Juditter Kirche

Kirchengebäude in Kaliningrad

Die Juditter Kirche ist ein Gotteshaus in Juditten, einem ehemaligen westlichen Vorort von Königsberg (heute Stadtteil Mendelejewo) im Zentralrajon von Kaliningrad.

Die Nikolaikirche (Januar 2012)

Kirchengebäude Bearbeiten

 
Dreirubelmünze aus dem Jahr 2005

Die Juditter Kirche gehört zu den ältesten Gotteshäusern des Samlands. Sie wurde durch den Deutschen Orden als Wehrkirche zwischen 1288 und 1298 errichtet.[1] Sie diente in ihrer Frühzeit auch schon als Wallfahrtskirche. In die ursprünglich flachgedecktene Kirche wurde 1330 Gewölbe in Chor und Kirchenschiff eingezogen. Die Bauabschnitte sind gut durch die Materialien zu sehen: Der Unterbau ist aus Backstein, der dann nach oben mit Fachwerk abschließt; der Westgiebel ist auch mit Naturstein gemauert.

Der Glockenturm stand ursprünglich separat neben dem Kirchenschiff allein da und hatte keine ebenerdig beginnende Treppe, was für eine Wehrkirche zweckmäßig war. Eine enge Steintreppe führte aus dem Langhaus in dessen Stirnrand nach oben. Die backsteinerne Turmbasis entstand gegen Ende des 14. Jahrhunderts.[2]

Um 1470 war dem Kirchenschiff die Familiengruft von Roeder hinzugefügt worden, die ein breites flaches Tonnengewölbe hatte.[2] In der Gruft wurden später auch die sterblichen Überreste des preußischen Generalfeldmarschalls Johann von Lehwaldt (1685–1768) beigesetzt, der im Siebenjährigen Krieg durch die Schlacht bei Groß-Jägersdorf 1757 gegen die Russen bekannt geworden war. Im Jahr 1820 wurde der bis dahin alleinstehende Glockenturm durch eine tonnengewölbte Quervorhalle mit dem Kirchenschiff verbunden, in die das Gewölbe der Familiengruft baulich integriert wurde.

1700 wurde Johann Christoph Gottsched im Pfarrhaus geboren.

Die Kirche überstand den Zweiten Weltkrieg bis zur Eroberung von Juditten durch die Rote Armee 1945 praktisch unbeschadet. Dann wurde sie geplündert und bis in die 1970er Jahre dem Verfall preisgegeben. In den 1960er Jahren stürzte das Dach ein, später auch ein Teil der Wände.[3]

Anfang 1980 wurde das ruinöse Gebäude der Russisch-Orthodoxen Kirche überlassen, welche es bis 1990 restaurierte. Die 1945 vernichtete deutsche Ausstattung wurde in orthodoxem Sinne ersetzt. Bereits am 6. Oktober 1985 war die Kirche – als erste christliche Kirche zur Sowjetzeit in Kaliningrad – nach dem heiligen Nikolaus von Myra neu geweiht worden und heißt seither Nikolaikirche (russisch Свято-Никольская церковь/Swjato-Nikolskaja zerkow). 1988 fand zu Ehren des 1000. Jahrestages der Taufe der Rus der erste Gottesdienst statt. Die Kirche ist heute Hauptkirche des gleichnamigen Frauenklosters der Eparchien Kaliningrad und Baltijsk der Russisch-Orthodoxen Kirche, daneben touristische Attraktion. Im Jahr 2005 brachte die russische Münze ein Dreirubelstück in Silber heraus.

Kirchengemeinde Bearbeiten

Eine Kirchengemeinde in Juditten bestand bereits in vorreformatorischer Zeit. Die Reformation hielt hier bereits früh Einzug. Damals gehörte Juditten zur Inspektion Schaaken (russisch: Schemtschuschnoje), bis 1945 war der Ort dann in den Kirchenkreis Königsberg-Land II (Bereich nördlich des Pregel) innerhalb der Kirchenprovinz Ostpreußen der Kirche der Altpreußischen Union eingegliedert. Seit 1928 bestand die Filialgemeinde Metgethen (heute russisch: Possjolok imeni Alexandra Kosmodemjanskowo), die vom Amtsinhaber der zweiten Pfarrstelle von Juditten betreut wurde.

Anfang der 1980er Jahre fasste in Mendelejewo die Russisch-Orthodoxe Kirche Fuß und bildete nach 1990 eine eigene Gemeinde innerhalb der Diözese Kaliningrad und Baltijsk (bis 2009: Diözese Smolensk und Kaliningrad).

Im Bereich Mendelejewos lebende evangelische Kirchenglieder sind heute der Auferstehungskirche in Kaliningrad (Königsberg) zugeordnet. Sie gehört zur Propstei Kaliningrad[4] der Evangelisch-lutherischen Kirche Europäisches Russland.

Kirchspielorte (bis 1945) Bearbeiten

Zur Kirche von Juditten gehörten vor 1945 neben dem Pfarrort noch 30 Kirchspielorte[5]:

Deutscher Name Russischer Name Deutscher Name Russischer
Name
Deutscher Name Russischer Name
Adlig Friedrichswalde Groß Friedrichsberg Sowchosnoje Rathshof Woduschny
Am Fort Groß Holstein Pregolski Rieselfeld
Bahnhof Halbehufe Spittelhof
Charlottenburg Lermontowo Klein Friedrichsberg Spittelkrug
Dammkrug Klein Holstein Spittelpark
Fischhof Lawsken Mendelejewo Waldgarten
Forsthaus Louisenthal Waldschlößchen
Fort 5
„Friedrich Wilhelm III.“
Marienberg Mendelejewo Wallenthal
Fort 6
„Königin Luise“
Metgethen Possjolok imeni Alexandra
Kosmodemjanskowo
Wehrdamm
Fürstenteich Moditten Possjolok imeni Alexandra
Kosmodemjanskowo
Wilky Mendelejewo

Pfarrer (bis 1945) Bearbeiten

 
Juditter Kirche
 
Juditter Kirche
 
Innenansicht der Kirche von Juditten aus der Zeit vor 1945

Von der Reformation bis zum Jahre 1945 amtierten an der Kirche von Juditten 29 evangelische Geistliche[6]:

  • Johann Cramer, bis 1533
  • Johann NN., bis 1534
  • Wenceslaus Jencker, bis 1535
  • Paul Cosninck, bis 1554
  • Michael Schönwaldt, ab 1570
  • Urban Meyer, 1574–1619
  • Rüdiger Jacob, 1612–1620
  • Joachim Neresius, 1620
  • Heinrich Haltermann, ab 1621
  • Jacob Stanislai, 1630–1638
  • Johann Settegast, 1638–1643
  • Christoph Rhode, 1643–1663
  • Simon Böhm, 1663–1682
  • Christoph Schultz, 1682–1692
  • Johann Lemcke, 1692–1697
  • Christoph Gottsched, 1697–1715
  • Johann Meyer, 1715–1737
  • Johann Gottlieb Sier, 1738–1749
  • Georg Wilhelm Augar, 1750–1798
  • Theodor Stein, 1798–1810
  • Dietrich Gottfried Niedt, ab 1810
  • Wilhelm Theodor A.G. Buchholz, 1842–1848
  • Ernst Ludwig Storch, 1848–1872
  • Louis Friedrich Wilhelm Tackmann,
    1872–1893
  • Louis Richard Otto Fünfstück, 1893–1924
  • Gerhard Lawin, 1924–1945
  • Horst Voßköhler, 1938–1939
  • Albert Podschun, 1940–1945
  • Kurt Flack, 1945

Kirchenbücher Bearbeiten

Von den Kirchenbüchern der Kirche von Juditten haben sich erhalten und werden heute im Evangelischen Zentralarchiv in Berlin-Kreuzberg aufbewahrt[7]:

  • Taufen: 1681 bis 1874, Namensverzeichnisse: 1727 bis 1825 und 1831 bis 1913
  • Trauungen: 1847–1874, 1861–1936
  • Beerdigungen: 1768 bis 1877, Namensverzeichnisse: 1768 bis 1893

Gräberfelder Bearbeiten

Auf dem Friedhof liegt der Bildhauer Stanislaus Cauer begraben. Südlich der Kirche befinden sich Massengräber von Deutschen, die 1945 bis 1947 an Hunger und Seuchen verstorben sind.

Siehe auch Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Ernst Ludwig Storch: Die Kirche und das Kirchspiel Juditten im Landkreis Königsberg. Ein Beitrag zur vaterländischen, Kirchen- und Kultur-Geschichte Preußens. Königsberg 1861 (Volltext)
  • Materialien zur Geschichte der Kirche Juditten bei Königsberg i. Pr. In: Archiv für vaterländische Interessen. Neue Folge, Jahrgang 1845, Marienwerder 1845, S. 725–745.
  • Adalbert von Mülverstedt: Ueber den Namen der Kirche Juditten. Vortrag in der Versammlung der Prussia am 1. Oct. 1853 gehalten. In: Preußische Provinzial-Blätter. Band 4, Königsberg 1853, S. 367–377.
  • Robert Albinus: Königsberg-Lexikon. Stadt und Umgebung. Flechsig, Würzburg 2002, ISBN 3-88189-441-1.
  • Richard Armstedt: Geschichte der königl. Haupt- und Residenzstadt Königsberg in Preußen. Reprint der Originalausgabe, Stuttgart 1899.
  • Fritz Gause: Die Geschichte der Stadt Königsberg in Preussen. 3 Bände. Böhlau, Köln 1996, ISBN 3-412-08896-X.
  • V. Kulakov u. a.: Pamjatniky istorii i kultury. Kaliningrad. Moskau 2005, ISBN 5-90242-501-8 (Geschichts- und Kunstdenkmäler. Kaliningrad; russisch)
  • Jürgen Manthey: Königsberg – Geschichte einer Weltbürgerrepublik. Carl Hanser, München 2005, ISBN 3-446-20619-1.
  • Gunnar Strunz: Königsberg entdecken. Zwischen Memel und frischem Haff. Trescher, Berlin 2006, ISBN 3-89794-071-X.
  • Baldur Köster: Königsberg. Architektur aus deutscher Zeit. Husum Druck, Husum 2000, ISBN 3-88042-923-5.

Weblinks Bearbeiten

Commons: Judittenkirche, Kaliningrad – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. August Rudolf Gebser und Ernst August Hagen: Der Dom zu Königsberg in Preußen. Eine kirchen- und kunstgeschichtliche Schilderung, Band 2: Beschreibung der Domkirche zu Königsberg und der in ihr enthaltenen Kunstwerke, mit einer Einleitung über die Kunst des deutschen Ordens in Preußen, vornämlich über den ältesten Kirchenbau im Samlande. Hartung, Königsberg 1833, S. 11.
  2. a b Heinz D. Rainer Ney: Gottes Häuser in Königsberg. Band 1: Kirchen, Kapellen und Synagogen bis 1945, GRIN-Verlag,, 2015, S. 17 (eingeschränkte Vorschau).
  3. Königsberg (Калининград), Юдиттен-кирха - Подземелья Кёнигсберга. Abgerufen am 29. Januar 2021.
  4. Evangelisch-lutherische Propstei Kaliningrad (Memento des Originals vom 29. August 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.propstei-kaliningrad.info (deutsch/russisch)
  5. Patrick Plew, Die Kirchen im Samland: Juditten
  6. Friedwald Moeller, Altpreußisches evangelisches Pfarrerbuch von der Reformation bis zur Vertreibung im Jahre 1945, Hamburg 1968, S. 60
  7. Christa Stache, Verzeichnis der Kirchenbücher im Evangelischen Zentralarchiv in Berlin, Teil I: Die östlichen Kirchenprovinzen der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union, Berlin 1992³, Seite 55–56

Koordinaten: 54° 42′ 56,5″ N, 20° 25′ 30,7″ O