Primas (Religion)
Der Primas („Erster“, „Vornehmster“; Plural Primates) ist in mehreren Kirchen (besonders der römisch-katholischen Kirche) ein oberbischöflicher Ehrentitel. Einem Primas können bestimmte kirchenleitende Funktionen zugeordnet sein. In der anglikanischen Kirchengemeinschaft bezeichnet Primas den leitenden Bischof einer Provinz.
BedeutungBearbeiten
Antike und MittelalterBearbeiten
Historisch gesehen entstand der Titel eines Primas ab dem 4. Jahrhundert aus der Bezeichnung für den bedeutendsten Bischof einer Provinz des Römischen Reichs. Der Papst, gleichzeitig Bischof von Rom, ist Primas der katholischen Kirche. Primas war später aber auch der Amtstitel für die päpstlichen Vikare und Legaten.[1]
Der Primas hatte gewisse Ehrenrechte, z. B. den Vorsitz auf den Nationalkonzilen, die Ordination der Metropoliten, die Königskrönung u. a. Selten beinhaltete das Primat darüber hinaus auch begrenzte jurisdiktive Rechte gegenüber den Metropoliten und Bischöfen.
Da in späterer Zeit alle hervorragenden Erzbischöfe Anspruch auf den Primat erheben konnten, "wurde die Würde völlig illusorisch".[1]
NeuzeitBearbeiten
Der Titel ist meist mit der bedeutendsten oder ältesten Diözese eines Landes oder einer Region verbunden, wobei es im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation und in Frankreich zeitweise mehrere Primates gegeben hat. Daraus, dass das Heilige Römische Reich auch das heutige Österreich umfasste, erklärt sich, dass der Salzburger Erzbischof heute noch den Titel Primas Germaniae trägt.
In älterer Zeit erfreuten sich Primates verschiedener Privilegien, z. B. hatten sie das Recht zur Einberufung von Synoden in ihrem Bezirk, den Vorsitz in solchen Versammlungen, untergeordnete Kirchengerichte konnten an den Primas appellieren. Außerdem krönte in der Regel der Primas den Herrscher und hatte das Vorrecht, die Bischöfe seines Gebiets zu weihen. Primates wurden auch als Vikare des Papstes bezeichnet.
Rechtsgrundlage des Primatialtitels war jeweils ein gesondertes päpstliches Privileg. Im Codex Iuris Canonici von 1917 wurde bestimmt, dass Primates nur dann besondere Rechte haben, wenn dies ausdrücklich im Einzelfall festgelegt worden war. Der Codex von 1983 bestimmt ausdrücklich, dass der Titel eines Primas lediglich einen Ehrenvorrang mit sich bringt, es sei denn, dass sich durch ein spezielles Privileg oder eine gebilligte Gewohnheit etwas anderes ergibt (can. 438 CIC). Einige Aufgabenbereiche werden heute von den Bischofskonferenzen wahrgenommen.
Der Primas rangiert in zeremonieller Hinsicht über einem Metropolitanerzbischof, aber unter einem Patriarchen und Großerzbischof. Falls er Kardinal ist, gelten die auf Kardinäle anwendbaren Regeln.
Katholische PrimatesBearbeiten
Bistum | Land | Zeitraum | Titel |
---|---|---|---|
Erzbistum Venedig | Italien | Titelführung auch noch um 1889[1] und 1908[2] erwähnt | |
Erzbistum Köln | Heiliges Römisches Reich | ab 1052[1] | |
Erzbistum Bari | Italien | circa 1090 | Apulien |
Erzbistum Salerno | Italien | 20. Juli 1098 | Ganz Lukanien |
1545 | Königreich Neapel | ||
Erzbistum Tarragona | Spanien | 1150, 1869, Titelführung auch noch um 1889[1] und 1908[2] erwähnt | Spanien |
Erzbistum Tuam | Irland | 1255 | Connaught |
Erzbistum Braga | Portugal | vor 1400 | Ganz Iberien |
seit 1400 | Portugal | ||
Erzbistum Dublin | Irland | 1353, 1674 | Irland |
Erzbistum Cagliari | Italien | 29. Aug. 1087– 22. Apr. 1138; 1456, 1569 | Sardinien |
Erzbistum Santo Domingo | Dominikanische Republik | 12. Feb. 1546– 28. Nov. 1816 | Neue Welt |
28. Nov. 1816 | Indien[3] | ||
Erzbistum Lima | Peru | 1572, 1834, | 23. Mai 1943Peru |
Erzbistum Bogotá | Kolumbien | 7. Nov. 1902 | Kolumbien |
Erzbistum Buenos Aires | Argentinien | 29. Jan. 1936 | Argentinien |
Erzbistum Mexiko | Mexiko | 29. Juni 1951 | Mexiko |
Erzbistum Québec | Kanada | 4. Feb. 1956 | Kanada |
Erzbistum São Salvador da Bahia | Brasilien | 25. Okt. 1980 | Brasilien |
Erzbistum Quito | Ecuador | 11. Nov. 1995 | Ecuador |
Erzbistum Armagh | Irland | 1111, IX/1152, 1171, 1261, 1869, Titelführung auch noch um 1889[1] und 1908[2] erwähnt | Ganz Irland |
Erzbistum Funchal | Portugal | 3. Nov. 1534– 3. Juli 1551 | Indien |
Erzbistum Nidaros | Norwegen | 1152–1687 | Norwegen |
Erzbistum Reims | Frankreich | circa 850– | 29. Nov. 1801Primas von Gallien |
1089 | |||
1095– | 29. Nov. 1801Gallia Belgica | ||
Erzbistum Sens | Frankreich | 2. Jan. 876– 29. Nov. 1801 | Gallien |
Erzbistum Rouen | Frankreich | 990–[1] und 1908[2] erwähnt | 29. Nov. 1801, Titelführung auch noch um 1889Normandie |
Erzbistum Bordeaux | Frankreich | 1305, 1306– | 29. Nov. 1801Aquitanien |
Bistum Nancy-Toul | Frankreich | seit | 22. Okt. 1602; ab 1777 mit dem Bischofssitz von Nancy (seit 1823 Nancy-Tours) verbundenLothringen |
Erzbistum Rouen | Frankreich | seit | 11. Juli 1458Normandie |
Erzbistum Narbonne | Frankreich | 6. Nov. 1097, 1418– 29. Nov. 1801 | Gallia Narbonensis |
Erzbistum Doclea | Montenegro | 877–927 | Dalmatien |
Erzbistum Bar | Montenegro | 1032, | 18. März 1067–1078; 1199, 26. Dez. 1523, 14. Feb. 1870, 7. März 1902Serbien |
Erzbistum Split-Makarska | Kroatien | 1199, 1636– | 30. Juni 1828Dalmatien und ganz Kroatien |
Erzbistum Esztergom | Ungarn | 1394, | 24. März 1452, 1869Ungarn |
Erzbistum Saint Andrews | Schottland | 17. Aug. 1472, 27. März 1487–V/1694 | Schottland |
Erzbistum Mecheln (Brüssel) | Belgien | [1] und 1908[2] erwähnt | 14. März 1560– 29. Nov. 1801, Titelführung auch noch um 1889Belgien |
Erzbistum Goa | Indien | 1572, 1606 | Orient |
Erzbistum Warschau | Polen | 6. Okt. 1818, 30. Dez. 1819 | Königreich Polen |
Erzbistum Karthargo | Tunesien | 530, | 17. Dez. 1053– 18. Okt. 1246 ; 10. Nov. 1884– 9. Juli 1964Afrika |
Erzbistum Nicosia | Zypern | 1196–1571 | Königreich Zypern |
Erzbistum Auch | Frankreich | 879– | 29. Nov. 1801Novempopulana (Aquitania Tertia) |
circa 1650– | 29. Nov. 1801Deux-Navarra | ||
Erzbistum Vienne | Frankreich | 28. Juni 1119, 25. Feb. 1120– 29. Nov. 1801 | Primas der Primasse Frankreichs |
Erzbistum Bourges | Frankreich | circa 840, II/865, 876, 1112, 1126, | 15. März 1146, 4. Apr. 1218, XII/1223, 18. März 1232– 29. Nov. 1801Aquitanien |
II/865– | 29. Nov. 1801Gallia Narbonensis | ||
Erzbistum Lyon | Frankreich | 20. Apr. 1079, 1095, 1116, I/1121, 1145– 29. Nov. 1801; 25. Juli 1851 | Gallien |
Erzbistum Toledo | Spanien | [1] und 1908[2] erwähnt | 15. Okt. 1088, 1101, 1118, 3. Nov. 1121, Titelführung auch noch um 1889Spanien |
Erzdiözese Salzburg | Heiliges Römisches Reich | ab 1026[1], Titelführung auch noch um 1889[1] und 1908[2] erwähnt, seit 1689 durch offizielle kaiserliche Verleihung | Primas Germaniae, ganz Deutschland |
Erzbistum Mainz | Heiliges Römisches Reich | 780–1803 | Primas Germaniae, ganz Deutschland |
Erzbistum Trier | Ostfränkisches Reich | 9./10. Jh. | Belgica Prima |
Heiliges Römisches Reich | 10. Jh.–1803 | Primas Germaniae, ganz Deutschland | |
Erzbistum Pisa | Italien | 30. Mai 1091 | Korsika |
30. Mai 1091– 11. Apr. 1176 | Judikat Torres auf Sardinien | ||
11. Apr. 1176 | |||
31. Dez. 1198 | Sardinien | ||
1. Mai 1138 | Toskana | ||
Erzbistum Prag | Tschechien | 1365, Titelführung auch noch um 1889[1] und 1908[2] erwähnt | Böhmen |
Erzbistum Gnesen | Polen | 1418, 1513, 1869, Titelführung auch noch um 1889[1] und 1908[2] erwähnt | Polen |
Patriarchat von Konstantinopel | Türkei | 6. Juli 1830– 12. Juli 1867 | |
Erzbistum Skopje | Nordmazedonien | 6. März 1656– 29. Okt. 1924 | Serbien |
Erzbistum Magdeburg | Heiliges Römisches Reich | 986–1648 | Primas Germaniae, ganz Deutschland |
Erzbistum York | England | 11. Jahrhundert, 1353– | 30. Jan. 1688England |
Erzbistum Canterbury | England | 1072, | 5. Apr. 1166– 30. Jan. 1688Ganz England |
Erzbistum Uppsala | Schweden | 1367, 1397, 1455–1687 | Schweden |
Erzbistum Eauze | Frankreich | 6. Jahrhundert–879 | Novempopulana (Aquitania Tertia) |
Erzbistum Lund | Schweden | 1163, | 16. Nov. 1217–1687Skandinavien |
Tirnowo | Bulgarien (Bulgarisch-katholische Kirche) | ?; 1277–circa 1280 | Bulgarien und Walachei |
HeraldikBearbeiten
Die meisten Primates benützen heutzutage ihr Wappen als Erzbischof bzw. Kardinal, der Erzbischof von Salzburg führt als Legatus natus ein erzbischöfliches Wappen in Rot (20 Quasten, päpstliches Legatenkreuz in der Mitte, links und rechts davon das erzbischöfliche Kreuz und der Hirtenstab). Es gibt jedoch ein (veraltetes) Wappen für Primates, welches sich von dem des Patriarchen, durch seine nicht in Gold gefassten Quasten und deren Verbindung zum Galero unterscheidet.
Siehe auch: Kirchliche Heraldik
Orthodoxe KirchenBearbeiten
Im Bereich der Orthodoxen Kirchen wird der Titel Primas oft für die Oberhäupter autokephaler Kirchen gebraucht.
Anglikanische KirchengemeinschaftBearbeiten
Innerhalb der Anglikanischen Weltgemeinschaft ist ein Primas das Haupt einer Kirchenprovinz (Landeskirche). In der Regel deckt sich eine Provinz mit einem oder mehreren Nationalstaaten. Der Primas kann der Bischof eines bestimmten Sitzes sein, so wie für England der Erzbischof von Canterbury oder wird auf der Provinzsynode aus dem Kreis der Bischöfe gewählt. In den meisten Fällen trägt er den Titel eines Erzbischofs. Oft ist seine Amtszeit beschränkt. Das Amt des anglikanischen Primas entstand aus dem Primastitel des Erzbischofs von Canterbury.
Siehe auch: Liste der anglikanischen Kirchen
FürstprimasBearbeiten
Mit der Rheinbundakte wurde 1806 in Deutschland ein souveräner Fürstprimas geschaffen. Amtsträger waren im Rheinbund der Reichserzkanzler und zugleich Erzbischof von Regensburg, Karl Theodor von Dalberg, in Ungarn der Erzbischof von Gran, der auch Primatialrechte ausübte.[1]
Siehe auchBearbeiten
- Abtprimas, der oberste Repräsentant der Benediktinischen Föderation und der Augustiner-Chorherren
- Primas ist nicht zu verwechseln mit dem Primat, das die Vorrangstellung des Papstes in der römisch-katholischen Kirche bezeichnet
- Metropolit
- Exarch
EinzelnachweiseBearbeiten
- ↑ a b c d e f g h i j k l m n Meyers Konversations-Lexikon, Vierte Auflage, 13. Band, Verlag des Bibliographischen Instituts Leipzig 1889, S. 387
- ↑ a b c d e f g h i Meyers Großes Konversations-Lexikon, Sechste Auflage, 16. Band, Bibliographisches Institut Leipzig und Wien 1908, S. 345
- ↑ Concordato entre la Santa Sede y la República Dominicana. Abgerufen am 4. September 2020.