Otto Zwierlein

deutscher Klassischer Philologe

Otto Zwierlein (* 5. August 1939 in Hollstadt) ist ein deutscher Klassischer Philologe.

LebenBearbeiten

Zwierlein studierte von 1960 bis 1965 Klassische Philologie, Geschichte und Mittellateinische Philologie an den Universitäten zu Würzburg, Basel und an der Freien Universität Berlin, wo er 1965 zum Dr. phil. promoviert wurde. Anschließend war er bis zu seiner Habilitation 1970 wissenschaftlicher Assistent am Seminar für Mittellateinische Philologie der Freien Universität, anschließend wissenschaftlicher Rat und Professor. 1971 erhielt er einen Ruf als ordentlicher Professor an die Universität Hamburg, 1979 nach Bonn. 1986 war er Nellie Wallace Lecturer an der University of Oxford, 1990–91 Visiting Mellon Professor am Institute for Advanced Study in Princeton. 2004 wurde er emeritiert.

Zwierlein betreute insgesamt 25 Doktoranden, darunter Thomas Klein, Rainer Jakobi, Christine Schmitz, Jürgen Paul Schwindt, Marcus Deufert, Alexander Arweiler, Wilfried Lingenberg und Thomas Riesenweber.

Otto Zwierlein ist seit 1969 mit der Archäologin Erika Zwierlein-Diehl verheiratet; gemeinsam haben sie drei Kinder: die Anglistin Anne-Julia Zwierlein (* 1971), den Historiker Cornel Zwierlein (* 1973) und den Physiker Martin Zwierlein (* 1977).

ForschungsschwerpunkteBearbeiten

Zwierlein beschäftigt sich mit den Tragödien Senecas und den Komödien des Plautus und Terenz, außerdem mit antiker und mittellateinischer Epik. Daneben bilden spätlateinische Kommentare, Überlieferungsgeschichte, Editionstechnik, Echtheitskritik und andere Disziplinen der Textkritik ein wichtiges Betätigungsfeld. Seit 2004 beschäftigt sich Zwierlein besonders mit den literarischen Quellen zur Geschichte des frühen Christentums.

Thesen zur PetrustraditionBearbeiten

Zwierlein unterzog die literarischen Quellen zur Petrustradition einer konsequenten Quellenkritik, in deren Rahmen zahlreiche Echtheits-, Datierungs- und Abhängigkeitsfragen neu beantwortet und als deren Resultat sämtliche Angaben zu einer angeblichen Lebensphase des Petrus in Rom angezweifelt wurden. Sie seien sämtlich das Ergebnis spekulativer Fiktionsbildungen des 2. Jahrhunderts n. Chr. ohne jeden Anhaltspunkt in älteren Quellen. Weder sei Petrus erster Bischof von Rom gewesen (er habe vielmehr neben dem Herrenbruder Jakobus eine zentrale Rolle in der Gemeinde von Jerusalem gespielt), noch habe er Rom überhaupt jemals besucht, einen über Palästina und allenfalls die östlichen Provinzen Kleinasiens hinausreichenden Einfluss habe er niemals ausgeübt, und auch bei seinem Martyrium handle es sich um ein späteres Konstrukt aus missdeuteten und willkürlich zusammengezogenen Angaben der älteren Texte, die aber, richtig interpretiert, keinerlei Anhaltspunkt für eine solche Annahme böten.[1] Diese These wurde teils positiv aufgenommen[2], teils kritisiert. Aus inhaltlichen Gründen und wegen ihrer weitreichenden Konsequenzen für die Grundlegung der Stellung des Papsttums innerhalb der römisch-katholischen Kirche, den Papstprimat, begründet durch die sogenannte Apostolische Sukzession, erfuhr sie heftigen Widerspruch sowohl seitens des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft[3] als auch seitens der Sektion für Altertumswissenschaft der Görres-Gesellschaft[4], welcher von Zwierlein als unberechtigt zurückgewiesen wurde[5]. Aus der Alten Geschichte kamen teils reservierte Stellungnahmen[6], denen jedoch ebenso viele positive gegenüberstehen[7]. Inzwischen existiert auch eine Zusammenfassung des kontroversen Disputs der letzten Jahre.[8] Teilaspekte dieser These, insbesondere der Zeugniswert des ‚Ignatius von Antiochien‘, behandelt Zwierlein in einer 2014 erschienenen zweibändigen Studie.[9]

MitgliedschaftenBearbeiten

Zwierlein ist seit 1980 korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz[10], seit 1989 Mitglied der Academia Europaea,[11] seit 1991 Corresponding Fellow der British Academy. Seit 1998 ist er ordentliches Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften.

1981 bis 1990 war Zwierlein Fachgutachter und Mitglied des Auswahlausschusses der Alexander von Humboldt-Stiftung und 1996 Mitglied des Graduiertenkollegs „Der Kommentar in Antike und Mittelalter“.

SchriftenBearbeiten

  • Der Terenzkommentar des Donat im Codex Chigianus H VII 240. De Gruyter, Berlin 1970
  • Prolegomena zu einer kritischen Ausgabe der Tragödien Senecas. Franz Steiner Verlag, Wiesbaden 1984
  • Kritischer Kommentar zu den Tragödien Senecas. Franz Steiner Verlag, Wiesbaden 1986
  • (Hrsg.) Seneca Tragoediae. Oxford University Press, Oxford 1986
  • Zur Kritik und Exegese des Plautus II. Miles gloriosus; Franz-Steiner-Verlag, Wiesbaden 1998
  • Die Ovid- und Vergil-Revision in tiberischer Zeit; De Gruyter, Berlin 1999
  • Antike Revisionen des Vergil und Ovid. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 2000
  • Die Wölfin und die Zwillinge in der römischen Historiographie. Schöningh, Paderborn 2003
  • Lucubrationes Philologae. De Gruyter, Berlin 2004
  • Hippolytos und Phaidra: Von Euripides bis D’Annunzio. Schöningh, Paderborn 2006
  • Petrus in Rom: Die literarischen Zeugnisse. Mit einer kritischen Edition der Martyrien des Petrus und Paulus auf neuer handschriftlicher Grundlage (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte Bd. 96); De Gruyter, Berlin 2009, 2., durchgesehene und ergänzte Auflage 2010. Inhaltsverzeichnis online (PDF; 475 KB) Rezension von Pieter W. van der Horst, Rezension von Tassilo Schmitt, Rezension von Mario Ziegler
  • Kritisches zur Römischen Petrustradition und zur Datierung des Ersten Clemensbriefes, in: Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 13 (2010), S. 87–157 online
  • Petrus in Rom? Die literarischen Zeugnisse, in: Stefan Heid (Hrsg.): Petrus und Paulus in Rom. Eine interdisziplinäre Debatte. Herder, Freiburg – Basel – Wien 2011, S. 444–467
  • Petrus und Paulus in Jerusalem und Rom. Vom Neuen Testament zu den apokryphen Apostelakten. De Gruyter, Berlin 2013
  • Die Urfassungen der Martyria Policarpi et Pionii und das Corpus Polycarpianum. 2 Bände, De Gruyter, Berlin 2014 ISBN 978-3-11-037100-0 (Band 1: Editiones criticae, Band 2: Textgeschichte und Rekonstruktion).

WeblinksBearbeiten

EinzelnachweiseBearbeiten

  1. Otto Zwierlein: Petrus in Rom. Die literarischen Zeugnisse. De Gruyter, Berlin, 2., durchgesehene und ergänzte Auflage 2010.
  2. Pieter W. van der Horst: Rezension zu Otto Zwierlein, Petrus in Rom; in: Bryn Mawr Classical Review 2010.03.25 (online), wo es u. a. heißt: Zwierlein presents a strong case and his conclusions have a great historical plausibility (although orthodox Catholic scholars will certainly try to disprove them).
  3. Christian Gnilka, Stefan Heid, Rainer Riesner: Blutzeuge. Tod und Grab des Petrus in Rom. Schnell & Steiner, Regensburg 2010.
  4. Stefan Heid (Hrsg.): Petrus und Paulus in Rom. Eine interdisziplinäre Debatte. Herder, Freiburg - Basel - Wien 2011.
  5. Otto Zwierlein: Kritisches zur römischen Petrustradition und zur Datierung des Ersten Clemensbriefes, in: Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 13 (2010), S. 87–157.
  6. Mario Ziegler: Rezension zu: Zwierlein, Otto: Petrus in Rom. Die literarischen Zeugnisse. Mit einer kritischen Edition der Martyrien des Petrus und Paulus auf neuer handschriftlicher Grundlage. Berlin 2009, in: H-Soz-u-Kult, 14. Dezember 2009 (online); Tassilo Schmitt: Otto Zwierlein: Petrus in Rom. In: Sehepunkte 10, 2010 (online). Zur Korrektur sachlich fragwürdiger Argumente in dieser Rezension vgl. aber O. Zwierlein, Kritisches zur römischen Petrustradition und zur Datierung des Ersten Clemensbriefes, in: Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 13 (2010), S. 112 mit Anm. 94 und S. 151–152 mit Anm. 217.
  7. William V. Harris: Time of bones, in: TLS, 13. Mai 2011, S. 5; Bernd Kollmann: Rezension zu: Zwierlein, Otto: Petrus in Rom. Die literarischen Zeugnisse. Mit einer kritischen Edition der Martyrien des Petrus und Paulus auf neuer handschriftlicher Grundlage. Berlin 2009, in: Klio 93 (2011), S. 266–268, mit dem Fazit: Insgesamt ist Z.s Werk allein schon aufgrund der Neuedition der Martyrien des Petrus und des Paulus von hohem Wert. Darüber hinaus bietet es ein kritisches Korrektiv zur gängigen Petrus-Rom-Hypothese und schärft das Bewußtsein dafür, daß die oft allzu selbstverständliche Annahme von der Tätigkeit und dem Märtyrertod des Petrus in Rom nicht nur unter archäologischen Gesichtspunkten, sondern auch von den literarischen Zeugnissen her auf tönernen Füßen steht.
  8. Petrus in Rom: Interview mit Otto Zwierlein (2013) (deutsche Fassung, PDF, 340 kB) (English version, PDF, 335 kB)
  9. Otto Zwierlein: Die Urfassungen der Martyria Polycarpi et Pionii und das Corpus Polycarpianum, 2 Bde. (UaLG 116/1 und 116/2), Berlin/Boston 2014 (Band 1: Editiones criticae. Mit armenisch-deutschem Text und englischer Übersetzung von D. Kölligan; Band 2: Textgeschichte und Rekonstruktion. Polykarp, Ignatius und der Redaktor Ps.-Pionius).
  10. Mitgliedseintrag von Otto Zwierlein bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, abgerufen am 6.11.17
  11. Eintrag auf der Internetseite der Academia Europaea