Liste der Stolpersteine in der Verbandsgemeinde Aar-Einrich

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Die Liste der Stolpersteine in der Verbandsgemeinde Aar-Einrich enthält die Stolpersteine, die im Rahmen des gleichnamigen Kunstprojekts von Gunter Demnig in der Verbandsgemeinde Aar-Einrich im Rhein-Lahn-Kreis in Rheinland-Pfalz verlegt wurden. Auf der Oberseite der Betonquader mit zehn Zentimeter Kantenlänge ist eine Messingtafel verankert, die Auskunft über Namen, Geburtsjahr und Schicksal der Personen gibt, derer gedacht werden soll. Die Steine sind in den Bürgersteig vor den ehemaligen Wohnhäusern der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eingelassen. Mit ihnen soll Opfern des Nationalsozialismus gedacht werden, die im Gebiet der heutigen Verbandsgemeinde Aar-Einrich lebten und wirkten.

Der ersten Verlegungen in der Verbandsgemeinde Aar-Einrich erfolgten am 2. November 2018 durch den Künstler persönlich.

Verlegte Stolpersteine Bearbeiten

Insgesamt wurden bislang 33 Stolpersteine verlegt.

Allendorf Bearbeiten

In Allendorf wurde ein Stolperstein verlegt.

Stolperstein Inschrift Verlegeort Name, Leben
BW
HIER WOHNTE
WILHELMINE BAUER
GEB. FRICK
JG. 1884
SEIT 1926 MEHRERE
HEILANSTALTEN
'VERLEGT' 19.6.1941
HADAMAR
ERMORDET 19.6.1941
'AKTION T4'
Hauptstraße 43
Wilhelmine Bauer geb. Frick wurde am 12. Mai 1884 in Oberfischbach geboren. Ihr Vater war Heinrich Frick, ein Tagelöhner. Sie heiratete und kam nach der Hochzeit nach Allendorf. Sie wurde Mutter von zwei Kindern. Ab 1926 war sie in mehreren Heilanstalten untergebracht. 1927 wurden in der Heilanstalt Merxhausen folgende Diagnosen gestellt: „sekundäre Demenz“ und „Schizophrenie“. Den Eintragungen in der Krankenakte verlor sie zunehmend das Interesse an ihrer Umgebung und suchte auch keinen Kontakt mehr mit Angehörigen. Nur mit einer anderen Patientin kommunizierte sie noch. Sie war am liebsten alleine und saß oft im Garten. Von 1937 bis 1941 wurde sie mehrfach verlegt, sie kam nach Herborn, Hadamar, Merxhausen und schließlich, als ihre Ermordung konkretisiert wurde, wieder nach Herborn. Am 19. Juni 1941 wurden 120 psychisch kranke Menschen von der Zwischenanstalt Herborn in die Tötungsanstalt Hadamar überstellt und dort noch am selben Tag in der Gaskammer mit Kohlenmonoxydgas ermordet, darunter auch Wilhelmine Bauer. Die Leiche wurde im dortigen Krematorium verbrannt.

Die Angehörigen wurden getäuscht, wie es übliche Praxis des NS-Regimes war. Sie sei, so wurde der Familie mitgeteilt, aus „kriegswichtigen Gründen“ in der Anstalt Bernburg/Saale verlegt worden und dort eines natürlichen Todes gestorben. Durch falsche Sterbedaten und Sterbeorte sollte der Massenmord an behinderten Menschen verschleiert werden.[1]

Burgschwalbach Bearbeiten

In Burgschwalbach wurde ein Stolperstein verlegt.

Stolperstein Inschrift Verlegeort Name, Leben
BW
HIER WOHNTE
WILLI BIEBRICHER
JG. 1921
EINGEWIESEN 23.5.1936
HEILANSTALT SCHEUERN
VERLEGT 13.2.1940
HEILANSTALT EICHBERG
ZWANGSSTERILISIERT NOV. 1940
ERMORDET 13.3.1941
Panröder Straße 36
Wilhelm Biebricher, genannt Willi, wurde am 27. November 1921 in Burgschwalbach als Sohn des Maurers Wilhelm Biebricher und seiner Ehefrau Anna Maria geb. Kolb geboren. Er war behindert, evangelischer Konfession, besuchte die Volksschule und wurde im Jahr 1936 konfirmiert. Am 23. Mai 1936, am Ende seiner Schulpflicht, wurde er in die Heilerziehungsanstalt Scheuern bei Nassau aufgenommen. Er konnte dort einen Beruf erlernen. Die Anstaltsleitung gewährte die Wahl zwischen Korbflechter und Schumacher, da ihrer Meinung nach keine Verletzungsgefahr bestand. In der Krankenakte war die Rede von „Entwicklungsverzögerungen“, es wurden unterschiedliche, zum Teil widersprüchliche Krankheitsbilder attribuiert. Bereits beim Eintritt in die Anstalt wurde er als „erbkrank“ eingestuft und aufgrund des NS-„Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurde die Zwangssterilisation empfohlen. Willi Biebricher lebte sich gut ein und fand Freude an der Arbeit in der Schusterwerkstatt. Ihm wurde bescheinigt, dass er „sauber arbeite und die Stifte ordentlich einschlage.“ Mit der Familie bestand reger Kontakt, er schrieb regelmäßig Briefe an die Angehörigen. An Sport hatte er kein Interesse, aber über ein neues Malbuch freute er sich immer. Und er fand einen Freund unter den Insassen. Unter dem Prätext eines geplanten Heimatbesuchs wurde ab August 1940 die geplante Sterilisation vorangetrieben. Das Erbgesundheitsgericht Limburg beschloss am 7. November 1940 seine „Unfruchtbarmachung“, der Zwangseingriff erfolgte am 12. Dezember 1940 im Paulinenstift in Nassau. Nach einem zehntägigen Krankenhausaufenthalt kehrte er in die Anstalt Scheuern zurück. Sein Zustand verschlechterte sich danach, er musste wieder stationär aufgenommen werden. Am 13. Februar 1941 wurde er in schlechtem Allgemeinzustand in die Heilanstalt Eichberg bei Eltville verlegt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt sind die Befunde und Diagnosen in keiner Weise mehr kohärent. Willi Biebricher soll einen Monat später verstorben sein, doch nicht einmal das Todesdatum kann als gesichert angesehen werden, weil die NS-Bürokratie die Krankenmorde durch falsche Zeit- und Ortsangaben zu verschleiern trachtete. Die in seinem Fall angegebenen Todesursachen „Lungentuberkulose, Angeborenem Schwachsinn und Epilepsie“ korrelieren keinesfalls mit weitgehender Stabilität in den Jahren 1936 bis 1940, Fähigkeit des Lesens und Schreibens, gute Beurteilung der handwerklichen Fähigkeiten.

Es ist von einem Krankenmord im Zuge der Aktion T4 auszugehen. Auf Ersuchen der Familie wurde der Sarg mit den sterblichen Überresten nach Burgschwalbach überführt. Der Familie wurde verboten, den Sarg zu öffnen.[2][3]

Flacht Bearbeiten

In Flacht wurden dreizehn Stolpersteine an fünf Standorten verlegt.

Stolperstein Inschrift Verlegeort Name, Leben
BW
HIER WOHNTE
HERMANN
BRUCHHÄUSER
JG. [...]
Hauptstraße 17
Hermann Bruchhäuser
BW
HIER WOHNTE
PETER FISCHER
JG. 1901
VERHAFTET 24.1.1938
BREITENAU
1941 SACHSENHAUSEN
WEWELSBURG
ERMORDET 7.10.1942
Am Fischweiher
Peter Fischer
BW
HIER WOHNTE
ALBERT GRÜNEBAUM
JG. 1892
'SCHUTZHAFT' 1939
BUCHENWALD
UNFREIWILLIG VERZOGEN
1939 FRANKFURT M.
DEPORTIERT 1942
MAJDANEK
ERMORDET
Hauptstraße 45
Albert Grünebaum
HIER WOHNTE
BRUNHILDE
GRÜNEBAUM
JG. 1927
UNFREIWILLIG VERZOGEN
1939 FRANKFURT M.
DEPORTIERT 1943
SCHICKSAL UNBEKANNT
Hauptstraße 45
Brunhilde Grünebaum
HIER WOHNTE
HEDWIG GRÜNEBAUM
GEB. LÖWENBERG
JG. 189[.]
UNFREIWILLIG VERZOGEN
1939 FRANKFURT M.
DEPORTIERT 1942
AUSCHWITZ
ERMORDET 1942
Hauptstraße 45
Hedwig Grünebaum geb. Löwenberg
HIER WOHNTE
MARGOT KAROLINE
GRÜNEBAUM
JG. 1922
DEPORTIERT 1940
GURS
INTERNIERT DRANCY
1942 AUSCHWITZ
ERMORDET 12.10.1942
Hauptstraße 45
Margot Karoline Grünebaum wurde sm 4. April 1922 in Flacht geboren. Ihre Eltern waren Albert Grünebaum und Hedwig geb. Löwenberg. Sie hatte eine jüngere Schwester, Brunhild. Sie besuchte die Jüdische Anlernwerkstätte in Frankfurt a. M. und arbeitete 1940 in Karlsruhe als Haushaltsgehilfin. Als Wohnadresse wird die Körnerstraße 46 genannt. Am 22. Oktober 1940 wurde sie in das Lager Gurs in Frankreich deportiert, am 10. August 1942 vom Sammellager Drancy nach Auschwitz. Dort wurde Margot Karoline Grünbaum am 12. Oktober 1942 vom NS-Regime ermordet.[4]

Ihre ganze Familie wurde im Zuge der Shoah ausgelöscht. Die Mutter wurde in Auschwitz ermordet, der Vater in Majdanek und die Schwester an einem unbekannten Ort.

BW
Hauptstraße 45a
Arthur Grünfeld
Hauptstraße 45a
Edith Grünfeld
Hauptstraße 45a
Ernst Grünfeld
HIER WOHNTE
GERTRUDE GRÜNFELD
GEB. HORWITZ
JG. 1898
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
PIASKI
Hauptstraße 45a
Gertrude Grünfeld geb. Horwitz
Hauptstraße 45a
Hans Grünfeld
BW
HIER WOHNTE
BERTA LÖWENSTEIN
GEB. SAALBERG
JG. 1884
UNFREIWILLIG VERZOGEN
1940 FRANKFURT M.
DEPORTIERT 1941
ERMORDET IM
BESETZTEN POLEN
Hauptstraße 14
Berta Löwenstein geb. Saalberg
HIER WOHNTE
ELFRIEDE LÖWENSTEIN
VERH. GÄRTNER
JG. 1915
FLUCHT 1938
USA
Hauptstraße 14
Elfriede Löwenstein verh. Gärtner
HIER WOHNTE
IRMA LÖWENSTEIN
JG. 1912
UNFREIWILLIG VERZOGEN
1940 FRANKFURT M.
DEPORTIERT 1941
ERMORDET IM
BESETZTEN POLEN
Hauptstraße 14
Irma Löwenstein
HIER WOHNTE
JULIUS SAALBERG
JG. 1885
'SCHUTZHAFT' 1936
BUCHENWALD
ERMORDET 14.1.1939
Hauptstraße 14
Julius Saalberg wurde am 20. März 1885 in Villmar geboren. Seine Eltern waren Nathan Saalberg und Dina geb. Arfeld. Er hatte eine ältere Schwester, Bertha, später verehelichte Löwenstein. Er blieb unverheiratet, war als Hausierer tätig und lebte bei seiner Schwester, die in Flacht einen Lebensmittelladen betrieb. Er war behindert und wurde Jule oder ’s Julche genannt. Von den Kindern wurde er oft gehänselt oder verspottet. Er verkaufte Seife, Schnürsenkeln, Knöpfen und anderen Kleinwaren. Mit schrille Stimme kündigte der Mann mit dem Bauchladen sein Kommen an: „Wollt er ebbes kaafe? Persil, Saaf, Nähnadele?“ Nach der Machtergreifung Hitlers und der NSDAP im Januar 1933 blieben zunehmend Kunden aus, sein Umsatz und seine Einnahmen sanken. Er verlegte sich immer mehr aufs Betteln und war allen dankbar, die ihm zu essen gaben. Seine Familie war mit Abstand die ärmste jüdische Familie von Flacht. Nach den Novemberpogromen des Jahres 1938 wurde er verhaftet und als sogenannter „Schutzhäftling“ in das KZ Buchenwald eingewiesen. Am 14. Januar 1939 wurde Julius Saalberg dort um 22 Uhr erschossen – angeblich, weil er sich dem Zaun genähert habe.[5]

Hahnstätten Bearbeiten

In Hahnstätten wurden vier Stolpersteine an einer Adresse verlegt.

Stolperstein Inschrift Verlegeort Name, Leben
BW
HIER WOHNTE
MORITZ ADLER
JG. [...]
Netzbacher Straße 6
Moritz Adler
Netzbacher Straße 6
Clotilde Strauss
Netzbacher Straße 6
Gerda Strauss
Netzbacher Straße 6
Louis Strauss

Herold Bearbeiten

In Herold wurden drei Stolpersteine an zwei Adressen verlegt.

Stolperstein Inschrift Verlegeort Name, Leben
BW
HIER WOHNTE
AMALIE ROSENTHAL
JG. [...]
Lahnstraße 11
Amalie Rosenthal
HIER WOHNTE
MAX ROSENTHAL
JG. [...]
Lahnstraße 11
Max Rosenthal
BW
HIER WOHNTE
FRIEDA WEBER
JG. 1914
EINGEWIESEN 1929
HEILANSTALT SCHEUERN
'VERLEGT' 21.4.1941
HADAMAR
ERMORDET 21.4.1941
'AKTION T4'
Am Berg 5
Frieda Weber

Kaltenholzhausen Bearbeiten

In Kaltenholzhausen wurden zwei Stolpersteine an zwei Adressen verlegt.

Stolperstein Inschrift Verlegeort Name, Leben
BW
HIER WOHNTE
ANNE BALSER
JG. 1906
[...]
Kirberger Straße 9
Anne Balser wurde 1906 in Berlin geboren. Sie verlor ihr Leben am 13. September 1942 in der Heilanstalt Weilmünster – nach offiziellen Angaben an einer „Herzerkrankung“.[6]
BW
HIER WOHNTE
HEINRICH HEIL
JG. 1[...]
[...]
Kreisel
Heinrich Heil

Katzenelnbogen Bearbeiten

In Katzenelnbogen wurde ein Stolperstein verlegt.

Stolperstein Inschrift Verlegeort Name, Leben
BW
HIER WOHNTE
LINA THORN
JG. [...]
Lahnstraße 8
Lina Thorn

Kördorf Bearbeiten

In Kördorf wurden fünf Stolpersteine an zwei Standorten verlegt.

Stolperstein Inschrift Verlegeort Name, Leben
BW
HIER WOHNTE
MARTHA HARTOG
JG. [...]
Rupbachstraße 1
Martha Hartog
BW
Lahnstraße 28
Rosa Löwenberg
Lahnstraße 28
Thea Löwenberg
BW
Rupbachstraße 1
Bertha Seligmann geb. Blumenthal
Rupbachstraße 1
Salomon Abraham Seligmann

Oberneisen Bearbeiten

In Oberneisen wurde ein Stolperstein verlegt.

Stolperstein Inschrift Verlegeort Name, Leben
BW
HIER WOHNTE
MARIA WEYL
JG. 1907
EINGEWIESEN 3.8.1936
HEILANSTALT SCHEUERN
'VERLEGT' 21.4.1941
HADAMAR
21.4.1941
'AKTION T4'
Grebenstraße 11
Maria Weyl

Verlegungen Bearbeiten

  • 2. November 2018: Burgschwalbach, Flacht (Hauptstraße 14 für Julius Saalfeld), 17 und 45a (Arthur, Edith und Gertrud Grünfeld), Hahnstätten, Oberneisen (insgesamt 11)
  • 17. November 2019: Flacht (Hauptstraße 14 (Familie Löwenberg) und 45a (Ernst und Hans Grünfeld), Kaltenholzhausen (insgesamt 7)
  • 27. Oktober 2020: Allendorf, Flacht (Am Fischweiher, Hauptstraße 45), Herold, Katzenelnbogen, Kirdorf (insgesamt 15)[7][8]

Für die in Flacht geborene Gerda Metzger wurde am 14. April 2013 in der Türlenstraße in Stuttgart ein Stolperstein verlegt, siehe Liste der Stolpersteine in Stuttgart-Nord.

Weblink Bearbeiten

  • Chronik der Stolpersteinverlegungen auf der Website des Projekts von Gunter Demnig

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Martina Hartmann-Menz: Stolpersteinverlegung in Allendorf. 27. Oktober 2020, abgerufen am 6. Februar 2021.
  2. Verlegen der Stolpersteine erfolgt in Flacht, Oberneisen, Hahnstätten und Burgschwalbach. Rhein-Zeitung, 7. Oktober 2018, abgerufen am 24. Januar 2021.
  3. STOLPERSTEIN Verlegung 11/2018 / Willi Biebricher aus Burgschwalbach. In: AAR-EINRICH AKTUELL. 7. Mai 2020, abgerufen am 24. Januar 2021.
  4. Margot Karoline Grünebaum. In: Gedenkbuch für die Karlsruher Juden. Abgerufen am 5. Februar 2021.
  5. Julius Saalberg aus Villmar – wohnhaft in Flacht – ermordet im KZ Buchenwald. In: Mitteilungsblatt Für den Bereich der Verbandsgemeinde Hahnstätten, Jg. 46. 16. Mai 2019, abgerufen am 5. Februar 2021.
  6. Gedenkort T4: AUFRUF – Weilmünster: Der Schauplatz von NS-Massenverbrechen darf nicht als Freizeitarena oder Event-Location missbraucht werden, abgerufen am 23. Februar 2021
  7. 15 Stolpersteine in der Verbandsgemeinde Aar-Einrich verlegt. In: Mitteilungsblatt der Verbandsgemeinde Aar-Einrich, Ausgabe Hahnstätten, Ausgabe 45/2020. Abgerufen am 5. Februar 2021.
  8. Einladung zur Verlegung von STOLPERSTEINEN in Kördorf, Herold, Katzenelnbogen, Allendorf und Flacht. Arbeitskreis STOLPERSTEINE, abgerufen am 5. Februar 2021.