Henri-Paul Motte

französischer Historienmaler

Henri-Paul Motte (auch: Henri Motte) (* 15. Dezember 1846 in Paris; † 23. März 1922 in Bourg-la-Reine)[1] war ein französischer Historienmaler. Seine Bilder stellen meist Themen aus der Antike oder der neuzeitlichen französischen Geschichte dar.

Henri-Paul Motte, ca. 1880
Mottes Ehefrau Constance und ihre gemeinsamen fünf Töchter

Leben Bearbeiten

Henri-Paul Motte, ein Schüler von Jean-Léon Gérôme, hatte sein Atelier in Neuilly-sur-Seine bei Paris (rue de Longchamps 94) und wurde 1880 mit einer Medaille 3. Klasse geehrt.[2] Außer als Maler betätigte er sich auch als Architekt, Kunstschriftsteller und Buchillustrator. Er verfasste eine „kleine Kunstgeschichte“ auf über 300 Seiten[3] und fertigte für die Ilias-Übersetzung von Emile Pessoneaux (1886) zu jedem Gesang eine ganzseitige Illustration an.[4] Motte war Mitglied der Société des Artistes Français und schuf auch Wandgemälde; so dekorierte er das Theater in Monte Carlo und das Rathaus in Limoges.[5] Henri-Paul Motte wurde 1892 zum Ritter der Ehrenlegion (ranghöchste Auszeichnung Frankreichs) ernannt.[6] Die Weltausstellung 1893 in Chicago beschickte Motte mit einem wandfüllenden Gemälde auf Leinwand.[7] Auf der Weltausstellung von 1900 in Paris erhielt er eine Bronzemedaille.

Um die Jahrhundertwende zog Henri-Paul Motte nach Bourg-la-Reine, wo er für seine vielköpfige Familie ein großes Haus erwarb. Nach einem hohen Baum im Garten wurde das Anwesen „Pin Ginko“ (deutsch: Pinien-Ginkgo) genannt. Mit dem Aufkommen des Impressionismus wurde es für Motte immer schwieriger, seine einst so populären Gemälde zu verkaufen. Deshalb nahm er in seinem Haus auch Pensionsgäste auf.[8]

Rezeption Bearbeiten

Mottes Gemälde wurden seinerzeit auch als Reproduktionen (besonders in Schwarz-Weiß) verbreitet. Jedoch gelangte nur ein Teil der Originale in Museen. Manche Bilder aus Privatbesitz sind seit Jahrzehnten nicht mehr auf dem Kunstmarkt aufgetaucht (z. B. „Die Gänse auf dem Kapitol“) und müssen heute als verschollen gelten. Einige von Mottes Bildern werden immer noch gerne, z. B. in Schul- und Geschichtsbüchern, zur Illustration eingesetzt.[9]

Zum Gemälde Vercingetorix kapituliert vor Caesar Bearbeiten

 
Henri-Paul Motte: Vercingetorix kapituliert vor Caesar (1886)

Im Laufe des 19. Jahrhunderts entdeckten die Franzosen ihre gallische Vorgeschichte wieder. Napoleon III. hatte am vermuteten Ort der Schlacht von Alesia Ausgrabungskampagnen durchführen lassen, und 1885 regte die École nationale des beaux-arts in Paris einen Malwettbewerb zum Thema „Die Kapitulation des Vercingetorix“ an. Mottes Gemälde „Vercingetorix kapituliert vor Caesar“ ist als Beitrag zu diesem Wettbewerb entstanden.[10] Motte lehnte sich dabei an den Bericht des Plutarch an, wonach Vercingetorix in vollem Waffenschmuck in Caesars Lager geritten sei, um sich dort zu unterwerfen. Im Gemälde dominiert Vercingetorix zu Pferde den Vordergrund, während Caesar nur klein im Hintergrund auf einem Podest zu sehen ist, so dass hier die Rollen von Sieger und Verlierer beinahe vertauscht erscheinen. Die römischen Legionäre, durch deren Reihe Vercingetorix im Begriff zu reiten ist, wirken fast wie ein Ehrenspalier. Damit griff Motte eine damals in Frankreich verbreitete Stimmung auf: Nach dem verlorenen Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 fühlte man sich als stolzer Besiegter, unterlegen und doch ungebrochen. Vercingetorix symbolisiert bei Motte Gambetta, Caesar Bismarck und die Schlacht von Alesia die von Sedan.[11]

Familie Bearbeiten

Henri-Paul Motte war Sohn des Jean Baptiste Jules Motte (1816–1882) aus Draguignan und der Emile Elisa, geb. Barre (1822–1899). Am 13. Dezember 1882 heiratete Henri-Paul Motte Constance Sarah Ivatts, die 1856 in Paris geborene Tochter englischer Eltern. Motte und seine Frau hatten neun Kinder, vier Söhne (Marcel, geb. 1884, gest. 1961 in Frederikshavn, Dänemark; Lionel, geb. 1886; Roland, geb. 1898, gest. 1955 in Mayfield, New South Wales, Australien; Gilbert, geb. 1902) und fünf Töchter (Irène, geb. 1889, verh. Platts; Cyrille, geb. 1890, verh. Jones; Gisèle, geb. 1893, verh. Dannatt; Renée, geb. 1895; Odette, geb. 1896).[12]

Außerdem lebte die Dänin Sophie Lund, genannt „Marraine“ (französisch für „Patin“), im Haushalt; sie war Hauslehrerin von Mottes Töchtern und wurde wie ein Familienmitglied behandelt. Im Hause Motte herrschte eine Atmosphäre entspannter Exzentrik, die sich z. B. darin äußerte, dass auch die Söhne langes Haar trugen, was damals sehr ungewöhnlich war.[13] Die Tochter Cyrille Motte heiratete 1911 den englischen Sprachwissenschaftler Daniel Jones. Dieser hatte als Sommergast regelmäßige Aufenthalte im Hause Motte verbracht und so Cyrille kennengelernt. Zwei weitere Töchter heirateten ebenfalls Engländer und Odette einen Amerikaner.[14]

Werke (Auswahl) Bearbeiten

Bild Titel (Entstehungsjahr) Material (in Bezug auf die linke Abbildung),
Größe des Originals
Besitzer des Originals
 
Das Trojanische Pferd
(1874)
Ölgemälde,
96 × 147 cm
Original früher in der Corcoran Gallery of Art, Washington, USA; 2009 bei Bonhams verkauft;[15]

seit 2011 im Wadsworth Atheneum, Hartford, Connecticut, USA[16]

 
Baal verzehrt die Kriegsgefangenen in Babylon
(auch unter dem Titel: Das Baalsopfer)
(1876)
Farbholzstich
nach einem Ölgemälde
Original in Algier, Musée National des beaux-arts
 
Hannibals Armee überquert die Rhône
(1878)
Schwarz-Weiß-Reproduktion
eines Ölgemäldes
(Heliogravüre von 1894)
Original in Bagnols-sur-Cèze, Musée Albert-André
 
Kirke verwandelt die Gefährten des Odysseus in Schweine
(1879)
Schwarz-Weiß-Reproduktion (Sepiaton)
nach einem Ölgemälde
Original verschollen
 
Der Kaiser langweilt sich
(1880)
Ölgemälde,
225 × 315 cm
Auxerre, Musée d’Art et d’Histoire[17]
 
Kardinal Richelieu bei der Belagerung von La Rochelle
(1881)
Ölgemälde,
112 × 190,5 cm[18]
Musée d’Orbigny Bernon, La Rochelle
 
Die Gänse auf dem Kapitol
(1883)
Farbreproduktion
eines Ölgemäldes
Original verschollen
 
Die Obervestalin fährt vorbei
(1885)
Heliogravüre nach
einem Ölgemälde
Original 1994 auf einer Auktion versteigert[19]
 
Die Braut des Belus
(1885)
Ölgemälde,
178 × 122 cm
früher Galerie Vincent Lécuyer,
seit 2013 im Musée d’Orsay, Paris[20]
 
Vercingetorix kapituliert vor Caesar
(1886)
Ölgemälde,
172 × 250 cm
Musée Crozatier, Le Puy-en-Velay[21]
 
Die Belagerung von Alesia
(1888)
Farbreproduktion
eines Ölgemäldes
Original im 19. Jh. von der Société des Sciences de Semur-en-Auxois erworben[22]
 
Die heiligen Gänse der Juno
(1889)
Ölgemälde,
32 × 46 cm
2019 bei Bruun Rasmussen versteigert[23][24]
 
Die Priesterin zu Delphi
(1890)
Nachkolorierter Holzstich
nach einem Ölgemälde
Original verschollen
 
Der Tuileriensturm
(1892)
Farbreproduktion
nach einem Ölgemälde[25]
Original verschollen
 
Die Tauben des Venustempels
(um 1896)
Holzstich nach
einem Ölgemälde[26]
Original verschollen
 
Napoleon in Aachen vor dem Thron Karls des Großen
(1898)
Ölgemälde Privatbesitz
 
Der Tanz der Israeliten um das Goldene Kalb
(1899)
Wasserfarbe und Gouache auf Papier,
61 × 99 cm
2020 bei Bruun Rasmussen angeboten (nicht verkauft)[27];

2021 bei Lauritz.com verkauft[28]

 
Druide beim Mistelschneiden am sechsten Tag des Mondes[29]
(1900)
Ölgemälde,
116 × 80 cm[30]
Privatsammlung[31]
 
Leda und der Schwan
(undatiert, um 1900)
Ölgemälde,
60,3 × 73,6 cm
1989 und 1996 auf Auktionen versteigert[32]
 
Die beiden letzten Karrees in der Schlacht bei Waterloo
(1905)
Schwarz-Weiß-Reproduktion nach
einem Ölgemälde
Original verschollen
 
Die Schlacht von Zama
(1906)
Schwarz-Weiß-Reproduktion
eines Ölgemäldes
Original verschollen
 
Der heilige Antonius in der Totengruft[33]
(1907)
Schwarz-Weiß-Reproduktion
eines Ölgemäldes
Original verschollen
 
Cauchons Augen (richten sich auf Jeanne d’Arc in ihrem Verlies)[34]
(1907)
Schwarz-Weiß-Reproduktion (Sepiaton)
nach einem Ölgemälde
Original verschollen
 
Christus beim Mahl
(1908)
Schwarz-Weiß-Reproduktion
eines Ölgemäldes
Original verschollen
 
Ein Gastmahl des Elagabal[35]
(1909)
Schwarz-Weiß-Reproduktion
eines Ölgemäldes
Original verschollen
 
Laune einer Prinzessin
(1913)
Schwarz-Weiß-Reproduktion
eines Ölgemäldes
Original verschollen
 
Phaedra und Hippolytus
(undatiert, vor 1922)
Ölgemälde,
112 × 150 cm
Original bei Cambi Casa d’Aste 2022 versteigert[36]

Weblinks Bearbeiten

Commons: Henri-Paul Motte – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Die Lebensdaten folgen den Angaben der Nationalbibliothek Frankreichs (BNF) [1]. Abweichend wurde als Geburtstag auch der 13. Dezember 1846, als Sterbedatum auch der 1. April 1922 in Paris genannt. Korrekte Aussprache des Namens hier.
  2. Theodore Reff: World's Fair of 1889, S. 1892. (Ausstellungskatalog in 47 Bdn.) Taylor & Francis Ltd: Milton Park 2019.
  3. Henri Motte: Petite histoire de l'art. Paris 1896, 319 S., illustriert.
  4. Iliade. Vingt-quatre grandes compositions par M. Henri Motte. Traduction par Emile Pessonneaux. Paris o. J., ca. 1880 (laut BNF), 1886 laut I. Krueger. Vgl. Ingeborg Krueger: Illustrierte Ausgaben von Homers Ilias und Odysee vom 16. bis ins 20. Jahrhundert, Tübingen 1971, S. 106.
  5. American Art News Vol. 20, No. 31 (May 13, 1922), p. 6
  6. Nach Angabe der BNF
  7. Abbildung auf Wikimedia Commons
  8. Beverly Collins, Inger M. Mees: The Real Professor Higgins: The Life and Career of Daniel Jones. Berlin: Mouton de Gruyter 1998, S. 20.
  9. Z. B. Die Schlacht von Zama, in: Helge Hesse: Bilder erzählen Weltgeschichte. München 4. Aufl. 2013, S. 50; Die Gänse auf dem Kapitol, in: Adeamus. 1. Aufl. 2016, S. 61; Napoleon in Aachen vor dem Thron Karls des Großen, in: Daniel Bernsen, Dieter Brückner (Hg.): Das waren Zeiten 1, Bamberg 2016, S. 303.
  10. Beitrag des Musée Crozatier zum Gemälde
  11. Beitrag auf e-stoire zum Gemälde
  12. Stammbaum der Familie Motte auf Myheritage
  13. Beverly Collins, Inger M. Mees: The Real Professor Higgins: The Life and Career of Daniel Jones. Berlin: Mouton de Gruyter 1998, S. 19–20.
  14. Beverly Collins, Inger M. Mees: The Real Professor Higgins: The Life and Career of Daniel Jones. Berlin: Mouton de Gruyter 1998, S. 20, 85–87.
  15. https://www.invaluable.com/auction-lot/henri-paul-motte-french-1846-1922-the-trojan-horse-275-c-ylaqej4y9t
  16. https://www.thewadsworth.org/event/envisionfest-community-day-2016/
  17. https://www.pop.culture.gouv.fr/notice/joconde/01840000101
  18. http://www.alienor.org/collections-des-musees/fiche-objet-78591-richelieu-sur-la-digue-de-la-rochelle
  19. Unter dem Titel „The Parade of the Vestal Virgins“, http://www.artnet.de/k%C3%BCnstler/henri-paul-motte/
  20. https://www.musee-orsay.fr/en/collections/index-of-works/notice.html?nnumid=165048
  21. https://www.musee.patrimoine.lepuyenvelay.fr/musee-crozatier/les-collections/les-oeuvres/beaux-arts/motte/
  22. Vgl. Bildunterschrift auf [2]
  23. https://www.barnebys.de/auktionen/objekte/henri-paul-motte-scene-from-ancient-rome-with-the-sacred-geese-_7w39ql0lk
  24. https://bruun-rasmussen.dk/m/lots/E6F14132F260
  25. aus: Le Petit Journal, Supplement illustré, 13. Aug. 1892, S. 264 [3]
  26. aus: Die Gartenlaube, Heft 17/1897, S. 292 (dort auch mehr zur sakralen Bedeutung der Tauben bei den Römern) [4]
  27. https://bruun-rasmussen.dk/m/lots/195267EDEB07
  28. https://www.lauritz.com/en/auktion/henri-motte-dansen-om-guldkalven/i5967345/
  29. Dieses Gemälde beruht auf Angaben aus Plinius, Naturalis historia 16, 249–251, über das Mistelschneiden der Druiden.
  30. https://www.artrenewal.org/artworks/druids-cutting-the-mistletoe-on-the-sixth-day-of-the-moon/henri-paul-motte/3291
  31. http://www.e-stoire.net/article-h-p-motte-druide-coupant-le-gui-au-6e-jour-de-la-lune-117835277.html
  32. http://www.artnet.de/k%C3%BCnstler/henri-paul-motte/
  33. Das Gemälde illustriert die Versuchungen des Antonius in seinem Eremitenleben. Allerdings berichtet die Vita des Antonius nicht wörtlich von einem lebendig gewordenen Fresko, sondern davon, dass ihm der Teufel in Trugbildern erschien, z. B. „Der erbarmungswürdige Teufel sah sich sogar veranlasst, des Nachts in Gestalt einer Frau zu erscheinen und (sie) auf jede Weise nachzuahmen“, vgl. Athanasius von Alexandrien: Vita Antonii/Das Leben des Antonius, übers. von Peter Gemeinhardt, Freiburg i Br. 2018, Kap. 5,5, S. 125.
  34. Gemeint ist Pierre Cauchon, Bischof von Beauvais, der den Inquisitionsprozess gegen Jeanne d’Arc führte und sie ständig in ihrem Verlies beobachtete. Das Gemälde ist inspiriert durch einen Satz bei Jules Michelet, Histoire de France, Bd. 5, Paris 1841, S. 143: Winchester, l’inquisiteur et Cauchon avaient chacun une clef de la tour et l’observaient à chaque heure; on avait tout exprès percé la muraille; dans cet infernal cachot, chaque pierre avait des yeux. (Deutsch: „[Der Kardinal von] Winchester, der Inquisitor und Cauchon hatten jeweils einen Schlüssel zum Turm und beobachteten sie stündlich; sie hatten absichtlich die Wand durchbohrt; in diesem höllischen Kerker hatte jeder Stein Augen.“) Vgl. auch eine Fotopostkarte des Gemäldes mit entsprechendem Michelet-Zitat hier
  35. Nach Historia Augusta 21,1 (ähnlich 25,1) liebte es Elagabal, seine Tischgäste mit zahmen Löwen und Leoparden zu erschrecken, die plötzlich in den Speisesaal geführt wurden und Panik auslösten, da ihre Harmlosigkeit nicht bekannt war. Dieses Gemälde inspirierte eine entsprechende Szene im Stummfilm „L'orgie Romaine“ von Louis Feuillade 1911.
  36. Auktionsseite