Vegetationsgutachten, auch Verbissgutachten oder in Bayern offiziell Forstliches Gutachten zur Situation der Waldverjüngung genannt, fassen die im Zuge von Verjüngungsinventuren erhobenen Daten zum Zustand der Waldverjüngung sowie seiner Beeinflussung das durch Schalenwild zusammen und geben z. T. auch Empfehlungen für Höhe der Abschüsse beim Schalenwild.[1]

Weiserfläche zur Beurteilung des Wildeinflusses auf die Naturverjüngung – man beachte das Fehlen von Verjüngung außerhalb des Zaunes

Hintergrund und Zweck Bearbeiten

Insbesondere Verbiss der Leittriebe durch das Wild, aber auch Fegen schädigt die jungen Waldbäume. Zudem können ältere Bäume vom Schälen durch das Rotwild betroffen sein. Bei hohen Schalenwilddichten können die Wildschäden dazu führen, dass bevorzugt verbissene Baumarten wie die Tanne oder die Eichen komplett ausfallen und es zu einer Entmischung der Waldverjüngung kommt. Dies führt langfristig zu instabilen und schadanfälligen Reinbeständen, wie etwa Fichtenmonokulturen.

Die Vegetationsgutachten sollen den Zustand der Waldverjüngung und den Einfluss der Wildes systematisch erfassen und so eine Datengrundlage liefern, auf deren Basis die verantwortlichen Akteure, insbesondere Waldbesitzer, staatliche Forst- und Jagdbehörden sowie Jagdausübungsberechtigte, die Abschussplanung beim Schalenwild vornehmen können.

Deutschland Bearbeiten

In Deutschland erstellen die Forstbehörden der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen regelmäßig Vegetationsgutachten.[2] Die Forstlichen Gutachten werden auf Ebene der Jagdreviere oder Hegegemeinschaften erstellt und stellen gutachtlich die Verbiss-, Fege- und Schälschäden fest.

Baden-Württemberg Bearbeiten

In Baden-Württemberg werden von den Unteren Forstbehörden seit 1983 alle drei Jahre Forstliche Gutachten für die rund 6.500 Jagdreviere erstellt. Es handelt sich um ein subjektives Schätzverfahren, bei dem für jedes Jagdrevier die waldbauliche Verjüngungsfläche, die Verbissintensität und die waldbauliche Zielerreichung getrennt für die einzelnen Hauptbaumarten beurteilt wird.[3]

Bayern Bearbeiten

Die Forstlichen Gutachten zur Situation der Waldverjüngung werden in Bayern seit 1986 alle drei Jahre von den unteren Forstbehörden für die rund 750 bayerischen Hegegemeinschaften erstellt und enthalten seit 2012 auch Aussagen für die einzelne Jagdrevieren (revierweise Aussage) sowie zusätzliche Auswertungen der Verjüngungsinventur. Die Gutachten werden in einem zweistufigen System erstellt. Zu Beginn der Vegetationsperiode im Frühjahr führen die Forstbeamten auf über 25.000 systematisch ausgewählten Verjüngungsflächen eine Inventur zur Verjüngungssituation durch. Bei den Inventuraufnahmen werden in Probekreisen die Jungpflanzen der Waldbäume erfasst und auf Verbiss- und Fegeschäden durch Schalenwild untersucht.

Auf Basis der Ergebnisse dieser statistisch abgesicherten Stichprobeninventur und anderer Erkenntnisse, wie zum Beispiel von Revierbegängen mit Waldbesitzern und Jägern oder von Weiserflächen, wird dann von den Fachleuten der Bayerischen Forstverwaltung das Forstliche Gutachten für die Hegegemeinschaft erstellt. Es wird die Verbisssituation in vier Stufen bewertet (Verbissbelastung „günstig“, „tragbar“, „zu hoch“ oder „deutlich zu hoch“) und eine Abschussempfehlung für die kommende dreijährige Abschussplanperiode ausgesprochen („deutlich senken“, „senken“, „beibehalten“, „erhöhen“ oder „deutlich erhöhen“).

Die Forstlichen Gutachten werden den betroffenen Vorständen der Jagdgenossenschaften, Eigenjagdbesitzern, Revierpächtern, Unteren Jagdbehörden und Jagdbeiräten im Vorfeld der Drei-Jahres-Abschussplanung für Rehwild zur Verfügung gestellt. Im Verfahren der Forstlichen Gutachten werden die Jagdgenossen und Jäger intensiv eingebunden. Sie können eine revierweise Aussage beantragen, an den Inventuraufnahmen teilnehmen und zu den Ergebnissen der Verjüngungsinventur Stellung nehmen.[4]

In der Forstwissenschaft wird das Vorgehen beim bayerischen Vegetationsgutachten positiv rezipiert, weil es „repräsentative Verjüngungsflächen objektiv auswählt und den Verbiss dort mit Hilfe eines gut geeigneten Indikators sorgfältig misst.“[1] Mit der Einführung der Forstlichen Gutachten im Jahr 1986 als objektiver Grundlage konnte die oft sehr emotional geführte Diskussion zwischen Jägern und Waldbesitzern um Verbissschäden und Abschussplanhöhen wesentlich versachlicht werden.

Der Landesjagdverband Bayern e. V. vertritt die Auffassung, "dass die Aussagen des Forstlichen Gutachtens keinen objektiven Bezug zu den Ergebnissen der Aufnahmen haben, sondern rein das subjektive Gefühl des Verfassers über den Zustand „seines“ Waldes wiedergeben. Die Auswertung der erweiterten Aufnahmen" habe "darüber hinaus ergeben, dass zwischen der forstlichen Qualität des untersuchten Waldes und dem Verbiss ein höherer Zusammenhang besteht als zwischen der Wilddichte und dem Verbiss.".[5] Die Abschussempfehlung diene nur der "Entscheidungsvorbereitung für die Erarbeitung der Abschusspläne." Sie dürfe "die Entscheidungsfreiheit der jagdlichen Vertragspartner und der zuständigen Behörde nicht ersetzen.".[6]

In der Rechtsprechung gilt das Forstliche Gutachten uneingeschränkt als praxistauglicher Maßstab zur Festlegung des erforderlichen Abschusses, denn die Art und Weise bzw. die Methode der Gutachtenerstellung durch die Forstbehörden sei nicht zu beanstanden.[7] Jeder Grundeigentümer und Jäger kann die Umsetzung der Abschussempfehlung im Abschussplan vor Gericht durchsetzen.[8] Auch wenn Grundeigentümer und Jäger sich auf einen niedrigeren Abschusshöhe geeinigt haben, kann die Untere Jagdbehörde unter Berücksichtigung der Abschussempfehlung einen höheren Plan festsetzen. Gutachten privater Fachinstitute sind grundsätzlich geringer zu gewichten.[7]

Österreich Bearbeiten

In Österreich wird seit 2004 das landesweite Wildeinflussmonitoring (WEM) mit einheitlichen Richtlinien durchgeführt.[9]

Schweiz Bearbeiten

Die Schweizer Kantone wenden unterschiedliche Verfahren zur Beurteilung der Wildschäden an.[10]

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b Thomas Knoke, Torsten Hothorn, Reinhard Mosandl, Eckhard Kennel: Verbissgutachten zeichnen ein realistisches Bild. In: waldwissen.net. 3. März 2013, archiviert vom Original am 10. Dezember 2018; abgerufen am 11. Dezember 2018.
  2. Christian Ammer, Torsten Vor, Thomas Knoke, Stefan Wagner: Der Wald-Wild-Konflikt. Analyse und Lösungsansätze vor dem Hintergrund rechtlicher, ökologischer und ökonomischer Zusammenhänge. In: Göttinger Forstwissenschaften. Band 5. Göttinger Universitätsverlag, Göttingen 2010, ISBN 978-3-941875-84-5, S. 112.
  3. Wildtierportal Baden-Württemberg Abgerufen am 2. November 2021.
  4. Verfahren des Forstlichen Gutachtens. In: Bayerisches Staatsministerium für Ernährung Landwirtschaft und Forsten (Hrsg.): Forstliche Gutachten zur Situation der Waldverjüngung 2021. November 2021, S. 9–11 (archive.org [PDF]).
  5. Ernst Weidenbusch: Liebe Jägerinnen, liebe Jäger, ... In: Ernst Weidenbusch (Hrsg.): Jagd in Bayern. Dezember 2022, S. 3 (archive.org [PDF]).
  6. Argumentationshilfe Forstliches Gutachten. In: Landesjagdverband Bayern e. V. Dezember 2022, archiviert vom Original am 20. März 2023; abgerufen am 20. März 2023.
  7. a b VG Bayreuth (Hrsg.): Festsetzung Rehwildabschussplan, waldbauliche Zielsetzungen der Waldeigentümer nur bei ordnungsgemäßer Forstwirtschaft berücksichtigungsfähig, andere Schadensursache, Waldverjüngung, Wildverbiss. 8. Juni 2021, S. /Punkt 29 (gesetze-bayern.de).
  8. Das "Hinterstoisser-Urteil" - eine Stärkung der Rechte der Waldbesitzer. In: Ökologischer Jagdverein Bayern e. V. (Hrsg.): Informationen zur Jagd für Waldbesitzer. 2020, S. 18 (archive.org [PDF]).
  9. Preier, P.: Wildeinflussmonitoring WEM. In: BFW. 4. Dezember 2013, archiviert vom Original am 10. Dezember 2018; abgerufen am 11. Dezember 2018.
  10. Oswald Odermatt: Ergebnisse aus Untersuchungen zum Wildtiereinfluss auf die Waldverjüngung in der Schweiz. In: waldwissen.net. 15. November 2012, archiviert vom Original am 10. Dezember 2018; abgerufen am 11. Dezember 2018.