Parlamentswahl in Venezuela 2015

politische Wahl

Die Parlamentswahlen in Venezuela 2015 fanden am 6. Dezember 2015 statt. Sie wurden deutlich vom oppositionellen Parteienbündnis Mesa de la Unidad Democrática gewonnen, was als Erdrutschsieg gewertet wurde.[1][2][3]

Das Wahlresultat 2015 – Sieg der Opposition

Ausgangssituation Bearbeiten

Die Parlamentswahlen in Venezuela 2010 hatten folgendes Resultat erbracht:

98
65
2
98 65 
Insgesamt 165 Sitze
  • PSUV, PCV: 98
  • MUD: 65
  • PPT: 2
Partei Stimmen Stimmenanteil Sitze
Partido Socialista Unido de Venezuela (PSUV) und
Partido Comunista de Venezuela (PCV)
5,42 Millionen 48,13 % 98
Mesa de la Unidad Democrática (MUD) 5,32 Millionen 47,22 % 65
Patria Para Todos (PPT) 0,35 Millionen 3,14 % 2
Gesamt 11,6 Millionen 165

Die Regierung hat den Wahltermin auf den 6. Dezember festgelegt. Dieser Termin hat Symbolcharakter: Am 6. Dezember 1998 wurde Hugo Chávez erstmals als Präsident gewählt. Dessen linkspopulistische[4][5][6][7] Partei Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas (bzw. deren Vorgängerorganisationen) bestimmte seitdem die Politik in Venezuela.[8]

Die politische Stimmung vor der Wahl wurde von der massiven Wirtschaftskrise Venezuelas beeinflusst, die als Folge der Wirtschaftspolitik und des Verfalls der Erdölpreise gilt. Hieraus resultierten die teilweise gewaltsamen Proteste von 2014, bei denen 43 Menschen ums Leben kamen. Die Umfragen sagten einen Sieg der Opposition voraus, die mit einer „tarjeta única“ (Einheitsliste) antrat. Auch im Hinblick auf die Inhaftierung einer Reihe führender Oppositionspolitiker wie Leopoldo López (dem Vorsitzenden von Voluntad Popular) und Antonio Ledezma (dem Bürgermeister der Hauptstadt Caracas) fürchtete die Opposition um faire Wahlen, doch ihre Forderung nach internationalen Wahlbeobachtern lehnte die Regierung ab.[9] Im Februar 2015 sahen sich 33 der 76 Bürgermeister des Oppositionslagers einem Strafverfahren ausgesetzt.[10]

Wahlrecht Bearbeiten

Das Wahlrecht wurde neu gefasst. Die Nationalversammlung soll nun 167 Mitglieder haben. 113 Abgeordnete werden in 87 Wahlkreisen gemäß Mehrheitswahlsrecht gewählt. 51 Sitze werden nach dem Verhältniswahlrecht in den 23 Staaten Venezuelas und dem Hauptstadtdistrikt vergeben. Als Sitzzuteilungsverfahren wird das D’Hondt-Verfahren verwendet. Weiterhin sind drei Mandate für die indigene Bevölkerung vorgesehen.[11]

Die Wahlkreise sind Kritikern zufolge so zugeschnitten, dass das Regierungslager davon profitieren soll. Bei der Parlamentswahl 2010 führte das dazu, dass, obwohl PSUV und Oppositionsbündnis fast gleich viele Stimmen erhielten, die Regierungspartei mehr als drei Fünftel der Sitze bekam. Vier der fünf Mitglieder der obersten Wahlkommission gehörten dem Lager der Chavistas an.[12]

Einer Reihe von Oppositionspolitikern wie dem ehemaligen Gouverneur Pablo Pérez, der früheren Abgeordneten María Corina Machado und den ehemaligen Bürgermeistern Daniel Ceballos und Enzo Scarano wurde das passive Wahlrecht durch den Rechnungshof der Regierung entzogen.[13]

Wahlkampf Bearbeiten

Das Regierungslager setzte stark auf Wahlgeschenke. Unter anderem kündigte Präsident Maduro an, eine Million Tablet-Computer zu „verschenken“. Vor der Wahl verteilte die Regierung noch 37.643 Computer, Schweineschenkel für den Festtagsbraten, verschenkte 3380 neue Taxis, übergab 1192 Apartments ihren neuen Besitzern und vergab zusätzliche Stipendien.[14][15]

Der Wahlkampf wurde überschattet vom Mord an dem Gewerkschafter und Oppositionspolitiker Luis Manuel Díaz (AD) bei einer Wahlveranstaltung am 26. November im Bundesstaat Guárico. Die Opposition behauptete, es habe insgesamt sieben gewaltsame Angriffe gegen sie gegeben. Teile des Oppositionslagers machten direkt Präsident Maduro für den Mord verantwortlich, andere sagten jedenfalls, dass Maduro durch seine rhetorischen Attacken gegen die Opposition die Täter ermutigt habe. Der Präsident ordnete den Mord hingegen als Abrechnung unter rivalisierenden kriminellen Banden ein.[16][17]

Umfragen Bearbeiten

 

Ergebnis Bearbeiten

Partei Stimmen Stimmenanteil Sitze Veränderung
Mesa de la Unidad Democrática (MUD) 7.707.422 56,3 % 109 45
Partido Socialista Unido de Venezuela (PSUV) 5.599.025 40,9 % 55 −41
Sitze für Indigene 3 ±0
Gesamt 14.385.322 100,0 % 167

Quelle: Nationale Wahlkommission[18]

Aufschlüsselung der Sitzverteilung nach Parteien:

Partei Sitze
Opposition 112
Primero Justicia (PJ) 33
Acción Democrática (AD) 25
Un Nuevo Tiempo (UNT) 18
Voluntad Popular (VP) 14
La Causa Radical (Causa R) 4
Movimiento Progresista de Venezuela (MPV) 4
Cuentas Claras 2
Avanzada Progresista 2
Proyecto Venezuela (PRVZL) 2
Vente Venezuela (Vente) 1
Gente Emergente 1
Alianza Bravo Pueblo (ABP) 1
Parteilose 2
Indigene 3
Regierung 55
Partido Socialista Unido de Venezuela (PSUV) 52
Partido Comunista de Venezuela (PCV) 2
Vanguardia Republicana 1

Quelle: El Universal[19]

Die drei Abgeordneten der Indigenen stehen der MUD nahe, wodurch sich mit zusammen 112 Sitzen eine Zwei-Drittel-Mehrheit für das Bündnis ergibt.

Damit kann die Parlamentsmehrheit künftig Dekrete des Präsidenten verhindern, Verfassungsreformen einleiten, Richter am Obersten Bundesgericht und den Generalstaatsanwalt abberufen sowie Referenden über Gesetzesprojekte einleiten. Auch eine Volksabstimmung über ein vorzeitiges Ende der Amtszeit Maduros (die eigentlich bis 2019 dauern würde) ist möglich. Dieser akzeptierte das Wahlergebnis und rief seine Minister zum Rücktritt auf.[20][21]

Ende Dezember 2015 erklärte der von der Regierung beherrschte Oberste Gerichtshof im Rahmen einer einstweiligen Verfügung die Mandate von vier im Bundesstaat Amazonas gewählten Abgeordneten für ungültig. Dies betrifft drei Abgeordnete der Opposition und einer der regierenden PSUV. Damit wäre die Zweidrittelmehrheit des MUD nicht mehr gegeben. Die Opposition sprach von einem juristischen Putsch und verwies darauf, dass weder der für diese Maßnahme vorgeschriebene Weg noch die Fristen eingehalten worden seien. Die betreffenden Abgeordneten erklärten, ihre Mandate annehmen zu wollen.[22]

Auf der ersten konstituierenden Sitzung des Parlamentes am 5. Januar 2016 wurde die politische Spaltung des Landes erneut deutlich. Die Abgeordneten der Regierungsfraktion verließen die Sitzung und warfen dem neu gewählte Parlamentspräsidenten Henry Ramos Allup Regelverstöße vor. Erneut boykottierten sie die Parlamentssitzung, nachdem Allup auf der ersten regulären Sitzung am 6. Januar auch die umstrittenen Abgeordneten vereidigte. Die Regierung erklärte, die künftigen Beschlüsse des Parlamentes nicht mehr anzuerkennen, da diese unrechtmäßig seien. Kraft seiner vom bisherigen Parlament beschlossenen Sondervollmachten verkündete Präsident Maduro eine Reihe von Gesetzen, die die Macht der Parlamentes einschränken sollen. Kern ist die Einberufung des Parlamentes der Kommunen, eines unter Chavez in die Verfassung aufgenommenen Parallelparlamentes, das bisher noch nie zusammengetreten war. Die Abgeordneten in diesem Parlament werden von den Kommunen benannt; hier hätte die Regierung eine Mehrheit.[23] Am 11. Januar erklärte der Oberste Gerichtshof alle Beschlüsse des Parlamentes für nichtig an denen die strittigen Abgeordneten mitwirken.[24] Darauf traten die drei umstritten vereidigten von ihrem Amt zurück, um das Parlament wieder handlungsfähig zu machen. Dabei verlor die Opposition die Zweidrittelsmehrheit.[25] Anfang Mai 2016 wurden die notwendigen Unterschriften für den ersten Schritt für das Abberufungsreferendum in Venezuela 2016 übergeben. Dieses wurde, genauso wie die Kommunal- und Regionalwahlen 2016 vom Obersten Gericht gestoppt.

Die Beschlüsse des Parlamentes wurden regelmäßig durch den obersten Gerichtshof aufgehoben. Am 30. März 2017 erklärte das Oberste Gericht alle Beschlüsse des Parlamentes generell für unwirksam und hob die Immunität der Parlamentarier auf. Diese Entmachtung der Nationalversammlung durch den Obersten Gerichtshof ist das offizielle Ende der Gewaltenteilung in Venezuela.[26]

Beobachter Bearbeiten

Die Opposition forderte die Teilnahme von Beobachtern der Vereinten Nationen, der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) oder der EU, die Regierung lehnte dies aber ab.[27] Mitte Oktober beschloss die brasilianische Regierung, keine offiziellen Beobachter nach Venezuela zu entsenden. Die Bedingungen für eine unabhängige Arbeit seien nicht gegeben.[28]

Drei ehemalige Präsidenten Costa Ricas forderten die gegenwärtige Regierung auf, internationale Beobachter der Vereinten Nationen, der EU oder der OAS nach Venezuela zu entsenden.[29]

EU Bearbeiten

Drei EU-Abgeordnete besuchten Venezuela am Anfang November, um inoffiziell die Lage zu erkunden. Die venezolanische Regierung hatte bis jetzt die Teilnahme der EU-Beobachter verschiedener Parteien abgelehnt. Ramón Jáuregui, von der spanischen Partei PSOE, erklärte, dass es in Venezuela soweit keine Wahlfälschung, wohl aber einen eklatanten Machtmissbrauch gibt, um der regierenden Partei Vorteile zu verschaffen.[30]

OAS Bearbeiten

Am 10. November 2015 schrieb der Sekretär der Organisation Amerikanischer Staaten an Tibisay Lucena, Vorsitzende des venezolanischen Wahlrates, weil die venezolanischen Behörden unfaire Zustände bei den kommenden Wahlen zulassen würden.[31]

Plan República Bearbeiten

In Venezuela werden die Wahlen logistisch vom Militär organisiert. Die Opposition hat dies kritisiert und gesagt, dass die Wahlen primär ein Prozess der Zivilisten sein sollten.[32]

UNASUR Bearbeiten

Eine internationale Delegation der Union Südamerikanischer Nationen wird die Wahlen beobachten.[33]

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Tjerk Brühwiller: Politischer Erdrutsch in Venezuela – Opposition gewinnt die Parlamentswahlen. In: Neue Zürcher Zeitung (Online), 7. Dezember 2015.
  2. Erdrutschsieg der Opposition in Venezuela – Maduro räumte Niederlage ein. ORF.at, 7. Oktober 2015.
  3. Erdrutschsieg für Venezuelas Opposition. DW, 7. Dezember 2015.
  4. Chavismus vor dem Ende?, Tagesschau.de, 6. Dezember 2015
  5. Venezuela: Maduros Machterhaltsmanöver, DiePresse, 28. Dezember 2015
  6. Regierung besetzt Supermärkte, NZZ, 3. Februar 2015
  7. Thomas Jäger, Anna Daun, Daniel Lambach, Carmen Lopera, Bea Maass, Britta Margraf: Die Tragödie Kolumbiens: Staatszerfall, Gewaltmärkte und Drogenökonomie; Springer-Verlag 2008, ISBN 9783531905686, Seite 246
  8. Alexandra Ulmer: Venezuela to hold parliamentary election on December 6; Reuters vom 22. Juni 2015, online
  9. Matthias Rüb:Wahlen in Venezuela - Bitte schauen Sie jetzt nicht; in: FAZ vom 31. Juli 2015, online
  10. Daniel Pardo: Venezuela charges Caracas mayor Ledezma over ‘conspiracy’. BBC, 21. Februar 2015, abgerufen am 22. Februar 2015.
  11. avn.info.ve
  12. Tjerk Brühwiller: Caracas in Geldnot – Ölpreis stürzt Venezuela ins Elend. In: Neue Zürcher Zeitung (Online), 28. Januar 2015.
  13. „Druck auf Venezuelas Opposition nimmt zu“; in: Deutsche Welle vom 18. Juli 2015; online
  14. Andreas Fink: Schöne Bescherung. In: Tages-Anzeiger (Online), 4. Dezember 2015.
  15. Wahlen in Venezuela – Chávez' Erben zittern um die Macht. N-tv.de, 6. Dezember 2015.
  16. Oppositioneller bei Wahlveranstaltung in Venezuela erschossen. In: Die Welt (Online), 27. November 2015
  17. Wolfgang Kunath: Venezuela – Mord im Wahlkampf. In Frankfurter Rundschau (Online), 28. November 2015.
  18. Divulgación Elecciones Parlamentarias – CNE, 8. Dezember 2015.
  19. Integración de la Asamblea Nacional por partido político. (Memento vom 31. Juli 2017 im Internet Archive) In: El Universal (Online), 10. Dezember 2015.
  20. Offizielles Wahlergebnis in Venezuela: Staatschef Maduro ruft seine Minister zum Rücktritt auf. In: Spiegel Online, 9. Dezember 2015.
  21. Anne-Katrin Mellmann: Parlamentswahl in Venezuela – Opposition holt Zweidrittelmehrheit. Tagesschau.de, 9. Dezember 2015.
  22. Streit um drei Mandate ; in TAZ vom 4. Januar 2016, online
  23. Carl Moses: Bildersturm in Caracas; in: FAZ vom 9. Januar 2016, S. 6
  24. Venezuela: Oberster Gerichtshof legt Parlamentsarbeit lahm; in Spiegel online, online
  25. NZZ, 14. Dezember 2015, Seite 2
  26. Entmachtung des Parlaments in Venezuela; in: TAZ vom 31. März 2017
  27. MUD insiste en que OEA, ONU y UE acompañen comicios (El Universal)
  28. Regierung Brasiliens wird keine Beobachter nach Venezuela schicken (Diário do Poder)
  29. Expresidentes piden observación internacional (El Nacional)
  30. Eurodiputado sobre Venezuela (El Universal)
  31. Brief der OAS an Tibisay Lucena (auf Spanisch)
  32. Oppositionsbeobachter wurden bei Übungen für die Wahlen von Militärs aus einem Wahlzentrum herausgeworfen (El Nacional) (Memento vom 20. Oktober 2015 im Internet Archive)
  33. Venezuelan Elections to Be Observed by UNASUR Electoral Mission