Fritz Selbmann

deutscher Politiker (USPD, KPD, SED), MdR, MdV, Schriftsteller, Minister und Parteifunktionär in der DDR

Friedrich Wilhelm „Fritz“ Selbmann (* 29. September 1899 in Lauterbach (Hessen); † 26. Januar 1975 in Ost-Berlin) war Parteifunktionär, Minister und Schriftsteller in der DDR.

Leben Bearbeiten

Fritz Selbmann, Sohn eines Kupferschmiedes, arbeitete bereits mit 17 Jahren unter Tage, war Soldat im Ersten Weltkrieg und 1918 Mitglied eines Arbeiter- und Soldatenrates. 1920 trat er in die USPD ein und 1922 in die KPD. In der Weimarer Republik wurde er mehrfach wegen politischer Tätigkeit verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Er war vom 4. Oktober 1930 bis zu seiner Mandatsniederlegung am 22. August 1932 Mitglied des Preußischen Landtages[1], 1932/33 Mitglied des Reichstages und politischer Sekretär in den Bezirken Oberschlesien und Sachsen. Selbmann nahm am 7. Februar 1933 an der illegalen Tagung des Zentralkomitees der KPD im Sporthaus Ziegenhals bei Berlin teil.[2] Im gleichen Jahr wurde er verhaftet und überlebte den Nationalsozialismus in Zuchthäusern und KZs (KZ Sachsenhausen und KZ Flossenbürg, siehe Die lange Nacht, 1961).

 
Fritz Selbmann (links) und Otto Grotewohl (1949)
 
Grabstätte

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus hatte er in der SBZ (stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Wirtschaftskommission) und in der DDR hohe Funktionen inne (u. a. Minister für Industrie, später Minister für Schwerindustrie und stellvertretender Vorsitzender der Staatlichen Plankommission und des Volkswirtschaftsrates).

Anlässlich des Aufstandes vom 17. Juni 1953 war er einer der wenigen prominenten SED-Funktionäre, die sich in Berlin den Streikenden stellten. Als sich am 16. Juni 1953 Tausende von Bauarbeitern auf dem Platz vor dem Haus der Ministerien in der Leipziger Straße versammelt hatten, um gegen die Erhöhung ihrer Arbeitsnormen zu protestieren, begab er sich mutig unter die Demonstranten und versuchte von einem Bürotisch herab zu ihnen zu sprechen. Aber der aufgestaute Unmut der Arbeiter war schon zu groß. Selbst seine Mitteilung, das Politbüro habe die Normenerhöhung soeben zurückgenommen, vermochte die aufgebrachte Menge nicht zu beruhigen. Sein Hinweis, er sei doch selber ein Arbeiter, stieß auf entschiedene Ablehnung. Selbmann musste abtreten. Der begonnene Arbeiterprotest entwickelte sich zum Volksaufstand. In seinem am 21. Juni 1953 auf der Parteiaktivtagung in Dresden gehaltenen Referat bezeichnete Selbmann den Aufstand als „unerhörten Schandfleck der deutschen Arbeiterbewegung“ und verglich ihn mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941.[3]

1954 bis 1958 war Selbmann Mitglied des ZK der SED. Wegen „abweichender Haltung“ wurde er von Walter Ulbricht 1958 im Umfeld der sogenannten Schirdewan-Wollweber-Fraktion in der SED-Führung aus seinen politischen und staatlichen Ämtern gedrängt und verlegte sich auf die Schriftstellerei. Die Kämpfe um die sozialistische Planerfüllung waren sein vorherrschendes Motiv.

Bis zu seinem Tod lebte Fritz Selbmann als freischaffender Schriftsteller in Berlin, erst in Karlshorst und dann ab 1965 in Müggelheim. 1969–1975 war er einer der Vizepräsidenten des DDR-Schriftstellerverbandes. Er veröffentlichte 1970 im Mitteldeutschen Verlag, Halle/Saale, unter dem Titel „Alternative, Bilanz, Credo. Versuch einer Selbstdarstellung“ seine Autobiografie.

Seine Urne wurde in der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin-Lichtenberg beigesetzt. Nach Selbmanns Tod wurde 1977 eine Schule in Müggelheim nach ihm benannt (16. POS „Fritz Selbmann“), die nach 1989 wieder umbenannt wurde.[4] Auch in Leipzig gab es eine nach ihm benannte Schule (88. POS „Fritz Selbmann“, Alte Salzstrasse 123). Schon 1950 war die Fachschule für Elektrotechnik in Mittweida nach Selbmann benannt worden.[5]

Sein Sohn Erich war Journalist und Chefredakteur der Aktuellen Kamera.

Ehrungen Bearbeiten

 
Gedenktafel in Lauterbach

Darstellung Selbmanns in der bildenden Kunst der DDR Bearbeiten

  • Fritz Eisel: Der Schriftsteller Fritz Selbmann (1966, Öl, 72 × 92 cm)[6]

Schriften Bearbeiten

  • Aufbruch des Geistes. Zur Frage der neuen deutschen Volkskultur. Haag-Drugulin, Leipzig 1945.
  • Reden und Tagebuchblätter 1933-1947. Voco-Verlag, Dresden 1947.
  • Betriebe des Volkes, Pioniere des demokratischen Neuaufbaus. Landesregierung Sachsen, Dresden 1947.
  • Aktuelle Fragen unserer Wirtschaftspolitik. Sachsenverlag, Dresden 1947.
  • Wahrheit und Wirklichkeit. Kritische Essays über Fragen die Philosophie und Geistesgeschichte. Voco-Verlag, Dresden 1947.
  • Planung und Wirtschaftspolitik. Landesregierung Sachsen, Dresden 1947.
  • Volksbetriebe im Wirtschaftsplan. Verlag Die Wirtschaft, Berlin 1948.
  • Demokratische Wirtschaft. Drei Vorträge gehalten an der Universität Leipzig und der Technischen Hochschule Dresden. Dresdener Verlagsgesellschaft, Dresden 1948.
  • Für eine gesamtdeutsche Wirtschaftspolitik. Deutscher Zentralverlag, Berlin 1949.
  • Ost-West-Handel und freier Außenhandel. Probleme der deutschen Wirtschaftseinheit. KPD-Fraktion im Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, Frankfurt am Main 1949.
  • Interzonenhandel und Wirtschaftseinheit. Kongreß-Verlag, Berlin 1949.
  • Der wichtigste Faktor in der wirtschaftlichen Entwicklung. Greif Verlag, Berlin 1950.
  • Aufgaben zur weiteren Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur Erhöhung der sozialistischen Akkumulation. Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung, Berlin 1956.
  • Befreite Arbeit. 10 Jahre volkseigene Betriebe. Dietz Verlag, Berlin 1956.
  • (mit Gerhart Ziller): Die neue Epoche der technischen Entwicklung. Dietz Verlag, Berlin 1956.
  • Ein Zeitalter stellt sich vor. Verlag Technik, Berlin 1957.
  • (als Mitautor): Agricola-Studien. Akademie-Verlag, Berlin 1957.
  • Die lange Nacht. Mitteldeutscher Verlag, Halle 1961.
  • Ein Mann und sein Schatten. Mitteldeutscher Verlag, Halle 1962.
  • Die Heimkehr des Joachim Ott. Roman Mitteldeutscher Verlag, Halle 1962. (1980 als Die Heimkehr des Joachim Ott verfilmt.)
  • Die Söhne der Wölfe. Mitteldeutscher Verlag, Halle 1965.
  • Alternative, Bilanz, Credo. Versuch einer Selbstdarstellung. Mitteldeutscher Verlag, Halle 1969.
  • (als Hg.): Die erste Stunde. Porträts. Verlag Neues Leben, Berlin 1969. (Im selben Jahr erschien eine Lizenzausgabe für den Buchclub 65.)
  • Diese Art zu leben. Über das Verhältnis von Macht und Geist. Mitteldeutscher Verlag, Halle 1971.
  • Der Mitläufer. Roman. Mitteldeutscher Verlag, Halle 1972.
  • (als Hg.): DDR-Porträts. Eine Anthologie. Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1974.
  • Das Schreiben und das Lesen. Ein Sammelband. Mitteldeutscher Verlag, Halle 1974.
  • Ausgewählte Reden und Artikel. 1945-1957. Dietz Verlag, Berlin 1974.
  • Acht Jahre und ein Tag. Bilder aus den Gründerjahren der DDR. Verlag Neues Leben, Berlin 1999, ISBN 978-3-355-01499-1[7]

Verfilmungen Bearbeiten

Hörspiele Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Commons: Fritz Selbmann – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Ernst Kienast (Hrsg.): Handbuch für den Preußischen Landtag. Ausgabe für die 4. Wahlperiode. R. v. Decker’s Verlag (G. Schenck), Berlin 1932, S. 487.
  2. Liste der Teilnehmer
  3. Heidi Roth: Der 17. Juni 1953 in Sachsen. Sonderausgabe für die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung, S. 469.
  4. Michael Braun: Die Schule in Müggelheim. In: Müggelheimer Bote, ZDB-ID 1427402-4, August 2020.
  5. Technikum Mittweida auf der Website von Albert Gieseler (Abgerufen im Dezember 2022)
  6. Bildende Kunst, Berlin, 1966, Heft 6, S. 340 (Abbildung)
  7. Winfrid Halder: Eine bedeutsame Quelle zur sächsischen Nachkriegsgeschichte? Anmerkungen zu Fritz Selbmanns postum erschienenen Erinnerungen. In: Neues Archiv für sächsische Geschichte 73 (2002), S. 215–240.