Quaestiones naturales

Werk von Adelard von Bath

Quaestiones naturales ist ein Werk über naturwissenschaftliche Themen, das der englische Gelehrte Adelard von Bath im 12. Jahrhundert vermutlich zwischen 1111 und 1116[1] in mittellateinischer Sprache verfasste. Adelard gehörte zur Schule von Chartres. Allerdings lehrte er nicht an der Domschule von Chartres, sondern zählte zu einer Gruppe einflussreicher Gelehrter, wie etwa Thierry von Chartres und Wilhelm von Conches, die eine einheitliche philosophische Grundhaltung und ihren Schwerpunkt in Chartres hatten[2][3]. Er wurde auch von der in dieser Gruppe herrschenden Neigung erfasst, neue wissenschaftliche Übersetzungen von griechisch-arabischen Werken kennenzulernen[4] und begab sich auf eine jahrelange Reise, die ihn über Salerno und Syrakus bis Jerusalem führte, wobei er aber wahrscheinlich kein arabisches Gebiet betrat.[5] Nach der Rückkehr verfasste er die Quaestiones naturales, in die auch auf dieser Reise gewonnene Erfahrungen und Erkenntnisse einflossen.

Gesamtgestaltung, Aufbau und Inhalt Bearbeiten

Das Buch ist als Dialog zwischen Adelard und seinem jugendlichen Neffen gestaltet. In 76 Artikeln folgen auf kurze Verständnisfragen des Neffen längere Ausführungen Adelards und eventuell Rückfragen. Die Schrift wirkt dadurch sehr lebendig, um so mehr, als sich nicht nur der Onkel, sondern auch der Neffe gelegentlich ironisch äußern (ita esse nec necesse nec impossibile est, das mag so sein, notwendig oder unmöglich ist es nicht (Artikel X)).

Die Artikel behandeln Pflanzen, Tiere, physiologische und psychologische Eigenschaften der Menschen, Meteorologie und Astronomie[6]. Keines dieser Themen wird umfassend und systematisch dargestellt, vielmehr werden interessierende, aber auch spitzfindige Fragen behandelt:

  • (Artikel XIII) ob Tiere eine Seele haben ?
  • (Artikel XX) an welchem Teil des Kopfes die Männer kahl werden ? an der Stirnregion, weil dort die aufsteigende Wärme aus dem Magen die Poren öffnet[7]
  • (Artikel XXXXI) warum du dich, wenn du nach einem leprosus mit einer Frau zusammenkommst, mit der Krankheit ansteckst, jene aber selten ?
  • (Artikel XXXXIII) warum alle Menschen sterben ?
  • (Artikel LII) wodurch das Meer vor und zurück fließt ? überraschenderweise beschreibt Adalbert nicht den Einfluss des Mondes, der durch das Werk des Beda Venerabilis bekannt war[8]
  • (Artikel LXXII) wegen welcher Notwendigkeit (necessitas vel ratione) sich Sonne, Mond und Planeten auch gegen die Richtung der Fixsternsphäre bewegen ?
  • (Artikel LXXVI) ob der aplanon (Fixsternsphäre, Weltfeste) als belebt oder gar als Gott bezeichnet werden könne ? gegenüber dieser, von vielen antiken philosophischen Systemen vertretenen, Meinung findet Adelard zu einer klaren Abgrenzung des christlichen Gottesgedanken[9]

Quellen Bearbeiten

Das Werk trägt denselben Titel wie die Meteorologie des römischen Philosophen Seneca, und die Themen überschneiden sich (Blitz und Donner, Erdbeben usw.). Es ist daher die Meinung vertreten worden, dass Adelard von Senecas Buch beeinflusst war[10]. Allerdings wurde dieser Titel nicht von Adelard festgelegt[11], auch gibt es keine auffälligen textmäßigen Übernahmen. Übereinstimmung in der Gedankenführung kann sich auch dadurch ergeben haben, dass Adelard auf seiner Reise mit der, in der Antike einflussreichen Meteorologica des Aristoteles bekannt wurde, die bereits im 9. Jahrhundert von Hunain ibn Ishāq in die arabische Sprache übersetzt wurde[12]

Entsprechend seiner Zugehörigkeit zur Schule von Chartres nennt Adelard mehrfach den antiken Philosophen Boethius, auch mit Zitaten aus seinen Werken[13]. Ebenfalls dieser Schule entsprechend orientiert sich die Grundhaltung des Werkes weitgehend an dem philosophischen Dialog Timaios des Plato[14]. Die Quellen, die sich der Autor durch seine Reise an den Rand der arabischen Welt erschlossen hat, sind weniger leicht festzumachen. Allerdings berichtet er von einem Gespräch mit einem gelehrten Griechen auf dem Weg nach Syrakus[15], und so scheint er sich das in den kosmologischen Kapiteln (LXIX-LXXVI) erkennbaren aristotelische Gedankengut im persönlichen Umgang mit Gelehrten Süditaliens und Kleinasiens angeeignet zu haben[16]. Ebenfalls in Süditalien (Salerno) könnte er mit dem unverkennbaren galenischen Gedankengut in Verbindung gekommen sein, das in den Artikeln I-IX vorherrscht[17], da auch das Werk De elementis ex Hippocratis sententia des Galenos bereits im 9. Jahrhundert von dem Gelehrten Hunain ibn Ishāq in die arabische Sprache übersetzt wurde[18]. Die Vier Elemente (Erde, Wasser, Luft Feuer) und die damit verbundenen elementaren Qualitäten (Trockenheit, Feuchtigkeit, Kälte, Wärme) bilden die Grundlage zahlreicher Aussagen zur Pflanzen- und Tierphysiologie. So wird das Wiederkäuen mancher Tiere auf ihre natura frigida (kalte Natur) zurückgeführt und sie werden als melancholica bezeichnet (Artikel VII).

Überlieferung und Weiterleben Bearbeiten

Die weite Verbreitung der Schrift im Mittelalter zeigt sich in den etwa 20 überkommenen Handschriften, die häufig auch die Naturales quaestiones des Seneca enthalten. Beeinflussung lässt sich in den Werken mehrerer Philosophen und Wissenschaftler nachweisen, zitiert wurde er u. a. von Vinzenz von Beauvais und Roger Bacon[19]. Bereits 1475 wurde die Schrift in Löwen gedruckt[20].

Textausgabe Bearbeiten

  • Martin Müller: Die Quaestiones naturales des Adelardus von Bath in Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, Münster i. W. 1934.

Literatur Bearbeiten

  • Philotheus Böhner, Etienne Gilson: Christliche Philosophie von ihren Anfängen bis Nikolaus von Cues, Paderborn 1954
  • Louise Cochrane: Adelard of Bath, The First English Scientist, Bath 1994.
  • Charles Homer Haskins: Studies in the history of mediaeval science, Harvard 1924.
  • Richard William Southern: Platonism, scholastc method, and the School of Chartres, University of Reading 1979.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Martin Müller: Die Quaestiones naturales des Adelardus von Bath, S. 77
  2. Charles Homer Haskins: Studies in the History of Mediaeval Science, S. 89
  3. Philotheus Böhner, Etienne Gilson: Christliche Philosophie von ihren Anfängen bis Nikolaus von Cues, S. 364 Die Schule von Chartres
  4. Richard William Southern: Platonism, scholastic method, and the School of Chartres, S. 7
  5. Martin Müller: Die Quaestiones naturales des Adelardus von Bath, S. 74f
  6. Charles Homer Haskins: Studies in the History of Mediaeval Science, S. 36f
  7. Louise Cochrane: Adelard of Bath, The First English Scientist, S. 47
  8. Louise Cochrane: Adelard of Bath, The First English Scientist, S. 46
  9. Martin Müller: Die Quaestiones naturales des Adelardus von Bath, S. 87
  10. Otto und Eva Schönberger: L. Annaeus Seneca, Naturales Quaestiones, Nachwort S. 541, Stuttgart 1998.
  11. Martin Müller: Die Quaestiones naturales des Adelardus von Bath, S. 71
  12. Pieter L. Schoonheim: Aristotele’s Meteorology in the Arabico-Latin tradition, Leiden 2000, S. XI-XIII
  13. Charles Homer Haskins: Studies in the History of Mediaeval Science, S. 38
  14. Martin Müller: Die Quaestiones naturales des Adelardus von Bath, S. 84
  15. Hans Willner: Des Adelard von Bath Traktat De eodem et diverso, Münster 1903, S. 38,18.19
  16. Martin Müller: Die Quaestiones naturales des Adelardus von Bath, S. 85
  17. Martin Müller: Die Quaestiones naturales des Adelardus von Bath, S. 81
  18. Phillip de Lacy: GALEN, On the elements according to Hippocrates, A.II.a. The Arabic tradition, Berlin 1996
  19. Charles Homer Haskins: Studies in the history of mediaeval science, S. 41
  20. Martin Müller: Die Quaestiones naturales des Adelardus von Bath, S. 71