Marguerite-Antoinette Couperin

französische Cembalistin

Marguerite-Antoinette Couperin (* 19. September 1705 in Paris; † um 1778 vermutlich in Versailles) war eine französische Cembalistin.

Lebensumstände Bearbeiten

Marguerite-Antoinette Couperin gehörte zur berühmten französischen Musikerfamilie Couperin in der Zeit des Barock.[1] Während die männlichen Couperins in der Musikgeschichte gut repräsentiert sind, verschwanden die Musikerinnen der Familie, die zu Lebzeiten bekannt waren, aus dem Kanon der Geschichte.[2] In dem von Philine Lautenschläger wiedergegebenen Stammbaum der Familie Couperin erscheinen zehn Frauen unter diesem Namen. Dazu gehört auch die Cembalistin Marguerite-Antoinette Couperin.[3] Sie war die jüngere der beiden Töchter des François Couperin (1668–1733), genannt Couperin le Grand, und dessen Frau Marie-Anne, geborene Ansault. Durch ihr Cembalospiel erarbeitete sie sich den Posten als designierte Nachfolgerin ihres Vaters im Amt des Hofmusikers und gilt als erste Frau im Amt einer königlichen Titularcembalistin am Hofe des französischen Königs Ludwigs XV.

Der Dienst bei Hofe Bearbeiten

Über die Ausbildung Marguerite-Antoinettes und ihre Aufgaben bei Hofe als Cembalistin wissen wir nur wenig. Als ihr Vater, François Couperin (le Grand), 1716 seine Cembalo-Schule L'Art de toucher le clavecin („Die Kunst, Cembalo zu spielen“) veröffentlichte, war sie 11 Jahre alt. Man kann davon ausgehen, dass sie mit den Grundsätzen dieser Schule, die dem König Ludwig XV. (der noch ein Kind war) gewidmet war, aufwuchs. Man liest darin, dass ihr Vater die „Kinder nicht in Abwesenheit des Lehrers üben“ ließ. Er nehme deshalb „während des Anfangsunterrichtes der Kinder aus Vorsicht den Schlüssel des Instrumentes, auf dem ich sie unterweise, mit, damit sie in meiner Abwesenheit nicht in einem Augenblick verderben können, was ich in aller Sorgfalt ihnen in 3/4 Stunden beigebracht habe“. Das sagt sehr viel über die künstlerische Strenge und Genauigkeit im Instrumentalspiel ihres Vaters „Couperin le Grand“ aus. Er war auch der Cembalolehrer der Frau Ludwigs XV., der polnischen Prinzessin Maria Leszczyńska und Kronprinzessin nach deren Hochzeit 1725. Offenbar schon vor diesem Datum musste Marguerite-Antoinette den Hofmusiker Jean-Henri d’Anglebert vertreten.[4]

 
Anne Henriette von Frankreich, Madame seconde, Zwillingsschwester der Madame premier (Königstöchter), Gambe spielend. Jean-Marc Nattier (1754)
 
Anne-Henriette mit Notenbuch

Nach Regierungsübernahme Ludwigs XV. mit 16 Jahren (1726) gehörte zu ihren Pflichten neben den Konzerten in den Gemächern des Königspaares in Versailles (seit 1722 Haupt-Residenz) und in Paris insbesondere später die Unterweisung der Königstöchter (siehe Bilder) aufgrund der persönlichen Ernennung zu deren Lehrerin durch den König. Ab 1736 bis zu ihrem Tode trug sie den offiziellen Titel einer Königlichen Titularcembalistin.[5]

Über Les concerts de la Reine (die Konzerte der Königin) und die musikalischen Königstöchter (genannt Mesdames) als Schülerinnen M.-A. Couperins schrieb der französische Musikologe Philippe Beaussant 1996 in einem eigenen Kapitel.[6] Darin ist zu lesen, dass Marguerite-Antoinette Couperin „venait chaque jour au château“ („jeden Tag zum Schloss ging“), um die Prinzessinnen in Cembalo und Komposition zu unterrichten. Kompositionen aus dieser Zeit bzw. eigene Kompositionen oder gar ein Bild der Cembalistin Couperin sind allerdings nicht bekannt geworden.

Im November 1741 vermerkt der Mercure de France ein Nachlassen ihrer Kräfte. Da sie erst Mitte Dreißig ist, verwundert das. Weil „ihre Kräfte es ihr nicht mehr immer erlaubten, die Aufgaben des genannten Amtes mit so großer Genauigkeit zu erfüllen“, ließ sie sich von einem Nachfolger vertreten, wird berichtet.[7] Soll man vermuten, dass „das genannte Amt“ mit der Häufigkeit seiner Auftritte – allein die Tafelmusik bei Hofe verlangte dreimal am Tag Musik[8] – und wegen der vom anspruchsvollen Königspaar erwarteten „Genauigkeit“[9] eine Belastung für sie darstellte, so wie auch ihr Vater sich von seiner Tochter vertreten ließ, als es ihm nicht mehr so gut ging? Was genau die Überlastung darstellte, ist nicht bekannt, ihr Alter oder ihr Können: keines davon kann es gewesen sein. Vielleicht hatte sie zusätzlich häusliche Pflichten durch die Pflege der Mutter, mit der sie nach des Vaters Tod 1733 zusammengezogen war? Doch schon im Juni des nächsten Jahres liest man in derselben Zeitung über erfolgsgekrönte Konzerte ihrer Schützlinge unter ihrer Leitung und Mitwirkung in einem 10-strophigen Lobgedicht. Auch Évrard Titon du Tillet (1677–1762), der eine Chronik der französischen Musiker und Dichter schrieb – darunter zahlreiche Frauen: Le Parnasse françois,[10] lobte darin die « manière sçavante & admirable » (deutsch: „tiefgründige und bewundernswerte Art“) ihres Cembalo-Spiels, mit dem sie in den Concerts de la reine in Versailles auftrat.[11]

 
Schloss Versailles, zentrale Galerie

Aus dem 10-strophigen Gedicht für M.-A. Couperin Bearbeiten

„Es sind nicht die urwüchsigen Wälder
Die Eure Lieder wiedergeben;
Es sind die großartigen Paläste
Die Euren Klängen als Echo dienen.

Ich sehe erlauchte Prinzessinnen
Verschiedene Bereiche berühren,
Die unter Euren Zauberhänden
Angenehm zusammenklingen“[12]

Die letzte Strophe des Lobgedichtes für sie lautet:

 
Französisches Clavecin mit zwei Manualen, Lyon 1716

„Unter allen glänzenden Namen
Findet auch der Eurige Platz
Und er wird, ohne dass ein anderer ihn auslöscht
Die Zeiten überdauern.“

Das Cembalo Bearbeiten

Das Cembalo war ein am französischen Hofe beliebtes Soloinstrument, zu dessen Bauweise in Frankreich zwei Manuale gehörten; genauso wichtig war es als Generalbassinstrument für die Kammermusik im Ensemble, z. B. zur Begleitung einer Singstimme. Als Begleit-Instrument spielte es die lineare Grundstimme mit der linken Hand, zu der die rechte Hand akkordisch improvisatorisch agierte. Oder es wurde eine ausnotierte, selbständige (obligate), gleichberechtigte Stimme – z. B. im Trio – zusammen mit anderen Instrumenten (Streichinstrumente, Flöten u. a.) gespielt. Einmal ist 1729 im Mercure de France von einer besonderen kammermusikalischen Duo-Besetzung die Rede, in welcher M.-A. Couperin als Cembalistin von einem Violinisten des Hofes, Michael-Gabriel Besson, „begleitet“ wurde, nicht umgekehrt. Es handelte sich um „trés goutés“ (sehr genossene) Duette bei der Tafelmusik während eines souper.[13] Diese Duoform, bei welcher zur obligaten Cembalo-Stimme von der Violine unterstützende, und eben nicht hauptsächlich solistische Passagen erklingen, war eine kurze Zeit modern. Ob die Zusammenarbeit mit einem Hofgeiger auch einen weiteren Dienst mit der gesamten Hofkapelle nahelegt, etwa bei Opernaufführungen, ist unbekannt.

Interessant ist es, zu wissen, dass die Mozart-Geschwister, der 7-jährige Wolfgang und seine Schwester Marianne anlässlich der Concerts de la Reine 1763 bis 1764 in Versailles mehrmals auf dem königlichen Clavecin spielten.[14]

Familie Bearbeiten

Marguerite-Antoinette war die zweite Tochter François Couperins und dessen Frau Marie-Anne (Tochter des Weinhändlers Michel Ansault), die am 26. April 1689 geheiratet hatten. Sie hatte eine Schwester und zwei Brüder.[15]

Das weitere Leben liegt im Dunkel Bearbeiten

Sie selbst blieb unverheiratet und nahm nach des Vaters Tod (1733) ihre Mutter zu sich. Heute weiß man zwar die Straße in Versailles, wo beide wohnten, aber von ihrer Musik und weiteren Lebensumständen ist, außer dem verherrlichenden Gedicht im Merkur de France von Juni 1742 (mit Übersetzung abgedruckt in Claudia Schweitzers Artikel 2008), nichts bekannt. Zwischen den Zeilen ist die Rede von ihren Schülerinnen, den Königstöchtern, was zu bestätigen scheint, dass sie von da ab vom rein solistischen Dienst offenbar befreit war, wie bereits angedeutet.

M.-A. Couperin auf Chicagos Dinner Party Bearbeiten

 
The Dinner Party

Die amerikanische Schriftstellerin, Eventkünstlerin und Feministin Judy Chicago verewigte in den 1970er Jahren den Namen der Musikerin Marguerite-Antoinette Couperin innerhalb der 999 Frauen, die auf den weißen, dreieckigen Bodenfliesen ihrer Dinner Party in Goldschrift geschrieben stehen. Die Frauennamen verkörpern dort symbolisch „unser Kulturerbe“ (Judy Chicago). M.-A. Couperin ist in der dreieckigen Tisch-Installation dem Gedeck für die englische Komponistin Ethel Smyth,[18] zusammen mit weiteren zwanzig bedeutenden Musikerinnen, darunter ihre Tante Marguerite-Louise Couperin zugeordnet.[19]

Siehe auch Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Charles Bouvet: Une dynastie de musiciens français: Les Couperin, organistes de l’église Saint-Gervais. Delagrave, Paris 1919, S. 42, 99, 109, 116–119, 155 und 218 (französisch, Textarchiv – Internet Archive).
  • Charles Bouvet: Les deux d’Anglebert et Marguerite-Antoinette Couperin. In: Revue de Musicologie. Band 9, Nr. 26, 1928, ISSN 0035-1601, S. 86–94, doi:10.2307/925975, JSTOR:925975 (französisch).
  • (7) Marguerite-Antoinette Couperin. In: Eric Blom (Hrsg.): Groves Dictionary Of Music And Musicians. 5. Auflage. Band 2: C–E. MacMillan, New York / London 1954, S. 498 (englisch, Textarchiv – Internet Archive).
  • David Fuller, Bruce Gustafson: Couperin, Marguerite-Antoinette. In: Grove Music Online (englisch; Abonnement erforderlich).
  • Denis Hermlin, Hervé Audéon: Couperin (Familie). In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite Ausgabe, Personenteil, Band 3 (Bjelinski – Calzabigi). Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a. 2000, ISBN 3-7618-1113-6 (Online-Ausgabe, für Vollzugriff Abonnement erforderlich)
  • Claudia Schweitzer: Couperin, Marguerite-Antoinette. In: „… ist übrigens als Lehrerinn höchst empfehlungswürdig“. Kulturgeschichte der Clavierlehrerin (= Freia Hoffmann [Hrsg.]: Schriftenreihe des Sophie Drinker Instituts. Band 6). BIS-Verlag der Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg 2008 (Dissertation), ISBN 978-3-8142-2124-3, S. 441–442 (DNB 992623715/34; PDF).

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise und Anmerkungen Bearbeiten

  1. Philine Lautenschläger: Couperin, Familie. In: Lexikon Musik und Gender. Bärenreiter, Kassel 2010, S. 176–178.
  2. Vergleiche Lautenschläger in Lexikon Musik und Gender 2010, S. 176.
  3. Claudia Schweitzer: Europäische Instrumentalistinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. Sophie Drinker Institut für musikwissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung
  4. Er war Patenkind Ludwigs. XIV. Sein Vater war bereits vom Sonnenkönig als Musiker angestellt worden. vgl. Bruce Gustafson: d’Anglebert (Familie). In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite Ausgabe, Personenteil, Band 1 (Aagard – Baez). Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a. 1999, ISBN 3-7618-1111-X (Online-Ausgabe, für Vollzugriff Abonnement erforderlich) und David Ledbetter, C. David Harris: D’Anglebert, Jean Henry. In: Grove Music Online (englisch; Abonnement erforderlich).
  5. Claudia Schweitzer: Couperin, Marguerite-Antoinette. 2008, S. 442 (d-nb.info PDF).
  6. Philippe Beaussant: Les concerts de la Reine. In: Les plaisirs de Versailles. Théâtre et musique. Fayard 1996, S. 153–163, hier S. 154 u. 155.
  7. S. Claudia Schweitzer 2008 (Weblink).
  8. Peter Hersche und Siegbert Rampe: Sozialgeschichte der Musik des Barock. Laaber 2018, S. 131 f.
  9. Die französische Kammermusik insgesamt und die französische Cembalomusik im Besonderen ist bekannt für eine spezielle, verzierungsreiche Technik, die einer strengen Schulung bedarf.
  10. Évrard Titon du Tillet: [Le Parnasse françois. Paris 1732 und] hier: Suite du Parnasse françois jusqu'en 1743. Paris 1743.
  11. Informationen und Zitat nach Philine Lautenschläger: Couperin, Familie. In: Lexikon Musik und Gender. S. 178.
  12. Aus Mercure de France, Juni 1742, S. 1315–1317. Übersetzt von Claudia Schweitzer und Christine Schäfer. Siehe Weblink Sophie Drinker Institut: Marguerite-Antoinette Couperin.
  13. Claudia Schweitzer/Freia Hoffmann 2008.
  14. Siehe Philippe Beaussant: Les Plaisirs de Versailles 1996, S. 156 ff. und 345 (Marianne Mozart erwähnt er darin allerdings nicht). Aus dieser Zeit stammen Wolfgangs der Königin gewidmete 4 Sonaten für Klavier und Violine, deren Titel ausdrücklich das Tasteninstrument zuerst nennt (nicht umgekehrt).
  15. Theodore Baker, Nicolas Slonimsky: Couperin, Francois, surnamed le Grand. In: Baker’s biographical dictionary of musicians. G. Schirmer, New York 1958, S. 325 (englisch, Textarchiv – Internet Archive).
  16. Davon abweichend: im Artikel des Sophie Drinker Instituts Benediktinerinnen-Kloster.
  17. Couperin, Marie-Madeleine. Sophie Drinker Institut, abgerufen am 26. November 2019.
  18. Bitte runterscrollen.
  19. Heute ausgestellt im Brooklyn Museum in New York City. Marguerite-Antoinette Couperin