Disiline sind chemische Verbindungen mit einer Silicium-Silicium-Dreifachbindung und damit die Silicium-Analoga der Alkine. Strukturell verwandt sind die Siline, bei denen eine Kohlenstoff-Silicium-Dreifachbindung vorliegt. Auf Grund ihrer Instabilität und sehr hohen Reaktivität sind sie nur sehr schwierig experimentell zugänglich.

Strukturformel des von Sekiguchi synthetisierten Disilins

Geschichte

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1991 wurde versucht, durch schnelle Abkühlung von verdünntem Monosilan-Plasma auf −196 °C mit Si2H2 ein Silicium-Äquivalent zu Acetylen zu erhalten. Es zeigte sich im Mikrowellenspektrium, dass in den erhaltenen Molekülen allerdings keine Dreifachbindung, sondern verbrückende 3-Zentren-2-Elektronen-Bindungen vorliegen.[1] In theoretischen Dichtefunktionaltheorie-Berechnungen wurde aber gezeigt, dass große Substituenten das Molekül so verändern, dass dann keine 3-Zentren-2-Elektronen-Bindung, sondern eine Dreifachbindung der stabilste Zustand sein sollte.[2][3]

In weiteren Versuchen zeigte sich, dass die Wahl des richtigen Substituenten für den Erhalt einer Silicium-Silicium-Dreifachbindung entscheidend ist. So ist bei der Reaktion von 2,6-Dimesitylphenyltrifluorosilan mit Natrium das entstehende Disilin so reaktiv, dass es sofort weiter reagiert und in C-C-Bindungen insertiert.[4][3]

Die erste Synthese eines stabilen Disilins gelang schließlich 2004 Akira Sekiguchi. Er synthetisierte 1,1,4,4-Tetrakis[bis(trimethylsilyl)methyl]-1,4-diisopropyl-2-tetrasilin in Form eines grünen, bei bis zu 100 °C stabilen, kristallinen Feststoffes.[5]

Gewinnung und Darstellung

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Die Darstellung des ersten stabilen Disilins gelang durch Reduktion von 2,2,3,3-Tetrabrom-1,1,4,4-tetrakis[bis(trimethylsilyl)methyl]-1,4-diisopropyltetrasilan mit KC8.[5]

 

Eigenschaften

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Die Bindungslänge einer Silicium-Silicium-Dreifachbindung beträgt 206 pm[6] und ist damit deutlich länger als die Bindungslänge einer Kohlenstoff-Kohlenstoff-Dreifachbindung mit 120 pm.[7] Wie beim Kohlenstoff nimmt die Bindungslänge von der Einfach- zur Dreifachbindung hin ab. Während die Bindungslänge eines organischen Silans bei 235–270 pm liegt[8], liegt sie bei Disilenen bei etwa 220 pm.[9]

Im Gegensatz zu Alkinen ist die Silicium-Silicium-Dreifachbindung nicht linear, sondern gewinkelt angeordnet. Die Reste sind trans angeordnet, es wurde ein Winkel von 137 ° gemessen.[5]

Bei sterisch nicht ausreichend abgeschirmten Disilinen ist eine Dimerisierung möglich. So reagiert ein Disilin mit zwei Tri-tert-butylsilan-Gruppen direkt weiter zu einem tetraedrischen Tetrasilan.[10]

Einzelnachweise

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  1. M. Bogey, Hélène Bolvin, C. Demuynck, J. L. Destombes: Nonclassical double-bridged structure in silicon-containing molecules: Experimental evidence in Si2H2 from its submillimeter-wave spectrum. In: Physical Review Letters. 1991, Band 66, Nummer 4, S. 413–416 doi:10.1103/PhysRevLett.66.413.
  2. Kaoru Kobayashi, Shigeru Nagase: Silicon−Silicon Triple Bonds: Do Substituents Make Disilynes Synthetically Accessible? In: Organometallics. 1997, Band 16, Nummer 12, S. 2489–2491 doi:10.1021/om970232f.
  3. a b Peter Jutzi: Stabile Systeme mit Dreifachbindung zu Silicium oder seinen Homologen: eine weitere Herausforderung. In: Angewandte Chemie. 2000, Band 112, Nummer 21, S. 3953–3957 doi:10.1002/1521-3757(20001103)112:21<3953::AID-ANGE3953>3.0.CO;2-5.
  4. Rudolf Pietschnig, Robert West, Douglas R. Powell: Reduction of Terphenyltrifluorosilanes: C−C Insertion Products and Possible Formation of a Disilyne. In: Organometallics. 2000, Band 19, Nummer 14, S. 2724–2729 doi:10.1021/om990924z.
  5. a b c Akira Sekiguchi, Rei Kinjo, Masaaki Ichinohe: A Stable Compound Containing a Silicon-Silicon Triple Bond. In: Science. 2004, Band 305, Nummer 5691, S. 1755–1757 doi:10.1126/science.1102209.
  6. Manfred Weidenbruch: Moleküle mit einer echten Si‐Si‐Dreifachbindung und ein stabiles Derivat von [SiH]+. In: Angewandte Chemie. 2004, Band 117, Nummer 4, S. 518–520 doi:10.1002/ange.200462273.
  7. A. F. Holleman, E. Wiberg, N. Wiberg: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. 102. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin 2007, ISBN 978-3-11-017770-1, S. 888.
  8. A. F. Holleman, E. Wiberg, N. Wiberg: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. 102. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin 2007, ISBN 978-3-11-017770-1, S. 994.
  9. Mitsuo Kira: Bonding and structure of disilenes and related unsaturated group-14 element compounds. In: Proceedings of the Japan Academy Series B. 2012, Band 88, Nummer 5, S. 167–191 doi:10.2183/pjab.88.167.
  10. Nils Wibeŕg, Christian M. M. Finger, Κ. Polborn: Tetrakis(tri‐tert‐butylsilyl)‐tetrahedro‐tetrasilan (tBu3Si) 4Si4 — die erste molekulare Siliciumverbindung mit einem Si4‐Tetraeder. In: Angewandte Chemie. 1993, Band 105, Nummer 7, S. 1140–1142 doi:10.1002/ange.19931050744.