Rehau (Unternehmen)

Schweizer Polymerverarbeiter

Die Rehau Gruppe (eigenschreibweise: REHAU) ist ein Schweizer Polymerverarbeiter im Besitz der Familie Wagner.

Rehau Group

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Rechtsform AG
Gründung 1948[1]
Sitz Muri bei Bern
Leitung Veit Wagner (Präsident), Jobst Wagner (Vize-Präsident)
Mitarbeiterzahl Mehr als 20.000 (2022)
Umsatz 4,7 Mrd. Euro (2022)
Branche Polymerverarbeitung
Website www.rehau.com
Stand: 31. Dezember 2020
Gebäude der Rehau AG + Co namens Rheniumhaus
Hauptverwaltung in Rehau (Rheniumhaus)

Die finanztaktische Zentrale der Rehau Gruppe befindet sich in Muri bei Bern in der Schweiz. Der tatsächliche Hauptsitz befindet sich im (namensgebenden) Rehau im Hofer Land. Dort sind auch die beiden Geschäftsfelder Automotive und Industries angesiedelt. Der Verwaltungssitz des Geschäftsfeldes Bau ist in Erlangen-Eltersdorf angesiedelt. Die Medizinsparte wird eigenständig durch die Raumedic AG mit Sitz in Helmbrechts geführt. Insgesamt verfügt die Rehau-Gruppe weltweit über 150 Standorte.

Finanzen und Kennzahlen Bearbeiten

Der Umsatz der Gesamtgruppe beläuft sich auf ca. 3,4 Milliarden Euro (2020). Persönlich haftende Gesellschafterin ist die Helmut Wagner AG, Muri b. Bern, Präsidentin des Verwaltungsrats ist Clarissa Wagner de Thomas Tewes, Bern.[2]

Der Umsatz der deutschen Tochter Rehau AG + Co lag 2017 bei über 2 Mrd. Euro, davon wurden 36 Prozent durch Exportgeschäfte erzielt.[3] Sie ist mit mehr als 2200 Arbeitsplätzen der größte Arbeitgeber der Stadt Rehau.[4]

Der Umsatz der deutschen Tochter verteilt sich wie folgt:[5]

  • 49 % entfallen auf die Division Automotive
  • 18 % auf Building and Infrastructure Solutions
  • 13 % auf Furniture Solutions
  • 11 % auf Window Solutions
  • 9 % auf Industrial Solutions

Geschichte Bearbeiten

Helmut Wagner (1925–2021[6][7]) gründete das Unternehmen im Jahre 1948 in Rehau (Bayern). Am 28. Dezember 1948 erteilte das Landratsamt Hof (Saale) dem Medizinstudenten Helmut Wagner die amtliche Erlaubnis zur Errichtung eines kleingewerblichen Industriebetriebes zur Herstellung von Igelit. Mit dieser Genehmigung brach der 23-jährige Schulratssohn sein Studium ab, um Keder und Wasserschläuche aus Kunststoff zu produzieren. Keimzelle war die Extrusion (Verfahrenstechnik). Erste Produktionsstätte war ein Nebengebäude der 1907 gegründeten Fränkischen Lederfabrik in Rehau. Finanziell gefördert wurde das junge Unternehmen gemäß Handelsregistereintrag durch Helmuts Mutter Christina Wagner und die Fabrikbesitzertochter Elsa Linhardt. Der Aufstieg des Unternehmens begann als Zulieferer für die Produktion des VW Käfer, für den Trittbretter und Halteschlaufen für Fahrer und Beifahrer produziert wurden.

Im Jahre 1949 nannte Wagner sein Werk Rehau Plastiks.

In dieser frühen Phase wurde ein Teil der Maschinen- und Anlagentechnik in einer eigenen maschinentechnischen Abteilung entwickelt und gebaut. Im Zuge der Produktentwicklung traten neben die Extrusion auch andere Verfahren, wie das Spritzgießen oder das Extrusionsblasformen.

Bald wurden neue Anwendungsgebiete von Kunststoffprodukten (z. B. Möbelprofile, Schläuche für industrielle Anwendungen und für die Medizintechnik) erschlossen, anspruchsvolle technische Teile und Systeme entwickelt und Kunststoffgranulate durch Definition der Rezeptur und mittels Compoundierung selbst hergestellt. Die Materialtypen der Rehau-Gruppe tragen den Präfix RAU. Entsprechend der Neuentwicklung von technischen Polymeren der Rohstoffindustrie wurde in der Rehau-Gruppe die zum Einsatz kommende Palette von Kunststofftypen kontinuierlich ausgebaut.

Neben zwei Werken in Rehau entstand 1951 in Feuchtwangen das erste Werk zur Fertigung von Teilen für die Automobilindustrie unter anderem zur Fertigung von Stoßfängern. Feuchtwangen ist heute mit zwei Werken der größte Fertigungsstandort der Gruppe in Deutschland. 1958 wurden das erste Kunststoff-Fensterprofil und der erste Magnetband-Rahmen für Kühlschränke extrudiert.

Im Jahre 1962 wurde das erste Werk außerhalb Europas in Montreal (Kanada) eröffnet. Anfang der 1960er Jahre wurde die Zentrale der Rehau Plastiks nach Muri nahe Bern in der Schweiz verlegt und der weltweite Einkauf der Gruppe für 45 Werke in 21 Ländern und das Controlling dort gebündelt. Die Holding in Muri hat rund 150 Beschäftigte[8].

Auf Mitinitiative von Rehau wurde 1976 in Deutschland der Beruf des Kunststoffformgebers eingeführt. In den 1970er-Jahren hatten Kunststoffteile eine stark ansteigende Nachfrage, die die Rehau-Gruppe in den Bereichen Automotive, Möbel- und Elektroindustrie, Fenster-, Sanitär-, Heizungs- und Haustechnik, Rohr- und Schlauchanwendungen begleitete. Neben der Verwaltung in Rehau entstand eine neue Verwaltung in Erlangen-Eltersdorf.

Im Jahr 2000 gab Helmut Wagner die Leitung des Aufsichtsrates an seine Söhne Jobst Wagner und Veit Wagner ab. Jobst Wagner wurde Präsident des Supervisory Board, Veit Wagner wurde Vizepräsident. Die beiden Brüder teilen sich die Aufgaben im Unternehmen. So kümmert sich Veit Wagner um den Bereich Automotive, betreut den englischsprachigen Markt mit den Niederlassungen in Nordamerika, in Großbritannien und Südafrika. Jobst Wagner verantwortet die Bereiche Bau und Industrie sowie alle anderen Niederlassungen weltweit.

Im Jahr 2004 wurde die Medizinsparte mit rund 200 Mitarbeitern ausgegliedert und als Schwestergesellschaft Raumedic AG gegründet. Sie ist Entwicklungspartner und Hersteller für die medizintechnische und pharmazeutische Industrie mit autarkem Vertriebsnetz und zwei Produktionsstandorten für Extrusion, Spritzguss und Montage in Reinräumen in Helmbrechts und Mills River (North Carolina, USA).[9]

Das Supervisory Board der global tätigen Rehau-Gruppe gab 2018 bekannt, dass William Christensen zum neuen CEO und Kurt Plattner zum neuen CFO von Rehau ernannt wurde.[10]

Im Jahr 2018 wurde die global agierende MB Barter & Trading SA (MBT) von der Rehau Verwaltungszentrale AG übernommen, um einen führenden Anbieter von polymerbasierten Lösungen zu gründen. Durch die Kombination des integrierten Rehau-Know-hows von Materialien, Verfahren und Applikationen in Verbindung mit der einschlägigen Trading- und Distributionskompetenz von MBT entstand eine Verknüpfung komplementärer Kernkompetenzen bei technologischen Polymerlösungen.[11]

Ebenfalls im Jahr 2018 übernahm die Rehau Verwaltungszentrale AG mit Sitz in Muri bei Bern die international tätige MB Barter Trading AG aus Zug/Steinhausen mit ihren weltweit 30 Standorten. Zusammen mit der Rehau-Einkaufszentrale, die ebenfalls als unabhängiges Unternehmen ihren Sitz in Muri hat, kam das im Jahr 2019 neu firmierte Unternehmen Meraxis[12] auf ein Volumen von über 2 Milliarden Euro und wurde damit einer der führenden Händler und Distributeure von Kunststoffen.

Mit Wirkung zum 13. Mai 2019 trat Uwe H. Böhlke bei Rehau als Chief Operations Officer in das Unternehmen ein.[13]

Die Rehau AG + Co. vollzog Ende 2021 eine Umstrukturierung der deutschen Unternehmungen. So wurde am 8. Oktober 2021 die Rehau Management SE und am 15. Oktober 2021 die Rehau Industries SE & Co. KG in das Handelsregister eingetragen. Am 4. Januar 2022 wurde die Rehau AG + Co. in die Rehau Automotive SE & Co. KG umfirmiert. Die Rehau Management SE fungiert des Weiteren als persönlich haftende Gesellschafterin der Geschäftsfelder Industries und Automotive. Alle Aktien der Rehau Management SE, Rehau werden von der Schweizer Muttergesellschaft Rehau Verwaltungszentrale AG, Muri b. Bern gehalten.

Gesellschafterstruktur Bearbeiten

Die Rehau Gruppe wird als AG + Co. geführt. Alle Aktien des Unternehmens wurden auf Gründungs- und Familienmitglieder verteilt.

Die beiden Söhne Helmut Wagners, Jobst und Veit, als Repräsentanten der zweiten Generation, haben elf Kinder, die als dritte Generation demnächst ins Unternehmen kommen oder daran beteiligt sind. Ältester Enkel Helmut Wagners ist Nils Wagner, der Sohn von Jobst Wagner. Die Nachkommen und Erben der Gründungsgesellschafterin Elsa Linhardt schieden nach 2000 gegen Bargeldabfindungen im höheren dreistelligen Millionenbereich aus dem Unternehmen aus.

Das Wirtschaftsmagazin Bilanz schätzt das Vermögen der Familie Wagner im Rahmen der Liste der 300 Reichsten in der Schweiz auf 800 bis 900 Millionen Franken.[14][15]

Der Rehau Verwaltungszentrale AG gehören unmittelbar 120.000 Aktien der Rehau Management SE, welche auch persönlich haftendete Gesellschafterin der Rehau Automotive SE & Co. KG (vormals Rehau AG + Co.) und Rehau Industries SE & Co. KG ist. Der Besitz der Aktien und Mehrheitsbeteiligungen werden auch der Wagner Holding AG über die Rehau Verwaltungszentrale AG und der Wagner Generations AG über die Wagner Holding AG und Rehau Verwaltungszentrale AG zugerechnet.

Standorte Bearbeiten

Die Rehau Gruppe ist an über 170 Standorten auf fünf Kontinenten vertreten.[16]

  • Deutschland: 16 Verkaufsbüros, 11 Werke, 2 Verwaltungen, 3 Logistik-Zentren
  • Europa: mehr als 100 Standorte, über 20 Werke, 3 Verwaltungen mit der Zentrale in Muri bei Bern, mehr als 80 Verkaufsbüros
  • Weltweit: mehr als 170 Standorte, über 40 Werke, mehr als 110 Verkaufsbüros

Rehau Österreich Bearbeiten

Rehau hat Werke in Österreich in

  • Graz – Automotive; Entwicklungskooperation mit MAGNA und anderen Kfz-Herstellern sowie Zulieferern für Stoßfänger und Seitenschweller
  • Guntramsdorf – Produkte für Bau, Fenster, Möbel und Industrie
  • Linz – detto
  • Neulengbach – Mikrokabelrohre; am 13. Januar 2020 wurde erklärt, dass wegen zunehmenden Kostendrucks und zurückgehender Abnahme im DACH-Gebiet die Produktion in Neulengbach bis Ende 2021 geschlossen und nach Osteuropa verlegt wird.[17][18]

Kritik Bearbeiten

Das Unternehmen wurde in der Presse wiederholt kritisiert, die Bildung von Betriebsräten und andere gewerkschaftliche Aktivitäten entgegen gültiger Gerichtsbeschlüsse zu unterbinden.[19][20]

Des Weiteren wurden im Jahr 2020 knapp 1.000 Stellen im Autosektor weltweit abgebaut; alleine 150 Arbeitsplätze fallen am Stammsitz in Rehau weg.[21]

Trivia Bearbeiten

Für die Namensgebung seiner Gebäude in Rehau entschied sich das Unternehmen für die Benennung nach chemischen Elementen bzw. Molekülverbindungen. So existieren die Gebäude Indium[22], Iridium[23], Rhenium[24], Technetium[25], Thorium[26], Scandium[27], Strontium[28], Xenon[29], Decan[30], Oxonium[31], Prolin[32]. Aus der Chemie entlehnt sind die Namen der Häuser Technikum[33] und Neutronium[34].

Weblinks Bearbeiten

Commons: Rehau Gruppe – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Rehau Gruppe
  2. Rehau AG + Co.: Haftung. 13. Januar 2018, abgerufen am 13. Januar 2018.
  3. Jahresabschluss 2016 der REHAU AG + Co im elektronischen Bundesanzeiger
  4. Rehau: Ausbildungszentrum. (Memento vom 14. Oktober 2013 im Internet Archive) auf bauwelt.de, abgerufen am 1. April 2013.
  5. Bundesanzeiger. Abgerufen am 9. Oktober 2019.
  6. Redaktion NZZ: Traueranzeige Helmut Wagner. In: trauer.nzz.ch. Neue Zürcher Zeitung AG, abgerufen am 6. Februar 2021 (deutsch).
  7. rehau.com: Nachruf - Helmut Wagner verstorben. Abgerufen am 16. Februar 2021.
  8. Adrian Sulc: Nicht nur Ebay spart in Bern Steuern. In: derbund.ch. 15. Mai 2018, abgerufen am 14. März 2021.
  9. Rehau: Raumedic. Raumedic AG, 13. Januar 2018, abgerufen am 13. Januar 2018.
  10. Neuer CEO und CFO bei Rehau. In: fenster-tueren-technik.de. (fenster-tueren-technik.de [abgerufen am 11. Juli 2019]).
  11. plastverarbeiter.de: Rehau übernimmt MB Barter & Trading. Abgerufen am 20. Dezember 2018.
  12. Meraxis Group als neuer Distributor am Kunststoffmarkt. In: Plastverarbeiter.de. 2. Juli 2019, abgerufen am 11. Juli 2019 (deutsch).
  13. Automobilwoche: Rehau Geschäftsführung: Uwe H. Böhlke wird Chief Operations Officer. Abgerufen am 11. Juli 2019.
  14. Jobst Wagner: Auf der Sonnenseite, Wirtschaftsmagazin Bilanz, Ausgabe 06/09, 27. März 2009.
  15. 300 Reichste: Familie Wagner@1@2Vorlage:Toter Link/tools.bilanz.ch (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Dezember 2018. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis., Wirtschaftsmagazin Bilanz
  16. Standorte weltweit, abgerufen am 6. August 2016.
  17. Rehau-Werk in Neulengbach schließt 2021 orf.at, 13. Januar 2020, abgerufen am 14. Januar 2020.
  18. Werk Neulengbach wird Ende 2021 geschlossen rehau.com, 13. Januar 2020, abgerufen am 14. Januar 2020.
  19. Die reichsten Deutschen: "Zuckerbrot und Peitsche". auf: Spiegel online. 21. Juli 2001.
  20. Mach's gleich richtig. In: Der Spiegel. 18/1992.
  21. Rehau AG baut im Autozuliefer-Sektor fast 1.000 Stellen ab. 7. Juli 2020, abgerufen am 3. April 2021.
  22. https://www.google.com/maps/place/REHAU+AG+%2B+Co+(Projekthaus+Indium)/@50.2418579,12.0178823,282m/data=!3m1!1e3!4m5!3m4!1s0x47a11cbdc1ad1a97:0xaa2ff012582140f9!8m2!3d50.2418578!4d12.0186408
  23. https://www.google.com/maps/place/Rehau+AG+%2B+Co+(Iridium)/@50.2476797,12.0236976,565m/data=!3m2!1e3!4b1!4m5!3m4!1s0x47a11c93719b198f:0x904754888f8996dd!8m2!3d50.2475519!4d12.0237284
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  25. https://www.openstreetmap.org/search?query=Rehau%20Technetium#map=19/50.24718/12.02506
  26. https://www.openstreetmap.org/search?query=Rehau%20Thorium#map=19/50.24691/12.02589
  27. https://www.openstreetmap.org/search?query=Rehau%20Scandium#map=19/50.25213/12.03378
  28. https://www.openstreetmap.org/search?query=Rehau%20Strontium#map=18/50.25268/12.03874
  29. https://www.openstreetmap.org/search?query=Rehau%20Xenon#map=19/50.25416/12.03821
  30. https://www.google.com/maps/place/Rehau+AG+%2B+Co+(Werk+Decan)/@50.2477722,12.0274529,198m/data=!3m1!1e3!4m5!3m4!1s0x47a11c9361c2c23f:0xb0217d60654981d7!8m2!3d50.2479146!4d12.0275869
  31. https://www.openstreetmap.org/search?query=Rehau%20Oxonium#map=19/50.25338/12.04377
  32. https://www.google.com/maps/place/REHAU+AG+%2B+Co+(Ausbildungszentrum+Prolin)/@50.2471641,12.0266838,369m/data=!3m2!1e3!5s0x47a11c94bcac6d6b:0x90b8478c05343bff!4m5!3m4!1s0x47a11c94ae9daf03:0xabc20ef8275ec863!8m2!3d50.2470456!4d12.027974
  33. https://www.openstreetmap.org/search?query=Rehau%20AG%2C%20Technikum#map=19/50.24731/12.02652
  34. https://www.openstreetmap.org/#map=19/50.24733/12.02709