Phänotyp

Menge aller Merkmale eines Organismus
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Der Phänotyp (von altgriechisch φαίνω phaíno „ich erscheine“ und τύπος týpos „Gestalt“) oder das Erscheinungsbild ist in der Genetik die Menge aller Merkmale eines Organismus. Er bezieht sich nicht nur auf morphologische, sondern auch auf physiologische Eigenschaften und ggfs. auf Verhaltensmerkmale. In der Vererbungslehre wurde der Begriff Phaenotypus erstmals von Wilhelm L. Johannsen[1] aufgestellt.

Phänotypen und phänotypische Variationen werden durch das Zusammenwirken von Erbanlagen und Umweltfaktoren (Modifikation) bestimmt. Inwieweit der Phänotyp durch Umwelteinflüsse beeinflussbar ist, hängt von der Reaktionsnorm ab. Diese Möglichkeit, auf Umwelteinflüsse zu reagieren, ist durch den Genotyp genetisch festgelegt.[2] Verfahren, mit denen Rückschlüsse vom Erbgut, d. h. der individuellen Desoxyribonukleinsäure (DNS), auf den Phänotyp eines Individuums geschlossen werden, werden DNA-Phänotypisierung genannt.[3]

Phänotypische Plastizität Bearbeiten

Wenn Umwelteinflüsse eine starke Variabilität des Erscheinungsbildes eines Individuums hervorrufen können, spricht man von hoher phänotypischer Plastizität oder großer Variationsbreite oder Modifikabilität.[4] Ist der Phänotyp jedoch weitgehend durch seinen Genotyp vorherbestimmt, deutet dies auf geringe Plastizität hin. Das Konzept der phänotypischen Plastizität beschreibt das Maß, in dem der Phänotyp eines Organismus durch seinen Genotyp vorherbestimmt ist. Ein hoher Wert der Plastizität bedeutet: Umwelteinflüsse haben einen starken Einfluss auf den sich individuell entwickelnden Phänotyp. Bei geringer Plastizität kann der Phänotyp aus dem Genotyp zuverlässig vorhergesagt werden, unabhängig von besonderen Umweltverhältnissen während der Entwicklung. Hohe Plastizität lässt sich am Beispiel der Larven zweier Molcharten beobachten: Wenn diese Larven die Anwesenheit von Räubern wie Libellenlarven wahrnehmen, vergrößern sich Kopf und Schwanz im Verhältnis zum Körper, und die Haut wird dunkler pigmentiert. Larven mit diesen Merkmalen haben bessere Überlebenschancen gegenüber Räubern, wachsen aber langsamer als andere Phänotypen.[5] Phänotypische Veränderungen aufgrund von Umwelteinflüssen heißen Modifikationen. So können zum Beispiel genetisch identische Pflanzen (zum Beispiel Stecklinge) an unterschiedlichen Standorten völlig unterschiedliche Wuchsformen entwickeln.

Phänokopie Bearbeiten

Trifft ein exogener (nicht erblicher) Faktor in einer bestimmten Periode der Entwicklung auf einen Organismus, so kann ein Merkmal genau so ausgebildet werden wie im Falle einer genetischen Veränderung (Mutation). In diesem Fall spricht man von Phänokopie.[6]

Dramatyp Bearbeiten

Im biomedizinischen Bereich, fast immer im Zusammenhang mit Tiermodellen in Tierversuchen, wird das Modell des Phänotyps gelegentlich um den „Dramatyp“ erweitert.[7] Der Begriff wurde 1959 durch William M. S. Russell und Rex L. Burch eingeführt.[8] Dieser stellt die, vor allem physiologische, Reaktion auf die unmittelbare, augenblickliche Umgebung dar, während sich die Entwicklung des Phänotyps auf einen längeren Zeitraum bezieht. Die Kenntnis des Dramatyps ermöglicht es, die Versuchsbedingungen besser zu standardisieren und damit die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse zu verbessern.[9]

Siehe auch Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Martin Mahner, Michael Kary: What Exactly Are Genomes, Genotypes and Phenotypes? And What About Phenomes? In: Journal of Theoretical Biology. Bd. 186, Nr. 1, 1997, ISSN 0022-5193, S. 55–63, doi:10.1006/jtbi.1996.0335.
  • H. Frederik Nijhout: Der Kontext macht's! In: Spektrum der Wissenschaft. April 2005, ISSN 0170-2971, S. 70–77.

Weblinks Bearbeiten

Wiktionary: Phänotyp – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin / Göttingen / Heidelberg 1960, S. 55.
  2. Elisabeth Günther: Grundriß der Genetik. Gustav Fischer, Stuttgart 1971, S. 435.
  3. Stephanie Lahrtz: Mit DNA ein Phantombild zeichnen. In: nzz.ch. 7. Januar 2017, abgerufen am 14. Oktober 2018.
  4. Vita 1. Genetik Stoffwechsel Ökologie, C. C. Buchner, Bamberg, S. 63f, ISBN 3-7661-7021-X.
  5. Josh van Buskirk, Benedikt R. Schmidt: Predator-induced phenotypic plasticity in larval newts: trade-offs, selection, and variation in nature. In: Ecology. Bd. 81, Nr. 11, 2000, ISSN 0012-9658, S. 3009–3028.
  6. Douglas J Futuyma: Evolutionsbiologie, Birkhäuser, Basel – Boston – Berlin, 1990, S. 61.
  7. Tatsuji Nomura, Takeshi Watanabe, Sonoko Habu (Hrsg.): Humanized Mice (Current Topics in Microbiology and Immunology 324). Springer Verlag, Berlin etc. 2008. ISBN 978-3-540-75646-0. darin chapter 1 Basic Concept of Development and Practical Application of Animal Models for Human Diseases, S. 2–24.
  8. William M. S. Russell, Rex L. Burch: The Principles of Humane Experimental Technique. https://caat.jhsph.edu/principles/the-principles-of-humane-experimental-technique
  9. L.F.M. van Zutphen, V. Baumans, A.C. Beynen: Principles of Laboratory Animal Science. Elsevier, Amsterdam etc., revised edition 2001. ISBN 0-444-50612-8, auf S. 105 ff.