Die Kirkwood-Buff-Theorie (KB-Theorie) ist eine Theorie der Lösung von Molekülen. Sie verbindet makroskopische Stoffeigenschaften mit molekularen.

Prinzip Bearbeiten

Die Kirkwood-Buff-Theorie verwendet Methoden der statistischen Mechanik zur Berechnung thermodynamischer Mengen aus Paarverteilungsfunktionen zwischen allen Molekülen in einer Mehrkomponentenlösung.[1] Die KB-Theorie kann zur Validierung molekularer Modellierungen und zur Aufklärung des Mechanismus verschiedener physikalischer Vorgänge verwendet werden.[2][3][4] Weiterhin wird die KB-Theorie bei verschiedenen biologischen Fragestellungen angewendet.[5]

Zur KB-Theorie wurde eine Umkehrung entwickelt, die reverse KB-Theorie, bei der molekulare Eigenschaften aus thermodynamischen Messungen bestimmt werden können.[6][7]

Paarverteilungsfunktion Bearbeiten

Die Paarverteilungsfunktion beschreibt eine örtlich begrenzte Ordnung in einer Mischung. Die Paarverteilungsfunktion der Bestandteile   und   in   bzw.   ist folgendermaßen definiert:

 

mit der lokalen Dichte   der Komponenten   im Vergleich zur Komponente  , der Dichte   der Komponente   und dem Radiusvektor zwischen Molekülen  . Daraus folgt:

 

Unter der Annahme einer kugelförmigen Symmetrie vereinfacht sich die Funktion zu:

 

mit dem Abstand   zwischen zwei Molekülen.

Die Freie Energie wird gelegentlich zur weiteren Beschreibung der Wechselbeziehungen der Moleküle bestimmt. Das Potential mittlerer Kraft zwischen zwei Komponenten steht mit der Paarverteilungsfunktion in folgender Beziehung:

 

mit PMF (potential of mean force) als Maß der effektiven Wechselbeziehung zwischen zwei Komponenten in einer Lösung.

Kirkwood-Buff-Integrale Bearbeiten

Die Kirkwood-Buff-Integrale (KBI) zwischen den Komponenten   und   ist als das Raumintegral über die Paarverteilungsfunktion definiert:

 

Im Falle kugelförmiger Symmetrie vereinfacht sich die Gleichung zu:

 

Thermodynamische Relationen Bearbeiten

Zweikomponentensystem Bearbeiten

Verschiedene Beziehungen ( ,   und  ) können für ein System mit zwei Komponenten hergeleitet werden.

Das partielle molare Volumen der Komponente 1 ist:

 

mit der molaren Konzentration   und  

Die Kompressibilität  :

 

mit   als die Boltzmann-Konstante und der Temperatur  .

Der osmotische Druck   in Bezug zur Konzentration der Komponente 2:

 

mit   als chemisches Potential der Komponente 1.

Die chemischen Potentiale in Bezug auf Konzentrationen, bei konstanter Temperatur ( ) und konstantem Druck ( ) sind:

 
 

oder alternativ, in Bezug zum Stoffmengenanteil:

 


Koeffizient bevorzugter Wechselwirkungen Bearbeiten

Die relative Neigung der Lösung bzw. Interaktion eines Stoffes in einem Lösungsmittel wird durch den Bindungskoeffizienten (engl. preferential interaction coefficient)   beschrieben.[8] In einer wässrigen Lösung aus einem Lösungsmittel und zwei gelösten Komponenten (Solut und Cosolut) steht der effektive preferential interaction coefficient des Wassers mit dem preferential hydration coefficient   in Beziehung, der im Falle der Löslichkeit einen positiven Wert annimmt. Nach der Kirkwood-Buff-Theorie ist der preferential hydration coefficient bei niedrigen Konzentrationen des Cosoluts:

 

mit der Molarität des Wassers   und   und   als Wasser, Solut und Cosolut.

Im allgemeinsten Fall ist die bevorzugte Hydratation eine Funktion des KBI des Soluts mit sowohl dem Lösungsmittel als auch dem Cosolut. Unter einigen Annahmen[9] und in verschiedenen Anwendungsbeispielen[10] vereinfacht sich die Gleichung zu:

 

Dann ist die einzig relevante Funktion  .

Geschichte Bearbeiten

Die Theorie wurde 1951 von John G. Kirkwood und Frank P. Buff entwickelt.[1] Die reverse KB-Theorie wurde 1977 von Arieh Ben-Naim beschrieben.[6]

Literatur Bearbeiten

  • A. Ben-Naim: Molecular Theory of Water and Aqueous Solutions, Part I: Understanding Water. World Scientific, 2009, ISBN 978-981-283-760-8, S. 629.
  • E. Ruckenstein, IL. Shulgin: Thermodynamics of Solutions: From Gases to Pharmaceutics to Proteins. Springer, 2009, ISBN 978-1-4419-0439-3, S. 346.
  • W. Linert: Highlights in Solute–Solvent Interactions. Springer, 2002, ISBN 978-3-7091-6151-7, S. 222.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b J.G. Kirkwood, F. P. Buff: The Statistical Mechanical Theory of Solutions. I. In: J. Chem. Phys. 19. Jahrgang, 1951, S. 774–777, doi:10.1063/1.1748352, bibcode:1951JChPh..19..774K.
  2. KE Newman: Kirkwood–Buff solution theory: derivation and applications. In: Chem. Soc. Rev. 23. Jahrgang, 1994, S. 31–40, doi:10.1039/CS9942300031.
  3. D. Harries, J. Rösgen: Biophysical Tools for Biologists: Vol 1 in Vitro Techniques. Elsevier Academic Press Inc, 2008, A practical guide on how osmolytes modulate macromolecular properties., S. 679–735, doi:10.1016/S0091-679X(07)84022-2.
  4. S. Weerasinghe, G. M. Baeee, M. Kang, N. Bentenitis, Smith, P.E.: Modeling Solvent Environments: Applications to Simulations of Biomolecules. Wiley-VCH, 2010, Developing Force Fields from the Microscopic Structure of Solutions: The Kirkwood–Buff Approach., S. 55–76, doi:10.1002/9783527629251.ch3.
  5. Veronica Pierce, Myungshim Kang, Mahalaxmi Aburi, Samantha Weerasinghe, Paul E. Smith: Recent Applications of Kirkwood–Buff Theory to Biological Systems. In: Cell Biochem Biophys. 50. Jahrgang, 2008, S. 1–22, doi:10.1007/s12013-007-9005-0.
  6. a b A Ben-Naim: Inversion of the Kirkwood–Buff theory of solutions: Application to the water-ethanol system. In: J. Chem. Phys. 67. Jahrgang, 1977, S. 4884–4890, doi:10.1063/1.434669, bibcode:1977JChPh..67.4884B.
  7. P.E. Smith: On the Kirkwood–Buff inversion procedure. In: J. Chem. Phys. 129. Jahrgang, 2008, S. 124509, doi:10.1063/1.2982171, bibcode:2008JChPh.129l4509S.
  8. V. A. Parsegian: Protein-water interactions. In: Int. Rev. Cytol. 215. Jahrgang, 2002, S. 1–31, doi:10.1016/S0074-7696(02)15003-0.
  9. L. Sapir, D. Harries: Is the depletion force entropic? Molecular crowding beyond steric interactions. In: Curr. Opin. Coll. Int. Sci. 20. Jahrgang, 2015, S. 3–10, doi:10.1016/j.cocis.2014.12.003.
  10. S. Shimizu, N. Matubayasi: Preferential Solvation: Dividing Surface vs Excess Numbers. In: J. Phys. Chem. B. 118. Jahrgang, 2014, S. 3922–3930, doi:10.1021/jp410567c.