Johann Wilhelm Schwedler

deutscher Bauingenieur, Statiker und Konstrukteur

Johann Wilhelm Schwedler (* 28. Juni 1823 in Berlin; † 9. Juni 1894 ebenda) war ein deutscher Bauingenieur und preußischer Baubeamter. Er wurde als Konstrukteur von Brücken – insbesondere des Schwedlerträgers – und der Schwedlerkuppel berühmt.

Porträt und Unterschrift Johann Wilhelm Schwedlers

Leben Bearbeiten

Schwedler entstammte einer armen Tischler-Familie. Er besuchte in Berlin die Gewerbeschule und beendete sie 1842 mit der Reifeprüfung. Danach bestand er Prüfungen zum Staatsdienst und eine „Nachprüfung zum Land- und Wasserbau“. 1852 wurde er Bauleiter in Siegburg. 1858 kehrte er nach Berlin zurück und arbeitete in der Eisenbahnabteilung des preußischen Ministeriums für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten. 1868 erhielt er den Titel Geheimer Baurat, wurde oberster preußischer Baubeamter und erreichte beruflich den Zenit seines Schaffens für den Eisenbau und die konstruktionsorientierte Baustatik.[1] Damit ist seine Mitarbeit bei fast allen bedeutenden Ingenieurbauten in Preußen anzunehmen. Aufgeführt sind deshalb aus dieser Zeit nur Werke mit wesentlicher bzw. führender Beteiligung. Sein Nachfolger als oberster preußischer Baubeamter wurde 1891 Hermann Zimmermann.

Gleichwohl brachte er danach noch immer bedeutende Ingenieurleistungen hervor: Drehbrücken ohne Rollkranz, die Hebung des Kreuzberg-Denkmals und einen Beitrag zur Theorie des Eisenbahn-Oberbaues; mit der letztgenannten Veröffentlichung trug Schwedler entscheidend zur Validierung und Verbreitung von Emil Winklers (1835–1888) Ideen zur Analyse des Eisenbahnoberbaus im englischsprachigen Raum bei.[1]

Von 1864 bis 1873 war Schwedler Lehrer an der Berliner Bauakademie. Außerdem war er langjähriges Mitglied der Redaktionskommission der Zeitschrift für Bauwesen. 1878 wurde Schwedler vom preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten in die USA zum Studium der dortigen Brücken- und Eisenbauten entsandt und besuchte als offizieller Vertreter Preußens die Weltausstellung in Philadelphia. Schwedler brachte sein enzyklopädisches Ingenieurwissen in zahlreichen Ausschüssen, Kommissionen und Jurys ein. Er wurde mit zahlreichen Ehrungen bedacht.

Am 9. November 1888 erlitt Schwedler einen leichten Schlaganfall, trat aber schon am 2. Januar 1889 seinen Dienst im preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten wieder an. Doch bald bat er um Versetzung in den Ruhestand. Diese wurde ihm nach fast 43-jähriger Dienstzeit unter Verleihung des Charakters als Wirklicher Geheimer Oberbaurat mit dem Range eines Rates 1. Klasse zum 1. März 1891 bewilligt. An diesem Tag überreichte eine Abordnung aus hochkarätigen Vertretern des Bau- und Ingenieurwesens, des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten, der Preußischen Akademie des Bauwesens, der Eisenbahnbehörden, der Technischen Hochschulen und der Industrie eine künstlerisch ausgestattete „Adresse“ mit mehr als 3500 Unterschriften, davon 500 aus dem Ausland.

Im Konstruktiven Ingenieurbau der deutschsprachigen Länder der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nimmt Schwedler den ersten Platz ein. Wie kein anderer prägte er die Konstruktionssprache des Eisenbaus. Seine Bauwerke sind Resultat eines strukturalen Kompositionsprozesses: Sie stellen das Fließgleichgewicht von Form, Funktion, Festigkeit und Fertigung dar, sie konstituieren Kunst und Wissenschaft ingeniöser Konstruktionen in der Etablierungsphase des Eisenbaus (1850–1875). So ebnete Schwedler als Protagonist der Stahlbauwissenschaft dem konstruktiven Ingenieurbau seines Landes den Weg zur Weltspitze.[1]

Werk Bearbeiten

 
Eisenbahnbrücke Unterreichenbach (Schwedlerträger)
 
Eisenbahnbrücke von 1871/72 bei Dömitz mit Schwedler-Trägern, Zustand 2013
 
Schnitt des Gasometers an der Fichtestraße in Berlin
 
Südliche Bahnhofshalle des Frankfurter Hauptbahnhofs

Ab etwa 1850 beschäftigte er sich zusammen mit seinem in Köln als Ingenieur tätigen älteren Bruder Johann Gottlob Schwedler (1805–1859) mit der Konstruktion von Eisenbahnbrücken aus Stahl. In seiner „Theorie der Brückenbalkensysteme“ entwickelte er eine wissenschaftliche Theorie des statisch bestimmten Fachwerkträgers, mit der Zug- und Druckstreben eines auf Biegung beanspruchten Fachwerkträgers bemessen und dimensioniert werden konnten. Daraus leitete Schwedler den nach ihm benannten Träger ab, der aus zwei Hyperbel-förmigen Stücken zusammengesetzt ist und einen mittleren Parallelträger aufweist, der dem Obergurt eine ästhetisch ansprechende, gleichmäßig gebogene Form gibt. Die Diagonalen des sogenannten Schwedler-Trägers sollten nur auf Zug beansprucht werden. Deshalb wechselt die Diagonalenrichtung in Brückenmitte. Einige Felder in Brückenmitte haben wegen der veränderlichen Belastung durch Verkehrslasten kreuzweise Doppeldiagonalen. Die Verbindungen der Streben bildete Schwedler mit beweglichen Gelenken aus. Weil beim Schwedler-Träger kein oberer Windverband, also keine weitergehende Versteifung, möglich ist, wurde der Träger nicht bei großen Stützweiten eingesetzt.[2]

Schwedler-Träger bei Brücken kamen in den 1860er und 1870er Jahren zahlreich zum Einsatz. Frühe Brücken mit derartigen Trägern nach Schwedlers Entwurf waren die Eisenbahnbrücken bei Corvey über die Weser von 1864, bei Stettin über die Oder von 1867/68, bei Hämerten (Nähe Tangermünde) über die Elbe von 1867/68, bei Magdeburg über die Elbe von 1869 und die Straßenbrücke bei Bromberg über die Brahe (polnisch Brda, Nebenfluss der Weichsel) von 1869/70. Erhalten sind bei Dömitz – wenn auch nicht nach Entwurf Schwedlers – Teile der 1871/72 erbauten Eisenbahnbrücke über die Elbe mit 16 Schwedler-Trägern. Die Zeit der Schwedler-Träger war ab etwa 1880 vorbei. Schwedler selbst wandte sich schon ab 1870 dem Polygonal-, ab 1885 dem Linsenträger zu, welch letzteren er bei den Eisenbahnbrücken über die Nogat bei Marienburg und über die Weichsel bie Dirschau 1888/91 verwirklichte.[3]

Ab etwa 1860 entwickelte Schwedler – als Weiterentwicklung des nach ihm benannten Trägers – den Dreigelenkbogen. Dessen Prinzip zielt auf statische Bestimmtheit, die Zwängungsspannungen im Tragwerk ausschließt. Schwedler baute nach diesem Prinzip Dächer von Bahnhofshallen (beispielsweise Berliner Ostbahnhof, Frankfurter Hauptbahnhof).

Seine ebenfalls stählerne „Schwedlerkuppel“ kam erstmals 1863 bei der Überdachung des Gasbehälters an der Holzmarktstraße in Berlin zum Einsatz. Auch konstruierte er Dächer als räumliche Schalentragwerke mit Durchmessern bis 45 m.

Schriften (Auswahl) Bearbeiten

Bauten und Konstruktions-Entwürfe Bearbeiten

Ehrungen Bearbeiten

 
Schwedlerbrücke in Frankfurt-Ostend, Blick in Richtung Ostpark

Literatur Bearbeiten

  • Otto Sarrazin: Johann Wilhelm Schwedler. In: Zeitschrift für Bauwesen. Nr. 1, 1895, S. 1–22 (zlb.de).
  • Egbert Ritter von HoyerSchwedler, Johann Wilhelm. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 54, Duncker & Humblot, Leipzig 1908, S. 278–282.
  • August Hertwig: Leben und Schaffen der Reichsbahn-Brückenbauer Schwedler, Zimmermann, Labes, Schaper. Eine kurze Entwicklungsgeschichte des Brückenbaues. Ernst & Sohn, Berlin 1950.
  • Judith Breuer: Die ersten preußischen Eisenbahnbrücken. Dirschau, Marienburg, Köln. Verschwundene Zeugnisse für Fortschrittsglauben und Geschichtsbewusstsein. Lüneburg 1988, S. 42, 45, 61, 63, 86 f.
  • Jan Knippers: Johann Wilhelm Schwedler. Vom Experiment zur Berechnung. In: Deutsche Bauzeitung, 21. März 2000; bauzeitung.de (PDF; 258 kB)
  • Karl-Eugen Kurrer: Das Fachwerk erobert die dritte Dimension. 150 Jahre Schwedlerkuppel. In: Momentum Magazin. 31. Januar 2013 (momentum-magazin.de [abgerufen am 22. Januar 2020]).
  • Karl-Eugen Kurrer: Johann Wilhelm Schwedler. In: Jessica Hänsel, Jörg Haspel, Christiane Salge, Kerstin Wittmann-Englert (Hrsg.): Baumeister, Ingenieure, Gartenarchitekten. Duncker & Humblot, Berlin 2016, ISBN 978-3-428-14587-4, S. 439–456 (= Berlinische Lebensbilder, Band 11.).
  • Karl-Eugen Kurrer: Die Tragwerksinnovationen Johann Wilhelm Schwedlers (1823–1894). In: Stahlbau, 85. Jahrgang, 2016, Heft 5, S. 350–359.

Weblinks Bearbeiten

Commons: Johann Wilhelm Schwedler – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b c Karl-Eugen Kurrer: Das Fachwerk erobert die dritte Dimension. 150 Jahre Schwedler-Kuppel. In: Momentum Magazin. Abgerufen am 22. Februar 2020.
  2. Heinrich Jordan, Eugen Michel: Die künstlerische Gestaltung von Eisenkonstruktionen. Berlin 1913, 1. Band (Text), S. 5, 6. Georg Mehrtens: Der deutsche Brückenbau im XIX. Jahrhundert. Berlin 1900, S. 17, 18, 58, 59, 61
  3. Heinrich Jordan, Eugen Michel: Die künstlerische Gestaltung von Eisenkonstruktionen. Berlin 1913, 1. Band (Text), S. 6. Georg Mehrtens: Der deutsche Brückenbau im XIX. Jahrhundert. Berlin 1900, S. 58, 59, 61
  4. Alexander Kierdorf: Zwischen Genie und Utopie. Schwedlers vergessener Alternativentwurf für die erste Kölner Rheinbrücke. In: Stahlbau, 80. Jahrgang 2011, Heft 3, S. 198–204.
  5. Johann Wilhelm Schwedler: Dachconstruction zum Gasbehälter-Gebäude der Imperial-Continental-Gas-Association zu Berlin. In: Zeitschrift für Bauwesen. Nr. 4, 1863, Sp. 151–166 (zlb.de). (sowie Zeichnungen auf Blatt 25 und 26 im Atlas der Zeitschrift für Bauwesen)
  6. Ulrike Robeck: Die älteren Hallen des Bochumer Vereins als Zweckbauten und Denkmale der Eisen- und Stahlindustrie. Philipp von Zabern, Mainz 2010, ISBN 978-3-8053-4279-7, S. 41–112 (= Denkmalpflege und Forschung in Westfalen, Band 50).
  7. Johann Wilhelm Schwedler: Kurze und lange Oderbrücke in Breslau. In: Zeitschrift für Bauwesen. Nr. 4, 1868, Sp. 157–174 (zlb.de).
  8. Volker Rödel: Der Hauptbahnhof zu Frankfurt am Main. Aufstieg, Fall und Wiedergeburt eines Großstadtbahnhofs. Theiss, Stuttgart 2006, ISBN 3-8062-2043-3 (= Arbeitshefte des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen, Band 8).
  9. Lisa Steiner: Rundlokschuppen in Pankow: Bezirk setzt Grundstückseigentümer eine Frist. 23. November 2016, abgerufen am 2. März 2019.
  10. a b c d e Otto Sarrazin: Johann Wilhelm Schwedler. In: Zeitschrift für Bauwesen. Nr. 1, 1895, S. 1–22 (zlb.de).
  11. Ehrung. In: Centralblatt der Bauverwaltung. Nr. 39, 1883, S. 358 (zlb.de).
  12. Schwedlerstraße. In: Straßennamenlexikon des Luisenstädtischen Bildungsvereins (beim Kaupert)