Fermi-Dirac-Statistik

Begriff der physikalischen Quantenstatistik
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Die Fermi-Dirac-Statistik (nach dem italienischen Physiker Enrico Fermi[1] (1901–1954) und dem britischen Physiker Paul Dirac[2] (1902–1984)) ist ein Begriff der physikalischen Quantenstatistik. Sie beschreibt das makroskopische Verhalten eines Systems, das aus vielen gleichen Teilchen vom Typ Fermion besteht, und gilt z. B. für die Elektronen, die in Metallen und Halbleitern für die elektrische Leitfähigkeit sorgen.

Die Ausgangspunkte der Fermi-Dirac-Statistik sind:

  • Keiner der Zustände der einzelnen Teilchen kann mit mehr als einem Teilchen besetzt sein (Pauli-Prinzip).
  • Vertauscht man zwei Teilchen miteinander, erhält man keinen neuen Zustand (der in der statistischen Betrachtung extra zu zählen wäre), sondern denselben wie vorher (Prinzip der Ununterscheidbarkeit gleicher Teilchen).

Die Fermi-Verteilung gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit in einem idealen Fermigas bei gegebener absoluter Temperatur ein Zustand der Energie von einem der Teilchen besetzt ist. In der statistischen Physik wird die Fermi-Verteilung aus der Fermi-Dirac-Statistik für gleichartige Fermionen für den wichtigen Spezialfall der Wechselwirkungsfreiheit hergeleitet.[1]

Zur vollständigen Beschreibung der Fermi-Dirac-Statistik siehe Quantenstatistik. Für eine vereinfachte Herleitung siehe ideales Fermigas.

Beschreibung Bearbeiten

 
Fermi-Verteilung für verschiedene Temperaturen,
zunehmende Abrundung mit steigender Temperatur
(rote Linie: T = 0 K)

Allgemeine Formel Bearbeiten

In einem System der Temperatur   lautet die Fermi-Verteilung  , die die Besetzungswahrscheinlichkeit beschreibt:

 

mit

  • der Energie   für den Zustand eines Teilchens,
  • dem chemischen Potential   (Bei   gilt  , wobei   als Fermi-Niveau bezeichnet wird),
  • der thermischen Energie  , wobei   die Boltzmann-Konstante ist.

Wird die Energie   vom tiefstmöglichen Einteilchenzustand aus gerechnet, heißt   auch Fermi-Energie. Die Besetzungswahrscheinlichkeit   für einen Zustand mit der Energie des Fermi-Niveaus   ist bei allen Temperaturen:

 

Um die bei der Energie   herrschende Teilchendichte   zu berechnen, z. B. für Elektronen in einem Metall, muss die Fermi-Verteilung noch mit der Zustandsdichte   multipliziert werden:

 

Am absoluten Temperaturnullpunkt Bearbeiten

Am absoluten Temperaturnullpunkt   befindet sich das Fermi-Gas als Ganzes in seinem energetisch tiefstmöglichen Zustand, also im Grundzustand des Vielteilchensystems. Da (bei genügend großer Teilchenzahl) nach dem Pauli-Prinzip nicht alle Teilchen den Einteilchengrundzustand besetzen können, müssen sich auch am absoluten Temperaturnullpunkt   Teilchen in angeregten Einteilchenzuständen befinden. Anschaulich lässt sich das mit der Vorstellung eines Fermi-Sees beschreiben: jedes hinzugefügte Fermion besetzt den tiefstmöglichen Energiezustand, welcher noch nicht von einem anderen Fermion besetzt ist. Die „Füllhöhe“ bestimmt sich aus der Dichte der besetzbaren Zustände und der Anzahl der unterzubringenden Teilchen.

Entsprechend hat die Fermi-Verteilung für die Temperatur   einen scharfen Sprung bei der Fermi-Energie  , die daher auch Fermi-Kante oder Fermi-Grenze genannt wird (siehe Abbildung).

  • Alle Zustände mit   sind besetzt, da hier gilt:  , d. h. die Wahrscheinlichkeit, in einem solchen Zustand eines der Fermionen anzutreffen, ist Eins.
  • Keiner der Zustände mit   ist besetzt, da hier gilt:  , d. h. die Wahrscheinlichkeit, in einem solchen Zustand eines der Fermionen anzutreffen, ist Null.

Das Fermi-Niveau bei   ist daher durch die Anzahl und energetische Verteilung der Zustände und die Anzahl der Fermionen, die in diesen Zuständen unterzubringen sind, festgelegt. In der Formel erscheint nur eine Energiedifferenz. Gibt man die Größe der Fermi-Energie allein an, ist es die Energiedifferenz des höchsten besetzten zum tiefstmöglichen Einteilchenzustand. Zur Veranschaulichung oder zur schnellen Abschätzung von temperaturabhängigen Effekten wird diese Größe oft als Temperaturwert – die Fermi-Temperatur – ausgedrückt:

 .

Bei der Fermi-Temperatur wäre die thermische Energie   gleich der Fermi-Energie. Dieser Begriff hat nichts mit der realen Temperatur der Fermionen zu tun, er dient nur der Charakterisierung von Energieverhältnissen.

Bei endlichen Temperaturen Bearbeiten

Die Fermi-Verteilung gibt die Besetzungswahrscheinlichkeit im Gleichgewichtszustand zur Temperatur   an. Ausgehend von   werden bei Erwärmung Zustände oberhalb der Fermi-Energie   mit Fermionen besetzt. Dafür bleiben gleich viele Zustände unterhalb der Fermi-Energie leer und werden als Löcher bezeichnet.

Die scharfe Fermi-Kante ist in einem symmetrisch um   gelegenen Intervall der Gesamtbreite   abgerundet („aufgeweicht“, s. Abb.). Zustände mit kleineren Energien sind nach wie vor nahezu voll besetzt ( ), die Zustände bei höheren Energien nur sehr schwach ( ).

Da nach wie vor die gleiche Teilchenzahl auf die möglichen Zustände mit der Zustandsdichte   zu verteilen ist, kann sich die Fermi-Energie mit der Temperatur verschieben: Ist die Zustandsdichte im Bereich der angeregten Teilchen kleiner als bei den Löchern, steigt die Fermi-Energie, im entgegengesetzten Fall sinkt sie.

Im Temperaturbereich   bezeichnet man das System als entartetes Fermi-Gas, denn die Besetzung der Zustände wird maßgeblich durch das Pauli-Prinzip (Ausschließungsprinzip) bestimmt. Dies führt dazu, dass alle Zustände mit   die gleiche Wahrscheinlichkeit (von nahezu eins) haben, besetzt zu sein; dies betrifft einen im Vergleich zum Aufweichungsintervall großen Energiebereich.

Bei Energien   von mindestens einigen   oberhalb von  , d. h. für  , lässt sich die Fermi-Verteilung durch die klassische Boltzmann-Verteilung nähern:

 .

Bei sehr hohen Temperaturen Bearbeiten

„Sehr hohe Temperaturen“ sind solche weit oberhalb der Fermi-Temperatur, d. h.  . Weil damit das Aufweichungsintervall sehr groß wird, so dass auch für Energien weit oberhalb der Fermi-Energie die Besetzungswahrscheinlichkeit merklich von null verschieden ist, führt die Teilchenzahlerhaltung dazu, dass die Fermi-Energie unter dem niedrigsten besetzbaren Niveau liegt. Das Fermi-Gas verhält sich dann wie ein klassisches Gas, es ist nicht entartet.

Fermi-Verteilung bei Metallen Bearbeiten

Für die Leitungselektronen in einem Metall liegt die Fermi-Energie   bei einigen Elektronenvolt, entsprechend einer Fermi-Temperatur   von einigen 10.000 K. Dies hat zur Folge, dass die thermische Energie   viel kleiner ist als die typische Breite des Leitungsbands. Es handelt sich um ein entartetes Elektronengas. Der Beitrag der Elektronen zur Wärmekapazität ist daher schon bei Raumtemperatur vernachlässigbar und kann störungstheoretisch berücksichtigt werden. Die Temperaturabhängigkeit der Fermi-Energie ist sehr gering (meV-Bereich) und wird oft vernachlässigt.

Fermi-Verteilung bei Halbleitern und Isolatoren Bearbeiten

Für Halbleiter und Isolatoren liegt das Fermi-Niveau in der verbotenen Zone. Im Bereich der Fermi-Kante existieren daher keine Zustände, deren Besetzung deutlich von der Temperatur abhängen kann. Dies führt dazu, dass bei einer Temperatur   das Valenzband vollständig mit Elektronen besetzt und das Leitungsband unbesetzt ist, und dass es bei   nur sehr wenige Löcher bzw. angeregte Elektronen gibt. Durch Einbringen von Fremdatomen mit zusätzlichen Ladungsträgern (Donator- oder Akzeptordotierung) kann das Fermi-Niveau nach unten bzw. nach oben verschoben werden, was die Leitfähigkeit stark erhöht. In diesem Fall verschiebt sich auch mit der Temperatur das Fermi-Niveau deutlich. Daher arbeiten z. B. elektronische Schaltungen auf Basis von Halbleitern (wie im Computer) nur in einem engen Temperaturbereich richtig.

Herleitung aus einem Minimum der freien Energie Bearbeiten

 
Schematisches Zustands-, Energie- und Besetzungsdiagramm für ein System von 7 Energie-Niveaus  , jeweils  -fach entartet und  -fach fermionisch besetzt.

Aus der Bedingung, dass im thermischen Gleichgewicht (bei festem   und Volumen  ) die freie Energie   ein Minimum annimmt, kann die Fermi-Dirac-Statistik auf schöne Art hergeleitet werden. Dazu betrachten wir   Fermionen – beispielsweise Elektronen –, die über Niveaus   verteilt sind. Die Niveaus haben Energien   und sind jeweils   - fach entartet (s. Abb.), können demnach maximal   Elektronen aufnehmen (Pauli-Prinzip). Die Anzahl Elektronen im  -ten Niveau wird mit   bezeichnet. Für den Makrozustand des Systems ist unerheblich, welche der   Elektronen im  -ten Niveau sind und welche der   Zustände darin sie besetzen. Der Makrozustand wird daher vollständig durch die Folge der Zahlen   bestimmt.

Für eine beliebige Verteilung der Elektronen auf die Niveaus gilt:

 

Gleichung (1) gibt die Gesamtzahl der Teilchen wieder, die konstant gehalten werden soll, während die einzelnen   variiert werden, um das Minimum von   zu finden. Gleichung (2) gibt die zur vorliegenden Verteilung gehörende Energie   des Systems an, wie sie in die Formel für   einzusetzen ist. Gleichung (3) ist (nach Ludwig Boltzmann) die Entropie des Zustands des Systems (Makrozustand), wobei   die thermodynamische Wahrscheinlichkeit für die betreffende Folge der Besetzungszahlen  , angibt, also die Anzahl der möglichen Verteilungen (Mikrozustände) von jeweils   Elektronen auf   Plätze, für alle Niveaus   zusammen.

Um die Verteilung zu finden, bei der durch Variation der   unter der Nebenbedingung   die freie Energie   minimal wird, benutzen wir die Methode der Lagrange-Multiplikatoren. Es ergibt sich

  für alle  .

Darin ist   der (von   unabhängige) Lagrange-Multiplikator. Die Ableitung

 ,

da jedes   genau einmal linear in der Summe vorkommt. Für die Berechnung der Ableitung   wird die explizite Formel für   benötigt:

 

Dabei ist

 

der Binomialkoeffizient, d. h. die Anzahl der Möglichkeiten, unter   Objekten   verschiedene auszuwählen.

Mit Hilfe der vereinfachten Stirlingformel   ergibt sich weiter

 

und damit

 

Insgesamt wird Gleichung (2) zu

 .

Einsetzen der durch   gegebenen Besetzungswahrscheinlichkeit   und Umstellung ergibt:

 .

Dies ist die Fermi-Dirac-Statistik. Der Lagrangemultiplikator erweist sich als ihr chemisches Potential  . Da   ist die (implizite) Nebenbedingung   für alle   erfüllt. Der Grenzfall   ergibt sich aus stetiger Fortsetzung.

Beobachtungen Bearbeiten

In Festkörpern kann die Fermi-Verteilung sehr gut beobachtet werden, wenn die elektronische Besetzungsdichte des Leitungsbandes in Abhängigkeit von der Energie gemessen wird. Ein besonders gutes Beispiel für das ideale Fermigas liegt bei Aluminium vor. Mit solchen Studien lässt sich auch das Auflösungsvermögen einer Messapparatur bestimmen, indem man den Verlauf der Verteilung bei einer bestimmten Temperatur misst und mit der Formel für die Fermi-Verteilung vergleicht.

Weitere Beispiele zur Bedeutung siehe unter Fermi-Energie.

Siehe auch Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Ellen Ivers-Tiffée, Waldemar von Münch: Werkstoffe der Elektrotechnik. 10. Auflage. Vieweg+Teubner, 2007, ISBN 978-3-8351-0052-7.
  • Michael Reisch: Halbleiter-Bauelemente. 2. Auflage. Springer-Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-540-21384-8.
  • U. Krey, A. Owen: Basic Theoretical Physics – a Concise Overview. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York 2007, ISBN 978-3-540-36804-5 (englisch).

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b Enrico Fermi: Zur Quantelung des einatomigen idealen Gases. In: Zeitschrift für Physik. Band 36, 1926, S. 902–912, doi:10.1007/BF01400221.
  2. P.A.M. Dirac: On the Theory of Quantum Mechanics. In: Proceedings of the Royal Society of London. Series A Band 112, 1926, S. 661–677, doi:10.1098/rspa.1926.0133.