Linsenlektine sind kohlenhydratbindende Proteine (Lektine), die insbesondere in Linsen vorkommen.

Im Jahr 1888 wurden Pflanzenlektine (Hämagglutinine) erstmals von Hermann Stillmark beschrieben. Sie machen einen Großteil der Adhäsionsmoleküle aus, auf deren Grundlage die Protein–Kohlenhydrat-Interaktionen basieren.[1] Linsenlektine sind ein Reiz für Zellen der Schleimhaut. Die Wirkung von Linsenlektinen entsteht durch Stimulation immunaktiver oder flüssigkeitsproduzierender Zellen und Drüsen. Linsenlektine erkennen und binden spezifische Kohlenhydrate auf der Zellmembranen und initiiert regulatorische Signale, die eine Immunaktivierung oder Freisetzung von Flüssigkeit zur Folge haben. Dies führt bei alters- oder therapiebedingter Minderung der Immunaktivität oder Flüssigkeitsfreisetzung zu einer Reaktivierung dieser Funktionen.[2]

Beschreibung Bearbeiten

Linsenlektine sind Proteine, deren Struktur und Kohlenhydratspezifität erforscht sind. Sie bestehen aus einer Polypeptidkette und binden vorzugsweise Fucose beziehungsweise fucosehaltige komplexe Kohlenhydrate.[3][4] Sie machen bis zu 10 % der löslichen Proteine im Samen aus. Linsenlektine schützen vor Fraßfeinden. Sie sind unter anderem für die räumliche Anordnung von Speicherproteinen und Enzymen verantwortlich. Dies ist letztendlich die Voraussetzung für die physiologische Funktion dieser Substrate zur Aufrechterhaltung eines regelkonformen Stoffwechsels.[5] Linsenlektine sind hitzelabil und können durch Erhitzen inaktiviert werden. In der Lebensmittelverarbeitung werden sie unter anderem genutzt, um den glykämischen Index von Lebensmitteln herabzusetzen. Außerdem scheinen sie die Darmflora zu stabilisieren.[6][7][8]

Forschungsgeschichte Bearbeiten

Linsenlektine werden seit den 1980er Jahren intensiv beforscht. Ihre Fähigkeit, Zellen spezifisch zu unterscheiden, wurde für die medizinische Diagnostik und Therapie nutzbar gemacht, unter anderem[9][10]

  • zur histologischen Differenzierung von Zellen und Geweben,
  • zur mitogenen Stimulation von Immunzellen,
  • zur Aktivierung von Immunzellen,
  • sowie zur Minderung von Schleimhauttrockenheit und deren Auswirkungen.

Experimentelle Laboruntersuchungen zeigten,[11] dass Linsenlektin in vitro

Tests auf Toxizität und die Fähigkeit zur Hämagglutination beziehungsweise zur Auslösung einer Permeabilitätsstörung deuten auf deren Unbedenklichkeit bei Verzehr hin.[5][12]

Markierung von Krebszellen Bearbeiten

Die komplementärmedizinische, immunonkologische Forschung konzentriert sich insbesondere darauf, Antigene erkennbar zu machen, zum Beispiel durch Fremdantigene (etwa Linsenlektin), um sie für das Immunsystem erkennbar zu machen.[13] Durch Anlagerung von Linsenlektin an spezifische Rezeptoren auf Krebszellen könnten diese mit einem großmolekularen Antigen markiert, erkennbar und für das Immunsystem angreifbar gemacht werden. Insbesondere Krebszellen ohne proteinhaltige Membranantigene könnten auf diese Weise dem Immunsystem präsentiert werden. Dies könnte dann zum spezifischen Erkennen dieser Zellen und deren Abtötung führen.[14]

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Hermann Stillmark: Ueber Ricin, ein giftiges Ferment aus dem Samen von Ricinus comm. L. und einigen anderen Euphorbiaceen. Inaugural-Dissertation. Schnakenburg’s Buchdruckerei, Dorpat 1888 (online).
  2. M. Vecchi, G. Torgano, M. Monti, E. Berti, D. Agape, M. Primignani, G. Ronchi, R. de Franchis: Evaluation of structural and secretory glycoconjugates in normal human jejunum by means of lectin histochemistry. In: Histochemistry, Band 86 (1987), Heft 4, S. 359–364. doi:10.1007/BF00494993.
  3. André Foriers, Evelyne Lebrun, Roland Van Rapenbusch, Roeland De Nève, A. Donny Strosberg: The structure of the lentil (Lens culinaris) lectin. Amino acid sequence determination and prediction of the secondary structure. In: Journal of Biological Chemistry, Band 286 (1981), Heft vom 10. Juni 1981, S. 5550–5560 (online).
  4. Hiroaki Tateno, Sachiko Nakamura-Tsuruta, Jun Hirabayashi: Comparative analysis of core-fucose-binding lectins from Lens culinaris and Pisum sativum using frontal affinity chromatography. In: Glycobiology, Band 19 (2009), Heft 5, S. 527–536 (online). doi:10.1093/glycob/cwp016.
  5. a b S. H. Barondes: Lectins: Their Multiple Endogenous Cellular Functions. In: Annual Review of Biochemistry, Band 50 (1981), S. 207–231 (online). doi:10.1146/annurev.bi.50.070181.001231.
  6. Maria Gerber: Bohnen und Linsen schützen vor Allergien. In: Die Welt. 3. August 2010, abgerufen am 22. Juni 2020.
  7. Mo’ez Al-Islam Ezzat Faris, Hamed Rabah Takruri, Ala Yousef Issa: Role of lentils (Lens culinaris L.) in human health and nutrition: a review. In: Mediterranean Journal of Nutrition and Metabolism, November 2012, S. 3–16 (online). doi:10.1007/s12349-012-0109-8.
  8. Anja Bettina Irmler, Georg Wolz: Darm und sekundäre Pflanzenstoffe. Einfluss sekundärer Pflanzenstoffe auf Darm und Mikrobiom. Eubiotika M.O. Verlag e.K., Wiesbaden 2016. ISBN 978-3-944592-12-1.
  9. Fohona S. Coulibaly, Bi-Botti C. Youan: Current status of lectin-based cancer diagnosis and therapy. In: AIMS Molecular Science, 4 (2017), S. 1–27 (online). doi:10.3934/molsci.2017.1.1.
  10. Josef Beuth, Berthold Schneider, Rudolf Van Leendert, Gerhard Uhlenbruck: Large scale survey of the impact of complementary medicine on side-effects of adjuvant hormone therapy in patients with breast cancer. In: In Vivo – International Institute of Anticancer Research, Band 30 (2016), S. 73–75 (online).
  11. William R. Green: Studies on the Mechanism of Lectin-Dependent T Cell-Mediated Cytolysis: Use of Lens Culinaris Hemagglutinin A to Define the Role of Lectin. In: William R. Clark, Pierre Golstein (Hrsg.): Mechanisms of Cell-Mediated Cytotoxicity (Advances in Experimental Medicine and Biology, 146), Plenum Press, London, New York 1982, S. 81–100. ISBN 978-1-4684-8961-3.
  12. A. Pusztai, S. Bardocz: Biological Effects of Plant Lectins on the Gastrointestinal Tract: Metabolic Consequences and Application. In: Trends in Glycoscience and Glycotechnology, Band 8, Nr. 41 (Mai 1996), S. 149–165 (online).
  13. H. U. Schwenk, U. Schneider, K. H. Herzog: Binding of lectins to leukemic cell lines. In: Blut. Zeitschrift für die gesamte Blutforschung, Band 40 (1980), S. 7–15.
  14. E. Gorelik: Cytotoxic Effects of Lectins. In: Methods in molecular medicine, Band 9 (1998) S. 453–459. doi:10.1385/0-89603-396-1:453.