Peter C. Gøtzsche

dänischer Medizinforscher

Peter Christian Gøtzsche (* 26. November 1949 in Naestved) ist ein dänischer Medizinforscher und war Direktor des Nordic Cochrane Centers am Rigshospitalet in Kopenhagen, Dänemark. Gøtzsche wurde 2010 an der Universität Kopenhagen zum Professor für klinisches Forschungsdesign und Analyse ernannt. Er war 1993 Mitbegründer der Cochrane Collaboration und hat als solcher zahlreiche Bewertungen verfasst.

Peter C. Gøtzsche (Oktober 2018)

Leben Bearbeiten

Peter C. Gøtzsche schloss 1974 sein Studium der Biologie und Chemie mit einem Master of Science ab und studierte bis 1984 Medizin. Er ist Facharzt für Innere Medizin und war von 1975 bis 1983 in der Arzneimittelindustrie und von 1984 bis 1995 in Krankenhäusern in Kopenhagen mit klinischen Studien und Zulassungsfragen befasst. Zusammen mit etwa 80 anderen Personen hat er 1993 zusammen mit dem Gründer Sir Iain Chalmers die Cochrane Collaboration ins Leben gerufen und im selben Jahr das Nordic Cochrane Centre gegründet. Seit 2010 ist er Professor für Design und Analyse klinischer Forschung an der Universität Kopenhagen. Im Jahr 2017 wurde er in das Cochrane Governing Board, das oberste Gremium der Cochrane Collaboration, gewählt. Er ist Mitglied mehrerer Gruppen, die Leitlinien für eine gute Berichterstattung in der Forschung herausgeben, und hat CONSORT für randomisierte Studien, STROBE für Beobachtungsstudien und SPIRIT für Studienprotokolle mitverfasst. Er war einer der Redakteure der Cochrane Methodology Review Group 1997–2014.[1]

Forschung Bearbeiten

Aufgrund seiner Forschungen folgerte Gøtzsche, dass Placebos im Vergleich zu gar keiner Behandlung nur einen geringen Effekt haben.[2][3][4] Weiterhin folgerte er, dass viele Meta-Analysen unter Datenextraktions-Fehlern leiden würden. Bei der Auswertung der Daten bemerkte die dänische Forschergruppe um Gøtzsche, dass in den Protokollen nachweislich vorhandene Daten in den Veröffentlichungen der Studien in erheblichem Maß nicht wiedergegeben worden seien.[5][6][7][8]

Er und seine Mitautoren haben die Forschungsmethoden und Interpretationen anderer Wissenschaftler scharf kritisiert, z. B. in Meta-Analysen bzgl. Placebos.[9][10] Gøtzsche hat auch die Meta-Analysen selbst[11], die redaktionelle Unabhängigkeit medizinischer Fachzeitschriften[12] und das medizinische Ghostwriting kommentiert.[13] Auch im Zusammenhang mit seiner Kritik des Mammographie-Screenings veröffentlichte Götzsche diesbezüglich 2013 sein Buch Deadly Medicines and Organised Crime: How Big Pharma has Corrupted Healthcare (deutsche Übersetzung: Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität: Wie die Pharmaindustrie unser Gesundheitswesen korrumpiert, 2014).

Kritik des Mammographie-Screenings Bearbeiten

Gøtzsche kritisierte Mammographie-Screenings zur Erkennung von Brustkrebs, indem er argumentierte, dass dieses nicht gerechtfertigt werden könne; seine Kritik hat einen Meinungsstreit ausgelöst.[14] Seine Kritik stammt von einer Meta-Analyse, die er hinsichtlich von Mammographie-Screeningstudien durchführte und unter dem Titel Is screening for breast cancer with mammography justifiable? (zu deutsch: „Ist Brustkrebs-Screening mittels einer Mammographie vertretbar?“) im Jahr 2000 im Fachmagazin The Lancet veröffentlichte.[15] Darin verwarf er sechs von acht Studien und argumentierte, dass deren Randomisierung (vgl. Randomisierte kontrollierte Studie, ein Qualitätskriterium von Studien) ungenügend war.

2006 wurde ein Papier Gøtzsches bzgl. Mammographie-Screenings im European Journal of Cancer elektronisch publiziert, noch vor dem Druck.[16] Das Fachmagazin entfernte das Dokument später komplett von seiner Webseite, ohne irgendeine formelle Rücknahme, wie sonst üblich.[17] Das Papier war später im Danish Medical Bulletin publiziert, mit einer kurzen Mitteilung vom Herausgeber,[18] und Gøtzsche und seine Mitautoren kommentierten bzgl. der einseitigen Rücknahme im European Journal of Cancer, dass die Autoren darin nicht involviert waren.[19]

2012 veröffentlichte Gøtzsche Mammography Screening: Truth, Lies and Controversy (zu deutsch: „Mammographie-Screening: Wahrheit, Lügen und Meinungsstreit“).

Kritik an SSRI-Antidepressiva Bearbeiten

Gøtzsche kritisierte 2014 im Guardian den ausgedehnten Gebrauch von SSRI-Antidepressiva.[20]

Kritik an Reviews zur HPV-Impfung Bearbeiten

Im November 2015 gab die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) bekannt, dass sie HPV-Impfstoffe in einem Review untersucht habe, bei dem geprüft wurde, ob zwei selten im Zusammenhang mit der Impfung berichtete unerwünschte Wirkungen, das komplexe regionale Schmerzsyndrom (Complex Regional Pain Syndrome, CRPS) und das posturale orthostatische Tachykardiesyndrom (POTS), bei geimpften Frauen häufiger auftreten als bei ungeimpften. Die Auswertung ergab, dass die im zeitlichen Zusammenhang mit HPV-Impfungen beobachteten Melderaten dieser Erkrankungen der erwarteten Häufigkeit des Auftretens in der untersuchten Altersgruppe (weibliche Jugendliche im Alter von 10 bis 17 Jahren) entspreche und sich somit kein Hinweis auf einen Zusammenhang ergebe.[21][22]

Im Dezember 2015 publizierte die dänische Wissenschaftlerin Louise Brinth eine Kritik an diesem Review.[23] Gøtzsche reichte daraufhin im Mai 2016 eine formelle Beschwerde zu dem offiziellen Beurteilungsbericht der EMA ein.[24]

2018 beurteilte ein Cochrane-Review die Impfung als wirksam und sicher.[25] Dieses Review wurde von Gøtzsche und seinen Kollegen ebenfalls kritisiert.[26]

Ausschluss aus der Cochrane Organisation Bearbeiten

Am 26. September 2018 wurde Gøtzsche aus der Cochrane Organisation ausgeschlossen und seine Mitarbeit im Führungsgremium beendet, in das er 2017 gewählt worden war.[27][28] Daraufhin verließen vier gewählte Führungsmitglieder das Gremium unter Protest ebenfalls und zwei ernannte Mitglieder wurden aus Paritätsgründen entlassen.[29] Als Grund seiner Entlassung wurde primär „fortgesetztes schlechtes Benehmen, welches nicht mit den Prinzipien und der Steuerung von Cochrane vereinbar sei […]“ angegeben.[28] Gøtzsche beklagt hingegen, dass Cochranes „wachsende top-down autoritäre Kultur und ein mehr und mehr kommerzielles Geschäftsmodell […] die wissenschaftliche, moralische und soziale Ziele der Organisation bedrohen“.[30] Gerd Antes von Cochrane Deutschland sieht die Situation als eine „Governance-Krise“, die nach Transparenz rufe und gemeistert werden könne mit „strikte[r] Orientierung an den Zielen und Grundprinzipien von Cochrane.“[31]

Buchveröffentlichungen Bearbeiten

  • mit Henrik R. Wulff: Rational Diagnosis and Treatment: Evidence-Based Clinical Decision-Making. 4. Auflage. Wiley, Chichester 2007, ISBN 978-0-470-51503-7. (Auflage 1+2 nur von Wulff; 1.–3. Auflage. Blackwell, Oxford 2000.)
  • Mammography Screening: Truth, Lies and Controversy. Radcliffe, London 2012, ISBN 978-1-84619-585-3.
  • Deadly Medicines and Organised Crime: How Big Pharma Has Corrupted Healthcare. Radcliffe, London 2013, ISBN 978-1-84619-884-7.
    • deutsch: Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität: Wie die Pharmaindustrie unser Gesundheitswesen korrumpiert. Riva, München 2014, ISBN 978-3-86883-438-3.
  • Deadly Psychiatry and Organised Denial. People's Press. London 2015. ISBN 978-87-7159-623-6.
    • deutsch: Tödliche Psychopharmaka und organisiertes Leugnen: Wie Ärzte und Pharmaindustrie die Gesundheit der Patienten vorsätzlich aufs Spiel setzen. Riva, München 2016, ISBN 978-3-86883-756-8.
  • Gute Medizin, schlechte Medizin: Wie Sie sinnvolle Therapien von unnötigen und schädlichen unterscheiden lernen. Riva, München, 2018, ISBN 978-3-7423-0440-7

Weblinks Bearbeiten

Commons: Peter C. Gøtzsche – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Peter C Gøtzsche | Cochrane Nordic. 18. September 2018, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 18. September 2018; abgerufen am 20. Juni 2023.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/nordic.cochrane.org
  2. Asbjørn Hrobjartsson, Peter C. Gøtzsche: Hvad er effekten af placebobehandling? En systematisk oversigt over randomiserede kliniske forsøg med placebobehandlede og ubehandlede patienter [Was ist die Wirkung von Placebo-Interventionen? Eine systematische Überprüfung der randomisierten Studien mit Placebobehandelten und unbehandelten Patienten]. In: Ugeskrift for Læger. Band 164, Nr. 3, Januar 2002, S. 329–333, PMID 11816328.
  3. Asbjørn Hrobjartsson, Peter C. Gøtzsche: Placebo treatment versus no treatment. In: Cochrane Database of Systematic Reviews. Nr. 1, 2003, S. CD003974, doi:10.1002/14651858.CD003974, PMID 12535498.
  4. A. Hrobjartsson, P. C. Gotzsche: Is the placebo powerless? Update of a systematic review with 52 new randomized trials comparing placebo with no treatment. In: Journal of Internal Medicine. Band 256, Nr. 2, August 2004, S. 91–90, doi:10.1111/j.1365-2796.2004.01355.x, PMID 15257721.
  5. Peter C. Gøtzsche, Asbjørn Hróbjartsson, Katja Maric, Britta Tendal: Data Extraction Errors in Meta-analyses That Use Standardized Mean Differences. In: JAMA. Band 298, Nr. 4, Juli 2007, S. 430–437, doi:10.1001/jama.298.4.430, PMID 17652297 (ama-assn.org). There is a error in the article. Comments:
  6. Hugh McGuire, Melissa Edmonds,Jonathan Price: Data Discrepancies in Meta-analyses That Use Standardized Mean Differences—Reply. In: JAMA. Band 298, Nr. 19, 2007, S. 2261–2262; Autorenerwiderung Nr. 2262–2263, doi:10.1001/jama.298.19.2261-b, PMID 18029827.
  7. Peter C. Gøtzsche, Britta Tendal: Data Discrepancies in Meta-analyses That Use Standardized Mean Differences—Reply. In: JAMA. Band 298, Nr. 19, November 2007, S. 2262, doi:10.1001/jama.298.19.2262.
  8. Gunter Frank: Schlechte Medizin. Ein Wutbuch. 3. Auflage. Knaus-Verlag, 2012, ISBN 978-3-8135-0473-6, S. 77–78 sowie insgesamt S. 70–79.
  9. Asbjørn Hróbjartssona, Peter C. Gøtzsche: Unsubstantiated claims of large effects of placebo on pain: serious errors in meta-analysis of placebo analgesia mechanism studies. In: Journal of Clinical Epidemiology. Band 59, Nr. 4, April 2006, S. 336, doi:10.1016/j.jclinepi.2005.05.011, PMID 16549252.
  10. Asbjørn Hróbjartsson, Peter C. Gøtzsche: Powerful spin in the conclusion of wampold et al.'s re-analysis of placebo versus no-treatment trials despite similar results as in original review. In: Journal of Clinical Psychology. Band 63, Nr. 4, 2007, S. 373–377, doi:10.1002/jclp.20357, PMID 17279532.
  11. Peter C. Gøtzsche: Why we need a broad perspective on meta-analysis. In: British Medical Journal. Band 321, Nr. 7261, September 2000, S. 585–586, doi:10.1136/bmj.321.7261.585 (bmj.com).
  12. Peter C. Gøtzsche: Ytringsfrihed og redaktionel uafhængighed: Fire fyringer og en kafkask proces. In: Ugeskrift for Læger. Band 170, Nr. 18, 2008, S. 1537 (ugeskriftet.dk).
  13. Peter C. Gøtzsche, Jerome P. Kassirer, Karen L. Woolley, Elizabeth Wager, Adam Jacobs, Art Gertel, Cindy Hamilton: What Should Be Done To Tackle Ghostwriting in the Medical Literature? In: PLoS Medicine. Band 6, Nr. 2, 2009, S. e1000023, doi:10.1371/journal.pmed.1000023, PMID 19192943, PMC 2634793 (freier Volltext).
  14. Donald G. McNeil, Jr.: Confronting cancer: Scientist at work – Peter Gotzsche; A Career That Bristles With Against-the-Grain Conclusions. In: New York Times. 9. April 2002, abgerufen am 30. Mai 2014.
  15. Peter C. Gøtzsche, Ole Olsen: Is screening for breast cancer with mammography justifiable? In: The Lancet. Band 355, Januar 2000, S. 129+, doi:10.1016/S0140-6736(99)06065-1.
  16. P. H. Zahl, P. C. Gøtzsche, J. M. Andersen, J. Mæhlen: Withdrawn: Results of the Two-County trial of mammography screening are not compatible with contemporaneous official Swedish breast cancer statistics. In: European Journal of Cancer. März 2006, doi:10.1016/j.ejca.2005.12.016, PMID 16530407.
  17. Kerry Grens: Mammography article withdrawal sparks dispute. In: The Scientist. Dezember 2006 (the-scientist.com).
  18. Per-Henrik Zahl, Peter C. Gøtzsche, Jannike Mørch Andersen, Jan Mæhlen: Results of the Two-County trial of mammography screening are not compatible with contemporaneous official Swedish breast cancer statistics. In: Danish Medical Bulletin. Band 53, November 2006, S. 438–440 (danmedbul.dk (Memento vom 24. April 2014 im Internet Archive)).
  19. Peter C. Gøtzsche, Jan Mæhlen, Per-Henrik Zahl: What is a publication? In: The Lancet. Band 368, Nr. 9550 (November–Dezember), 2006, S. 1854–1856, doi:10.1016/S0140-6736(06)69756-0.
  20. Peter Gøtzsche: Psychiatric drugs are doing us more harm than good. In: The Guardian. 30. April 2014 (online).
  21. HPV vaccines: EMA confirms evidence does not support that they cause CRPS or POTS. (Memento des Originals vom 20. Juni 2018 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ema.europa.eu 5. November 2015.
  22. HPV vaccines: EMA confirms evidence does not support that they cause CRPS or POTS. (Memento des Originals vom 16. Dezember 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ema.europa.eu (PDF; 94 kB). 20. November 2015.
  23. Louise Brinth: Responsum to Assessment Report on HPV-vaccines released by EMA November 26th 2015. online (PDF; 1,3 MB)
  24. Nordic Cochrane Center: Complaint to the European Medicines Agency (EMA) over maladministration at the EMA. (Memento des Originals vom 15. Juni 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/nordic.cochrane.org (PDF). 26. Mai 2016.
  25. M. Arbyn, L. Xu, C. Simoens, P. P. L. Martin-Hirsch: Prophylactic vaccination against human papillomaviruses to prevent cervical cancer and its precursors. In: Cochrane Database of Systematic Reviews. Issue 5, 2018, Art. No.: CD009069. doi:10.1002/14651858.CD009069.pub3.
  26. L. Jørgensen, P. C. Gøtzsche, T. Jefferson: The Cochrane HPV vaccine review was incomplete and ignored important evidence of bias. In: BMJ Evidence-Based Medicine. 23, 2018, S. 165–168, doi:10.1136/bmjebm-2018-111012
  27. Statement from Cochrane's Governing Board
  28. a b Statement from Cochrane’s Governing Board – 26th September 2018
  29. Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin: Aktuelle Diskussion um Cochrane. Deutsches Netzwerk EbM, 1. Oktober 2018, abgerufen am 10. November 2018.
  30. Peter Gøtzsche: Cochrane in Moral Downfall. Gøtzsche Homepage, 2018, abgerufen am 10. November 2018.
  31. Gerd Antes: Cochrane in den Medien: Erläuterung der Widersprüche und Konflikte. Cochrane Deutschland, 25. September 2018, abgerufen am 10. November 2018.