Friedensgericht Bingen

war von 1803 bis 1879 ein Friedensgericht zunächst in Frankreich und dann in der Provinz Rheinhessen des Großherzogtums Hessen mit Sitz in Bingen am Rhein, in dessen Provinz Starkenburg

Das Friedensgericht Bingen war von 1797 bis 1878 ein Friedensgericht, zunächst in Frankreich[Anm. 1] und ab 1816 in der Provinz Rheinhessen des Großherzogtums Hessen, mit Sitz in Bingen am Rhein.

Vorgeschichte Bearbeiten

Das Gebiet um Bingen gehörte am Ende des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation zu Kurmainz.[1] Hier waren – ebenso wie in den benachbarten Territorien – Verwaltung und Rechtsprechung nicht getrennt und wurden auf unterer Ebene von Ämtern wahrgenommen, die in geistlichen Gebieten als „Amtsvogteien“ bezeichnet wurden. Der Amtmann oder Amtsvogt entschied hier als Einzelrichter.

1792 eroberten die Truppen des revolutionären Frankreichs die Rheinlande. Dort entstand die Mainzer Republik. Der französische Nationalkonvent annektierte mit Gesetz vom 30. März 1793 die Mainzer Republik auf deren Antrag. Bedingt durch die Koalitionskriege kam es aber erst 1795 zu einer dauernden Neuordnung des Gebiets – auch auf dem Gebiet der Justiz.

Gründung Bearbeiten

Durch das Gesetz über Verwaltung und Justizorganisation in den vier linksrheinischen Départements vom 5. Dezember 1795 (14 frimaire IV) wurde das französische Gerichtsverfassungsgesetz Loi des 16 et 24 août 1790 sur l'organisation judiciaire auch hier verbindlich.[2] Dieses Gesetz richtete Friedensgerichte für die streitige Gerichtsbarkeit und Notariate für die Freiwillige Gerichtsbarkeit in allen Kantonen ein.

Mit dem Frieden von Campo Formio wurde die Annexion des Rheinlandes im Oktober 1797 auch von deutscher Seite anerkannt. Anschließend errichtete die französische Verwaltung in den annektierten Gebieten ihre Strukturen, auch das „Friedensgericht Bingen“, dessen örtliche Zuständigkeit sich auf den Kanton Bingen erstreckte. Der Gerichtsbezirk blieb auch nach Auflösung des Kantons als Verwaltungsgebiet bis 1878 weitgehend unverändert.

Das Friedensgericht war dem Départementsgericht des Département du Mont-Tonnerre untergeordnet, das seinen Sitz in Mainz hatte. Oberstes Gericht war das Revisionsgericht in Trier.[3]

Bezirk Bearbeiten

Die örtliche Zuständigkeit des Friedensgerichts Bingen erstreckte sich auf den Bezirk des gleichnamigen Kantons und umfasste[4] (Ortsnamen nach heutiger Schreibung):

Gemeinde Herkunft[5] Zugang Abgang Nach
Bingen Kurmainz /
Mainzer Domkapitel
1797 1879 Amtsgericht Bingen
Büdesheim Kurmainz 1797 1879 Amtsgericht Bingen
Dietersheim Kurmainz 1797 1879 Amtsgericht Bingen
Dromersheim Kurmainz 1797 1879 Amtsgericht Bingen
Gaulsheim Kurmainz 1797 1879 Amtsgericht Bingen
Gensingen Kurmainz 1797 1879 Amtsgericht Bingen
Grolsheim Kurmainz 1797 1879 Amtsgericht Bingen
Kempten Kurmainz /
Mainzer Domkapitel
1797 1879 Amtsgericht Bingen
Ockenheim Kurmainz 1797 1879 Amtsgericht Bingen
Sponsheim Kurpfalz 1797 1879 Amtsgericht Bingen

Weitere Entwicklung Bearbeiten

Nach der Rückeroberung in den Befreiungskriegen wurde die Region von 1814 bis 1816 von der österreichisch-baierischen Gemeinschaftlichen Landes-Administrations-Commission verwaltet. Diese ließ die Friedensgerichte bestehen, richtete aber am 27. Juli 1815 einen Appellationshof in Kreuznach als Obergericht ein.

Auch das Großherzogtum Hessen, das Rheinhessen im Rahmen eines Gebietstausches 1816 erhielt, übernahm die Struktur der Gerichte in der Provinz Rheinhessen. Allerdings wurde der Appellationshof in Kreuznach aufgelöst und ein provisorisches Obergericht in Mainz mit der am 4. November 1815 erlassenen „Provisorischen Appellations- und Kassationsgerichtsordnung für den großherzoglich hessischen Landesteil auf der linken Rheinseite“ geschaffen.

Das Friedensgericht Bingen war nun eines von zwölf Friedensgerichten, die dem Kreisgericht Mainz untergeordnet waren. Auch nach der Teilung des Kreisgerichtes Mainz in die Kreisgerichte Mainz und Alzey am 1. Dezember 1836 blieb Bingen im Gerichtsbezirk des Kreisgerichtes Mainz, das am 24. Oktober 1852 in Bezirksgericht Mainz umbenannt wurde.[6]

Ende Bearbeiten

Mit dem Gerichtsverfassungsgesetz von 1877 wurden Organisation und Bezeichnungen der Gerichte reichsweit vereinheitlicht. Zum 1. Oktober 1879 hob das Großherzogtum Hessen deshalb die Friedensgerichte auf. Funktional ersetzt wurden sie durch Amtsgerichte.[7] So ersetzte das Amtsgericht Bingen das Friedensgericht Bingen.[8] Das neue Amtsgericht war dem Landgericht Mainz und dem Oberlandesgericht Darmstadt untergeordnet.

Literatur Bearbeiten

  • Eckhart G. Franz u. a.: Gerichtsorganisation in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen im 19. und 20. Jahrhundert. 1989, ISBN 3-88838-224-6, S. 187–192.
  • Andrea Kraft: Ortsverzeichnis zur Historischen Karte der Pfalz und Rheinhessens 1789. Landesarchiv Speyer 2009.
  • Heribert Reus: Gerichte und Gerichtsbezirke seit etwa 1816/1822 im Gebiete des heutigen Landes Hessen bis zum 1. Juli 1968. Hg.: Hessisches Ministerium der Justiz, Wiesbaden [1984].

Anmerkungen Bearbeiten

  1. Das Gebiet der späteren Provinz Rheinhessen gehörte von 1798 bis Anfang 1804 zunächst zur Ersten Französischen Republik, ab 1804 zum Französischen Kaiserreich.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Kraft, Karte.
  2. Werner Schubert: Französisches Recht in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts = Forschungen zur neueren Privatrechtsgeschichte 24. Böhlau, Köln 1977. ISBN 3-412-04976-X, S. 23, Anm. 60 (hier ist das Datum des Revolutionskalenders unzutreffend auf den 4. Dezember 1795 berechnet).
  3. Friedrich Lehne: Historisch-statistisches Jahrbuch des Departements vom Donnersberge für das Jahr 9 der fränkischen Republik. Pfeiffer, Mainz 1801, S. 170–174.
  4. Reus, Abschnitt Friedensgericht Bingen [ohne Seitenzählung].
  5. Kraft.
  6. Reus, Abschnitt Friedensgericht Bingen [ohne Seitenzählung].
  7. §§ 1, 3 Verordnung zur Ausführung des Deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes und des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetze vom 14. Mai 1879. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 15 vom 30. Mai 1879, S. 197f.
  8. Reus, Abschnitt Friedensgericht Bingen [ohne Seitenzählung].