Gelehrte Estnische Gesellschaft

älteste wissenschaftliche Gesellschaft Estlands

Die Gelehrte Estnische Gesellschaft (estnisch: Õpetatud Eesti Selts) ist die älteste wissenschaftliche Gesellschaft Estlands. Ihre Aufgabe ist die Erforschung der Sprache, Kultur und Literatur der Esten, dabei vor allem die Bereiche Philologie, Literaturwissenschaft, Volkskunde, Ethnographie, Archäologie, Geschichte, Kunstgeschichte und Numismatik.

Gelehrte Estnische Gesellschaft
(ÕES)
Rechtsform mittetulundusühing
Gründung 18. Januar 1838 in Universität Tartu
Gründer Friedrich Georg von Bunge, Alexander Friedrich von Hueck, Friedrich Karl Hermann Kruse, Friedrich Robert Faehlmann, Dietrich Heinrich Jürgenson
Sitz Tartu
Mitglieder 100
Website oes.ut.ee

Geschichte

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Die Gelehrtengesellschaft wurde am 18. Januar 1838 in Dorpat (estnisch: Tartu) von den Universitätsprofessoren Friedrich Georg von Bunge (Jura), Alexander Friedrich von Hueck (Anatomie) und Friedrich Karl Hermann Kruse (Geschichte), dem Arzt und Schriftsteller Friedrich Robert Fählmann sowie dem Lektor für estnische Sprache, Dietrich Heinrich Jürgenson, gegründet. Sitz der Gesellschaft war die Kaiserliche Universität zu Dorpat, die heutige Universität Tartu.

Von herausragender Bedeutung während der ersten Jahre war die Veröffentlichung des estnischen Nationalepos Kalevipoeg mit deutscher Übersetzung durch die Sitzungsberichte der Gesellschaft in den Jahren von 1857 bis 1861.

Ab etwa 1860 verlagerte sich das Tätigkeitsfeld fort von der Volksaufklärung hin zur wissenschaftlichen Untersuchung der estnischen Kultur und Sprache. Neben der Sammlung mündlicher Überlieferungen und Volksdichtung spielte auch die Sammlung der Gesellschaft an Objekten der estnischen Geschichte und archäologischen Funden eine große Rolle. Diese Sammlung gilt heute als eine der Bestandsgrundlagen des Estnischen Nationalmuseums.[1]

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zählte die Gesellschaft bereits über 300 Mitglieder. Inzwischen schlossen sich neben Deutsch-Balten auch immer mehr Esten an. Gesellschaftliche und auch universitäre Konflikte führten dazu, dass die Gelehrte Estnische Gesellschaft sich zu Beginn des Ersten Weltkriegs auflöste. Die Neugründung erfolgte 1919 unter der estnischen Nationaluniversität von Tartu.

Während der sowjetischen Herrschaft in Estland wurde die Gesellschaft in den späten 1940er Jahren zuerst der Akademie der Wissenschaften der Estnischen Sozialistischen Sowjetrepublik unterstellt, um im Juni 1950 ganz aufgelöst zu werden.

Am 10. Oktober 1988 erfolgte die Wiedergründung. Heute zählt die Gelehrte Estnische Gesellschaft rund 100 Mitglieder und Ehrenmitglieder. Von 1996 bis 2008 war Tiit Rosenberg, Professor für Estnische Geschichte, Präsident der Gesellschaft; seit dem 23. Januar 2008 der Archäologe Heiki Valk und seit dem 29. Januar 2014 Professorin der Rechtsgeschichte Marju Luts-Sootak.

Personen

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Präsidenten

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Ehrenmitglieder

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Ehrenmitglieder im Inland (d. h. Kaiserreich Russland), aus Verzeichnis Ende 1890 [22 Personen][4], 1900 [15 Personen][5], 1905 [13 Personen][6], 1910 [9 Personen][7], 1911 [8 Personen][8]
Name Seit Bis / Tod Fundstelle in den Sitzungsberichten
Nikolai Anderson, Professor in Kasan 1892 † 1905 1900
Johannes Reinhold Aspelin, Professor und Staatsarchäologe in Helsingfors 1887 † 1915 1890, 1900, 1905, 1910
August Bielenstein, Pastor in Doblen 1887 † 1907 1890, 1900, 1905
Hermann von Bruiningk, Ritterschaftssekretär in Riga 1887 † 1927 1900, 1905, 1910
Woldemar Graf von dem Broel-Plater auf Dombrowitza in Wolhynien[9] 1876 † 1911 1890, 1900, 1905, 1910, 1911 (Todesmeldung)
Anton Buchholtz in Riga 1896 (lt. BBLD) † 1901 1900
Johannes Engelmann, Jurist 1861. resp. 1910 † 1912 1910
Richard Hausmann, Prof. emer. 1871, resp. 1896 † 1918 1900, 1905, 1910
Jakob Hurt, Pastor in St. Petersburg 1887 † 1907 1890, 1900, 1905
Georg Alexander zu Mecklenburg, in St. Petersburg 1883 † 1909 1890, 1900, 1905
Friedrich von Meyendorff, livländischer Landmarschall in Riga 1887 † 1911 1890, 1900, 1905, 1910, 1911 (Todesmeldung)
Rudolph Raison, Pastor emeritus, in Lassen (1900), in Sperlingshof bei Illuxt (1905)[10] 1887 † 1908 1890, 1900, 1905
Iwan Jegorowitsch Sabelin, Wirklicher Staatsrat, Direktor des Moskauer Museums 1887 † 1909 1890, 1900, 1905
Andrei Alexandrowitsch Saburow, Staatssekretär und Senator, Mitglied des Reichsrats, in St. Petersburg 1876 † 1916 1890, 1900, 1905, 1910
Iwan Iwanowitsch Tolstoi, Vizepräsident der Akademie der Künste, in St. Petersburg 1882 † 1916 1890, 1900, 1905, 1910
Praskowja Sergejewna Uwarowa, Präsidentin der Moskauer Archäologischen Gesellschaft 1887 † 1924 1890, 1900, 1905, 1910
Iwan Efimowitsch Andrejewski, Direktor des Archäologischen Instituts und Professor emer. in St. Petersburg[11] 1887 † 1891 1890
Nikolaj Kasimirowitsch Boguschewski in Pleskau[12] 1879 † 1892 1890
Arved Konrad von Brasch auf Ropkoy, Landrat 1888 † 1899 1890
Theodor Baron Bühler, Geheimrat, Direktor des Haupt-Staatsarchivs des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten in Moskau[13] 1875 † 1896 1890, 1895, 1896 (Todesmeldung)
Afanassi Fjodorowitsch Bytschkow, Geheimrat, Vizepräsident der Kaiserl. Archäologischen Gesellschaft in St. Petersburg[14] 1887 † 1899 1890
Paul Jordan, Sekretär des statistischen Bureaus in Reval[15] 1887 † 1894 1890
Michael Kapustin, Geheimrat, Kurator des St. Petersburger Lehrbezirks[16] 1883 † 1899 1890
Alexander von Keyserling, auf Raiküll in Estland, Hofmeister 1863 † 1891 1890
Ernst Kunik, Akademiker in St. Petersburg 1860 † 1899 1890
Karl Malm, Propst zu Rappel in Estland[17] 1887 † 1901 1890
Alexander von Stackelberg, Senator 1881 † 1898 1890
Leo Meyer, Professor 1866, resp. 1894 † 1910 1896
Wolfgang Schlüter, Privatdozent in Dorpat, Präsident der Gelehrten Estnischen Gesellschaft. 1877, resp. 1911 † 1919 1911
Eduard Winkelmann, Historiker, Privatdozent Universität Dorpat, Professor in Bern und Heidelberg, Präsident der Gelehrten Estnischen Gesellschaft. 1869 † 1896 1890

Literatur

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  • Hellmuth Weiss: Die historischen Gesellschaften. In: Georg von Rauch (Hrsg.): Geschichte der deutschbaltischen Geschichtsschreibung. Böhlau Köln Wien 1986. S. 121–139 (speziell S. 128–131).
  • Bibliographie aller Veröffentlichungen: Õpetatud Eesti Seltsi perioodiliste ja jätkväljaannete koondregistrid. Tartu 1977.
  • Jörg Hackmann:"Von der Gelehrten Estnischen Gesellschaft" zu "Õpetatud Eesti Seltsi". Verein und Nation in Estland. In: Norbert Angermann, Michael Garleff, Wilhelm Lenz (Hrsg.): Ostseeprovinzen, Baltische Staaten und das Nationale. Festschrift für Gert von Pistohlkors zum 70. Geburtstag. (Schriften der Baltischen Historischen Kommission, Band 14). Lit, Münster 2005, ISBN 3-8258-9086-4. S. 185–211.
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Einzelnachweise

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  1. Marc Eric Mitzscherling: Nationalmuseale Anfänge in der Peripherie des 19. Jahrhunderts – Vergleichende Betrachtung von Sammlungsmotiven und -schwerpunkten nationaler Protomuseen, Erfurt 2023 (Academia.edu).
  2. 756. Monatssitzung vom 7. März 1912. Sitzungsberichte der gelehrten estnischen Gesellschaft zu Dorpat 1912–1920, Tartu, 1921, S. 12.
  3. Paul Wolfgang Merkel’sche Familienstiftung: Dr. Adalbert Volck. In: Familiendaten der Paul Wolfgang Merkelschen Familienstiftung Nürnberg. Nürnberg, 2010.
  4. Verzeichnis der Mitglieder am Schlusse des Jahres 1890 http://hdl.handle.net/10062/21038
  5. Verzeichnis der Mitglieder am Schlusse des Jahres 1900 http://hdl.handle.net/10062/20876
  6. Verzeichnis der Mitglieder am Schlusse des Jahres 1905 http://hdl.handle.net/10062/20907
  7. Verzeichnis der Mitglieder am Schlusse des Jahres 1910 http://hdl.handle.net/10062/20920
  8. Verzeichnis der Mitglieder am Schlusse des Jahres 1910 http://hdl.handle.net/10062/20921
  9. Baltische Historische Kommission (Hrsg.): Eintrag zu Woldemar Gf. v. Broel-Plater. In: BBLD – Baltisches biografisches Lexikon digital
  10. Baltische Historische Kommission (Hrsg.): Eintrag zu Rudolf v. Raison. In: BBLD – Baltisches biografisches Lexikon digital
  11. Baltische Historische Kommission (Hrsg.): Eintrag zu Andreevskij, Ivan Efimovič. In: BBLD – Baltisches biografisches Lexikon digital
  12. Baltische Historische Kommission (Hrsg.): Eintrag zu Nik. v. Boguschewski. In: BBLD – Baltisches biografisches Lexikon digital
  13. Baltische Historische Kommission (Hrsg.): Eintrag zu Theodor v. Bühler. In: BBLD – Baltisches biografisches Lexikon digital
  14. Baltische Historische Kommission (Hrsg.): Eintrag zu Byčkov, Afanasij Federovič. In: BBLD – Baltisches biografisches Lexikon digital
  15. Baltische Historische Kommission (Hrsg.): Eintrag zu Paul Jordan. In: BBLD – Baltisches biografisches Lexikon digital
  16. Baltische Historische Kommission (Hrsg.): Eintrag zu Michael Kapustin. In: BBLD – Baltisches biografisches Lexikon digital
  17. Baltische Historische Kommission (Hrsg.): Eintrag zu Carl Malm. In: BBLD – Baltisches biografisches Lexikon digital