Jürgen Schmidhuber

deutscher Informatiker, Künstler und Kodirektor des Schweizer Forschungsinstituts für Künstliche Intelligenz IDSIA

Jürgen Schmidhuber (* 17. Januar 1963 in München) ist ein Informatiker. Er arbeitet vor allem im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) und deren Spezialgebiet der neuronalen Netzwerke. Seit 1995 ist er wissenschaftlicher Direktor bei IDSIA, einem Schweizer Forschungsinstitut für KI.[1] Bekannte internationale Medien bezeichneten ihn als „Vater fortgeschrittener KI“,[2] „Papa“ berühmter KI-Produkte,[3] „Vater der modernen KI“[4][5] und „Paten der KI“.[6]

Jürgen Schmidhuber beim AI for GOOD Global Summit, 2017

Leben und Werk Bearbeiten

Schmidhuber studierte ab 1983 Informatik und Mathematik an der Technischen Universität München, an der er 1987 sein Diplom erwarb und 1991 bei Wilfried Brauer in Informatik promoviert wurde (Dynamische neuronale Netze und das fundamentale raumzeitliche Lernproblem).[7] Als Post-Doktorand war er 1991/92 an der University of Colorado Boulder. Im Jahre 1993 habilitierte sich Schmidhuber an der TU München (Net Architectures, Objective Functions, and Chain Rule). Er war Oberassistent und ab 1995 Privatdozent an der TU München, bevor er 1995 wissenschaftlicher Direktor von IDSIA in Lugano wurde.

2003–2021 war er Professor an der Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana in Manno, 2009–2021 ordentlicher Professor an der Universität Lugano, wo er immer noch außerordentlicher Professor ist.[1] Er war zudem 2004 bis 2009 als außerordentlicher Professor Leiter des Labors für kognitive Robotik an der TU München.[1] Seit Oktober 2021 arbeitet er als Direktor der KI-Initiative an der saudischen KAUST-Universität.[8] Weiterhin ist er Mitgründer und Chefwissenschaftler der Firma NNAISENSE, deren Präsident er von 2014 bis 2017 war.[1]

Er veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Artikel in folgenden Themenbereichen: Maschinelles Lernen, neuronale Netze, Kolmogorow-Komplexität, Digitale Physik, Robotik, Kaum Komplexe Kunst und Theorie der Schönheit.

Die in seiner Arbeitsgruppe entwickelten rekurrenten neuronalen Netze (RNN) lernen in effizienter Weise früher unlernbare Aufgaben wie die Erkennung gewisser kontextsensitiver Sprachen, Robotersteuerung in partiell sichtbaren Umgebungen, Musikkomposition, Aspekte der Sprachverarbeitung und das Erkennen von Handschriften. Er erhielt mit seinen neuronalen Netzwerken ab 2009 verschiedene Preise in visuellen Mustererkennungswettbewerben für Maschinenlernen und Künstliche Intelligenz. Sie wurden zum Beispiel in der KI-Forschung von Google angewandt, zum Beispiel auf das Go-Spiel (AlphaGo bei Deep Mind). Einer der Gründer von Google DeepMind studierte bei Schmidhuber in Lugano. Die RNN wurden insbesondere durch eine Idee von Schmidhubers Diplomanden an der TU München Sepp Hochreiter (Professor in Linz) 1991 verbessert, der Implementierung von Long short-term memory (LSTM) im neuronalen Netz, was diesem ermöglichte, weiter beim Lernen in die Vergangenheit zurückzublicken.[9] Schmidhuber bezeichnet seine RNN mit LSTM als Deep Learning Netzwerke.[10]

Seine möglicherweise ambitionierteste Arbeit ist die Gödelmaschine (2003) zur Lösung beliebiger formalisierbarer Probleme. Mit Hilfe eines asymptotisch optimalen Theorembeweisers überschreibt die Gödelmaschine beliebige Teile ihrer Software (samt dem Theorembeweiser), sobald sie einen Beweis gefunden hat, dass dies ihre zukünftige Leistung verbessern wird. Die Gödelmaschine ist dabei ein theoretisches Konstrukt, keine real funktionierende Ingenieurs-Leistung.[11]

Schmidhuber publizierte auch Arbeiten zur Menge der möglichen berechenbaren Universen. Sein „Großer Programmierer“ implementiert Konrad Zuses Hypothese (1967) der digitalen Physik, gegen die bis heute keine physikalische Evidenz vorliegt. 1997 wies Schmidhuber darauf hin, dass das einfachste Programm alle Universen berechnet, nicht nur unseres. Ein Beitrag aus dem Jahre 2000 analysierte weiterhin die Menge aller Universen mit limit-berechenbaren Wahrscheinlichkeiten sowie die Grenzen formaler Beschreibbarkeit.

Diese Arbeiten führten ihn zu Verallgemeinerungen der Kolmogorov-Komplexität K(x) einer Bitkette x. K(x) ist die Länge des kürzesten Programms, das x berechnet und hält. Schmidhubers nicht-haltende, doch konvergierende Programme stellen noch kürzere, nämlich die kürzestmöglichen formalen Beschreibungen dar. Sie führen zu nicht-abzählbaren, doch limesberechenbaren Wahrscheinlichkeitsmaßen und zu sogenannten Super-Omegas, bei denen es sich um Verallgemeinerungen von Gregory Chaitins „Zahl aller mathematischen Weisheit“ Omega handelt. All dies hat Konsequenzen für das Problem der optimalen induktiven Inferenz, d. h., der optimalen Zukunftsvorhersage aus bisher beobachteten Daten.

2013 erhielt Schmidhuber den Helmholtz Award der International Neural Networks Society, 2016 den IEEE CIS Neural Networks Pioneer Award für „bahnbrechende Beiträge zum Deep Learning und zu neuronalen Netzen“.[1] Sein Labor erhielt 2016 den NVIDIA Pioneers of AI Research Award.

Als Konsequenz aus der aus seiner Sicht unabwendbar fortschreitenden Automatisierung und dem damit einhergehenden Wegfall von Erwerbsarbeitsplätzen sieht Schmidhuber die Notwendigkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens: „Roboterbesitzer werden Steuern zahlen müssen, um die Mitglieder unserer Gesellschaft zu ernähren, die keine existenziell notwendigen Jobs mehr ausüben. Wer dies nicht bis zu einem gewissen Grad unterstützt, beschwört geradezu die Revolution Mensch gegen Maschine herauf.“ (Jürgen Schmidhuber: Wir müssen Roboter erziehen wie Kinder. Interview durch Vinzenz Greiner, 15. Januar 2017.)[12]

Schriften (Auswahl) Bearbeiten

  • mit Sepp Hochreiter: Long short-term memory, Neural Computation, Band 9, 1997, S. 1735–1780
  • mit F. A. Gers, F. Cummins: Learning to forget: Continual prediction with LSTM, Neural Computation, Band 12, 2000, S. 2451–2471
  • mit A. Graves, S. Fernández, F. Gomez: Connectionist temporal classification: labelling unsegmented sequence data with recurrent neural networks, Proceedings of the 23rd International Conference on Machine Learning, 2006, S. 369–376
  • mit D. Ciregan, U. Meier, J. Masci: Multi-column deep neural network for traffic sign classification, Neural Networks, Band 32, 2012, S. 333–338
  • mit D. Ciregan, U. Meier: Multi-column deep neural networks for image classification, IEEE Conference on computer vision and pattern recognition, 2012, S. 3642–3649
  • Deep learning in neural networks: An overview. In: Neural Networks. 61, 2015, S. 85, arxiv:1404.7828 [cs.NE].
  • mit K. Greff, R. K. Srivastava, J. Koutnik, B. R. Steunebrink: LSTM: A search space odyssey, IEEE Transactions on neural networks and learning systems, Band 28, 2016, S. 2222–2232

Filmische Dokumentationen Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Commons: Jürgen Schmidhuber – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b c d e Curriculum Vitae.
  2. John Markoff (27 November 2016). When A.I. Matures, It May Call Jürgen Schmidhuber ‘Dad’. The New York Times. Accessed April 2017.
  3. Enrique Alpanes (25 April 2021). Jürgen Schmidhuber, el hombre al que Alexa y Siri llamarían ‘papá’ si él quisiera hablar con ellas. El País. Accessed August 2021.
  4. Sony WOW Studio at SXSW 2019, Austin, Texas: Quote: "... Juergen Schmidhuber, the father of modern artificial intelligence who revolutionized machine learning with his lab's deep learning neural networks ..." In: PR Newswire, 22. Februar 2019. Abgerufen am 27. Februar 2019 (englisch). 
  5. Ruth Fulterer (21 February 2021). Der unbequeme Vater der künstlichen Intelligenz lebt in der Schweiz. NZZ. Accessed August 2021.
  6. Ashlee Vance: (Google, Amazon, and Facebook owe Jürgen Schmidhuber a fortune.) This Man Is the Godfather the AI Community Wants to Forget. Quote: These powers make LSTM arguably the most commercial AI achievement, used for everything from predicting diseases to composing music. In: Bloomberg Business Week, 15. Mai 2018. Abgerufen am 16. Januar 2019 
  7. Eintrag beim Medien- und Publikationsserver der TU München. Universitätsbibliothek der Technischen Universität München, abgerufen am 1. Oktober 2023.
  8. Interview mit Alexander Armbruster, Wieso Saudi-Arabien, Herr Schmidhuber?, In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. Dezember 2021
  9. Schmidhuber zum Beitrag Hochreiters
  10. Schmidhuber, My First Deep Learning System of 1991 + Deep Learning Timeline 1960–2013
  11. Michael L. Anderson, Tim Oates: A Review of Recent Research in Metareasoning and Metalearning. In: AI Magazine Volume 28 Number 1 (2007). Association for the Advancement of Artificial Intelligence, 2007, abgerufen am 4. Januar 2023 (englisch).
  12. Presseagentur APA/sda: Roboter-Forscher befürwortet bedingungsloses Grundeinkommen In: diepresse.com, 15. Januar 2017. Abgerufen am 7. April 2017.