Kinesiologisches Tape

Anbringen eines elastischen textilen Klebebandes auf die Haut zur angeblichen Schmerzlinderung

Kinesiologisches Tape (oder Physio-Tape) ist ein elastisches textiles, buntes Klebeband, welches in der Alternativmedizin und im Leistungssport Verwendung findet. In speziellen Techniken („Taping“) wird es auf die Haut aufgebracht und soll gesundheitsfördernde Wirkungen erzielen. Eine Wirksamkeit ist wissenschaftlich nicht bestätigt.

Geschichte Bearbeiten

1973 entwickelte der japanische Chiropraktiker Kenzo Kase die Methode und in Zusammenarbeit mit der Firma Nitto Denko[1] das zugehörige Tape.

Bei Sportverletzungen solle nicht die Ruhigstellung der Gelenke, sondern die Mobilisation des Stütz- und Bewegungsapparates im Vordergrund stehen. Die Nachhaltigkeit der manuellen Behandlung solle erhöht, Nebenwirkungen der chiropraktischen Behandlung verringert werden. Die Anwender verweisen darauf, dass kontrollierte, moderate Bewegung bei bestimmten Verletzungen den Heilungsprozess fördern kann.[2][3]

Ende der 1980er Jahre begannen japanische und koreanische Sportler, die „bunten Pflaster“ zu verwenden. Bei den olympischen Spielen 2008 in Peking bestritten manche Sportler die Wettkämpfe mit kinesiologischen Tapes.[4] Westliche Medien griffen das Thema auf.[5][6][7][8] Auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wurde das Thema aufgegriffen.[9][10]

Heute bieten Hersteller und Anwender Taping-Varianten gegen Probleme aus den Bereichen Sportphysiotherapie, Sporttraumatologie, Schmerztherapie, Orthopädie, Lymphologie, Neurologie, Faszientherapie und vieles mehr unter verschiedenen Bezeichnungen an. Es gibt eine Vielzahl von Schulungs- und Seminarangeboten für Ärzte, Physiotherapeuten und Ergotherapeuten. Manche Produkte werden an Laien zum Selbst-Tapen vermarktet.[11]

Material Bearbeiten

Die Materialeigenschaften sollen funktionelle Bewegungen (free range of motion) gewährleisten und freies Training ermöglichen, im Unterschied zum konventionellen, unelastischen Verband, der zur Kompression, Schienung und Augmentation eingesetzt wird.[12]

Das Textil ist mit einer zehnprozentigen Dehnung auf die Trägerfolie (Papierunterlage) aufgebracht; es ist Baumwollgewebe mit Elastan-Fäden, Viskose, oder synthetisch. Die Elastizität der Tapes wird meist mit „dehnbar auf 130 bis 140 %“ der ursprünglichen Länge angegeben. Einzelne Anbieter verweisen auf eine Dehnbarkeit bis auf 180 %. Dabei sind die Tapes in erster Linie längs-, aber auch schrägelastisch. Dadurch kann das Tape den Gelenkbewegungen folgen. Die Elastizitätseigenschaften sollen ähnlich derer der menschlichen Haut sein. Auf das Trägermaterial ist Acrylatkleber wellenförmig aufgebracht, der durch Körperwärme und Anreiben aktiviert wird. Das Tape ist luft- und feuchtigkeitsdurchlässig. Es ist wasserbeständig und bleibt während des Duschens, beim Schwimmen und bei erhöhter Schweißbildung haften. Es hält bis zu sieben Tage auf der Haut. Der Handel führt Tape-Rollen und vorgeschnittene Stücke („Pre-Cuts“).

Kontraindikationen und Nebenwirkungen Bearbeiten

Allergische Reaktionen und Hautreizungen sind häufige Nebenwirkungen. Das Tape darf bei Allergie gegen Polyacrylat-Kleber („Pflasterallergie“) nicht angewendet werden. Es soll auch nicht auf erkrankte Haut (z. B. Pilzinfektionen, Erythem, Erysipel) geklebt werden.

Studienlage Bearbeiten

Trotz zunehmender Verbreitung fehlen überzeugende Belege zur Wirksamkeit oder zu den behaupteten Wirkmechanismen. Die vorliegenden Studien haben fast alle schlechte Qualität, sind von geringer Fallzahl und haben daher kaum Aussagekraft. Trotz teilweise statistischer Signifikanz ist die klinische Relevanz (Effektstärke) fraglich, da höchstens sehr kleine und damit vernachlässigbare Wirkungen zu beobachten sind.

Wenn bei den Studien der Effekt auf Schmerzen beurteilt wird, besteht das Problem, dass diese Einschätzung rein subjektiv durch z. B. Patientenfragebögen erfolgt – dies ist nicht präzise und führt zu Verzerrungen.[13] Zudem gestaltet sich der Vergleich mittels (verblindeter) Kontrollgruppe schwierig – es gibt nur die Möglichkeit, das Tape an die falsche Stelle anzubringen („Scheinbehandlung“). Hier besteht aber das Risiko, dass die Patienten dies bemerken sowie die Behandler über die Scheinbehandlung im Klaren sind und sich gegenüber den Patienten nicht gleich verhalten.[14]

Objektiv messbare Parameter sind aussagekräftiger als die subjektive Wahrnehmung durch den Patienten. Bei einer Studie über Kniearthrose[15] konnten aber keine signifikanten Unterschiede bei Muskelkraft, Gehgeschwindigkeit oder Beweglichkeit des Knies zwischen den Gruppen (Taping, Scheinbehandlung und keiner Behandlung) gezeigt werden.[16]

In anderen Indikationen wie Rückenschmerzen[17][18], bei einem Tennisarm[19] oder Schulterbeschwerden[20][21] konnte eine klinische Relevanz nicht gezeigt werden, die Evidenz für die Wirksamkeit ist wenig oder nicht vorhanden.

Noch am besten ist die Studienlage bei Sportverletzungen. Eine Literaturübersicht aus Sicht der Manuellen Medizin ergab hinreichende Evidenz für Schmerzreduktion und verbesserte Muskelfunktion.[22] Dem gegenüber kommen zahlreiche andere Metaanalysen zu dem Ergebnis, dass kein stabiler Effekt belegt werden kann.[18][23][24][25][26][27][28]

In Deutschland ist kinesiologisches Taping wegen des fehlenden Wirkungsnachweises keine Leistung der Krankenkassen. Einzelne Kassen beteiligen sich allerdings an den Kosten.[29]

Literatur Bearbeiten

  • K. Kase, J. Wallis, T. Kase: Clinical Therapeutic Applications of the Kinesio Taping Method. Albuquerque, New Mexico, USA 2003.
  • K. Kase: Illustrated Kinesio Taping. KEN’I KAI INFORMATION, Third Edition, Albuquerque, New Mexico, USA 2000, ISBN 1-880047-24-1.
  • D. Sielmann, I. Hammelmann: Medi-Taping im Sport. Karl F. Haug Verlag, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-8304-2269-3.
  • B. Kumbrink: K-Taping: Ein Praxishandbuch Grundlagen, Anlagetechniken, Indikationen. Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2009, ISBN 978-3-540-72439-1.
  • N. Lutter, E. Reichardt: Dolo-Taping: Der sanfte Weg der Schmerztherapie – Medizinisches Lehr- und Arbeitsbuch. Aurum Verlag, Bielefeld 2008, ISBN 978-3-89901-127-2.

Weblinks Bearbeiten

Commons: Kinesio taping – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. U. Aussem, S. Breitenbach: Taping mit großem Potenzial in der Chirurgie. In: Passion Chirurgie. 1(5/6), Mai/Juni 2011, Artikel 03_02. BDC Online vom 16. Oktober 2017.
  2. J. A. Buckwalter: Effects of early motion on healing of musculoskeletal tissues. In: Hand Clin. 12(1), Feb 1996, S. 13–24.
  3. J. A. Buckwalter: Activity vs. rest in the treatment of bone, soft tissue and joint injuries. In: The Iowa orthopaedic journal. Band 15, 1995, S. 29–42, PMID 7634042, PMC 2329066 (freier Volltext) (Review).
  4. D. Ulrich: Wie wirkt sich die Anwendung von klassischem Tape und Kinesiotape auf die Stabilität des Fussgelenks aus? Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Department Gesundheit Physiotherapie 2006, Abgabe: 19. Juni 2009 Bachelorarbeit
  5. Jürgen Bröker: Alternative Behandlung – Bunte Streifen gegen Schmerzen. In: Spiegel online. 4. April 2006, abgerufen am 30. November 2019.
  6. Werner Bartens: Kinesio-Tape bei Mario Balotelli – Glückskleber statt Heilsbringer. In: sueddeutsche.de. 1. Juli 2012, abgerufen am 5. Dezember 2019.
  7. Dennis Ballwieser: Kinesio-Tapes – Der blau gestreifte Super Mario. In: Spiegel online. 30. Juni 2012, abgerufen am 22. Juli 2021.
  8. Kinesio-Tapes: Farbige Pflaster erobern Olympia. Sommerspiele London 2012. In: augsburger-allgemeine.de. 2. August 2012, abgerufen am 30. Oktober 2020.
  9. Björn Platz: Die Bandagen der Zukunft – schmerzfrei Sport treiben? Begleitender Eintrag zur Fernsehsendung. In: daserste.de. 28. August 2013, archiviert vom Original am 6. April 2017; abgerufen am 27. April 2019.
  10. Wie wirkungsvoll sind Kinesio-Tapes? auf: ndr.de
  11. Sei flexibel und tape dich selbst! (Memento vom 17. April 2015 im Internet Archive) auf: selbst-tapen.de
  12. J. Asmussen, P. D. Montag: Taping-Seminar – Ein Lehr- und Übungsbuch der Funktionellen Verbände am Bewegungsapparat, ihre Wirkungsweise, Anwendungsgebiete und die empfohlene Verbandtechnik. Spitta Verlag, Balingen 2003.
  13. Die Akte Kinesio-Taping: bunte Pflaster gegen Schmerzen? (Podcast) Quarks Science Cops Folge 53. In: Science Cops. WDR/Quarks, 15. April 2023, abgerufen am 29. April 2023 (ab 31:50).
  14. Die Akte Kinesio-Taping: bunte Pflaster gegen Schmerzen? (Podcast) Quarks Science Cops Folge 53. In: Science Cops. WDR/Quarks, 15. April 2023, abgerufen am 29. April 2023 (ab 32:50).
  15. Anna Lina Rahlf, Klaus-Michael Braumann, Astrid Zech: Kinesio Taping Improves Perceptions of Pain and Function of Patients With Knee Osteoarthritis: A Randomized, Controlled Trial. In: Journal of Sport Rehabilitation. Band 28, Nr. 5, ISSN 1543-3072, S. 481–487, doi:10.1123/jsr.2017-0306 (humankinetics.com [abgerufen am 29. April 2023]).
  16. Die Akte Kinesio-Taping: bunte Pflaster gegen Schmerzen? (Podcast) Quarks Science Cops Folge 53. In: Science Cops. WDR/Quarks, 15. April 2023, abgerufen am 29. April 2023 (ab 39:35).
  17. Die Akte Kinesio-Taping: bunte Pflaster gegen Schmerzen? (Podcast) Quarks Science Cops Folge 53. In: Science Cops. WDR/Quarks, 15. April 2023, abgerufen am 29. April 2023 (ab 40:38).
  18. a b Julia Harlfinger: Kinesiotape bei Kreuzschmerzen: Wirkung nicht erwiesen. In: Medizin transparent. 20. Mai 2019, abgerufen am 29. April 2023.
  19. Die Akte Kinesio-Taping: bunte Pflaster gegen Schmerzen? (Podcast) Quarks Science Cops Folge 53. In: Science Cops. WDR/Quarks, 15. April 2023, abgerufen am 29. April 2023 (ab 41:20).
  20. Die Akte Kinesio-Taping: bunte Pflaster gegen Schmerzen? (Podcast) Quarks Science Cops Folge 53. In: Science Cops. WDR/Quarks, 15. April 2023, abgerufen am 29. April 2023 (ab 43:57).
  21. Silvia Gianola et al.: Kinesio‐Taping zur Behandlung des Rotatorenmanschettensyndroms. In: Cochrane Library. 8. August 2021, abgerufen am 29. April 2023.
  22. Koss J, Munz J: Wie ist der aktuelle Stand der Evidenz und des Wissens über die Effektivität des Medical Tapings in Bezug auf Kreislauf, Muskelfunktion, Korrektur, Schmerzen und Propriozeption? Manuelle Therapie 2012; 16(03): 138–149, doi:10.1055/s-0032-1322427
  23. Sean Williams et al.: Kinesio taping in treatment and prevention of sports injuries: a meta-analysis of the evidence for its effectiveness. In: Sports Medicine (Auckland, N.Z.). Band 42, Nr. 2, 1. Februar 2012, S. 153–164, doi:10.2165/11594960-000000000-00000, PMID 22124445 (englisch).
  24. Mehran Mostafavifar et al.: A systematic review of the effectiveness of kinesio taping for musculoskeletal injury. In: The Physician and Sportsmedicine. Band 40, Nr. 4, November 2012, S. 33–40, doi:10.3810/psm.2012.11.1986, PMID 23306413 (englisch).
  25. Kelly T. Bassett et al.: The use and treatment efficacy of kinaesthetic taping for musculoskeletal conditions: a systematic review. In: New Zealand Journal of Physiotherapy. Band 38, Nr. 2, 1. Juli 2010, S. 56–63 (englisch).
  26. Patrícia do Carmo Silva Parreira et al.: Current evidence does not support the use of Kinesio Taping in clinical practice: a systematic review. In: Journal of Physiotherapy. Band 60, Nr. 1, März 2014, S. 31–39, doi:10.1016/j.jphys.2013.12.008, PMID 24856938 (englisch).
  27. Israel Abraham Muñoz-Barrenechea et al.: [A systematic review of the functional effectiveness of kinesiotaping in individuals with ankle instability]. In: Medwave. Band 19, Nr. 4, 22. Mai 2019, S. e7635, doi:10.5867/medwave.2019.04.7635, PMID 31150374 (spanisch).
  28. Edwin Choon Wyn Lim, Mathew Guo Xiang Tay: Kinesio taping in musculoskeletal pain and disability that lasts for more than 4 weeks: is it time to peel off the tape and throw it out with the sweat? A systematic review with meta-analysis focused on pain and also methods of tape application. In: British Journal of Sports Medicine. Band 49, Nr. 24, Dezember 2015, S. 1558–1566, doi:10.1136/bjsports-2014-094151 (englisch).
  29. Kinesiotape: Mit bunten Bändern gegen Schmerzen. In: Webseite der DAK. Abgerufen 27. September 2021.