Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel

Überblick über die Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel in der Mathematik
(Weitergeleitet von Mittelungleichung)

In der Mathematik besagt die Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel, dass das arithmetische Mittel von n Zahlen mindestens so groß wie das geometrische Mittel ist. Für war diese Ungleichung bereits Euklid bekannt; der erste Beweis für einen beliebigen Wert von wurde 1729 von Colin Maclaurin veröffentlicht.[1]

Formale Formulierung Bearbeiten

Die Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel lautet für nichtnegative Zahlen  

 

Die linke Seite der Ungleichung ist das geometrische Mittel und die rechte Seite das arithmetische Mittel. Es gilt genau dann Gleichheit, wenn   gilt.

Geometrische Interpretation Bearbeiten

 
Figur 1: Ungleichung:   (Veranschaulichung im Halbkreis)
 
Figur 2: Ungleichung:   (Veranschaulichung im Quadrat)

Ein Rechteck mit den Seiten   und   hat den Gesamtumfang  . Ein Quadrat mit dem gleichen Flächeninhalt hat den Umfang  . Für   besagt die Ungleichung

 

also, dass unter allen Rechtecken mit gleichem Inhalt   der Umfang mindestens

 

beträgt, wobei das Quadrat diesen geringsten Umfang hat.

Im Falle   sagt die Ungleichung aus, dass unter allen Quadern mit gleichem Volumen der Würfel die kleinste Kantenlänge insgesamt hat. Die allgemeine Ungleichung erweitert diese Idee auf   Dimensionen.

Trägt man für   die Längen   und   hintereinander auf einer Geraden ab und errichtet über den Enden der Strecke mit Länge   einen Halbkreis, so entspricht der Radius von jenem dem arithmetischen Mittel (Figur 1). Das geometrische Mittel ist dann die Länge des Lotes eines solchen Punktes auf dem Halbkreis auf die Strecke mit Länge  , für den das Lot durch den Übergangspunkt der Strecken   und   geht. Letzterer Zusammenhang folgt aus dem Satz des Thales und dem Höhensatz.

Eine weitere geometrische Veranschaulichung liefert Figur 2.[2][3] Ein Quadrat mit der Seitenlänge   lässt sich zerlegen in acht kongruente rechtwinklige Dreiecke mit den Kathetenlängen   und   und ein Quadrat mit der Seitenlänge  . Hieraus ergibt sich:

 
 
Vergleich von arithmetischem, geometrischem und weiteren Mittelwerten zweier positiver reeller Zahlen   und   in dimensionsloser Darstellung

Beweise Bearbeiten

Für den Fall, dass ein   gleich Null ist, ist das geometrische Mittel Null und die Ungleichung ist offensichtlich erfüllt; in den folgenden Beweisen kann daher   angenommen werden.

Beweis aus der jensenschen Ungleichung Bearbeiten

Die Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel lässt sich beispielsweise aus der jensenschen Ungleichung beweisen: die Logarithmusfunktion ist konkav, daher gilt

 

für positive   mit  .

Durch Anwendung der Exponentialfunktion auf beide Seiten folgt

 .

Für   ergibt das genau die Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel.

Beweis von Polya Bearbeiten

Von George Polya stammt ein Beweis, der lediglich die Beziehung   der Exponentialfunktion voraussetzt. Für   gilt dann

 .

Multipliziert man diese Ungleichungen für  , so erhält man

 ,

also

 

und somit

 .

Induktive Beweise Bearbeiten

Der Beweis aus der jensenschen Ungleichung und der Polya-Beweis sind zwar sehr leicht verständlich, haben aber den Nachteil, dass Vorwissen über die Logarithmusfunktion beziehungsweise der Exponentialfunktion benötigt wird. Für die Untersuchung der bei der Definition der Exponentialfunktion verwendeten Folge

 

kann aber die Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel hilfreich sein. Methodisch sind daher oft induktive Beweise zweckmäßiger; diese sind für die Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel aber relativ schwierig.

Beweis mit Vorwärts-Rückwärts-Induktion Bearbeiten

Ein induktiver Beweis der Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel kann mit einer so genannten »Vorwärts-Rückwärts-Induktion« geführt werden. Der Vorwärtsschritt leitet aus der Gültigkeit der Ungleichung für   diejenige für   ab und gehorcht dem Schema der gewöhnlichen vollständigen Induktion. Im sog. »Rückwärtsschritt« wird aus der Gültigkeit der Ungleichung für   die Gültigkeit für   hergeleitet.

Herleitung  

Fall 2:    
Für zwei Elemente   gilt:

 

Sind sie verschieden, dann ist

 

und

   

Fall A:     ist eine Zweierpotenz
Dieser aufsteigende (»Vorwärts«-) Induktionsschritt sei etwas allgemeiner bewiesen:
Gilt die Induktionsvoraussetzung

 

für   Elemente, dann gilt

 

für   Elemente.
Beweis: Für   sei   und für   sei   gesetzt. Dann ist

 

Die Gleichheit   erfordert   und   also gleiche   und gleiche   sowie   Zusammengenommen ergibt das: alle   sind gleich.

Fall B:     ist keine Zweierpotenz
(Dieser Teil des Beweises firmiert als »Rückwärts«-Induktionsschritt.)
Zu jedem   gibt es ein   mit  .
Zur Abkürzung sei   und   sowie   gesetzt.
In Fall A wurde die Ungleichung für   Elemente bereits bewiesen, woraus folgt:

 

Somit folgt für  :

 

woraus

 

und

 

und

 

folgt.
Gemäß Fall A gilt Gleichheit nur, wenn alle Elemente gleich sind.

Dieser Beweis findet sich bereits bei Augustin Louis Cauchy.[4]

Beweis mittels Hilfssatz Bearbeiten

Ein anderer Beweis der Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel ergibt sich aus dem Hilfssatz, dass für   und   folgt, dass  . Dieser Beweis stammt von G. Ehlers.[5] Der Hilfssatz kann beispielsweise mit vollständiger Induktion bewiesen werden. Betrachtet man das Produkt   und setzt  , so erfüllen die so definierten   nämlich die Voraussetzung   des Hilfssatzes. Aus dem Hilfssatz folgt

 ,

also

 .

Einsetzen von   liefert dann die Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel.

Beweis aus der Bernoulli-Ungleichung Bearbeiten

Ein direkter induktiver Beweis ist mit Hilfe der bernoullischen Ungleichung möglich: Sei o. B. d. A.   das maximale Element von   und   das arithmetische Mittel von  . Dann gilt  , und aus der bernoullischen Ungleichung folgt, wenn man die Summanden mit den Indizes 1 bis   von dem Summanden mit dem Index   „trennt“, dass

 .

Multiplikation mit   liefert

 ,

wobei die letzte Ungleichung nach Induktionsvoraussetzung gilt. Das Ziehen der  -ten Wurzel beendet den Induktionsbeweis.

Dieser Beweis findet sich beispielsweise im Lehrbuch der Analysis von H. Heuser, Teil 1, Kapitel 12.2.

Beweis aus der Umordnungs-Ungleichung Bearbeiten

Ein nicht-induktiver Beweis der Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel, der ohne Logarithmusfunktion auskommt, lässt sich mit Hilfe der Umordnungs-Ungleichung durchführen. Aus der Umordnungs-Ungleichung folgt nämlich, dass für positive Zahlen   und jede beliebige Permutation   die Beziehung

 

gelten muss. Setzt man speziell

 

so folgt also

 

woraus unmittelbar die Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel folgt.

Sonderfälle Bearbeiten

Zahl und ihr Kehrwert Bearbeiten

 
Beweisfigur zu der verschärften Ungleichung

Für  ,   und   ergibt sich:

 
 
und damit
 

Diese Aussage lässt sich direkt beweisen: Die Multiplikation mit   ergibt:

 

was offensichtlich richtig ist.

Die Ungleichung lässt sich verschärfen zu

 .

Beweis:

Der linke Teil der Ungleichung ergibt sich aus dem Garfield-Trapez durch Längenvergleich der nicht-parallelen Trapezseiten (siehe Beweisfigur):
 
Hieraus folgt nach elementaren algebraischen Umformungen:
 
Der rechte Teil der Ungleichung folgt aus
 ,
wenn man   durch   ersetzt. Dann gilt:
 
Damit sind beide Teile der Ungleichung bewiesen.[6]

Durch Permutationen bestimmte Brüche Bearbeiten

Für jede Permutation   der positiven reellen Zahlen   gilt

 .

Beweis:

 .[7][8]

Verallgemeinerungen Bearbeiten

Ungleichung vom gewichteten arithmetischen und geometrischen Mittel Bearbeiten

Für ein gegebenes positives Gewichtstupel   mit   und Summe   wird mit

 

das gewichtete arithmetische Mittel und mit

 ,

das gewichtete geometrische Mittel bezeichnet. Auch für diese gewichteten Mittel gilt die die Ungleichung

 .

Der Beweis dafür folgt direkt aus obigem Beweis mit der jensenschen Ungleichung.

Für  ,  ,   mit   und  ,   mit   erhält man die youngsche Ungleichung

 

Ungleichung vom harmonischen und geometrischen Mittel Bearbeiten

Fordert man   echt größer Null und ersetzt in der Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel   durch  , so erhält man die Ungleichung vom harmonischen und geometrischen Mittel:

 .

Diese Ungleichung gilt ebenfalls für die gewichteten Mittel:

 .

Ungleichung der verallgemeinerten Mittel Bearbeiten

Als Hölder-Mittel mit Exponent   bezeichnet man den Ausdruck

 .
  • Für   erhält man das arithmetische Mittel,
  • Der Grenzwert   ergibt das geometrische Mittel,
  • Für   erhält man das harmonische Mittel.

Allgemein gilt für   die verallgemeinerte Mittelwertungleichung:

 

Diese Ungleichung lässt sich z. B. beweisen, indem man   setzt und   und   in die Hölder-Ungleichung mit   einsetzt, oder indem man die jensensche Ungleichung für die konvexe Funktion   auf die Werte   anwendet.

Auch diese Ungleichung gilt ebenfalls für die gewichteten Mittel: Sei

 

das mit   gewichtete Mittel mit Exponent   der Zahlen  , so gilt für   die Ungleichung:

 .

Diese Ungleichung lässt sich ebenfalls aus der Hölder-Ungleichung beweisen, indem man   sowie   setzt, oder ebenfalls, indem man die jensensche Ungleichung für die konvexe Funktion   auf die Werte   anwendet.

Übertragen auf Integrale über den Maßraum   mit einem endlichen Maß   nimmt die Ungleichung der verallgemeinerten Mittel die Form

 

an; insbesondere folgt daraus   für diese Lp-Räume.

Siehe auch Bearbeiten

  • Eine andere Verallgemeinerung der Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel ist die Muirhead-Ungleichung.
  • Aus der Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel lässt sich die Cauchy-Schwarz-Ungleichung ableiten.

Literatur Bearbeiten

  • Pavel P. Korowkin: Ungleichungen (= Hochschulbücher für Mathematik. Kleine Ergänzungsreihe. 4 = Mathematische Schülerbücherei. 9, ISSN 0076-5449). 6. Auflage. Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1970.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Paul J. Nahin: When Least is Best. Princeton University Press, Princeton N.J. 2004, ISBN 0-691-07078-4, S. 331–333: Appendix A. The AM-GM Inequality.
  2. Roger B. Nelsen: Beweise ohne Worte, Deutschsprachige Ausgabe herausgegeben von Nicola Oswald, Springer Spektrum, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016, ISBN 978-3-662-50330-0, Seite 138
  3. Mathematics and Computer Education, vol. 31, no. 2 (Spring 1997), S. 191
  4. Cauchy, Augustin-Louis. Analyse algébrique. Der Beweis der Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel ist auf Seite 457 ff. Eine Titulierung à la Vorwärts-Rückwärts-Induktion findet sich in dem Artikel nicht.
  5. W.D. Hayes: Colloquium on linear equations. Office of Naval Research Technical Report ONRL-35-54 (1954) (PDF; 2,0 MB)
  6. Claudi Alsina, Roger B. Nelsen: Perlen der Mathematik - 20 geometrische Figuren als Ausgangspunkte für mathematische Erkundungsreisen, Springer Spektrum, Springer-Verlag GmbH Berlin 2015, ISBN 978-3-662-45460-2, Seiten 28 und 264
  7. Ross Honsberger: Gitter - Reste - Würfel Friedrich Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig 1984, ISBN 978-3-528-08476-9, S. 210
  8. B. H. Bissinger, Julius Vogel: Problem E 1468, American Mathematical Monthly, 1962, S. 59