Kulturfabrik Salzmann

gemeinnütziger Verein in Kassel (Hessen)

Die Kulturfabrik Salzmann e.V. ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein in Kassel.

Heute leerstehende Fabrikanlage der Firma Salzmann & Comp. an der Sandershäuser Straße in Kassel-Bettenhausen (Aufnahme von 2009).

Unabhängig von dem Verein beherbergte das gleichnamige Industriedenkmal im Kasseler Stadtteil Bettenhausen bis ins Jahr 2012 eine Vielzahl von Vereinen, Künstlern, Ateliers, Clubs, Übungsräumen, Tonstudios, Werbeagenturen, eine Diskothek und den nichtkommerziellen lokalen Bürgersender Freies Radio Kassel.

Die heutige Spielstätte des Vereins ist der Club Panoptikum am ehemaligen Kupferhammer. Neue Heimat des Vereins wird der Kulturbunker in der Agathofstraße.[1]

Geschichte Bearbeiten

Gründung als Kulturverein Bearbeiten

Künstler gründeten den Verein im Jahr 1987 zur documenta 8 als Forum für Kunst und Kultur. Der Verein veranstaltete damals die Gruppenausstellung „Hathat“, bei der während der documenta-Zeit 13 Künstlerinnen und Künstler Großfotos, Skulpturen, Collagen und Installationen in den Hallen zeigten.[2] Benannt wurde der Verein nach der 1876 gegründeten Textilfabrik und heutigem Industriedenkmal Salzmann & Comp. Der dortige Kulturbetrieb umfasste drei Bühnen, eine Ausstellungshalle, mehrere Ateliers, ein Café und ein Bistro.

Soziokulturelles Zentrum Bearbeiten

Das soziokulturelle Zentrum war mit seinem Programm, das Veranstaltungen aus den Genres Theater, Tanz, Musik, Ausstellungen und Nachwuchsförderung beinhaltete, ein bedeutender Veranstaltungsort der Region Nordhessen für lokale, regionale Kunst und Kultur. Zu den 80 bis 120 Kulturveranstaltungen im Jahr kamen jeweils über hundert Besucher in das denkmalgeschützte Backsteingebäude in der Sandershäuser Straße 34.

Heim für Diskotheken Bearbeiten

 
Stammheim Logo

1989 bis 1992 entwickelten Rolf Taher, Peter van Houy und Oliver Leuer das zweigleisige Discokonzept Factory. So konnten mit Frank und Bernd Kuchinke zwei professionelle Kulturarbeiter im Gastro- und Discogeschäft zum Fortbestand des Betriebes beitragen. Der Verein vermietete an die Factory und an die Ateliernutzer als Untermieter im Westflügel der Fabrik.

Von 1992 bis 1995 hatte der Club Aufschwung Ost mit Oliver Friedrich und seinen besten Freunden und von 1996 bis 2002 das Stammheim, ein international bekannter Techno-Club, mit Noah Marnie als letztem Verantwortlichen, seinen Sitz in der Kulturfabrik.

Performance zur documenta 9 Bearbeiten

Während der documenta 9 führte 1992 der Aktionskünstler Flatz einen Teil der Performance „Demontage 1“ in der Kulturfabrik Salzmann auf. Zunächst wurde in der Tiefgarage des Museums Fridericianum kurze Ausschnitte von Arien der Oper Lakmé, die von zwei Sängerinnen vorgetragen wurden mit zwei aufheulenden Motorrädern übertönt, bis Flatz sich auf ein Motorrad aufschwang und davon eilte mit dem Hinweis, dass die Performance in der Factory fortgeführt würde. Dort erwartete der Künstler sein langsam eintreffendes Publikum, um ihnen mitzuteilen, dass nun die Performance beendet sei.

Teil des Rahmenprogramms der documenta 12 Bearbeiten

Im Rahmenprogramm der documenta 12 war die Kulturfabrik Salzmann Ort des „Salon in Bewegung“. Das Kasseler Kulturnetz regte 2007 eine Debatte über die Zukunft der Arbeit an. Künstler, Mediziner und Wissenschaftler haben mit den Salon-Besuchern Documenta-Leitthemen diskutiert.

Geländenutzung seit 2012 Bearbeiten

Im Jahr 2012 schloss der Standort Salzmann & Comp. seine Türen. Die Stadt Kassel plante, dort zusammen mit dem Gebäudeeigentümer, dem Investor Dennis Rossing, ein Technisches Rathaus einzurichten.[3] Den Mietern des Industriedenkmals wurden daher die Mietverträge gekündigt. Der Verein verlegte seine Tätigkeit daraufhin in das Panoptikum im ehemaligen Kupferhammer an der Leipziger Straße 407.[4] Das ursprüngliche Kulturprogramm kann dort jedoch nur in geringem Umfang realisiert werden.

Im selben Jahr begann der Abriss der nicht-denkmalgeschützten Produktionshallen. 2013 ließ das Regierungspräsidium Kassel prüfen, ob Eigentümer Dennis Rossing auf dem Gelände illegal Bauschutt lagert[5] und stellte eine Räumungsanordnung aus, gegen die Rossing im Herbst 2014 klagte.[6]

In den Folgejahren scheiterten mehrere Pläne für eine Weiterentwicklung des Areals als Wohnraum und Einkaufszentrum, da sich Stadt, Besitzer und Investoren nicht auf ein gemeinsames Konzept einigen konnten.[7] Auch eine zeitweilige Nutzung als Flüchtlingsunterkunft scheiterte.[8] Im Januar 2014 schlug die Kasseler FDP-Fraktion vor, den Gebäudekomplex vollständig abzureißen[9], drei Monate später, im April 2014, wurde die Fabrik aufgrund gescheiterter Sanierungs- und Umbaupläne in die Rote Liste Kultur des Deutschen Kulturrates aufgenommen und in die Kategorie 2 (gefährdet) eingestuft.[10]

Im Dezember 2015 forderte die Stadt Rossing auf, das Gelände gegen Verfall zu sichern, um die denkmalgeschützten Gebäudeteile zu erhalten, nachdem sich im August 2015 die BHB Bauwert Holding aus der geplanten Wohnbebauung zurückzog und das Projekt scheiterte.[11]

Am 22. Januar 2016 kündigte die Stadt an, das Gebäude sichern zu lassen und die Kosten Rossing in Rechnung zu stellen, der daraufhin juristische Schritte ankündigte.[12][13] Im Juli 2016 stellte das Verwaltungsgericht Kassel fest, dass Rossing das Gebäude zu sichern hätte.[14] Da Rossing seiner Verpflichtung nicht nachkam, wurden Sicherungsmaßnahmen durch die Stadt beauftragt.[15]

2017 gab Eigentümer Rossing bekannt, das Wohnbauvorhaben umsetzen, jedoch „weg vom Luxus“ und „hin zu bezahlbarem Wohnraum“.[16]

Auszeichnungen Bearbeiten

  • Documenta-Schreiber Peter Rühmkorf überreichte 1987 seinen Preis der „Fabrik“.
  • 1994 erhielt die Kulturfabrik Salzmann den Kulturförderpreis der Stadt Kassel.
  • Benedikt Müller stellte 1996 seine „Klimabilder“ in der Kulturfabrik Salzmann aus.
  • 2010 wurde das in der Kulturfabrik veranstaltete 7. Free Flow Festival mit dem Kulturpreis für „Bürgerliches Engagement in der Soziokultur“ ausgezeichnet.[17]

Weitere Preise und Anerkennungen folgen u. a. für das Internationale Tanzfestival, das Trash Film Festival, den Internationalen Kulturaustausch, die Poetryslams und die Salzmannrettung.

Programmstruktur Bearbeiten

  • Es fanden Aufführungen der freien Theaterszene, unter anderem des Jugend- und Schultheaterzentrums Nord (TZN) mit Workshops, Abrufangeboten, Schultheater-Aufführungen, Theaterprojekten und Festivals statt. Außerdem gab es Aufführungen studentischer Theaterproduktionen sowie Gastspiele freier Gruppen. Die Experimentelle Bühne veranstaltete interdisziplinäre Projekte mit Kunst, Theater, Tanz, Musik und Poesie. In der Tanzfabrik zeigten Tänzer aus der Region zeitgenössischen Tanz, Tanztheater, Musicals und Tango.
  • On Stage war die Konzert-Bühne der Kulturfabrik Salzmann. Sie hatte 200 bis 300 Plätze und diente vor allem Auftritten regionaler Nachwuchsgruppen aller Musikrichtungen. Beiträge von auswärtigen Gruppen rundeten das Programm ab.
  • Artefakt war ein offenes Ausstellungskonzept, das regionalen Künstlern Einzel- und Gruppenausstellungen ermöglichte.
  • Specials in Form von Filmveranstaltungen, Podiumsdiskussionen, Diavorträge, urbane Affairen (Umzüge, Ortsbespielungen, Musikbörsen u. a.)
  • Stadtteilarbeit: Das Internationale Fest Bettenhausen (jährlich), die Spurensuche sowie 1999 die Herausgabe des Buches “Salzmann gestern, heute und morgen”.

Bekannte Bands in der Kulturfabrik Bearbeiten

Siehe auch Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Matthias Lohr: In Bettenhausen spielt wieder die Musik. In: HNA.de. 8. April 2022, abgerufen am 3. Oktober 2022.
  2. Sylvia Griffin: Kulturelles Angebot in mehreren alten Fabrikhallen. Hessische/Niedersächsische Allgemeine, Kassel 2. Juni 1987.
  3. Bastian Ludwig: Mehrheit stimmt für technisches Rathaus. In: HNA.de. 12. Dezember 2011, abgerufen am 30. April 2022.
  4. Matthias Lohr: Noch kein Aufschwung Ost: Die Kulturfabrik Salzmann. HNA.de, 5. Juni 2015, abgerufen am 4. April 2016.
  5. Jörg Steinbach: Salzmann: Hat Rossing illegal Schutt abgelagert? HNA.de, 6. August 2013, abgerufen am 4. April 2016.
  6. Katja Rudolph: Bauschutt auf Salzmann-Gelände: Rossing klagt gegen Regierungspräsidium. HNA.de, 10. September 2014, abgerufen am 4. April 2016.
  7. Jörg Steinbach: Salzmann-Gelände: Stadt steht vor Trümmerhaufen. HNA.de, 15. August 2015, abgerufen am 4. April 2016.
  8. Kathrin Meyer: Stadt lehnt Flüchtlinge bei Salzmann ab. Kassel live, 20. August 2015, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 19. April 2016; abgerufen am 4. April 2016.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.kassel-live.de
  9. FDP will Salzmann-Fabrik komplett abreißen. HNA.de, 15. Januar 2014, abgerufen am 4. April 2016.
  10. Politik & Kultur Zeitung des Deutschen Kulturrates 3|14 Seite 15 Kulturelles Leben Rote Liste Kultur (Memento des Originals vom 4. März 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.kulturrat.de, abgerufen am 28. April 2014
  11. Bastian Ludwig: Salzmann-Verfall: Stadt macht Rossing Druck. HNA.de, 5. Januar 2016, abgerufen am 4. April 2016.
  12. Bastian Ludwig: Streit um Salzmann: Stadt sichert alte Fabrik. HNA.de, 22. Februar 2016, abgerufen am 4. April 2016.
  13. Bastian Ludwig: Salzmann-Eigentümer Rossing will juristisch gegen Stadt vorgehen. HNA.de, 22. Februar 2016, abgerufen am 4. April 2016.
  14. Jörg Steinbach: Gericht: Rossing muss Salzmann sichern. HNA.de, 18. Juli 2016, abgerufen am 6. August 2016.
  15. Bastian Ludwig: Fabrik wird dicht gemacht: Verfall von Salzmann-Areal soll gestoppt werden. HNA.de, 3. August 2016, abgerufen am 6. August 2016.
  16. Jörg Steinbach: Salzmann in Kassel: Jetzt sollen doch Wohnungen in Bettenhausen gebaut werden. HNA.de, 28. Oktober 2017, abgerufen am 21. Dezember 2017.
  17. Mirko Konrad: Verein Kulturfabrik Salzmann: Auszug im Jubiläumsjahr. In: HNA.de. 16. Oktober 2012, abgerufen am 9. Mai 2022.

Koordinaten: 51° 18′ 34″ N, 9° 31′ 25″ O