Debye-Hückel-Theorie

elektrostatische Wechselwirkungen von Ionen in Elektrolyten

Die Debye-Hückel-Theorie (nach Peter Debye und Erich Hückel)[1][2] beschreibt in der Elektrochemie die elektrostatischen Wechselwirkungen von Ionen in Elektrolytlösungen.

Diese Coulombschen Anziehungs- und Abstoßungskräfte führen zu einer Abweichung der Aktivität (wirksame Konzentration, früher „aktive Masse“) der Ionensorte in Abhängigkeit von ihrer molaren Konzentration gemäß . Die Debye-Hückel-Theorie liefert Gleichungen, mit denen der individuelle dimensionslose Aktivitätskoeffizient (teilweise auch als geschrieben) in Abhängigkeit von Konzentration, Temperatur und Dielektrizitätskonstante des Lösungsmittels berechnet werden kann.

Modellvorstellung Bearbeiten

 
Ionenverteilung in einer Lösung

Entgegengesetzt geladene Ionen ziehen sich an, gleichnamig geladene Ionen stoßen sich ab. Aus diesen Gründen sind Ionen in einer Lösung nicht willkürlich verteilt, sondern besitzen eine gewisse Nahordnung, in der Anionen eher in der Nähe von Kationen zu finden sind und umgekehrt (Abb.). Elektroneutralität der Lösung ist dabei gewahrt.

Im Gegensatz zum Ionengitter können sich Ionen in Lösung nicht vollständig regelmäßig anordnen, weil Lösungsmittelmoleküle als Dielektrikum die Coulombschen Wechselwirkungen abschwächen, worauf die thermische Bewegung zu einer stärkeren Verteilung der Ionen führt. Im zeitlichen Mittel befindet sich aber jedes Ion im Zentrum einer Wolke aus entgegengesetzt geladenen Ionen (in der Abb. durch Kreise angedeutet). Diese Ionenwolken schirmen die Ladung des Zentralions ab, was der Grund für die Einführung der Aktivität als „wirksame Konzentration“ bei Ionen ist.

Die Theorie Bearbeiten

Ausgehend von der o. g. Modellvorstellung haben P. Debye und E. Hückel durch Kombination der Poisson-Gleichung mit der Boltzmann-Statistik zur Beschreibung der Ionenverteilung einige häufig benutzte Gleichungen abgeleitet.

Aktivitätskoeffizient f der Ionensorte i Bearbeiten

 

mit

  • Ladungszahl  
  • Elementarladung  
  • Permittivität   des Lösungsmittels ( )
  • Boltzmannkonstante  
  • absolute Temperatur  
  • Radius   (des Zentralions, nicht der umgebenden Ionenwolke)
  • Abkürzung   in  
    • Avogadro-Konstante  
    • Faraday-Konstante  
    • Universelle Gaskonstante  
    • Ionenstärke   in  

Obige Gleichung wird oft als erweitertes Debye-Hückel-Grenzgesetz bezeichnet, das sich in seiner Schreibweise wie nachstehend gezeigt zusammenfassen lässt:

 
Konstanten der Debye-Hückel-Gleichung für mittlere Konzentrationen
Temperatur
in °C
A in   B in  
0 0,4883 0,3241 · 1010
15 0,5002 0,3267 · 1010
20 0,5046 0,3276 · 1010
25 0,5092 0,3286 · 1010
30 0,5141 0,3297 · 1010
40 0,5241 0,3318 · 1010
50 0,5351 0,3341 · 1010
60 0,5471 0,3366 · 1010
80 0,5739 0,3420 · 1010

mit

  •   in  
  •   in  

Der Gültigkeitsbereich liegt bei ca.  

Radius der Ionenwolke Bearbeiten

Das Reziproke von   lässt sich als Radius der Ionenwolke interpretieren:

 

Diesen Radius nennt man auch Abschirm- oder Debye-Länge.

Debye-Hückel-Grenzgesetz Bearbeiten

Für Ionenwolken, die wesentlich größer sind als das umschlossene Ion (in der Regel sind das stark verdünnte Lösungen mit  ):

 

ergibt sich die für praktische Belange am häufigsten zitierte Gleichung:

 

Darin ist   zu setzen, wenn Wasser bei 25 °C als Lösungsmittel verwendet wird. Für andere Temperaturen und/oder Lösungsmittel muss es nach der oben angegebenen Gleichung berechnet werden (vgl. auch Tabelle).

Mittlerer Aktivitätskoeffizient Bearbeiten

Individuelle Aktivitätskoeffizienten (bzw. -aktivitäten) können zwar berechnet, aber aufgrund der Elektroneutralitätsbedingung nicht gemessen werden. Für den messbaren mittleren Aktivitätskoeffizienten eines Elektrolyten gilt

 

Näheres siehe Aktivität.

Der Aktivitätskoeffizient wird beispielsweise beim Massenwirkungsgesetz, zur Bestimmung des Löslichkeitsproduktes und der Siedepunktserhöhung verwendet.

Debye-Hückel-Onsager-Gesetz zur Leitfähigkeit von Ionen Bearbeiten

Das Debye-Hückel-Gesetz wurde 1927 von Onsager zur Bestimmung der molaren Leitfähigkeit   verwendet: nach Debye-Hückel bremst die gegensätzlich geladene Ionenwolke die Wanderungsgeschwindigkeit ihres Zentralions, die bisher nach dem Ostwaldschen Verdünnungsgesetz und dem Kohlrauschschen Quadratwurzelgesetz berechnet wurde. Auf die Stärke der Abbremsung hat die Viskosität des Lösungsmittels gewichtigen Einfluss. Durch die Debye-Hückel-Onsager-Theorie wurde verbessert, dass die Ionenbeweglichkeit und die molare Leitfähigkeit nun von der Konzentration   abhängen.

So können für verdünnte Lösungen (≤ 0,01 Mol/Liter) in Wasser bei 25 °C folgende Beziehungen aufgestellt werden:

  • für (starke) 1,1-Elektrolyte:
 
  • für 2,1 -Elektrolyte (z. B. Na2SO4):
 
  • für 1,2 -Elektrolyte (z. B. MgCl2):
 
  • für 2,2-Elektrolyte:
 
  • für 3,1-Elektrolyte:
 

Weitere Verbesserungen der Theorie kamen durch die mathematische Beschreibungen von Doppel- und Tripelionen unter E. Wickie und Manfred Eigen. Mit diesen Modellen wurde das Debye-Hückel-Onsager-Gesetz auf höher konzentrierte Lösungen (≤ 1 Mol/Liter) ausgedehnt.

Bei einer gerichteten Bewegung in einem elektrischen Feld tritt auch eine Störung der Symmetrie der Ionenwolke ein. Die durch Bewegung des Zentralions entstehende Unsymmetrie mit Bremswirkung nennt man Relaxations- oder Asymmetrie- oder Wien-Effekt[3] und die Zeitperiode, bis sich die Ionen wieder neu ordnen, Relaxationszeit. Bei hohen Frequenzen (über 1 MHz), die der Relaxationszeit entsprechen, entfällt die elektrostatische Bremswirkung der Ionenbewegung. Die molare Leitfähigkeit oder Äquivalentleitfähigkeit der Ionen erreicht dann ihr Maximum (mindestens die Grenzleitfähigkeit) – auch bei höheren Konzentrationen.

Laut dem Buch chimica Band II S. 148 (Gl. 8.56), gilt nach Debye-Hückel-Onsager allgemein für alle Äquivalentleitfähigkeiten:

 

Darin sind   und   Konstanten, die nur von Temperatur, Dielektrizitätskonstante   des Lösemittels und den Wertigkeiten   der Ionen abhängen.   ist die Ionenstärke (quadratisch nach den Wertigkeiten gewichtete mittlere Konzentration).

Da die molaren Leitfähigkeiten das Produkt von Äquivalentleitfähigkeiten und Wertigkeit/Ladungsaustauschzahl des Ions/der Ionen sind, können die Gleichungen für molare Leitfähigkeiten in Gleichungen für Äquivalentleitfähigkeiten umgeformt werden(es ergeben sich dann andere Konstanten im Modell).

Empirische Erweiterungen für konzentriertere Lösungen Bearbeiten

Aufbauend auf dem erweiterten Debye-Hückel-Grenzgesetz wurden durch Anfügen weiterer Terme Beziehungen erhalten, die auch für konzentriertere Lösungen verwendet werden können, insbesondere die Gleichungen von Guggenheim und Davies.

Literatur Bearbeiten

  • Jerome A. Berson: Chemical Creativity. Ideas from the Work of Woodward, Hückel, Meerwein, and Others. Wiley-VCH, Weinheim u. a. 1999, ISBN 3-527-29754-5.
  • Berechnung individueller Aktivitätskoeffizienten der Ionenarten nach Kielland und Debye-Hückel, mit einer Tabelle berechneter Werte für viele Ionen und verschiedene Ionenstärken; In: Udo Kunze/Georg Schwedt: Grundlagen der qualitativen und quantitativen Analyse, Thieme Verlag Stuttgart 1996, S. 47 u. S. 320–322, ISBN 3-13-585804-9.

Literaturquellen Bearbeiten

  1. Peter Debye, Erich Hückel: Zur Theorie der Elektrolyte. In: Peter Debye, Max Born (Hrsg.): Physikalische Zeitschrift. Band 24, Nr. 9. S. Hirzel Verlag, Leipzig 1. Mai 1923, S. 185–206 (online bei der Electrochemical Science and Technology Information Resource (ESTIR), The Electrochemical Society, Inc. (ECS) [PDF; 12,5 MB] Kommentierte englische Übersetzung The theory of electrolytes von Michael J. Braus online auf Seiten der University of Wisconsin. Laut Braus kam der Gebrauch des griechischen Buchstabens κ (kappa, auch ϰ geschrieben) durch einen Setzfehler zustande, da im Original ein x verwendet wurde.).
  2. P. Debye und E. Hückel: Physik Z., 24, 185 (1923).
  3. Hans Keune: „chimica, Ein Wissensspeicher“, Band II, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie Leipzig, 1972, Asymmetrieeffekt S. 148.