Félicien Marceau

belgisch-französischer Journalist und Schriftsteller

Félicien Marceau (Geburtsname Louis Carette; * 16. September 1913 in Kortenberg, Löwen, Flandern; † 7. März 2012 in Paris[1]) war ein aus Belgien stammender französischer Journalist und Schriftsteller, der sich in seinen Romanen als distanzierter, kühler Beobachter erwies, in seinen erfolgreichen Boulevardstücken auch als geistvoller, alles in Frage stellender Parodist. Er wurde 1975 Mitglied der Académie française und erhielt 1969 für seinen Roman Creezy den renommierten Prix Goncourt.

Journalist und Zweiter Weltkrieg

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Nach dem Besuch einer Konfessionsschule studierte Carette Rechtswissenschaften an der Université catholique de Louvain (UCL), ehe er 1937 Mitarbeiter der Rundfunkanstalt Radiodiffusion belge wurde und dort bis 1942 während der Besetzung Belgiens durch die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg Nachrichtendirektor war.

Nach Beendigung dieser Tätigkeit verfasste er innerhalb eines Jahres zwei Romane, und zwar Le Péché de complication (1942) und Cadavre exquis (1943) sowie einen Essay über die Literatur zwischen den beiden Weltkriegen mit dem Titel Naissance de Minerve. Kurz darauf begab er sich nach Italien, wo er Bibliothekar der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek wurde. Wenig später ging er nach Frankreich, wurde dort Mitarbeiter der Zeitschriften Arts sowie La Parisienne und nahm seinen Künstlernamen Félicien Marceau an.

1948 erschien der Roman Chasseneuil, dem 1953 mit En de secrètes noces eine Sammlung von Novellen folgte.

Erste Erfolge und Systemkritik

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Einen größeren Erfolg hatte Marceau allerdings erst mit Les Élans du cœur (1955), für den er mit dem Prix Interallié ausgezeichnet wurde und der eine weite Leserschaft fand. Darin wurde sein Stil in der Tradition der großen Romane Honoré de Balzacs, Fjodor Michailowitsch Dostojewskis und Walter Scotts im 19. Jahrhundert deutlich: seine Liebe zum Detail und zur Wahrheit, aber auch tiefe Offenheit, Phantasie und Witz beeindruckten Literaturkritiker wie Pol Vandromme. Seine eigene Bewunderung für Balzac stellte er auch in seinem Werk Balzac et son monde (1955) dar.

1956 begann Marceau auch mit dem Verfassen von Theaterstücken, und hatte gleich mit dem im Théâtre de l’Atelier uraufgeführten Stück L’Œuf (1957), in dem er selbst an der Seite von Jacques Duby unter der Regie von André Barsacq eine Rolle spielte, durchschlagenden Erfolg. Daneben war er einer der erfolgreichsten von Boulevardstücken in dieser Zeit, in dessen Stücke der Literaturkritiker François Nourissier die „dramatischen Mechanismen clever und wild“ (‚mécanismes dramatiques astucieux et féroces‘) fand. Oftmals beschrieb er die Existenz eines Einzelnen in der Gesellschaft, die dieses Individuum allmählich gefangen und einnahm wie ein „Ei“ (‚Œuf‘). Marceau selbst sah darin und in seinen anderen Werke seine eigene Offensive gegen das System („Tous mes livres sont la longue offensive contre ce que j'ai appelé dans L’Œuf le système“). Er schlussfolgerte, dass das Individuum letztlich zur Beute des intellektuellen Terrorismus einer seelenlosen Welt wurde. Daher müsste der Mensch ein Einzelgänger sein und im Untergrund Abstand von aktuellen Überlegungen nehmen, um sich seine eigenen Wahrheiten aufzubauen.

Weitere Werke und erste Verfilmungen

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1957 erschien Denise oder Die Qual des Verliebtseins in einer deutschsprachigen Übersetzung von Theresia Mutzenbecher.

Das anschließend geschriebene Stück La Bonne Soupe wurde nach Aufführungen in Paris 1961 am Comedy Theatre in London mit Coral Browne, Peter Illing und Nigel Davenport in englischer Sprache inszeniert, sowie 1964 von Robert Thomas mit Annie Girardot und Gérard Blain verfilmt. Neben diesem Stück wurden zahlreiche weitere seiner Werke wie Les sept péchés capitaux (Die sieben Todsünden, 1962) verfilmt, die zuvor an Schauspielhäusern wie dem Théâtre du Gymnase Marie Bell aufgeführt wurden.

Diese Ansichten führten dazu, dass Marceau in seinen Werken zwielichtige, geheimnisvolle Gestalten wie Schmuggler, Diebe, Prostituierte darstellte, die in einer eigenen romantischen Welt leben, die keine romantische Welt ist. In zwei Büchern befasste er sich beispielsweise mit Giacomo Casanova, und zwar zum einen in Casanova ou l’anti-Don Juan (1949), zum anderen in Une insolente liberté (1983).

1968 erschien sein autobiografisch geprägter Roman Les Années courtes, in dem er seine eigene Jugend und insbesondere seine Tätigkeit während der Besetzung Belgiens durch die deutsche Wehrmacht darstellte. Nach der Veröffentlichung kam es zu zahlreicher Kritik, nach der er jedoch seine schriftstellerische Tätigkeit wieder aufnahm.

Literaturpreise und Mitglied der Académie française

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Für seinen Roman Creezy wurde er 1969 mit dem renommierten Prix Goncourt ausgezeichnet. Bei den darauf folgenden Internationalen Filmfestspielen von Cannes 1970 gehörte er als Mitglied der Internationalen Jury an.

In den folgenden Jahren kam es zu einer Reihe weiterer Verfilmungen seiner Werke wie L’Œuf (1973) von Regisseur Jean Herman mit Guy Bedos und Marie Dubois, Jet Set (La race des seigneurs, 1974) von Pierre Granier-Deferre mit Alain Delon und Sydne Rome nach seinem Roman Creezy sowie Der Körper meines Feindes (Le Corps de mon ennemi, 1976) von Henri Verneuil mit Jean-Paul Belmondo und Bernard Blier.

Als Nachfolger des am 4. September 1974 verstorbenen Dramatikers Marcel Achard wurde Félicien Marceau, der 1974 auch mit dem Prix Prince Pierre de Monaco ausgezeichnet wurde, schließlich zum Mitglied der Académie française ernannt und nahm dort bis zu seinem Tod den 21. Sessel (Fauteuil 21). Die Aufnahme in die Académie française führte jedoch zu einem Eklat: Aus Protest gegen die Wahl des aus Belgien stammenden Schriftstellers erklärte der Dichter Pierre Emmanuel 1975 wegen Marceaus Kollaboration mit der deutschen Besatzungsmacht seinen „Rücktritt“ als Mitglied der Académie française.

Marceau inszenierte bis ins hohe Alter auch Theateraufführungen, die auch im Fernsehen ausgestrahlt wurden wie zum Beispiel L’homme en question (2004) mit Brigitte Fossey im Pariser Theatre de la Porte Saint Martin.

Seit dem Tod von Jacqueline de Romilly am 18. Dezember 2010 war er bis zu seinem Tod das älteste lebende Mitglied der Académie française.

Veröffentlichungen

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  • Chasseneuil, Roman (Gallimard, 1948)
  • Casanova ou l’anti-Don Juan, Essay (Gallimard, 1949)
  • Capri petite île, Roman (Gallimard, 1951)
  • Chair et Cuir, Roman (Gallimard, 1951)
  • L’Homme du roi, Roman (Gallimard, 1952)
  • En de secrètes noces, Erzählungen (Calmann-Lévy, 1953)
  • L’École des moroses, Theaterstück in einem Akt (Fayard, 1953)
  • Bergère légère, Roman (Gallimard, 1953)
  • Caterina, Theaterstück in drei Akten (Gallimard, 1954)
  • Balzac et son monde, Essay (Gallimard, 1955)
  • Les Élans du cœur, Roman (Gallimard, 1955)
  • Les Belles Natures, Erzählungen (Gallimard, 1957)
  • L’Œuf, Theaterstück in drei Teilen (Gallimard, 1957)
  • La bonne Soupe, Theaterstück in zwei Teilen (Gallimard, 1959)
  • La Mort de Néron, Theaterstück in einem Akt (1960)
  • L’Étouffe-chrétien, Theaterstück in zwei Teilen (1960)
  • Les Cailloux, Theaterstück in zwei Teilen (Gallimard, 1962)
  • La Preuve par quatre, Theaterstück in zwei Teilen (1964)
  • Madame Princesse, Theaterstück in zwei Teilen (1965)
  • Diana et la Tuda, Theaterstück nach Luigi Pirandello (Denoël, 1967)
  • Un jour j’ai rencontré la vérité, Theaterstück in zwei Teilen (1967)
  • Les Années courtes, Memoiren (Gallimard, 1968)
  • Le Babour, Theaterstück in zwei Teilen (Gallimard, 1969)
  • Creezy, Roman (Gallimard, 1969)
  • L’Homme en question, Theaterstück in zwei Teilen (Gallimard, 1972)
  • L’Ouvre-boîte, Theaterstück in fünf Akten (Gallimard, 1972)
  • Le Corps de mon ennemi, Roman (Gallimard, 1975)
  • Les Secrets de la Comédie humaine, Theaterstück in zwei Teilen (L’Avant-Scène, 1975)
  • Le Roman en liberté, Essay (Gallimard, 1977)
  • Les Personnages de la Comédie humaine (Gallimard, 1977)
  • La Trilogie de la villégiature, Theaterstück nach Carlo Goldoni in der Adaptation von Giorgio Strehler (Éditions de la Comédie-Française, 1978)
  • À nous de jouer, Theaterstück in zwei Teilen (Gallimard, 1979)
  • Une insolente liberté. Les aventures de Casanova, Essay (Gallimard, 1983)
  • Appelez-moi Mademoiselle, Roman (Gallimard, 1984)
  • La Carriole du père Juniet, (La Différence, 1985)
  • Les Passions partagées, Roman (Gallimard, 1987)
  • Un Oiseau dans le ciel, Roman (Gallimard, 1989)
  • Les Ingénus, Erzählungen (Gallimard, 1992)
  • La Terrasse de Lucrezia (Gallimard, 1993)
  • Le Voyage de noces de Figaro, (Les Belles-Lettres, 1994)
  • La Grande Fille, Roman (Gallimard, 1997)
  • L’imagination est une science exacte, Mitautor Charles Dantzig (Gallimard, 1998)
  • L’Affiche, Roman (Gallimard, 2000)
  • Cadavres exquis, (Éditions de Fallois, 2011)
  • Les Pacifiques, (Éditions de Fallois, 2012)
in deutscher Sprache
  • Vielgeliebte Gespielin, Originaltitel Bergère légère, Roman, 1956
  • Denise oder Die Qual des Verliebtseins, Originaltitel Les Élans du cœur, Roman, 1957
  • Kleine Insel Capri, Originaltitel Capri petite île, Roman, 1963
  • Heimliche Hochzeiten, Originaltitel En de secrètes Noces, Erzählungen, 1963
  • Pflücke die Rosen, Originaltitel Les belles Natures, Erzählungen, 1964
  • Creezy, Roman, 1970
  • Der Mann, um den es geht, Originaltitel L’homme en question, Roman, 1972
  • Mozart: eine Lebensgeschichte in 5 Teilen, 1982
  • Casanova: sein Leben, seine Abenteuer, Originaltitel Une insolente liberté, 1985, ISBN 3-546-46327-7
  • Der Freund des Präsidenten, 1994
  • Françoise und ihre Liebhaber, Originaltitel La grande Fille, Roman, 1998, ISBN 3-203-80009-8

Literatur

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  • Félicien Marceau in: Internationales Biographisches Archiv 36/2012 vom 4. September 2012, im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar).
  • Meyers Großes Personenlexikon, Mannheim 1968, S. 851.
  • Siegfried Kienzle, Otto C. A. zur Nedden (Hrsg.): Reclams Schauspielführer, 19. Auflage, Stuttgart 1993, S. 853.
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Einzelnachweise

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  1. Cécile Vanderpelen: „Décès de Félicien Marceau, dernier témoin du catholicisme anticonformiste de l’avant-guerre“, ORELA, 12. März 2012.