Ortsgrammatiken sind grammatische Beschreibungen von Ortsdialekten, d. h. sehr kleinräumiger Dialektbereiche, wie einzelne Dörfer, Städte oder sehr kleine Regionen. Die Ortsgrammatiken verdanken ihre Bedeutung und Berechtigung der Tatsache, dass Dialekte selbst benachbarter Orte sich in aller Regel unterscheiden.

Zur Einordnung von Ortsgrammatiken Bearbeiten

Die meisten Sprachen weisen regionale Varietäten auf. Die größten regionalen Varietäten sind im Fall des Hochdeutsch zum Beispiel die ober- und mittelniederdeutschen Dialekte und entsprechend die west- und ostniederdeutschen Dialekte innerhalb des Plattdeutschen. Da auch diese Großraumdialekte sich über weite Regionen erstrecken, lassen sie sich wiederum in kleinere Dialekträume einteilen. Auch diese sind nicht einheitlich; sie unterscheiden sich vielmehr von Ort zu Ort. Ortsgrammatiken sind nun Grammatiken für diese kleinräumigste regionale Spracheinheit, die als „unterste Verständigungsgemeinschaft (also oberhalb der familiären oder individuellen Sprechweise)“[1] aufgefasst wird.

Ein Beispiel Bearbeiten

Einer der drei Dialektgroßräume des Deutschen ist das Mitteldeutsche. Dieses teilt sich in ein West- und ein Ostmitteldeutsch. Zum Westmitteldeutschen gehören als immer noch relativ große Dialekträume Ripuarisch, Moselfränkisch, Rheinfränkisch und Hessisch.[2] Jeder dieser kleineren Dialekträume enthält wiederum kleinräumigere Bereiche: Das Moselfränkische von Trier ist anders als z. B. das von Koblenz. Damit ist die Ebene der Ortsdialekte erreicht. Es ist die Aufgabe der Ortsgrammatiken, die Besonderheiten der Sprechweisen der einzelnen Orte zu erfassen. Schaut man aber beispielsweise in eine Ortsgrammatik von Koblenz,[3] so erfährt man, dass diese Ortsmundart deutliche Lautunterschiede zwischen Altstadt und Vororten aufweist.

Zur Bedeutung der Ortsgrammatiken Bearbeiten

Die Tradition der Ortsgrammatiken beginnt mit Jost Winteler (1876).[4] Inzwischen gibt es eine Fülle solcher Ortsgrammatiken, deren Schwerpunkt meist das Lautsystem ist, oft ergänzt um eine Darstellung der Flexion. Auch weitere Bereiche der Grammatik sind teilweise berücksichtigt. Manche Grammatiken werden außerdem durch Wortlisten oder anderen Beschreibungen des Wortschatzes ergänzt.

Ortsgrammatiken bilden die Grundlage für die Betrachtung der größeren Dialekträume, zu denen die von ihnen beschriebenen Ortsdialekte gehören, und sind ein «unentbehrliches Instrument der Grundlagenforschung».[5]

Siehe auch Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Helmut Glück (Hrsg.), unter Mitarbeit von Friederike Schmöe: Metzler Lexikon Sprache. 3., neu bearbeitete Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2005, ISBN 3-476-02056-8.
  • Ingo Reiffenstein: Das phonetische Beschreibungsprinzip als Ergebnis junggrammatischer und dialektologischer Forschungsarbeiten. In: Dialektologie. Ein Handbuch zur deutschen und allgemeinen Mundartforschung (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Band 1.1). Hrsg. von Werner Besch, Ulrich Knoop, Wolfgang Putschke, Herbert Ernst Wiegand. Erster Halbband. Walter de Gruyter, Berlin / New York 1982, S. 23–38.
  • Peter Wiesinger, Elisabeth Raffin: Bibliographie zur Grammatik der deutschen Dialekte. Laut-, Formen-, Wortbildungs- und Satzlehre. 1800–1980. Bern/Frankfurt am Main 1982; dazu ein Nachtragsband von 1987.

Weblinks Bearbeiten

Wiktionary: Ortsgrammatik – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Glück 2005: 463
  2. Einteilung nach: Werner König: dtv-Atlas Deutsche Sprache. 15., durchgesehene und aktualisierte Auflage. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2005, S. 230f.
  3. Abriss in: Hannelore Graeber: Neues Wörterbuch der Koblenzer Mundart. 2. Auflage. Fuck, Koblenz 1992, ISBN 3-9803142-2-7.
  4. Hadumod Bußmann (Hrsg.): Lexikon der Sprachwissenschaft. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. Kröner, Stuttgart 2002, ISBN 3-520-45203-0, S. 488–489.
  5. Ingo Reiffenstein: Das phonetische Beschreibungsprinzip als Ergebnis junggrammatischer und dialektologischer Forschungsarbeiten. In: Dialektologie. Ein Handbuch zur deutschen und allgemeinen Mundartforschung (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Band 1.1). Hrsg. von Werner Besch, Ulrich Knoop, Wolfgang Putschke, Herbert Ernst Wiegand. Erster Halbband. Walter de Gruyter, Berlin / New York 1982, S. 23–38, hier S. 35.