Kernkraftwerk Kashiwazaki-Kariwa

Kernkraftwerk in Japan

Das Kernkraftwerk Kashiwazaki-Kariwa (jap. 柏崎刈羽原子力発電所, Kashiwazaki Kariwa genshiryoku hatsudensho) ist teils in Kashiwazaki und teils in Kariwa in der Präfektur Niigata gelegen. Der erste Reaktor wurde 1985 fertiggestellt, sechs weitere folgten. Es ist mit sieben Kernreaktoren und einer elektrischen Gesamtleistung von 8.212 MW brutto (7965 MW netto) das leistungsstärkste Kernkraftwerk der Welt. Der Betreiber ist Tokyo Electric Power Company (TEPCO).

Kernkraftwerk Kashiwazaki-Kariwa
Luftaufnahme der Anlage
Luftaufnahme der Anlage
Luftaufnahme der Anlage
Lage
Kernkraftwerk Kashiwazaki-Kariwa (Präfektur Niigata)
Kernkraftwerk Kashiwazaki-Kariwa (Präfektur Niigata)
Koordinaten 37° 25′ 35″ N, 138° 35′ 40″ OKoordinaten: 37° 25′ 35″ N, 138° 35′ 40″ O
Land Japan
Daten
Eigentümer Tōkyō Denryoku
Betreiber Tōkyō Denryoku
Projektbeginn 1977
Kommerzieller Betrieb 18. Sept. 1985
Stilllegung 03/2012 (Reaktivierung Block 6 + 7 für Sommer 2023 geplant)

Aktive Reaktoren (Brutto)

0  (0 MW)

Stillgelegte Reaktoren (Brutto)

7  (8.212 MW)
Eingespeiste Energie im Jahr 2010 24.626,91 GWh
Eingespeiste Energie seit Inbetriebnahme 823.438 GWh
Website Das Kernkraftwerk auf der Seite des Betreiber s (japanisch)
Stand 03. Juni 2011
Die Datenquelle der jeweiligen Einträge findet sich in der Dokumentation.

Seit 2007 war die Anlage nach der Abschaltung dreier Blöcke faktisch nur noch im Teilbetrieb, ab 2012 war sie komplett abgeschaltet. Das Areal der Anlage umfasst 4,2 km² und liegt an der Küste des Japanischen Meeres. Im April 2021 hat Japans Atomaufsichtsbehörde NRA den Betreiber TEPCO die Wiederinbetriebnahme der Kashiwazaki-Anlage für eineinhalb Jahre verboten, nachdem schwerwiegende Sicherheitsmängel festgestellt wurden.

Spätestens seit der Nuklearkatastrophe von Fukushima ist die Anlage in Kashiwazaki zu einem Symbol für das Versagen der Betreiberfirma TEPCO[1] und die Gefahren der Atomkraft auf dem Inselstaat geworden, in dem es häufig zu Erdbeben kommt. Japan liegt auf dem Pazifischen Feuerring, einer Region um einen Großteil des Randes des Pazifischen Ozeans, in der Vulkanausbrüche und Erdbeben häufig sind.

Stand August 2022 war das Wiederanfahren der Anlage zum Sommer 2023 geplant.[2] Um die Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten zu verringern und Stromengpässe zu vermeiden, will die Initiative von Ministerpräsident Kishida möglichst viele Kernkraftwerke zurück ans Netz bringen.[3]

Geschichte Bearbeiten

Die Reaktoren 1 bis 3 wurden ab 1985 von Toshiba fertiggestellt.[4] Der vierte und fünfte Reaktor wurden von Hitachi geliefert.[5] Der sechste Reaktor ist von General Electric und Toshiba. Der siebte stammt von General Electric und Hitachi. Die Brennelemente vom Typ ATRIUM-9 mit einer Gitterteilung von 9×9 stammen von Siemens. Der Betreiber ist Tōkyō Denryoku (TEPCO).

Während in Atomkraftwerken normalerweise Reaktoren in Reihe gebaut und chronologisch nach der Reihenfolge ihrer Fertigstellung benannt werden, wurde in Kashiwazaki-Kariwa von dieser Regel abgewichen. Nach der Fertigstellung von Block 1 begann fast zeitgleich der Bau des benachbarten Blocks 2 sowie der von Block 5 an einem anderen Bauplatz in einem Kilometer Entfernung. Anschließend wurden die Blöcke 3 und 4 neben den ersten beiden errichtet und die Blöcke 6 und 7 neben dem fünften.

Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima wurde das Kraftwerk im Jahr 2012 vorsichtshalber heruntergefahren und befindet sich seitdem im Stillstand. Im Zuge der Reaktivierung eines Großteils der japanischen Kernkraftwerke durch Präsident Kishida war seit 2022 geplant, die ersten Blöcke von Kashiwazaki-Kariwa im Sommer 2023 wieder ans Netz zu bringen.[3][2]

Störfälle Bearbeiten

Im Mai 2000 musste der Block 6 vorläufig abgeschaltet werden, nachdem 300-fach erhöhte Iodwerte im Kühlkreislauf gemessen wurden. 2002 stellte sich heraus, dass 16 Jahre lang Berichte des Betreibers TEPCO gefälscht und Inspektionen aus Kostengründen verschleppt worden waren. Alle TEPCO-Kernkraftwerke wurden daraufhin heruntergefahren. Am 16. Mai 2003 war die Überprüfung beendet und die Anlage konnte erneut angefahren werden.[6]

Am 16. Juli 2007 führte ein Erdbeben der Stärke 6,6 auf der Richterskala in der Region zu einem Transformatorbrand im Kernkraftwerk, der nach etwa zwei Stunden gelöscht werden konnte. Nach ersten Angaben der TEPCO kam es durch das Erdbeben nicht zur Freisetzung von radioaktivem Material, diese Aussage wurde jedoch später revidiert: Austritt unterhalb der Dosis-Grenzwerte. Nach späterem Informationsstand sind größere Mengen Wasser aus dem Reaktor ausgetreten, wobei radioaktives Material ausgeschwemmt wurde. Auch 800 Liter Öl sind ausgelaufen. Zudem fielen eine unbekannte Anzahl Behälter mit radioaktiv kontaminierter Kleidung um, deren Deckel sich dabei teilweise öffneten.

Bei dem Erdbeben traten Bodenbeschleunigungen auf, welche die offiziellen Extrema der Schätzwerte für diesen Standort um das bis zu Zweieinhalbfache überschritten. „Wir haben bei der Planung des Kraftwerks nicht angenommen, dass ein Beben dieser Stärke auftreten könnte“, sagte ein Sprecher von TEPCO drei Tage nach dem Unfall. „Aber nachdem wir auf die Daten über die Nachbeben geschaut haben, haben wir begriffen, dass die Verwerfung direkt unter der Kernkraftanlage entlang läuft.“

Nicht für jeden ereignete sich das allerdings überraschend: Bei den ursprünglichen offiziellen geologischen Untersuchungen war zwar eine Bruchkante in mehreren Kilometern Entfernung, aber nicht unter dem Reaktor diagnostiziert worden, allerdings hatten neuere Gutachten durchaus eine Verwerfung direkt unter dem Reaktor angezeigt. Eine aus diesem Grund im Jahr 2005 von Anwohnern verlangte Aufhebung der Betriebsgenehmigung wies der Oberste Gerichtshof in Tokio mit dem Verweis auf offizielle Gutachten zurück: Es handele sich um keine aktive Verwerfung.[7]

Wegen Erdbebenschäden durch das erwähnte Niigata-Chūetsu-Küstenerdbeben 2007 wurde die gesamte Anlage für 21 Monate abgeschaltet. Sie liegt auch nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima wieder still, weil strittig ist, ob sie sicher genug weiter betrieben werden kann.

Am 5. März 2009 erlitt ein Mitarbeiter bei einem Brand leichte Verletzungen im Gesicht. Das Feuer konnte nach etwa 90 Minuten gelöscht werden. Laut Betreiber war die Reaktorsicherheit nicht gefährdet. Die Brandursache ist noch unklar.

Am Morgen des 19. November 2009 kam es erneut zu einem Zwischenfall, bei dem Rauch aus dem Kraftwerk austrat.

Am 6. Mai 2011 wurde der Defekt eines Ventils bekanntgegeben, das im Notfall benötigt würde, um Wasser in den Reaktor zu pumpen. Gleichzeitig tauchten weitere Mängel an der Anlage auf; so sollen z. B. die Geräte schlecht gewartet worden sein.[8]

Im April 2021 teilte der Betreiber den Behörden mit, dass das Atomkraftwerk seit ungefähr einem Jahr an 16 Stellen nicht genug abgesichert war, sodass Unbefugte die Anlage ohne Mühe hätten betreten können. Die Inspektoren deckten zusätzlich einen Vertuschungsversuch von TEPCO auf. Die NRA verbot den Neustart der Kashiwazaki-Anlage. Toshio Kimura, Nuklearingenieur und Autor des Buches "How Nuclear Energy Will Destroy The Nation" (Wie die Atomenergie die Nation zerstören wird) weist darauf hin, dass TEPCOs hartnäckige Vertuschungen zu nuklearen Sicherheitsvorschriften geführt haben, die grundlegend fehlerhaft sind. Kimura urteilte: „Das ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie dieses Unternehmen Missetaten vertuscht, wie sie [TEPCO] es immer tun. Man kann nur sagen, dass sie in keiner Weise qualifiziert sind, ein Atomkraftwerk zu betreiben.“[9][10]

Stromleitungen Bearbeiten

Eine der Stromleitungen ist Teil der Drehstromleitung Kita-Iwaki und als Doppelleitung für 1100 Kilovolt (kV) Betriebsspannung ausgelegt, wird aber zurzeit mit 500 kV betrieben.

Daten der Reaktorblöcke Bearbeiten

Das Kernkraftwerk Kashiwazaki-Kariwa hat insgesamt sieben Blöcke:

Reaktorblock[11] Reaktortyp Netto-
leistung
Brutto-
leistung
Baubeginn Netzsyn-
chronisation
Kommer-
zieller Betrieb
Abschal-
tung
Kashiwazaki Kariwa-1 Siedewasserreaktor 1.067 MW 1.100 MW 05.06.1980 13.02.1985 18.09.1985 Seit 8/2011 im Langzeitstillstand,
kein Wiederanfahrantrag
Kashiwazaki Kariwa-2 Siedewasserreaktor 1.067 MW 1.100 MW 18.11.1985 08.02.1990 28.09.1990 Seit 7/2007 im Langzeitstillstand,
kein Wiederanfahrantrag
Kashiwazaki Kariwa-3 Siedewasserreaktor 1.067 MW 1.100 MW 07.03.1989 08.12.1992 11.08.1993 Seit 7/2007 im Langzeitstillstand,
kein Wiederanfahrantrag
Kashiwazaki Kariwa-4 Siedewasserreaktor 1.067 MW 1.100 MW 05.03.1990 21.12.1993 11.08.1994 Seit 7/2007 im Langzeitstillstand,
kein Wiederanfahrantrag
Kashiwazaki Kariwa-5 Siedewasserreaktor 1.067 MW 1.100 MW 20.06.1985 12.09.1989 10.04.1990 Seit 1/2012 im Langzeitstillstand,
kein Wiederanfahrantrag
Kashiwazaki Kariwa-6 Advanced Boiling Water Reactor 1.315 MW 1.356 MW 03.11.1992 29.01.1996 07.11.1996 Seit 3/2012 im Langzeitstillstand
Kashiwazaki Kariwa-7 Advanced Boiling Water Reactor 1.315 MW 1.356 MW 01.07.1993 17.12.1996 02.07.1997 Seit 8/2011 im Langzeitstillstand[12]

Siehe auch Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Jake Adelstein: Man Who Predicted Fukushima, the Worst Nuclear Disaster Since Chernobyl, Sees Another Coming. In: thedailybeast.com. 19. April 2021, abgerufen am 10. Februar 2024 (englisch).
  2. a b Shiki Iwasawa: Kishida urges panel to consider next-generation nuke reactors In: The Asahi Shimbun, 24. August 2022 (englisch). 
  3. a b Japan verabschiedet sich vom Atomausstieg In: Wirtschaftswoche, 22. Dezember 2022 
  4. INSC: Database. In: International Nuclear Safety Center. Archiviert vom Original am 28. Mai 2010; abgerufen am 7. August 2016 (englisch).
  5. INSC: Database. In: International Nuclear Safety Center. Archiviert vom Original am 28. Mai 2010; abgerufen am 7. August 2016 (englisch).
  6. rp-online.de (Memento vom 15. Juli 2011 im Internet Archive)
  7. Technology Review: Rauchzeichen über Japans Atomprogramm
  8. Sda: Störfall im weltweit grössten AKW | Der Bund. In: derbund.ch. 6. Mai 2011, abgerufen am 10. Februar 2024.
  9. Tobias Möllers: Experte prophezeit weitere Nuklearkatastrophe wie in Fukushima. In: fr.de. 3. Mai 2021, abgerufen am 30. Januar 2024.
  10. https://sumikai.com/nachrichten-aus-japan/japans-atomaufsicht-verbietet-wiederinbetriebnahme-des-atomkraftwerks-niigata-290643/
  11. Japan, Nuclear Power Reactors - Alphabetic. IAEA (englisch)
  12. PRIS