Rudolf Leopold
Rudolf Leopold (* 1. März 1925 in Wien; † 29. Juni 2010 ebenda) war ein österreichischer Augenarzt, Kunstsammler und museologischer Direktor des nach ihm benannten Leopold Museum im Wiener MuseumsQuartier. Seine Sammlung, die mehr als fünftausend Kunstwerke umfasst, wurde 1994 vollständig in die Leopold Museum-Privatstiftung eingebracht, deren Stifter die Republik Österreich, die Österreichische Nationalbank und Rudolf Leopold selbst waren.

Der Schwerpunkt der Sammlung liegt auf österreichischer Kunst des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, insbesondere auf der Wiener Moderne. Das Leopold Museum beherbergt die weltweit größte und kunsthistorisch bedeutendste Sammlung von Werken Egon Schieles sowie wesentliche Werke seiner Zeitgenossen Gustav Klimt, Oskar Kokoschka und Richard Gerstl. Darüber hinaus zeigt das Museum kunstgewerbliche Objekte des Wiener Secessionismus, darunter Möbel, Schmuck und andere Gebrauchsgegenstände der Wiener Werkstätte. Es gilt heute als führende Institution des legendären Phänomens „Wien um 1900“, das in einer umfassenden, drei Stockwerke füllenden Ausstellung in all seinen Facetten erlebbar wird.[1]
Leben und Wirken
BearbeitenAllgemein
BearbeitenRudolf Leopold wurde 1925 in eine mittelständische Beamtenfamilie geboren, die enge Verbindungen zur Christlich-Sozialen Partei und ihrem späteren Kanzler Engelbert Dollfuß unterhielt. Dollfuß wurde 1934 von österreichischen Nationalsozialisten ermordet. Unmittelbar nach dem sogenannten „Anschluss“ im März 1938, durch den die Erste Republik Teil des nationalsozialistischen Deutschen Reichs wurde, geriet Leopolds Onkel August Kargl, ein prominenter konservativer Politiker in Niederösterreich, ins Visier des Regimes. Er wurde im sogenannten „Prominententransport“ ins KZ Mauthausen deportiert, nach drei Monaten jedoch wieder freigelassen. Zwar verlor er alle öffentlichen Ämter, doch konnte er mit Hilfe des familieneigenen Bauunternehmens und Ziegelwerks in Langenlois mehrere jüdische Familien vor der Deportation und dem sicheren Tod retten. Als Zeichen der Anerkennung stifteten die Geretteten zehn Bäume, die vom Jewish National Fund „in eternal memory of this friend of mankind“[2] gepflanzt wurden und heute Teil des Mount Herzl in Jerusalem sind.
Im Alter von vierzehn Jahren, als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, entzog sich Rudolf Leopold der Einberufung in die Wehrmacht zunächst durch gefälschte psychiatrische Gutachten und später durch Flucht und Versteck in einem kleinen Ort in den österreichischen Alpen. Nach Kriegsende nahm er an der Universität Wien ein Studium der Augenheilkunde auf, das er 1953 mit der Promotion zum Dr. med. univ. abschloss. Im selben Jahr begann er zu praktizieren und heiratete die ebenfalls als Augenärztin tätige Elisabeth Schmid.
Sein tiefstes Interesse galt jedoch schon in dieser Zeit der Kunst, zunächst der Musik. Als Jugendlicher spielte er ausgezeichnet Klavier und träumte von einer Karriere als Pianist, Komponist oder Dirigent. Doch ein Besuch im Kunsthistorischen Museum in Wien im Jahr 1947 weckte seine lebenslange Leidenschaft für die Bildende Kunst. Nach einem kurzen Versuch, sich selbst als Maler zu betätigen, widmete er sich dem Sammeln von Kunst. Aufgrund begrenzter finanzieller Mittel, aber auch aus seiner tiefen Naturverbundenheit heraus, konzentrierte er sich zunächst auf österreichische Landschaftsmalerei der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, insbesondere den sogenannten „Stimmungsimpressionismus“. Die Mittel für seine ersten Kunstkäufe verdiente er sich als Nachhilfelehrer.
1950 entdeckte Leopold seinen späteren Lieblingskünstler, Egon Schiele, durch die einzige damals existierende Monografie, nämlich der von Otto Nirenstein aus dem Jahr 1930. Die in Schwarz-Weiß abgebildeten Werke faszinierten den jungen Augenarzt Rudolf Leopold sofort – sowohl durch ihre meisterhafte Komposition, die ihn an alte Meister erinnerte, als auch durch ihre moderne, existenziell aufgeladene Thematik. Und dies zu einer Zeit, als Schieles Kunst noch weithin als abartig und hässlich galt. Leopold verkaufte seine gesamte erste Sammlung, um sich Schiele-Werke leisten zu können, und begann zugleich, sich intensiv mit Leben und Werk des Künstlers auseinanderzusetzen. Er identifizierte Schlüsselwerke und suchte mithilfe der Provenienzliste aus Nirensteins Monografie gezielt deren Besitzer auf. Schieles Werke, insbesondere Zeichnungen und Aquarelle, waren damals noch vergleichsweise günstig zu erwerben. Doch Leopolds unermüdliche Sammelleidenschaft blieb nicht unbemerkt – mit der steigenden Nachfrage begannen auch die Preise langsam, aber stetig zu steigen. Ende der 1950er Jahre besaß Leopold bereits etwa zwei Drittel jener Kunstwerke, die heute den zentralen Bestand des Leopold Museums bilden.
Kunsthistorisch prägend wurde Rudolf Leopolds Neubewertung insbesondere von Egon Schieles Frühwerk. Diese radikale, tabubrechende und genuin expressionistische Schaffensphase interpretierte er nicht – wie damals verbreitet – als Ausdruck von Pathologie oder Pornografie, sondern aus ästhetischer, ikonologischer, psychologischer und existenzieller Perspektive. 1956 kuratierte Leopold den Schiele-Teil einer viel beachteten Ausstellung moderner österreichischer Kunst im Stedelijk Museum in Amsterdam. Erstmals wurde Schiele dadurch einem breiteren internationalen Publikum bekannt. Die Ausstellung tourte anschließend durch Deutschland und die Schweiz. Weitere bedeutende Stationen, die wesentlich zu Schieles weltweiter Anerkennung beitrugen und bei denen Leopolds Expertise sowie seine unkonventionelle Sammlungsauswahl eine entscheidende Rolle spielten, waren die Marlborough Gallery in London (1963) und das Guggenheim Museum in New York (1965).[3]
Leopolds jahrelange Forschungen und sein umfassendes Wissen über Egon Schiele fanden ihren Höhepunkt in seiner eigenen Monografie Egon Schiele – Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen (1972 auf Deutsch im Residenz-Verlag, 1973 auf Englisch erschienen). Dieses Werk trug maßgeblich dazu bei, Schiele den lange verwehrten Platz in der internationalen Kunstgeschichte zu sichern. Die Monografie enthält über 200 Farbabbildungen mit ausführlichen Interpretationen sowie ein kritisches Werkverzeichnis, einen Motivnachweis und eine bis heute maßgebliche Analyse von Schieles Œuvre. Leopold gliederte das Werk des früh verstorbenen Künstlers in fünf signifikante Schaffensphasen und ordnete diese kunsthistorisch ein. 2020 und 2022 wurde die Monografie im Hirmer-Verlag von Elisabeth Leopold in deutscher und englischer Sprache neu aufgelegt – ergänzt um einen aktuellen Provenienznachweis.[4]
Zwischen 1989 und 1991 wurde die Ausstellung „Egon Schiele und seine Zeit“ mit großem Erfolg in Zürich, Wien, München, Wuppertal und London präsentiert. Es folgten zahlreiche weitere Ausstellungen in Städten wie Tübingen, Düsseldorf, Hamburg, Graz, New York, verschiedenen Orten in Japan und Barcelona. Auch zur Expo 2000 in Hannover wurden Werke Schieles gezeigt.
1994 brachte Rudolf Leopold mit Unterstützung der Republik Österreich und der Oesterreichischen Nationalbank seine Sammlung in die Leopold Museum Privatstiftung ein, die heute etwa 5.200 Kunstwerke umfasst. Für die Sammlung, die auf einen Wert von 8 Milliarden Schilling (ca. 581 Mio. Euro) geschätzt wurde, erhielt Leopold einen Ankaufspreis von 2 Milliarden Schilling (ca. 145 Mio. Euro), was einem Viertel des Schätzwertes entspricht.[5] Zudem wurde er zum museologischen Direktor auf Lebenszeit ernannt. 2001 eröffnete das Leopold Museum im Wiener MuseumsQuartier und entwickelte sich mit an die 400.000 Besucher jährlich[6] zur meistbesuchten Institution des MQ. Für sein Engagement wurde Rudolf Leopold 1997 mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse ausgezeichnet.
Rudolf Leopold verstarb am 29. Juni 2010 und wurde am 6. Juli auf dem Grinzinger Friedhof im 19. Wiener Gemeindebezirk Döbling in einem ehrenhalber gewidmeten Grab der Stadt Wien (Gruppe 4, Nummer 43) beigesetzt.[7] Als bedeutendster österreichischer Kunstsammler des 20. Jahrhunderts prägte er die Wahrnehmung der Moderne maßgeblich. Sein Lebenswerk, das Leopold Museum, wurde 2013 von der Times in London zu den fünfzig bedeutendsten Museen der Welt gezählt.[8] Seine Frau, Elisabeth Leopold, stand ihm über Jahrzehnte als unentbehrliche Weggefährtin zur Seite – nicht nur im Privaten und als Arztkollegin, sondern auch in seinem Wirken als Sammler und Kunstexperte. Seit der Gründung der Leopold Museum Privatstiftung im Jahr 1994 war sie fest im Vorstand verankert und übernahm nach dem Tod ihres Mannes eine zentrale Rolle im Museum. 2022 zog sie sich auf eigenen Wunsch aus dieser Funktion zurück. Elisabeth Leopold verstarb am 13. August 2024 im Alter von 98 Jahren und wurde am 3. September an der Seite ihres Mannes auf dem Grinzinger Friedhof zur letzten Ruhe gebettet.
Restitutionsdiskussion
BearbeitenMit der Öffnung des Leopold Museums begannen Diskussionen um „arisierte“ Kunstwerke in der Sammlung. 1998 wurden in New York die beiden Egon-Schiele-Gemälde Bildnis Wally (aus dem ehemaligen Eigentum von Lea Bondi-Jaray) und Tote Stadt III (aus dem Eigentum von Fritz Grünbaum) beschlagnahmt. Tote Stadt III wurde 1999 wieder dem Museum zurückgegeben, da die Kläger nicht die rechtmäßigen Erben nach Fritz Grünbaum waren.[9]
Beim Rechtsstreit um Bildnis Wally ging es darum, dass Rudolf Leopold das Gemälde mit der Österreichischen Galerie Belvedere gegen das Bild Rainerbub (Egon Schiele) getauscht hatte, obwohl er gewusst haben soll, dass das Gemälde der Kunsthändlerin Lea Bondi gehörte (die ihn selber zu Beginn der 1950er Jahre um Hilfe bei der Rückforderung des Gemäldes, das 1938 von Friedrich Welz „arisiert“ wurde, bat).[10] Dieser Rechtsstreit endete im Juli 2010 mit einem Vergleich: Die zivilrechtliche Einziehungsklage wurde abgewiesen, das Bild bleibt gegen eine Zahlung vom 19 Millionen US-Dollar (knappe 15 Mio. Euro) an den Nachlass von Lea Bondi-Jaray im Eigentum der Leopold Museum Privatstiftung. Darüber hinaus soll ein gemeinsam formulierter Begleittext künftige Museumsbesucher über die wechselvolle Geschichte des Bildes und seiner Vorbesitzer aufklären.[11]
Im Jahr 2000 klagte eine kanadische Staatsbürgerin auf Herausgabe des Gemäldes Der Dengler von Albin Egger-Lienz. Diese Klage wurde in allen Instanzen abgewiesen, 2003 auch vom Obersten Gerichtshof in Wien.[12]
Schließlich gibt es noch eine (teilweise offene) Forderung der Erben nach Jenny Steiner auf Rückgabe des Egon Schiele-Gemäldes „Häuser am Meer“. Mit der Enkelin von Jenny Steiner hat die Leopold Museum Privatstiftung am 11. Mai 2011 einen Vergleich abgeschlossen.[13]
Zwar hat das Leopold Museum als einziges Museum Österreichs seine Provenienzdatenbank im Internet zugänglich gemacht, nennt aber nur teilweise die bedenklichen Provenienzen. Es gibt jedoch zahlreiche bedenkliche Kunstwerke in der Sammlung aus dem ehemaligen Eigentum von vom NS-Regime verfolgten Personen: Oskar Reichel, Fritz Grünbaum, Heinrich Rieger, Karl Mayländer, Jenny Steiner und andere. Als Privatstiftung fällt das Leopold Museum auch nicht unter das österreichische Restitutionsgesetz (BGBl. 181/1998). Allerdings war der Fall „Wally“, 1998 aus der Sammlung Leopold in New York beschlagnahmt, einer der Auslöser einer Restitutionsdiskussion sowie auch dieses Gesetzes. Das Restitutionsgesetz ermächtigt den zuständigen Bundesminister, Kunstgegenstände der Bundesmuseen zu restituieren.
Im Jahr 2008 gab es einen Eklat um die Albin-Egger-Lienz-Ausstellung des Leopold Museums, da bei 14 der ausgestellten Bilder (12 davon Leihgaben verschiedener österreichischer Museen) der Verdacht bestand, dass sie in der NS-Zeit geraubt worden waren.[14] Die Leopold Museum Privatstiftung hat mittlerweile dem Vorschlag des Bildungsministeriums zugestimmt, zwei vom Museum unabhängige Provenienzforscher im Leopold Museum einzusetzen, die von der Republik Österreich bezahlt werden.[15] Am 21. Dezember 2009 haben diese Forscher 11 Berichte zu 17 Kunstwerken vorgelegt.[16] Mit Stand Dezember 2011 wurden auf der Webpräsenz der Leopold Museum Privatstiftung 45 Dossiers veröffentlicht.[17]
Literatur
Bearbeiten- Diethard Leopold: Rudolf Leopold. Kunstsammler. Verlag Holzhausen, Wien 2003. ISBN 3-85493-064-X
Weblinks
Bearbeiten- Literatur von und über Rudolf Leopold im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Rudolf Leopold in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Biographie auf leopoldmuseum.org (PDF-Datei, Seite 6; 176 kB)
- Eintrag zu Rudolf Leopold im Austria-Forum (im AEIOU-Österreich-Lexikon)
- „Gutgläubig und ehrlich erworben“ (Interview mit Rudolf Leopold im Falter, 20. Februar 2008)
- Im Schatten der Geschichte (Stern, 29. November 2008)
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ dpa: Neue Dauer-Ausstellung: Leopold Museum beleuchtet das Wien um 1900. In: Die Zeit. 15. März 2019, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 24. Februar 2025]).
- ↑ Leopold, Diethard: Rudolf Leopold. Connoisseur/Collector/Museum Founder. Burning for Art. Hirmer, München, ISBN 978-3-7774-2867-3, S. 35.
- ↑ Almuth Spiegler: Entdecker Egon Schieles - Zum Tode des Kunstsammlers Rudolf Leopold. in: Süddeutsche Zeitung vom 30. Juni 2010
- ↑ Rudolf Leopold (Hg. Elisabeth Leopold unter Mitwirkung von Stefan Kutzenberger, Sonja Niederacher und Michael Wladika): EGON SCHIELE WERKVERZEICHNIS. Gemälde – Aquarelle – Zeichnungen. 2., aktualisierte Auflage. Hirmer, München 2022, ISBN 978-3-7774-4029-3.
- ↑ Rudolf Leopold. Portrait eines Sammlers | IG Kultur. Abgerufen am 24. Februar 2025.
- ↑ LEOPOLD MUSEUM: 2023 weltweit mehr als 620.000 Besucher*Innen der Ausstellungen | News | Presse | Leopold Museum. Abgerufen am 24. Februar 2025.
- ↑ Rudolf Leopold in Grinzing beigesetzt(ORF Wien, 6. Juli 2010)
- ↑ Rachel Campbell-Johnston: The world’s 50 greatest galleries. 4. Mai 2013, abgerufen am 24. Februar 2025 (englisch).
- ↑ Restitution: Wem gehören Klimt & Co ? (Falter, 17. Jänner 2003) ( vom 31. Mai 2004 im Internet Archive)
- ↑ Restitutionen bisher: Nur die Ouvertüre (Der Standard, 31. März 2008)
- ↑ Wally: Stiftung Leopold bestätigt Einigung. In: oesterreich.orf.at. 21. Juli 2010, abgerufen am 23. November 2017.
- ↑ Der Fall Pick: Gara will Leopold erneut klagen - derStandard.at. Abgerufen am 26. Dezember 2020 (österreichisches Deutsch).
- ↑ Leopold Museum: Positiver Abschluss bei Vergleichsverhandlungen. In: leopoldmuseum.org. web.archive.org, 2016, archiviert vom am 6. Juni 2016; abgerufen am 26. Januar 2019 (Pressemeldung).
- ↑ faz.net - Unkenntnis, Ignoranz oder Provokation?
- ↑ Leopold Museum: Hearing mit fünf möglichen Provenienzforschern (Der Standard, 9. Mai 2008)
- ↑ Dossiers zu Kunstwerken der Leopold Museum Privatstiftung auf den Seiten des BMUKK
- ↑ Leopold Museum – Provenienzforschung – Dossiers
Personendaten | |
---|---|
NAME | Leopold, Rudolf |
KURZBESCHREIBUNG | österreichischer Kunstsammler und Museumsdirektor |
GEBURTSDATUM | 1. März 1925 |
GEBURTSORT | Wien |
STERBEDATUM | 29. Juni 2010 |
STERBEORT | Wien |