Operation Grenzstein

nachrichtendienstliche Operation der ČSSR während des Kalten Krieges

Operation Grenzstein (tschechisch: Akce Kameny) war eine nachrichtendienstliche Operation der Tschechoslowakei während des Kalten Krieges von 1948 bis 1951, die zum Ziel hatte, Republikflüchtige zu stellen.[1] Anderen Quellen zufolge endete die Operation erst im Jahr 1958.[2] Die Idee zu der Operation geht auf Oberst Antonin Prchal zurück, der nach dem Februarumsturz versuchte, die Flucht tschechoslowakischer Bürger nach Westdeutschland zu unterbinden.[2]

Lage der fingierten Grenzanlagen im heutigen Tschechien

Durchführung der Operation Bearbeiten

 
US-amerikanische Besatzungszone mit Grenze zwischen dem Bundesland Bayern und der Tschechoslowakei

Von der Staatssicherheit Státní bezpečnost (StB) wurden nach der Übernahme der politischen Kontrolle durch die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei im Februar 1948 Teile der Grenzbefestigungen der Tschechoslowakei innerhalb der Tschechoslowakei etwa 50 Kilometer entfernt von der Grenze zur US-amerikanischen Besatzungszone in Deutschland als falsche Grenze errichtet.[3][4][1][5] Die fingierten Grenzanlagen, die in der Nähe von , Cheb, Marienbad, Chodský Újezd, Domažlice, Kdyně sowie Všeruby u Kdyně entstanden, umfassten Schranken, Schilder, Grenzsteine, Verwaltungsgebäude und Grenzhäuschen.[1][6][7] Damit folgte die Tschechoslowakei dem Vorbild der Gestapo sowie dem Innenministerium der UdSSR (NKWD).[3][4]

Die falschen Grenzanlagen wurden in den 1940er und 1950er Jahren von der Geheimpolizei dazu genutzt, Flüchtlinge, die den Eisernen Vorhang überwinden und das Land verlassen wollten, zu fassen.[1] Nicht wenige der gefassten Flüchtlinge waren zuvor von verdeckt operierenden StB-Agenten, die sich als antikommunistische Untergrundkämpfer ausgaben, zur Flucht überredet worden.[8][1] Hatten Republikflüchtige die gefälschten Grenzübergänge hinter sich gelassen und wähnten sie sich in Sicherheit, wurden sie von angeblichen Agenten des US-amerikanischen Counter Intelligence Corps zur Spionageabwehr befragt.[8][1] Durch Fragen über Verbindungen zum Untergrund erhielt die Staatssicherheit die Personalien weiterer Regimefeinde, die ebenso wie die Republikflüchtigen in Straflagern landeten.[1] Im Gespräch mit den vermeintlichen US-amerikanischen Militärs gaben die Flüchtigen bereitwillig Auskunft darüber, wer aus ihrer Familie oder Bekanntenkreis bereit wäre, im Fall des Sturzes des kommunistischen Regimes den US-Amerikanern zu helfen, in der Annahme, dies geschehe zum Vorteil der genannten Personen.[9][10][1] In einigen Fällen wurden die Opfer im Glauben gelassen, sie seien nach der Vernehmung durch die vermeintlichen US-Amerikaner auf offener Straße von der tschechoslowakischen Polizei im Ausland entführt worden.[8][10][1] Ebenso wurden einzelne Flüchtlinge von den vermeintlichen US-amerikanischen Grenzbeamten an die tschechoslowakische Polizei übergeben, nachdem ihnen der Antrag auf Asyl verweigert wurde.[7][1] So erging es Major Josef Hnatek, einem ehemaligen Piloten der britischen Royal Air Force.[10][11] Aus den Gefängnissen drang diese Falschinformation an die Bevölkerung, die angesichts der vermeintlichen Ablehnung von Flüchtlingen durch die USA ihre Versuche der Republikflucht reduzierte.[7][1]

Reaktionen des Auslands Bearbeiten

Die Vereinigten Staaten von Amerika erhielten zeitnah nach Beginn der Operation Grenzstein detaillierte Kenntnis von der Operation durch Stanislav Liška, Polizeichef von Všeruby und Beteiligter an der Operation Grenzstein.[12] Der offizielle Protest der USA gegen den Missbrauch US-amerikanischer Uniformen und Hoheitszeichen vom 15. Juni 1948 sowie dem 2. Juli 1948 wurde von der tschechoslowakischen Regierung zurückgewiesen.[13][1][11] Eine Untersuchung habe „nicht die geringste Spur oder den Verdacht für einen Missbrauch amerikanischer Hoheitszeichen oder von Bildern amerikanischer Staatsmänner“ ergeben.[1]

Erst nachdem Radio Free Europe über die Operation Grenzstein berichtete, wurde die nachrichtendienstliche Operation des StB durch Rudolf Barák eingestellt.[14][2]

Aufarbeitung Bearbeiten

Historiker schätzen, die Operation Grenzstein habe fast 300 Gefängnisstrafen zur Folge gehabt, wobei 16 Flüchtlinge zum Tode verurteilt wurden.[1][15] Etliche der Opfer nahmen sich infolge der Festnahme das Leben.[1]

Die Abteilung für die Aufklärung kommunistischer Verbrechen im Prager Innenministerium arbeitet die auf mehr als 10.000 Seiten dokumentierten Vorfälle seit 2012 auf. Dabei wurden 2013 strafrechtliche Ermittlungen gegen mutmaßliche Täter eingeleitet.[1]

Seit 1996 dürfen tschechische Bürger Einsicht in die Akten nehmen.[6]

Filmische Rezeption Bearbeiten

Der 2007 erschienene tschechische Fernsehfilm Swingtime von Regisseur Jaromír Polisenský thematisierte die Operation Grenzstein.[16]

Im Tatort: Grenzfall (2015) wurde die Operation Grenzstein im Grenzgebiet zu Österreich thematisiert, allerdings wurde sie historisch inkorrekt in die Zeit des Prager Frühlings eingebettet.[17][5]

Oliver Halmburger drehte einen Dokumentationsfilm (Geschichte im Ersten: Vergessene Grenze. Erstausstrahlung 28. März 2022 23:50 Uhr).[18]

Theater-Adaption Bearbeiten

Am 20. Oktober 2018 fand am Staatsschauspiel Dresden die Uraufführung des Stücks Operation Kamen statt. Dies entstand in einer Koproduktion mit dem Archa Theater Prag unter Regie von Florian Fischer.[19]

Im Sommer 2022 führte das Theater OVIGO eine zweisprachige Theaterwanderung mit dem Titel "Fingierte Grenzen – Auf den Spuren der Aktion ‚Kámen'" auf. Bei der 4 km langen grenzüberschreitenden Wanderung wurden vier historische Fälle aufgegriffen.[20]

Am 14. Juli 2023 feierte das Musical „Kalte Freiheit“, ein Auftragswerk der Luisenburg-Festspiele Wunsiedel, Premiere in Wunsiedel.[21]

Literatur Bearbeiten

  • Igor Lukes: KAMEN: A Cold War Dangle Operation with an American Dimension, 1948–52 (Studies in Intelligence Vol. 55, No. 1) (Extracts, March 2011)
  • Igor Lukes: On the Edge of the Cold War: American Diplomats and Spies in Postwar Prague, S. 217 ff., Oxford University Press, New York 2012, ISBN 978-0195166798
  • Václava Jandečková: Fingierte Grenze – Aktion "KÁMEN": Opfer und Täter geheimer Grenzoperationen der tschechoslowakischen Staatssicherheit 1948–1951. Band 1, LIT Verlag, Berlin/Münster 2001, ISBN 978-3-643-25015-5
  • Richard C. S. Trahair: Encyclopedia of Cold War Espionage, Spies, and Secret Operations. Enigma Books, 2013, ISBN 978-1-936274-26-0, S. 612 (Volltext in der Google-Buchsuche).
  • Joseph Frolik: The Frolik Defection. Leo Cooper, London 1975.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b c d e f g h i j k l m n o p Spiegel Online: Geheimdienstverbrechen in der CSSR: Flüchtlingsfalle an der falschen Grenze, einestages, Tabea Rossol, 1. November 2013
  2. a b c Richard C. S. Trahair: Encyclopedia of Cold War Espionage, Spies, and Secret Operations. Enigma Books, 2013, ISBN 978-1-936274-26-0, S. 612 (Volltext in der Google-Buchsuche).
    Joseph Frolik: The Frolik Defection. Leo Cooper, London 1975.
  3. a b Central Intelligence Agency: Ensnaring the Unwitting in Czechoslovakia – KAMEN: A Cold War Dangle Operation with an American Dimension, 1948–52 (Memento vom 12. Juli 2020 im Internet Archive), in: Studies in Intelligence Vol. 55, No. 1, Igor Lukes, March 2011, S. 1
  4. a b Central Intelligence Agency: Ensnaring the Unwitting in Czechoslovakia – KAMEN: A Cold War Dangle Operation with an American Dimension, 1948–52 (Memento vom 12. Juli 2020 im Internet Archive), in: Studies in Intelligence Vol. 55, No. 1, Igor Lukes, March 2011, S. 2
  5. a b Bild: „Tatort“-Inspektor | Gab es die falsche Tschechen-Grenze wirklich?, Nicole Richter, Lena Kappei, 8. März 2015
  6. a b RP Online: Wie die tschechische Stasi Jagd auf Flüchtlinge machte, Prag, Rudolf Gruber, 27. August 2012
  7. a b c Central Intelligence Agency: Ensnaring the Unwitting in Czechoslovakia – KAMEN: A Cold War Dangle Operation with an American Dimension, 1948–52 (Memento vom 12. Juli 2020 im Internet Archive), in: Studies in Intelligence Vol. 55, No. 1, Igor Lukes, March 2011, S. 4
  8. a b c Central Intelligence Agency: Ensnaring the Unwitting in Czechoslovakia – KAMEN: A Cold War Dangle Operation with an American Dimension, 1948–52 (Memento vom 12. Juli 2020 im Internet Archive), in: Studies in Intelligence Vol. 55, No. 1, Igor Lukes, March 2011, S. 3
  9. Central Intelligence Agency: Ensnaring the Unwitting in Czechoslovakia – KAMEN: A Cold War Dangle Operation with an American Dimension, 1948–52 (Memento vom 12. Juli 2020 im Internet Archive), in: Studies in Intelligence Vol. 55, No. 1, Igor Lukes, March 2011, S. 5
  10. a b c Central Intelligence Agency: Ensnaring the Unwitting in Czechoslovakia – KAMEN: A Cold War Dangle Operation with an American Dimension, 1948–52 (Memento vom 12. Juli 2020 im Internet Archive), in: Studies in Intelligence Vol. 55, No. 1, Igor Lukes, March 2011, S. 7
  11. a b suite101.de: Aktion Grenzstein: Falsche Grenze lockt Flüchtlinge ins Verderben, Patrick Bernig, 4. Juli 2013
  12. Central Intelligence Agency: Ensnaring the Unwitting in Czechoslovakia – KAMEN: A Cold War Dangle Operation with an American Dimension, 1948–52 (Memento vom 12. Juli 2020 im Internet Archive), in: Studies in Intelligence Vol. 55, No. 1, Igor Lukes, March 2011, S. 7–9.
  13. CIA: Ensnaring the Unwitting in Czechoslovakia – KAMEN: A Cold War Dangle Operation with an American Dimension, 1948–52 (Memento vom 12. Juli 2020 im Internet Archive), in: Studies in Intelligence Vol. 55, No. 1, Igor Lukes, March 2011, S. 8
  14. waldberge.de: Das vergessene Tal, Český Les, abgerufen am 17. März 2015
  15. Deutschlandradio: Fingierte Grenzen als Flüchtlingsfalle: Die Aktion „Grenzstein“ in der ehemaligen Tschechoslowakei, Kilian Kirchßner, 23. August 2012
  16. Swingtime bei IMDb
  17. Stern: „Tatort“-Kritik: Vor lauter Gehopse die Geschichte vergessen, Sophie Albers Ben Chamo, 8. März 2015
  18. daserste.de (42 Minuten)
  19. Operation Kamen. www.staatsschauspiel-dresden.de, abgerufen am 22. Oktober 2018.
  20. OVIGO Theater: "Fingierte Grenzen - Akion 'Kámen' Auftakt | OVIGO Theater. 1. Juni 2022, abgerufen am 28. Juli 2022 (deutsch).
  21. Christof Kaldonek: KALTE FREIHEIT feiert Premiere. In: Luisenburg-Festspiele Wunsiedel. 12. Juli 2023, abgerufen am 6. November 2023 (deutsch).

Weblinks Bearbeiten