Die Möwe

Schauspiel von Anton Pawlowitsch Tschechow (1895)

Die Möwe (russisch Чайка/ Tschaika) ist ein Drama von Anton Tschechow aus dem Jahre 1895.

Daten
Titel: Die Möwe
Originaltitel: Чайка
Gattung: Drama
Originalsprache: Russisch
Autor: Anton Tschechow
Erscheinungsjahr: 1895
Uraufführung: 17. Oktober 1896
Ort der Uraufführung: Alexandrinski-Theater in Sankt Petersburg
Ort und Zeit der Handlung: Sorins Landsitz in der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert
Personen
  • Irina Nikolayevna Arkadina; eine Schauspielerin
  • Konstantin Gavrilovič Treplev; ihr Sohn
  • Pjotr Nikolayev Sorin; ihr Bruder
  • Nina Michailovna Zarečnaya; ein junges Mädchen, Tochter eines reichen Grundbesitzers
  • Ilya Afanasyevič Šamrayev; der Verwalter von Sorins Gutshof
  • Paulina Šamrayeva; seine Gemahlin
  • Marja Ilyinišna Šamrayeva, genannt Maša; ihre Tochter
  • Boris Alekseevič Trigorin; ein Autor
  • Yevgeny Sergeyevič Dorn; ein Arzt
  • Semyon Semyonovič Medvedenko; ein Lehrer
  • Jakob; ein Handwerker
  • Ein Koch auf Sorins Gutshof
  • Ein Dienstmädchen auf Sorins Gutshof
  • Ein Wachmann auf Sorins Gutshof

Inhalt Bearbeiten

Tschechows Stück spielt auf dem Land im zaristischen Russland in der damaligen Gegenwart (um 1895). In schrecklicher Langeweile öden die Gäste auf einem Landsitz einander an: Sie gehen sich mit kleinen Sticheleien auf die Nerven und machen sich so das Leben zur Hölle.

Der Sohn einer Schauspielerin, Konstantin Gavrilovič Treplev, möchte Schriftsteller werden und hat ein kleines Theaterstück geschrieben, welches am Abend auf einer Bühne im Garten den Gästen vorgespielt werden soll. Die Hauptrolle spielt dabei seine Geliebte Nina. Das Stück spielt in 200.000 Jahren in der Zukunft, wo alle Lebewesen ausgestorben sind. Treplev leidet jedoch unter der ständigen Nörgelei seiner Mutter Arkadina, die sein schriftstellerisches Talent und sein ganzes Leben infrage stellt. Außerdem hat sie einen Freund, Boris Alekseevič Trigorin, der ebenfalls und bereits sehr erfolgreich Schriftsteller ist. Diesen Trigorin führt sie immer wieder an, wenn sie versucht, Treplevs Vertrauen in sich und seine Arbeit zu schwächen. Das freie, von Zwängen befreite Künstlerleben wird durch das Symbol der Möwe aufgetan und dieses Symbol wird von einer der Hauptfiguren Treplev grundlos abgeschossen und als Opfergabe Nina zu Füßen gereicht, die das Symbol nicht zu deuten weiß. Bei der Aufführung von Treplevs Stück kommt es schließlich zum Eklat, Mutter und Sohn geraten in Streit. Mehr und mehr zeigt sich, dass Nina sich zu Trigorin hingezogen fühlt, zu seinem Charme und seinem Erfolg, der Treplev bisher versagt war. Als Treplevs Mutter und Trigorin abreisen, um zurück nach Moskau zu gehen, verlässt Nina Treplev und schließt sich Trigorin an, um fortan als Schauspielerin an seiner Seite zu sein.

Jahre vergehen, und Treplev ist inzwischen auch ein erfolgreicher, aber einsamer Schriftsteller. Unerwartet taucht Nina, von Trigorin verlassen, wieder auf. Sie hatte nur einen kleinen Erfolg als Schauspielerin, und das Leben in Moskau hatte sie sich anders vorgestellt. Sie ist am Versuch, ihre Träume zu verwirklichen, gescheitert. Dennoch will sie nicht zu Treplev zurückkehren und verlässt ihn abermals. Fazit: Die Schriftstellerei hilft bei der existentiellen Suche nach Glück im Leben ebenso wenig wie die Liebe. Eine Wahrheit, die Treplev in den Selbstmord treibt, er erschießt sich schließlich.

Entstehung und erste Aufführungen Bearbeiten

 
Anton Tschechow liest am Künstlertheater „Die Möwe“. (1899)

Tschechow begann im Oktober 1895 die Arbeit an der Möwe und beendete das Stück im Dezember. Er schreibt an seinen Verleger Alexei Suworin: „Zweitens, stellen Sie sich vor, schreibe ich an einem Stück, das ich, wahrscheinlich, nicht vor Ende November abschließen werde. Ich schreibe nicht ohne Vergnügen daran, obwohl ich mich schrecklich an den Bedingungen der Bühne vergehe. Eine Komödie, drei Frauenrollen, sechs Männerrollen, vier Akte, eine Landschaft (Blick auf einen See); viele Gespräche über die Literatur, wenig Handlung, ein Pud Liebe.“[1] Im Oktober 1896 übergab er dem Verleger das Manuskript für eine Buchausgabe.

In der Uraufführung am 17. Oktober 1896 im Alexandrinski-Theater in Sankt Petersburg spielte Wera Komissarschewskaja die Rolle der Nina. Die Premiere wurde ein spektakulärer Misserfolg. Tschechow kehrte frustriert auf sein Landgut in Melichowo zurück. Am 20. November 1896 schreibt er: „Ja, meine Möwe hatte in Petersburg, bei der ersten Vorstellung, einen Riesenmisserfolg. Das Theater atmete Bosheit, die Luft war explosiv vor Hass, und ich flog – den Gesetzen der Physik gehorchend – aus Petersburg davon wie eine Bombe.“[2]

Noch im selben Jahr lernte er allerdings den Regisseur und Theaterreformer Konstantin Stanislawski kennen. Gemeinsam mit dem Regisseur und Dramaturgen Nemirowitsch-Dantschenko gründete Stanislawski 1898 das Moskauer Künstlertheater, in dem er alle späteren Stücke Tschechows uraufführte. Das Künstlertheater hatte sich zur Aufgabe gestellt, die Schauspielkunst zu reformieren. Statt Deklamation und Star-Theater setzte Stanislawski auf die Einfühlung des Schauspielers in die Rolle, um größtmögliche Wahrhaftigkeit zu erreichen. Die Stücke des damals noch wenig bekannten Tschechow passten in das künstlerische Konzept. So erbat sich Nemirowitsch-Dantschenko im Mai 1898 die von Tschechow überarbeitete Fassung der Möwe für eine Aufführung im Künstlertheater, die ein überwältigender Erfolg für das Theater und für Tschechow wurde. Olga Knipper spielte die Arkadina, Stanislawski den Trigorin und Wsewolod Meyerhold den Treplev. Das Theater gab sich fortan eine Möwe als Signet.

Stanislawski wurde ein wichtiger Förderer für Tschechows Theaterstücke und begründete – nicht zuletzt durch die zahlreichen Gastspielreisen des Künstlertheaters – den Weltruhm des Dichters. Tschechow selbst empfand Stanislawskis Interpretationen seiner Stücke als zwiespältig. Stanislawski inszenierte sie als melancholische „Stimmungsdramen“, was den Intentionen Tschechows nicht entsprach. Ein Brief an Alexander Tichonow belegt das: „Sie sagen, Sie hätten über meine Theaterstücke geweint. Sie sind nicht der einzige. Dazu habe ich sie aber nicht geschrieben. Stanislawski war es, der sie so rührselig gemacht hat. Ich wollte etwas ganz anderes. Ich wollte einfach und ehrlich sagen: schaut euch an, seht doch, wie schlecht und langweilig ihr euer Leben führt!“[3]

Tschechow hat Die Möwe ausdrücklich als Komödie bezeichnet, um bereits durch diese Genre-Bezeichnung eine sentimentale Sicht zu verhindern. Der Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier schrieb über das Stück: „‚Die Möwe‘ ist eine Komödienreise ins Herz der Finsternis. Die Kolportage schwebt: alles ganz leicht, nur angedeutet, skizziert, aber in Frostfarben, eisig genau.“[4] Tatsächlich ist das Stück keine „reine“ Komödie, sondern lebt von ständigen Brüchen zwischen komischen und tragischen Momenten, zwischen banalen Vorgängen und einem anspruchsvollen Diskurs über Kunst, zwischen tragischem Misslingen von Lebensentwürfen und lächerlicher Selbststilisierung.

Die deutsche Erstaufführung war am 1. November 1902 im Lobe-Theater in Breslau auf Grundlage einer Übersetzung von Wladimir Czumikow, der auch andere Werke von Tschechow übersetzte.

Heutige Aufführungspraxis Bearbeiten

Die Möwe ist nach wie vor eines der häufig auf dem Spielplan der deutschsprachigen Schauspielhäuser erscheinenden Stücke. Die Inszenierung von Luc Bondy im Jahr 2000 für die Wiener Festwochen mit Gert Voss, Jutta Lampe, Johanna Wokalek und August Diehl am Burgtheater Wien erhielt drei Nestroy-Theaterpreise.

Weitere Inszenierungen (Auswahl) Bearbeiten

Verfilmungen Bearbeiten

Ausgaben Bearbeiten

Sonstiges Bearbeiten

 
Veranstaltung im Ost-Berliner Klub „Die Möwe“ (1967)

In der DDR wurde der Ost-Berliner Künstlerklub „Die Möwe“, der in der Luisenstr. 18 sein Domizil hatte, nach dem Drama Tschechows benannt.[6] Der Künstlerklub wurde durch das DDR-Kulturministerium, später durch den Gewerkschaftsbund FDGB und den Kulturfonds der DDR unterstützt. Die öffentliche Nutzung des Hauses „Die Möwe“ wurde staatlich zunehmender eingeschränkt, und es wurde zum Treffpunkt lokaler Gewerkschaftsprominenz um den FDGB-Vorsitzenden Harry Tisch. Heute befindet sich in dieser Liegenschaft die Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund.

Weblinks Bearbeiten

Commons: Die Möwe, Inszenierungen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Чайка – Quellen und Volltexte (russisch)

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Anton Tschechow: Briefe in 5 Bänden. Hrsg. von Peter Urban. Diogenes Verlag Zürich 1979.
  2. Anton Tschechow: Briefe in 5 Bänden. Hrsg. von Peter Urban. Diogenes Verlag Zürich 1979.
  3. Siegfried Melchinger: Tschechow. Velber bei Hannover 1968.
  4. Gerhard Stadelmaier in Frankfurter Allgemeine Zeitung. 18. Dezember 1995.
  5. 2016 Theater Plan B mit Link zum Trailer
  6. Matthias Thalheim: Der legendäre Künstlerklub wird 60 – eine Erinnerung: Mythos Möwe. In: Berliner Zeitung. (berliner-zeitung.de).