N-Methyliminodiessigsäure

chemische Verbindung

N-Methyliminodiessigsäure ist ein dreizähniger Komplexbildner, der Chelatkomplexe mit Kationen mit einer Ladungszahl von mindestens +2, z. B. den „Wasserhärte-bildnern“ Ca2+ oder Mg2+ bildet. Als MIDA-Schutzgruppe in Borsäureestern, den so genannten Burke-Boronaten,[4] spielt N-(Carboxymethyl)-N-methylglycin eine wichtige Rolle z. B. in Suzuki-Miyaura-Kupplungen.

Strukturformel
Strukturformel von N-Methyliminodiessigsäure
Allgemeines
Name N-Methyliminodiessigsäure
Andere Namen
  • N-(Carboxymethyl)-N-methylglycin
  • 2-[Carboxymethyl(methyl)amino]essigsäure
  • MIDA
Summenformel C5H9N2O4
Kurzbeschreibung

farbloser kristalliner Feststoff[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 4408-64-4
EG-Nummer 224-557-6
ECHA-InfoCard 100.022.326
PubChem 20441
ChemSpider 19251
Wikidata Q55718181
Eigenschaften
Molare Masse 147,13 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Schmelzpunkt
  • 220 °C unter Zersetzung[2]
  • 223–225 °C unter Zersetzung[1]
  • 226–227 °C unter Zersetzung[3]
Löslichkeit

leicht löslich in Wasser, schlecht löslich in Dimethylsulfoxid,[1] in Ethanol und Diethylether praktisch unlöslich[3]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[2]
Gefahrensymbol

Achtung

H- und P-Sätze H: 315​‐​319​‐​335
P: 261​‐​305+351+338[2]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Herstellung Bearbeiten

Die Darstellung von N-Methyliminodiessigsäure wurde bereits 1894 von Wilhelm Eschweiler aus Methylamin und Glycolnitril (hier „Methylencyanhydrin“ genannt) beschrieben.[3]

 
Synthese von N-Methyliminodiessigsäure aus Glycolnitril

MIDA (hier „Methyldiglycolamidsäure“ genannt) wird nach Hydrolyse des N-Methyliminodiacetonitrils „in gut ausgebildeten, farblosen Säulen erhalten.“

Die Reaktion von Methylamin mit Monochloressigsäure liefert MIDA in 63- bis 71%iger Ausbeute.[5]

 
Synthese von N-Methyliminodiessigsäure mit Monochloressigsäure

Bei der Umsetzung von Iminodiessigsäure IDA mit einem Gemisch aus Ameisensäure und Formaldehyd entsteht N-Methyliminodiessigsäure in 83%iger Ausbeute.[6]

 
Synthese von N-Methyliminodiessigsäure nach Eschweiler-Clarke

In jüngerer Zeit wurde eine ausführliche Prozessbeschreibung für diese Eschweiler-Clarke-Methylierung publiziert, nach der MIDA als weißes Pulver in 88%iger Ausbeute erhalten wird.[7]

Da Iminodiessigsäure als Schlüsselrohstoff in zwei Standardverfahren für die Herstellung des Herbizids Glyphosat in Großmengen zur Verfügung steht, sollte diese Route derzeit die ökonomisch sinnvollste sein.

Eigenschaften Bearbeiten

N-Methyliminodiessigsäure ist ein Feststoff, der als weißes Kristallpulver anfällt und in Wasser gut, in Dimethylsulfoxid und Ethanol nur wenig löslich bzw. praktisch unlöslich ist. Zur Reinigung kann die Substanz in warmem Wasser gelöst und durch Zugabe von Methanol ausgefällt werden.[5]

Anwendungen Bearbeiten

Die deutlich niedrigeren Komplexbildungskonstanten von N-Methyliminodiessigsäure gegenüber mehrwertigen Metallionen im Vergleich zu Standardverbindungen, wie z. B. Nitrilotriessigsäure NTA,[8] (für Ca2+ 3,75 gegenüber 6,41 für NTA) machen MIDA als Komplexbildner für technische Anwendungen uninteressant.

Dagegen hat N-Methyliminodiessigsäure in den letzten Jahren erhebliche Bedeutung als Schutzgruppe in funktionellen Borsäureestern, den so genannten MIDA-Boronaten oder – nach dem Autor der Erstveröffentlichung Martin D. Burke – „Burke boronates“ erlangt.[9]

 
Allgemeine Struktur eines MIDA-Boronats

MIDA-Boronate sind einfach zugänglich, problemlos handhabbar, an Luft stabil und bei Raumtemperatur mit verdünnten Basen, wie z. B. mit einmolarer Natronlauge, in die entsprechenden Borsäuren rückspaltbar.[7]

 
Synthese von 2-Bromthienyl-MIDA-Boronat

Sie haben sich als wertvolle Reagentien erwiesen wegen der besonderen Robustheit der MIDA-Boronate (im Gegensatz zu vielen empfindlichen funktionellen Borsäuren), ihrer guten Löslichkeit in verschiedenen organischen Lösungsmitteln und insbesondere ihrer Eigenschaft zur langsamen Freisetzung der synthetisch aktiven Borsäuren in Gegenwart milder Basen, wie z. B. Kaliumphosphat K3PO4, bei der Suzuki-Miyaura-Kupplung, sowie der Eignung zu iterativen Kreuzkupplungen.[10]

 
Suzuki-Miyaura-Kupplung mit MIDA-Boronaten

Eine Vielzahl von MIDA-Boronaten mit aromatischen (A), heteroaromatischen (B) oder Vinyl-(C) Substituenten ist beschrieben und kommerziell verfügbar (s. Beispiele).

 
Beispiele für MIDA-Boronate

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b c I. Dailey, M.D. Burke: N-(Carboxymethyl)-N-methyl-glycine. In: e-EROS Encyclopedia of Reagents for Organic Synthesis. 2010, doi:10.1002/047084289X.rn01228.
  2. a b c Datenblatt Methyliminodiessigsäure, 99 % bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 16. Juli 2018 (PDF).
  3. a b c A. Eschweiler: Ueber einige Acetonitrile. In: Justus Liebigs Ann. Chem. Band 278, Nr. 2, 1894, S. 229–239, doi:10.1002/jlac.18942780207.
  4. MIDA Boronates. In: Sigma-Aldrich, Chemical Synthesis. Sigma-Aldrich, abgerufen am 18. Juli 2018.
  5. a b G.J. Berchet: Methyliminodiacetic acid In: Organic Syntheses. 18, 1938, S. 56, doi:10.15227/orgsyn.018.0056; Coll. Vol. 2, 1943, S. 397 (PDF).
  6. A.F. Childs et al.: Amines containing 2-halogenoethyl groups. In: J. Chem. Soc. 1948, S. 2174–2177, doi:10.1039/JR9480002174.
  7. a b S.G. Ballmer, E.P. Gillis, M.D. Burke: B-protected haloboronic acids for iterative cross-coupling In: Organic Syntheses. 86, 2009, S. 344–359, doi:10.15227/orgsyn.086.0344 (PDF).
  8. G. Schwarzenbach, G. Anderegg, W. Schneider, H. Senn: Komplexone XXVI. Über die Koordinationstendenz von N-substituierten Iminodiessigsäuren. In: Helv. Chim. Acta. Band 38, Nr. 5, 1955, S. 1147–1170, doi:10.1002/hlca.19550380509.
  9. E.P. Gillis, M.D. Burke: A Simple and Modular Strategy for Small Molecule Synthesis: Iterative Suzuki-Miyaura Coupling of B-Protected Haloboronic Acid Building Blocks. In: J. Am. Chem. Soc. Band 129, Nr. 21, 2008, S. 6716–6717, doi:10.1021/ja0716204.
  10. Iterative Cross-Coupling with MIDA Boronates: towards a General Strategy for Small-Molecule Synthesis. In: Aldrichimica Acta, 42 (1), pp. 17–29. Sigma-Aldrich, 2009, abgerufen am 18. Juli 2018.