Philanthropin

Schule mit dem Erziehungsziel Menschenliebe

Ein Philanthropin oder Philanthropinum ist eine Schule, die nach den Grundsätzen des Philanthropismus unterrichtet, mit den Erziehungsmaximen Menschenliebe (Philanthropie), Vernunft, Gleichheit, Natürlichkeit und Glück.

Johann Bernhard Basedow, Kupferstich von Daniel Chodowiecki
Schulszene im Philanthropin Reichenau, rechts stehend der spätere „Bürgerkönig“ Louis-Philippe als Erzieher.

Geschichte Bearbeiten

Die erste Erziehungs- und Unterrichtsanstalt nach den Idealen der Philanthropie gründete der Theologe, Reformpädagoge und Philanthrop Johann Bernhard Basedow (1724–1790) im Jahr 1774 in Dessau. Das Philanthropinum Dessau wurde zum Vorbild einer Vielzahl ähnlicher Schulen, von denen einige erst nach der Schließung des Dessauer Instituts im Jahr 1793 gegründet wurden.

Zur größten und am längsten bestehenden Einrichtung dieser Art entwickelte sich das Philanthropin in Frankfurt am Main, das zeitweise bis zu 1000 Schüler unterrichtete. Als Schule der israelitischen Gemeinde wurde sie 1942 durch die Nationalsozialisten geschlossen. Im Jahr 1966 wurde sie erneut eingerichtet.

Bekannte Philanthropinen Bearbeiten

f1  Karte mit allen Koordinaten: OSM | WikiMap

Bedeutende Schulen nach den Grundsätzen des Philanthropismus
Gründung Name Lage Gründungsleiter Auflösung Bemerkung
1773 Militärschule in Colmar Colmar,
Elsass, Frankreich
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Gottlieb Konrad Pfeffel
(1736–1809)
1792 Die Militärschule orientierte sich stark am Vorbild der ein Jahr später gegründeten Dessauer Schule und wurde gelegentlich auch als „Philanthropin Colmar“ bezeichnet.[1]
1774 Philanthropinum Dessau Dessau,
Sachsen-Anhalt
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Johann Bernhard Basedow
(1724–1790)
1793 Das Dessauer ‚Mutterinstitut‘ wurde zum Vorbild einer Vielzahl ähnlicher Schulen. Auch das heutige „Gymnasium Philanthropinum“ in Dessau stellt sein Leitziel unter das Motto: Schule der Menschenfreundschaft.
1775 Philanthropinum Schloss Marschlins Gemeinde Landquart,
Kanton Graubünden, Schweiz
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Karl Friedrich Bahrdt
(1740–1792)
1777 Das Philanthropin entwickelte sich aus dem von Johann Peter Nesemann geleiteten Seminars in Haldenstein und scheiterte bereits im Februar 1777 an Unterfinanzierung.
1777 Philanthropin Heidesheim Colgenstein-Heidesheim,
Rheinland-Pfalz
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Karl Friedrich Bahrdt 1779 Die Schule wurde geschlossen, als der Weihbischof des Bistums Worms, Franz Xaver Anton von Scheben, beim Reichshofrat eine Verurteilung Bahrdts wegen Ketzerei erreichte.[2]
1780 Société Philanthropique de Paris Paris Charles-Pierre-Paul Savalette de Langes Anfänglich unter dem Namen Maison Philanthropique; erste der Armenfürsorge dienende Vereinigung der Neuzeit
1780 Philanthropin Frankenthal Frankenthal,
Kurpfalz
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Louise L’Écuyer
(† 1781)
Mädchenschule
Das heutige „Karolinen-Gymnasium“ in Frankenthal versteht sich als Nachfolger des Philanthropins.
1782 „Mannheimer Philanthropin“ Mannheim,
Kurpfalz
Johann Jakob Winterwerber
(1753–1805)
Nichtkonfessionelle Knabenschule
(Unter der unmittelbaren Oberaufsicht der kurpfälzischen hohen Landesregierung stehendes, öffentliches Erziehungsinstitut)[3]
1784 Philanthropin Schnepfenthal Schnepfenthal,
Thüringen
()
Christian Gotthilf Salzmann
(1744–1811)
Die heutige „Salzmannschule“ in Schnepfenthal, ein Stadtteil von Waltershausen, sieht sich als letztes noch erhaltenes Philanthropin in Deutschland.[4]
1788 Philanthropic Society London Der Bekämpfung der Jugendkriminalität gewidmet
1792 Philanthropin Reichenau Reichenau,
Gemeinde Tamins,
Kanton Graubünden, Schweiz
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Johann Peter Nesemann
(1724–1802)
1798 Ab 1796 führte Johann Peter Nesemann das Institut gemeinsam mit Heinrich Zschokke (1771–1848).
Von November 1793 bis Juni 1794 wirkte der spätere „Bürgerkönig“ Louis-Philippe unter dem Namen „Monsieur Chabod“ als Erzieher an dieser Schule.
1804 Philanthropin Frankfurt am Main Frankfurt am Main,
Hessen
()
Michael Hess
(1782–1860)
Die Schule der israelitischen Gemeinde wurde 1942 durch die Nationalsozialisten geschlossen. Die im Jahr 1966 neugegründete Schule der Jüdischen Gemeinde trägt heute den Namen „I. E. Lichtigfeld Schule im Philanthropin“.
1804 Philanthropin Vechelde Vechelde,
Niedersachsen
()
Johann Peter Hundeiker (1751–1836) 1819 Die Schließung der Schule erfolgte, als die Regierung des Herzogtums Braunschweig das Schulgebäude Schloss Vechelde zurückforderte.
1828 Société de Bienfaisance Urbaine Brüssel Später unter dem Namen Société Royale de Philanthropie

Literatur Bearbeiten

  • Karl Friedrich Bahrdt: Philanthropinischer Erziehungsplan. Eichenberg, Frankfurt am Main 1776.
  • Bernd Feige: Philanthropische Reformpraxis in Niedersachsen: Johann Peter Hundeikers pädagogisches Wirken um 1800. Böhlau, Köln Weimar Wien 1997, ISBN 3-412-07596-5.
  • Leonhard Friedrich (Hrsg.): Pädagogische Welt – Salzmanns Schnepfenthal. IKA, Jena 2008. ISBN 978-3-938203-49-1.
  • André Griemert: Bürgerliche Bildung für Frankfurter Juden? Das frühe Philanthropin in der Kontroverse um die jüdische Emanzipation. Tectum, Marburg 2010, ISBN 978-3-8288-2400-3.
  • Simone Hornung: Johann Bernhard Basedow und sein Philanthropin in Dessau. Grin Verlag, 2007, ISBN 978-3-638-79515-9.
  • Daniel Schmidt: Der pädagogische Staat: die Geburt der staatlichen Schule aus dem Geist der Aufklärung. Nomos, Baden-Baden 2000, ISBN 3-7890-6774-1.
  • Karl Wassmannsdorff: Die Turnübungen in den Philanthropinen zu Dessau, Marschlins, Heidesheim und Schnepfenthal. Karl Groos, Heidelberg 1870.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Schweizerischer Lehrerverein (Hrsg.): Schweizerische Pädagogische Zeitschrift. Band 23, Zürich 1913, S. 290.
  2. Gerhard Krause, Gerhard Müller: Theologische Realenzyklopädie. Band 5, Walter de Gruyter, Berlin 1980, S. 132, ISBN 3-11-007739-6
  3. (Johann Jakob Winterwerber:) Grundriß des unter der unmittelbaren Oberaufsicht der kurpfälzischen hohen Landesregierung stehenden, öffentlichen Erziehungsinstitutes in Mannheim. Ludwig Bernhard Friedrich Gegel, Frankenthal (Mai 1784) (Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3D%7B%7B%7B1%7D%7D%7D~GB%3DvPdGAAAAcAAJ%26pg%3DPA1~IA%3D~MDZ%3D%0A~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D); Sigmund Freiherr von Bibra, Leopold Friedrich Günther von Goeckingk (Hrsg.): Journal von und für Deutschland (Ellrich). Juli 1784. S. 67 f. (Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3D%7B%7B%7B1%7D%7D%7D~GB%3DHmNEAAAAcAAJ%26pg%3DPA67~IA%3D~MDZ%3D%0A~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D); Intelligenzblatt der Allgem. Literatur-Zeitung (Halle). 27. März 1805, Sp. 406 (Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3D%7B%7B%7B1%7D%7D%7D~GB%3DJ4QFAAAAQAAJ%26pg%3DPA405~IA%3D~MDZ%3D%0A~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D); Stefan Mörz: 1778–1789 Hauptstadt ohne Kurfürst. In: Ulrich Nieß, Michael Caroli (Hrsg.): Geschichte der Stadt Mannheim. Band 1. verlag regionalkultur, Heidelberg 2007, ISBN 978-3-89735-470-8, S. 528–585, hier: S. 566 f.
  4. Webseite der Salzmannschule Schnepfenthal (Memento des Originals vom 9. März 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.salzmannschule.de, abgerufen am 19. April 2015