Thymos

altgriechisch, auf deutsch: "Lebenskraft"
(Weitergeleitet von Megalothymia)

Thymos (altgriechisch θυμός thymos, deutsch ‚Lebenskraft‘)[1] ist ein Ausdruck für die Gemütsanlage eines Menschen.

Begriffsherkunft Bearbeiten

Thymos ist ein philosophisches Konzept, eingeführt von Platon als eine der drei menschlichen Grundmotivationen. In der Antike wurde der (sterbliche) Thymos von der (unsterblichen) Psyche (ψυχή) und vom Nous (νοῦς) unterschieden.

Die antike Medizin vermutete den Sitz des Gemütes im Zwerchfell.[1]

Anthropologische Hypothesen Bearbeiten

Aus der Verwendung verschiedener Wörter für Teile der menschlichen Person und Persönlichkeit in den homerischen Epen zog Bruno Snell den Schluss, die Menschen hätten in dieser Epoche noch kein Ichbewusstsein im Sinne eines Bewusstseins der eigenständigen Handlungsfreiheit und Verantwortung besessen, sondern sich entweder von ihrem Thymos oder ihrem Nous, im Zweifelsfall aber von den Göttern gesteuert gesehen. Snells These wurde später von E. R. Dodds und Christopher Gill weitergedacht.

Begriffliche Ableitungen Bearbeiten

Vom Thymos leitet sich der Name des Thymus ab, eines früher auch „Wachstumsdrüse“ genannten, hinter dem Brustbein gelegenen drüsenartigen Gebildes in der Anatomie des Kindes- und Jugendalters, das sich nach der Geschlechtsreife zurückbildet.[1][2]

Thymopsyche Bearbeiten

In der Psychologie wurde bisweilen der Begriff Thymopsyche („Gemütsseele“) verwendet, der den Anteil des Gemüts im Seelenleben bezeichnen sollte.[3]

Alexithymie Bearbeiten

Der Begriff Alexithymie wurde in den 1970er Jahren von amerikanischen Psychiatern als Bezeichnung für das Phänomen der angeborenen oder erworbenen Gefühlsblindheit geprägt.[4]

Megalothymia und Isothymia Bearbeiten

Thymos kann im Sinne der politischen und ethischen Philosophie Hegels als das Streben der Menschen nach Anerkennung ihrer Leistung durch andere gedeutet werden. Indem dieses menschliche Geltungsstreben in eine rationale Form überführt wird, lassen sich unfruchtbare Macht- und Konkurrenzkämpfe Hegel zufolge in der liberalen, auf dem Gleichheitsgrundsatz aufbauenden Gesellschaftsordnung überwinden. Thymos bleibt dabei nicht unverändert erhalten, wird aber auch nicht völlig verleugnet, sondern als Antriebskraft für den Fortschritt der Geschichte in das hegelianische System eingebunden. Während Isothymia das Bedürfnis bezeichnet, als ein den Mitmenschen gleichwertiges Individuum anerkannt zu werden, ist Megalothymia der Wunsch, von anderen als überlegen erkannt zu werden. Francis Fukuyama, der dieses Begriffspaar entwickelt hat, meinte, das thymotische Streben des Menschen sei letztlich stets darauf gerichtet, als anderen Menschen überlegen anerkannt zu sein und dieses Verlangen in die Tat umzusetzen, sodass ihn das Postulat der Gleichwertigkeit aller Gesellschaftsglieder nie völlig zufriedenstellt.[5][6] Auch jene Ausprägungen der Identitätspolitik, die seit Mitte der 2000er Jahre weltweit zum Aufstieg antiliberaler, rechtspopulistischer und nationalistischer Bewegungen geführt haben, sind Fukuyama zufolge „im Thymos verwurzelt“.[7]

Literatur Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b c Ursula Hermann: Knaurs Herkunftswörterbuch. Lexikographisches Institut, München 1982, S. 479.
  2. Thymus, der. In: Duden online, laut DWDS verzeichnet im GWDS 1999; Abrufe im April 2019.
  3. Markus Antonius Wirtz (Hrsg.): Dorsch – Lexikon der Psychologie. 18. Auflage. Hogrefe, Göttingen 2017 (Onlinestichwort).
  4. Jens Uehlecke: Kein Gefühl, nirgends. In: Zeit Wissen. 02/2006 (online publiziert in Zeit Online, 6. November 2009, abgerufen am 11. Oktober 2018).
  5. Henk de Berg: Das Ende der Geschichte und der bürgerliche Rechtsstaat. Hegel – Kojève – Fukuyama. Francke, Tübingen 2007, ISBN 978-3-7720-8205-4, S. 27–30 u. ö.
  6. John O’Neill: Economy, Equality and Recognition. In: Larry Ray, Andrew Sayer (Hrsg.): Culture and Economy after the Cultural Turn. Sage, London u. a. 1999, ISBN 0-7619-5816-9, S. 76–91 (hier: S. 79–81).
  7. Francis Fukuyama: Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet. Hoffmann und Campe, Hamburg 2019, ISBN 978-3-455-00528-8, S. 42.