Massenerhaltungssatz

Erhaltungssatz in der Chemie
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Der Massenerhaltungssatz (manchmal auch Lomonossow-Lavoisier-Gesetz genannt) ist ein Erhaltungssatz in der Chemie. Er besagt, dass sich bei chemischen Reaktionen die Gesamt-Masse der beteiligten Stoffe nicht nennenswert ändert.

Bei physikalischen Vorgängen gilt dieser Satz nur für abgeschlossene Systeme, also nur für solche Systeme, die mit ihrer Umgebung weder Energie noch Materie austauschen.

Geschichte Bearbeiten

Meist wird die erste explizite Formulierung Antoine Lavoisier zugeschrieben, der die Massenerhaltung auch in zahlreichen Experimenten mit Waagen überprüfte. Er formulierte das Prinzip explizit in seinem berühmten Traitè Élementaire de Chimie von 1789,[1] verwendete es aber schon viel früher. Erhaltung der Masse war aber schon lange vor Lavoisier ein häufig angenommenes, bis auf die Antike zurückgehendes Naturprinzip, das wie selbstverständlich von Joseph Black, Henry Cavendish oder Michail Lomonossow verwendet wurde. Noch früher war es von Jean Rey 1630 formuliert worden.[2] Partington[3] schreibt in seiner Geschichte der Chemie, dass es bis auf die Antike zurückgeht und zitiert Formulierungen von Edme Mariotte (1678) und Jean Pierre Chardenon (1764). Johan Baptista van Helmont (1580–1644) war ebenfalls ein Anhänger der Massenerhaltung.[4] Er hatte anhand seines „Weidenbaum-Experiments“ geschlussfolgert, dass das Wachstum des Weidenbaums allein aus Wasser stammte[5] und deshalb Wasser das universale Element aller natürlichen Dinge sei.[6] Herbert M. Howe hatte noch angemerkt, dass das Experiment bereits von Nikolaus von Kues in seinem Werk Idiota de staticis experimentis (1450) und vom Autor der Pseudo-Klementine Recognitiones (1504) vorgeschlagen wurde.[7][8]

Auch Lomonossow war ein früher Proponent der Massenerhaltung. Sowjetische Wissenschaftler vertraten später die These, dass er das Massenerhaltungsgesetz vor Lavoisier formuliert habe (zum Beispiel in den Neuen Kommentaren der Petersburger Akademie, Erscheinungsjahr 1750), dass Lavoisier es von Lomonossow übernommen habe und dass Lomonossow es auch experimentell untermauert habe (um 1756). Alle diese Behauptungen wurden von Philip Pomper zurückgewiesen.[9][10] Lomonossow kritisierte Robert Boyles Experiment der Kalzinierung von Metallen (der Ausdruck calcination bezeichnete damals einfach trockenes Erhitzen an Luft). Boyle meinte inkorrekterweise, eine Gewichtszunahme des Metalls bei Kalzination in geschlossenen Gefäßen beobachtet zu haben und führte das auf vom Metall aufgenommene Feuerteilchen zurück, was Lomonossow zurückwies. Stattdessen griff Lomonossow bei der Kalzination von Metallen in abgeschlossenen Gefäßen zu einer merkwürdigen Erklärung: er glaubte, dass gleiche Massen verschiedenes Gewicht haben könnten, wenn sich ihre Oberflächen unterschieden (mehr Angriffsfläche für das Gravitationsfluid). Bei der Verbrennung in geschlossenen Gefäßen war das nach Lomonossow der Fall, da die Verbindung der Teilchen durch die Kalzination gelockert und die Oberfläche vergrößert wäre. Das vertrat er auch in einem Brief an Leonhard Euler 1748. Die Gewichtszunahme bei normaler Kalzination in Gegenwart von Luft führte Lomonossow dagegen korrekt auf die Aufnahme von Bestandteilen der Luft zurück.

Zusammen mit dem „Gesetz der konstanten Proportionen“ (Proust, 1797) und dem „Gesetz der multiplen Proportionen“ (Dalton 1808) machte der Massenerhaltungssatz die zu jener Zeit noch junge Wissenschaft der Chemie zu einer quantitativen Wissenschaft. Eine theoretische Untermauerung fanden die drei Gesetze durch Daltons Atomhypothese.

Experimentell wurde die Massenerhaltung bei chemischen Reaktionen Anfang des 20. Jahrhunderts durch Hans Landolt und Roland von Eötvös mit jeweils hoher Messgenauigkeit bestätigt.[11] Andererseits widersprach bald darauf Albert Einsteins spezielle Relativitätstheorie der strengen Gültigkeit des Satzes, weil ihr zufolge die Ruhenergie eines Systems äquivalent zur Masse ist. Erste experimentelle Anzeichen hierfür ergaben sich Anfang der 1920er Jahre in der Kernphysik. Die Äquivalenz von Masse und Energie ist inzwischen experimentell vielfach bestätigt. Daher kann der Massenerhaltungssatz (für die Summe der Massen der Reaktionspartner) in der Kern- und Hochenergiephysik nicht angewendet werden.

Inhalt und Bedeutung Bearbeiten

In moderner Formulierung lautet der Satz: Bei einer chemischen Reaktion im geschlossenen System ist die Summe der Massen der Edukte gleich der Summe der Massen der Produkte. Dies gilt in so guter Näherung, dass der Satz für Zwecke der Chemie gültig bleibt.

Ein Anwendungsbeispiel aus dem Alltag: Möchte man wissen, wie viel Kohlenstoffdioxid ein PKW pro gefahrenem Kilometer ausstößt, so muss man nur die Kraftstoffart und den Kraftstoffverbrauch kennen. Ein Liter Diesel enthält etwa 700 Gramm Kohlenstoff, der sich mit 1880 Gramm Sauerstoff zu 2580 Gramm Kohlenstoffdioxid verbindet. Hat das Auto einen Verbrauch von 6 Liter Diesel auf 100 km, so folgt daraus zwangsläufig, dass es 155 g CO2/km ausstößt.

Massendefekt Bearbeiten

Tatsächlich ist bei Verbrennungen die Masse der Reaktionsprodukte um einen verschwindend geringen Anteil kleiner als die Masse der Edukte vor der Reaktion, denn bei exothermen chemischen Reaktionen wird die Bindungsenergie in thermische Energie umgewandelt. Entsprechend der Masse-Energie-Äquivalenz hat diese Energie eine Masse. Die Gesamtmasse der beteiligten Stoffe bleibt also nicht gleich, sondern nimmt durch den Massendefekt ab, wenngleich dieser Effekt sehr klein ist. Beim Verbrennen von 1000 Gramm Kohlenstoff mit 2664 Gramm Sauerstoff (Heizwert 32,8 MJ) „verschwinden“ aufgrund des Massendefekts theoretisch 0,364 µg, d. h. 9,95·10−11 (99,5 Billionstel) der Masse.

In bestimmten physikalischen Teilchenreaktionen, nämlich der Elektron-Positron-Paarvernichtung, „verschwindet“ die ursprüngliche Masse sogar vollständig und es entstehen zwei Photonen, deren Masse Null beträgt.

Auch bei jeder exothermen Kernreaktion und bei jedem radioaktiven Zerfall tritt ein Massendefekt auf: Die Summe der Massen der entstehenden Teilchen ist kleiner als die Summe der anfänglichen Massen. Da sich an der Masse die Ruheenergie ablesen lässt, haben die entstehenden Atomkerne oder Teilchen weniger Ruheenergie als die anfänglichen Kerne oder Teilchen. Die Gesamtenergie bleibt erhalten, nicht aber die Masse. Insbesondere die von Kernspaltungs- und Kernfusionsreaktionen aus dem Massendefekt freigesetzte Energie kann nach Umwandlung in Wärme technisch genutzt werden.

Literatur Bearbeiten

  • William R. Newman, Lawrence M. Principe: Alchemy Tried in the Fire: Starkey, Boyle and the Fate of Helmontian Chemistry. Chicago University Press, Chicago / London 2002, ISBN 0-226-57711-2.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Lavoisier, Traité, Band 1, S. 141 (in der Ausgabe von 1801). ...;et l'on peut poser en principes que dans toute opération, il y a une égale quantité de matière avant et apres l'operation; que la qualité et la quantité des principes et la meme, et qu'il n'y a peu des changements, des modifications.
  2. Robert Whitaker, A historical note on the conservation of mass, Band 52, 1975, S. 658–659
  3. Partington, History of Chemistry, Band 3, Macmillan 1962, S. 377.
  4. W. R. Newman, L. M. Principe: Alchemy Tried in the Fire: Starkey, Boyle and the Fate of Helmontian Chemistry. 2002, S. 68 ff.
  5. Johan Baptista van Helmont: Ortus Medicinae, id est initia physicae inaudita. Progressus medicinae novus, in morborum ultionem ad vitam longam. Hrsg.: Franciscus Mercurius van Helmont. Elzevir, Amsterdam 1648, S. 108–109.
  6. W. R. Newman, L. M. Principe: Alchemy Tried in the Fire: Starkey, Boyle and the Fate of Helmontian Chemistry. 2002, S. 13.
  7. H. E. Hoff: NICOLAUS OF CUSA, VAN HELMONT, AND BOYLE: THE FIRST EXPERIMENT OF THE RENAISSANCE IN QUANTITATIVE BIOLOGY AND MEDICINE. In: Journal of the history of medicine and allied sciences. Band 19, April 1964, S. 99–117, doi:10.1093/jhmas/xix.2.99, PMID 14143941.
  8. H. M. Howe: A Root of van Helmont’s Tree. In: Isis. Band 96, Nummer 4, 1965, S. 408–419.
  9. Pomper, Lomonosov and the discovery of the law of the conservation of matter and in chemical transformations, Ambix, Band 10, 1962, S. 119–127.
  10. Eine ähnliche Darstellung findet sich in Partington, A History of Chemistry, Macmillan 1962, Band 3, S. 203f.
  11. Holleman-Wiberg: Lehrbuch der anorganischen Chemie. 57.–70. Auflage, de Gruyter, 1964, S. 11–12.