Fredric Jameson

US-amerikanischer politischer Marxist, Literaturkritiker und -theoretiker

Fredric R. Jameson (* 1934 in Cleveland, Ohio) ist ein US-amerikanischer Marxist, Literaturkritiker und -theoretiker. Er ist der William A. Lane Professor an der Duke University.

Fredric Jameson (2004)

Leben und Werk Bearbeiten

Jameson studierte in München, Berlin und an der Yale University. Er promovierte über Jean-Paul Sartre bei Erich Auerbach.

Jamesons Neo-Marxismus mit seiner Betonung des Totalitätsbegriffs ist stark beeinflusst von der immanenten Kritik Hegels sowie von den Arbeiten von Georg Lukács, Ernst Bloch, Theodor W. Adorno, Walter Benjamin, Herbert Marcuse, Sartre und insbesondere Louis Althusser. Er wurde vor allem bekannt als ein Theoretiker der in der Tradition der Kritischen Theorie und des Postmarxismus steht.

In den 1950er-Jahren machte er in den USA den dort bislang unbekannten westlichen undogmatischen Marxismus bekannt und hatte somit Anteil an der Entwicklung der neuen Linken in den Vereinigten Staaten.

Jamesons bekannteste Arbeiten sind The Political Unconscious, Postmodernism: The Cultural Logic of Late Capitalism, und Marxism and Form. Er hat Bücher über Politik, Kultur und Literatur veröffentlicht. Auf Deutsch erschienen u. a. 1999 Lust und Schrecken der unaufhörlichen Veränderung aller Dinge (engl. Brecht on Method) sowie 2004 Mythen der Moderne (engl. A Singular Modernity).

Seit 1985 ist er Mitglied der American Academy of Arts and Sciences. 2008 wurde Jameson mit dem hochdotierten Holberg-Preis ausgezeichnet.

Theorie der Postmoderne Bearbeiten

Jameson ist einer der ersten Theoretiker und Kritiker der Postmoderne. In seinen Analysen beschreibt er, dass die treibenden Ideen der Moderne ihre Greifbarkeit und Gestalt verloren haben. An die Stelle der emblematischen Energie der großen Maschinen und schnellen Fahrzeuge der Moderne seien Bildoberflächen und ihre nichts ausdrückenden Gehäuse getreten. Die technischen Neuerungen der Postmoderne erleichterten lediglich die virtuelle Projektion von Dingen, die bereits existieren. Der Postmodernismus habe das Gefühl für die Differenz zwischen dem Realen und der kulturellen Zeichenwelt verloren. Er zeichne sich – hierin folgt Jameson Baudrillards Konzept des Simulacrum – durch Merkmale aus, die an die Welt der Schizophrenen erinnern:

  • Schwächung des historischen Bewusstseins: es gebe für die Postmoderne nur noch Texte und Zeichen, die gegenwärtig und simultan im Raum präsent sind; historische Stilimitate und -zitate ersetzen das Verständnis für die reale Geschichte
  • Verlust der Tiefendimension: Dominanz des Zweidimensionalen, Dekorativen, der Spiegelung und der glänzenden Oberflächen; das gelte auch für das Verschwinden theoretischer „Tiefenmodelle“ wie etwa der semiotischen Opposition von Signifikant und Signifikat
  • Schwinden der Barriere zwischen Hoch- und Populärkultur: charakteristisch seien die Faszination für Kitsch, Werbung, Nostalgie und Paraliteratur (airport paperbacks), die Vorliebe für Parodie und Zynismus ohne politischen Biss (Jameson: der Gestus des „Pastiche“), Kannibalisierung und Imitation aller vergangenen ästhetischen Stile
  • Schwächung des handelnden Subjekts bei gleichzeitiger Steigerung der Affekte und der Imagination: auch Angst, Überstimulation durch Hyperentertainment, Euphorie, Realitätsverlust, Drogenabhängigkeit, Depression
  • Dominanz reproduktiver (abbildender) statt produktiver Technologien.[1]

Zwar fordert Jameson, die Postmoderne positiv und negativ zugleich zu denken: Alle Züge der Postmoderne seien letztlich nur übersteigerte Züge der Moderne. Doch führt seine Diagnose eines Verlustes der Zukunft zu einer überwiegend negativen Bewertung der Postmoderne.

Damit vertritt er eine Gegenposition zu Linda Hutcheon. Diese schreibt der postmodernen Ironie eine antitotalitäre Wirkung zu. Der postmoderne Umgang mit der Geschichte, die uns lediglich aus den sehr unzuverlässig überlieferten historischen Diskursen bekannt sei und daher dauernd kritisch revidiert, zitiert wie parodiert werden dürfe, stelle eine gesteigerte und produktive Form der Selbstreflexion dar. Sie teilt nicht die Auffassung, dass die Postmoderne in ganz Europa Fuß gefasst habe, sondern hielt sie (1989) vor allem für eine populistische Reaktion auf den Elitarismus und Snobismus der britischen Kultur.[2] Demgegenüber erkennt Jameson in der Postmoderne die spezifische Kultur der Globalisierung – eine Kultur, die selbst zum Big Business wird, jedoch Ökonomie und Politik kulturalisiert und so zu Kulturkämpfen (statt Klassenkämpfen) führt.[3]

Werke Bearbeiten

In englischer Sprache:

  • Sartre. The Origins of a Style. Yale Univ. Pr., New Haven 1961.
  • Marxism and Form. Twentieth Century Dialectical Theories of Literature. Princeton Univ. Pr., Princeton 1971.
  • The Prison-House of Language. A Critical Account of Structuralism and Russian Formalism. Princeton Univ. Pr., Princeton 1972.
  • Fables of Aggression: Wyndham Lewis, the Modernist as Fascist. University of Calif. Pr., Berkeley 1979.
  • The Political Unconscious: Narrative as a Socially Symbolic Act. Cornell Univ. Pr., Ithaca NY 1981.
  • The Ideologies of Theory. Essays 1971–1986. Vol. 1: „Situations of Theory“. Univ. of Minnesota Pr., Minneapolis 1988.
  • The Ideologies of Theory. Essays 1971–1986. Vol. 2: „The Syntax of History“. Univ. of Minnesota Pr., Minneapolis 1988.
  • Postmodernism and Cultural Theories. Lectures in China. 1987; Kurzzeichen: 后现代主义与文化理论, Pinyin: Hòuxiàndàizhǔyì yǔ wénhuà lǐlùn (übersetzt von Tang Xiaobing)
  • Ideologies of Modelling. 2 Bände. Routledge, New York/ London 1988.
  • Late Marxism. Adorno, or, The Persistence of the Dialectic. Versoe, New York/ London 1990.
  • Signatures of the Visible. Routledge, New York/ London 1990.
  • Postmodernism, or, The Cultural Logic of Late Capitalism. Duke Univ. Pr., Durham NC 1991.
  • The Geopolitical Aesthetic. Cinema and Space in the World System. Indiana Univ. Pr., Bloomington 1992.
  • The Seeds of Time. The Wellek Library Lectures at the University of California, Irvine. Columbia Univ. Pr., New York 1994.
  • Brecht and Method. Verso, New York/ London 1998.
  • The Cultural Turn. Verso, New York/ London 1998.
  • A Singular Modernity. Essay on the Ontology of the Present. Verso, New York/ London 2002.
  • Archaeologies of the Future. The Desire Called Utopia and Other Science Fictions. Verso, New York/ London 2005.
  • The Modernist Papers. Verso, New York/ London 2007.
  • Jameson on Jameson. Conversations on Cultural Marxism Duke Univ. Pr., Durham NC 2007.
  • Fables of Aggression. Wyndham Lewis, the Modernist as Fascist (2008; rev. Neuausg. d. Erstveröff. von 1979)
  • Ideologies of Theory (2008; rev. Neuausg. d. Erstauf. von 1988)
  • Valences of the Dialectic. Verso, New York/ London 2009.
  • The Hegel Variations: On the Phenomenology of the Spirit. Verso, New York/ London 2010.
  • Representing ‘Capital’: A Reading of Volume One. Verso, New York/ London 2011.
  • The Antinomies of Realism. Verso, New York/ London 2015.
  • The Ancients and the Postmoderns. On the Historicity of Forms. Verso, New York/ London 2015.
  • Raymond Chandler. The Detections of Totality. Verso, New York/ London 2016.
  • An American Utopia: Dual Power and the Universal Army, hrsg. v. Slavoj Žižek, Verso, New York/ London 2016.
  • Allegory and Ideology. Verso, New York/ London 2019.
  • The Benjamin Files. Verso, New York/ London 2020.

In deutscher Übersetzung:

  • Das politische Unbewußte. Literatur als Symbol sozialen Handelns. Übersetzt von Ursula Bauer, Rowohlt, Reinbek 1988, ISBN 978-3-499-55461-2.
  • Spätmarxismus. Adorno oder Die Beharrlichkeit der Dialektik. Übersetzt von Michael Haupt, Argument, Hamburg 1991, ISBN 978-3-88619-391-2.
  • Lust und Schrecken der unaufhörlichen Verwandlung aller Dinge: Brecht und die Zukunft. Übersetzt von Jürgen Pelzer, Argument, Hamburg 1999. ISBN 978-3-88619-318-9.
  • Mythen der Moderne. Übersetzt von Hans-Hagen Hildebrandt, Kadmos, Berlin 2004; ISBN 978-3-931659-46-2.
  • Hegels Variationen. Zur »Phänomenologie des Geistes«. Übersetzt von Andrea Wald, Turia + Kant, Wien/ Berlin 2017, ISBN 978-3-85132-756-4.

Literatur Bearbeiten

  • Benjamin Kunkel: Fredric Jameson: Die kulturelle Logik des Neoliberalismus. In: Ders.: Utopie oder Untergang. Ein Wegweiser für die gegenwärtige Krise. Aus dem Amerikanischen von Richard Barth. Suhrkamp: Berlin 2014, S. 59–85.
  • Johannes Angermuller: Fredric Jameson: Marxistische Kulturtheorie. In: Stephan Moebius, Dirk Quadflieg (Hrsg.): Kultur. Theorien der Gegenwart. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, S. 359–370, ISBN 3-531-14519-3.
  • Adam Roberts: Fredric Jameson. (= Routledge Critical Thinkers). Routledge: New York 2000, ISBN 0-415-21523-4.
  • Sean Homer: Fredric Jameson. Marxism, Hermeneutics, Postmodernism. Polity Press: Cambridge, UK 1998, ISBN 0-7456-1686-0.

Weblinks Bearbeiten

Commons: Fredric Jameson – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Fredric Jameson: Postmodernism, or, the Cultural Logic of Late Capitalism. 1991, S. ix f., 3–29.
  2. Linda Hutcheon: The Politics of Postmodernism. London / New York, Routledge 1989.
  3. Tomislav Medak: Menschen über neue Realitäten belehren. Interview mit Fredric Jameson. In: www.springerin.at, 3/2000.