. Geschäftsstrategie der Run-Off-Gesellschaften ist es, die übernommenen Versicherungsverträge mit deutlich geringerem Verwaltungsaufwand weiterzuführen. An den Kosteneinsparungen müssen die Versicherten beteiligt werden, dies regelt die Mindestzuführungsverordnung.

Teilweise agieren explizit auf den Run-Off-Markt spezialisierte Firmen am Markt, teilweise besitzen zudem Private-Equity-Firmen Run-Off-Portfolien bzw. haben entsprechend spezialisierte Tochtergesellschaften oder sind in Run-Off-Plattformen investiert. So gehören beispielsweise Cinven bei der Viridium[1] oder Apollo Global Management bei der Athora[2] zu den Miteigentümern.

Run-off Gesellschaften in Deutschland Bearbeiten

Lebensversicherung Bearbeiten

Auf dem deutschen Lebensversicherungsmarkt sind derzeit drei Bestandsmanager aktiv:

Jahr Versicherer Verträge Anlagevermögen Run-off-Plattform Bemerkung Quelle
2014 Heidelberger Lebensversicherung 600.000 5,2 Mrd. €
 
Quelle,
2014 Skandia Lebensversicherung 400.000 4,9 Mrd. € Quelle,
2017 Protektor Lebensversicherung 100.000 1,8 Mrd. € Weiterführung als Entis Lebensversicherung,
die rund 85.000 Lebensversicherungsverträge
der ehemaligen Mannheimer Lebensversicherung betreut
Quelle
2019 Generali Leben 3.850.000 44,6 Mrd. € Weiterführung als Proxalto Lebensversicherung Quelle
2017 Asstel Lebensversicherung AG (keine) Altpolicen werden von der Gothaer Lebensversicherung AG betreut. Keine Neuabschlüsse mehr möglich. Quelle
2015 Delta Lloyd Deutschland 350.000 4,6 Mrd. €
 
ehemals Berlinische Lebens-Versicherungs Gesellschaft,
2006 erfolgte die Umfirmierung in Delta Lloyd Lebensversicherung AG,
im August 2015 erfolgte die Verschmelzung der Hamburger Lebensversicherung mit der Delta Lloyd Lebensversicherung,
im November 2015 erfolgte die Umfirmierung als Athene Lebensversicherung,
2018 umbenannt in Athora Lebensversicherung
Quelle
2015 Basler Leben 120.000 2,6 Mrd. €
 
Weiterführung als Frankfurter Lebensversicherung Quelle
2017 ARAG-Lebensversicherung 322.000 2,8 Mrd. € Weiterführung als Frankfurt Münchener Lebensversicherung Quelle
2018 Pensionskasse Pro BAV (Axa Deutschland) 260.000 3,0 Mrd. € Quelle
2018 Prudentia Pensionskasse (COFRA-Gruppe) 50.000 1,8 Mrd. € Quelle
2019 Nürnberger Beamten Lebensversicherung (keine) Abwicklung in Eigenregie Quelle

Run-Offs bedürfen in Deutschland der Genehmigung durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Die BaFin erteilt die Genehmigung, wenn die Belange der betroffenen Versicherten gewahrt sind und die Run-Off-Gesellschaft nachweist, dass sie die Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen dauerhaft erfüllen kann. Die Run-Off-Gesellschaften unterliegen auch nach dem Eigentümerwechsel bzw. der Bestandsübertragung dem deutschen Versicherungsaufsichtsrecht.[4]

Der Bund der Versicherten betrachtet die Run-Offs der deutschen Kapitallebensversicherer als „Zäsur“ und befürchtet „große Gefahren“ für die Kunden. Die von den Run-Off-Gesellschaften angestrebte Rendite sei nur erzielbar, wenn im Gegenzug den Versicherten möglichst viele Überschüsse vorenthalten würden. Das Interesse der Kunden an einer hohen Überschussbeteiligung werde aber von der BaFin nicht ausreichend vertreten.[5] Spiegel Online kommentierte, die Kunden seien für die Versicherungen wirtschaftlich nicht mehr attraktiv und würden deshalb „abgeschoben“. Sowohl die private als auch die betriebliche Altersvorsorge in Deutschland drohten „in sich zusammenzufallen“.[6]

Doch es gibt unter den Verbraucherschützern auch andere Meinungen. „Es muss für Verbraucher kein schlechter Deal sein, von jemandem wegzukommen, der ohnehin keinen Bock mehr auf ihn hat, und hin zu jemandem, der richtig Bock auf den Kunden hat“, sagte Lars Gatschke, Versicherungsexperte des Bundesverbands der Verbraucherzentralen. Grundsätzlich sollte sich durch den Weiterverkauf der Verträge nichts für die Kunden ändern.[7]

Die BaFin nahm den geplanten Run-Off der Generali zum Anlass, die strengen Anforderungen an einen Unternehmensverkauf darzustellen.[8]

Im Zuge der angekündigten Veräußerung von Teilbeständen der Zurich Gruppe Deutschland respektive Axa Deutschland im Frühjahr 2022 trat neben den drei bereits in Deutschland etablierten Run-Off-Plattformen der in Großbritannien ansässige Abwickler Resolution Life als möglicher Kaufinteressent in Erscheinung.[9]

Im Juni 2022 verkündete Viridium vorbehaltlich der BaFin-Genehmigung die Übernahme des Lebensversicherungsbestandes der Zurich Gruppe Deutschland (Rund 720.000 Verträge mit rund 21 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen).[10] Im Januar 2024 scheiterte die Übernahme wegen mutmaßlicher Bedenken der Aufsichtsbehörde gegenüber dem hinter Viridium stehenden Finanzinvestor Cinven.[11]

Im Juli 2022 verkündete Athora vorbehaltlich der BaFin-Genehmigung die Übernahme eines Teilbestandes der Axa Deutschland (Rund 900.000 Verträge mit rund 19 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen).[12] Im Mai 2023 verkündete die Frankfurter-Leben-Gruppe vorbehaltlich der BaFin-Genehmigung die Übernahme der Generali Deutschland Pensionskasse AG (Rund 150.000 Verträge mit rund 2,8 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen)[13], im September des Jahres wurde ebenso vorbehaltlich der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde die Übertragung des Versicherungsbestandes der Landeslebenhilfe (ca. 11.000 Verträge mit rund 150 Mio. Euro zugehörigen Kapitalanlagen) auf die Frankfurter Lebensversicherung verkündet.[14]

Schaden- und Unfallversicherung Bearbeiten

Die DARAG Deutsche Versicherungs- und Rückversicherungs-AG übernimmt inaktives Geschäft von Erst- und Rückversicherungsunternehmen im Nicht-Leben-Bereich und wickelt dieses ab.

Run-off Gesellschaften International Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Marco Ritter: Run-off in der Lebensversicherung. 1. Auflage. Volk und Wissen Verlag, Leipzig 2014, ISBN 978-3-89952-802-2.
  • Kay Schaumlöffel, Hannah Wesker: Run-Off. Schutz der Kunden in der Lebensversicherung. In: BaFin-Journal 2/2018, S. 12–17.

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. viridium-gruppe.com: „ORGANISATION“
  2. athora.com: „OUR ORGANISATION“
  3. Website Athora
  4. Bundestagsdrucksache 19/1514 vom 3. April 2018
  5. Erdbeben in der Deutschen Lebensversicherung gefährdet Altersvorsorge von 10 Millionen Versicherten. Bund der Versicherten, 28. September 2017, abgerufen am 28. März 2019 (Pressemitteilung).
  6. Anne Seith: Verkauf von vier Millionen Lebensversicherungen: Der langsame Zerfall der privaten Altersvorsorge. In: Spiegel Online. 6. Juli 2018, abgerufen am 7. Oktober 2018.
  7. Carsten Hertz: Zeitenwende für Lebensversicherte: Was der Generali-Deal für die Branche bedeutet. In Handelsblatt, 29. April 2019
  8. Strenge Anforderungen an einen Unternehmensverkauf. BaFin, 5. Juli 2018, abgerufen am 28. März 2019 (Pressemitteilung).
  9. ersicherungsbote.de: „Zurich und Axa verhandeln über Verkauf von Lebensversicherungen“
  10. VIRIDIUM GRUPPE ERWIRBT LEBENSVERSICHERUNGSBESTAND VON DER ZURICH. In: viridium-gruppe.com. 24. Juni 2022, abgerufen am 28. Februar 2023.
  11. Verkauf von 700.000 Zurich-Policen an Viridium geplatzt. In: Handelsblatt. 30. Januar 2024, abgerufen am 30. Januar 2024.
  12. Athora kündigt Übernahme eines für Neugeschäft geschlossenen Lebensversicherungsportfolios von AXA Deutschland an. In: athora.com. 15. Juli 2022, abgerufen am 28. Februar 2023.
  13. Übernahme der Generali Deutschland Pensionskasse AG. In: flgruppe.de. 4. Mai 2023, abgerufen am 4. Mai 2023.
  14. LLH überträgt Versicherungsbestand auf Frankfurter Lebensversicherung AG. In: lkh.de. 1. September 2023, abgerufen am 14. Dezember 2023.