Das Wachsfigurenkabinett

Film von Paul Leni und Leo Birinski

Das Wachsfigurenkabinett ist ein deutscher Spielfilm von Paul Leni aus dem Jahr 1924. Das Drehbuch verfasste der Autor einiger der berühmtesten Filme des deutschen Expressionismus, Henrik Galeen (u. a. Nosferatu und Der Golem, wie er in die Welt kam).

Film
Titel Das Wachsfiguren­kabinett
Produktionsland Deutschland
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 1924
Länge 83 Minuten
Stab
Regie Paul Leni
Leo Birinski (Spielleitung)
Drehbuch Henrik Galeen
Produktion Alexander Kwartiroff
Kamera Helmar Lerski
Besetzung
Das Wachsfigurenkabinett (1924) von Paul Leni

Handlung

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Die erste Einstellung des Films zeigt einen jungen, namenlosen Dichter auf einem Jahrmarkt. Er ist auf dem Weg zu einem Wachsfigurenkabinett, zu dessen Figuren er sich interessante Geschichten, bzw. Begebenheiten erdenken soll.

Ein Schausteller, in Begleitung seiner Tochter, zeigt ihm die drei eindrucksvollsten Exponate seiner Ausstellung: Hārūn ar-Raschīd, der Kalif von Bagdad, Iwan der Schreckliche und Jack the Ripper. Dabei macht ihm die Tochter des Schaustellers, Eva, vom ersten Moment ihrer Begegnung an schöne Augen.

Der Figur des Kalifen ist der Arm abgebrochen und der Dichter versucht, sich die Begebenheit auszumalen, die zum Verlust des Körperteils geführt haben könnte.

Harun al-Raschid

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Sogleich sieht sich der junge Dichter in seine eigene Geschichte involviert, als Pastetenbäcker Assad lebt er mit seiner schönen Frau Maimune (Eva stellt er sich dabei in jeweils beiden Episoden als seine Frau vor) unmittelbar an den Mauern des Palastes des Kalifen von Bagdad, Harun al-Raschid, dessen fettleibige Erscheinung an die Herrscher aus Tausendundeiner Nacht erinnert.

Dichter Rauch aus der nahen Backstube Assads verdeckt die Terrasse des Palastes, in dem Moment, wo der Kalif gerade eine Schachpartie gegen seinen Großwesir verliert. Ob der Rauchschwaden fühlt sich der Kalif geradezu verhöhnt und verlangt den Kopf des Bäckers. Doch der Großwesir kann den reizenden Blicken Maimunes nicht widerstehen und lässt schließlich von seinem beauftragten Vorhaben ab. Maimune ist von der vornehmen Galanterie des Wesirs sichtlich angetan, was dem Bäcker Assad nicht verborgen bleibt. Statt des Kopfes des Bäckers bringt der Großwesir dem Kalifen Kunde von der Schönheit der Bäckersfrau. Dieser beschließt, sich des Nachts unters Volk zu mischen, um den Schilderungen seines Wesirs nachzugehen.

Im Schutze der Dunkelheit sucht er das Haus des jungen Paares auf und wird Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen dem eifersüchtigen Assad und Maimune, die mit ihrem unbeachteten Leben in Bescheidenheit und Armut unzufrieden ist. Assad verspricht, Maimune den Wunschring des Kalifen zu rauben, um ihr all ihre Wünsche erfüllen zu können, und um ihr letztendlich seine Männlichkeit zu beweisen.

Während der Kalif sich in das Haus des Bäckers begibt, raubt Assad dem vermeintlichen Kalifen (es handelt sich um eine Wachsfigur) den Wunschring. Da er es nicht wagt, ihn vom Finger zu ziehen, trennt er mit einem Schwert den rechten Arm des „Schlafenden“ ab. Da es ihm nicht gelingt, sich unbemerkt zu entfernen, muss er vor der Leibwache des Kalifen aus dem Palast fliehen.

Der Kalif – von Maimunes Schönheit überaus beeindruckt – versucht indes, sie mit Glanz und Reichtum zu locken. Der zurückkehrende Assad dringt gewaltsam in das verschlossene Haus ein, während Maimune (sichtlich bemüht, einen geeigneten Platz für den beleibten Kalifen zu finden) Harun al-Raschid rechtzeitig im Backofen verstecken kann. Die eindringende Leibwache will Assad gerade festnehmen, als Maimune mit dem Wunschring am abgetrennten Wachsarm den Kalifen wieder zum Leben „erweckt“. Zudem wünscht sie sich noch Assad zum Hofbäcker des Kalifen. Dieser nimmt die beiden Liebenden schließlich unter seinen schützenden Umhang.

Iwan der Schreckliche

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Iwan, Zar von Russland, begibt sich in Begleitung seines Hofastrologen in die Kellergewölbe des Kreml, um sich in seinen Folterkammern am Leid der gepeinigten Gefangenen zu weiden. Ein besonderes „Spielzeug“ des Zaren, eine Sanduhr, wird vom Giftmischer des Zaren mit dem Namen desjenigen versehen, dessen letzte Stunde mit jedem Sandkörnchen näher rückt. Der Astrologe rät dem äußerst misstrauischen Iwan zur Vorsicht, denn sein Name könnte als Nächstes auf der Sanduhr geschrieben stehen, schließlich lässt er den Giftmischer durch seine Wächter töten. Doch er ahnte sein Schicksal und konnte vor seinem gewaltsamen Tod den Namen des Zaren auf das Uhrglas schreiben.

Am nächsten Tag kommt ein Edelmann an den Hof des Zaren, ihn zu einer Bojarenhochzeit zu begleiten. Iwan sieht seine Chance, das Schicksal zu überlisten und schlägt dem Vater der Braut einen Rollentausch vor. Iwan führt nun den Schlitten und entkommt so einem Attentat, dem der als Zar verkleidete Begleiter zum Opfer fällt. Der Zar, der sich mächtiger als der Tod glaubt, fordert die bestürzte Hochzeitsgesellschaft zu Musik und Tanz auf – ungeachtet der Trauer, die die Tochter des Getöteten empfindet – und lässt sie zudem in den Kreml entführen, wo sie die Misshandlungen an ihrem Bräutigam in den Folterkammern Iwans mit ansehen muss.

Doch der Astrologe gibt dem Zaren zu verstehen, dass er vergiftet worden sei, denn in der Kammer des Giftmischers fand man die Sanduhr, die der Zar nun bis zu seinem Lebensende in geistiger Umnachtung beständig wenden wird, um seinem vermeintlich vorherbestimmten Schicksal zu entgehen.

Jack the Ripper

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Als der junge Dichter die beiden Episoden zu Papier gebracht hat, übermannt ihn schließlich doch der Schlaf, und er sieht sich den furchtbarsten Auswüchsen seiner eigenen schöpfungsreichen Fantasie ausgesetzt. Der letzte Charakter des Wachsfigurenkabinetts, Jack the Ripper, verfolgt den Dichter bis in seine Träume, deren angsterfüllte Wirklichkeitsnähe (durch die Überblendung mit den Karussells des Jahrmarkts und den dunklen Hinterhöfen wird die Enge und Aussichtslosigkeit des Entkommens umso deutlicher) ihn glauben macht, von dem Massenmörder erstochen zu werden. Doch das todbringende Messer erweist sich als sein eigener Stift und wieder erwachend, ist die Erleichterung groß, dass der bedrückende Alptraum die junge Liebe zwischen ihm und der Tochter des Schaustellers nicht zerstören kann.

Hintergrund

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Bei den Dreharbeiten zu Das Wachsfigurenkabinett

Die für das zeitgenössische Kino des deutschen Expressionismus charakteristischen Filmbauten stammen von Paul Leni und Fritz Maurischat. Der künstlerisch abstrahierende Einfluss der Kulissenbauten, der von Filmen wie Das Cabinet des Dr. Caligari, Genuine (beide Robert Wiene), Dr. Mabuse, der Spieler (Fritz Lang) oder Die Bergkatze (Ernst Lubitsch) ausging, setzt sich in diesem Werk in auffallend ähnlicher Weise fort. Produktionsfirma war die Neptun-Film AG (Berlin) im Auftrag der Universum-Film AG (UFA). Die Uraufführung des Filmes erfolgte am 6. Oktober 1924 in Wien, die deutsche Erstaufführung am 13. November 1924 in Berlin.

Für den Film waren ursprünglich vier Episoden geplant, doch für das vierte Kapitel über den Räuberhauptmann „Rinaldo Rinaldini“ (nach dem gleichnamigen Roman von Christian August Vulpius aus dem Jahr 1798) fehlten letztlich die notwendigen finanziellen Mittel. Trotz der Tatsache, dass die Szene gestrichen wurde, ist im Film die Figur des Räubers mit seinem schwarzen Spitzhut in der Reihe der Wachsfiguren zu sehen.

Literatur

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  • Fred Gehler: Das Wachsfigurenkabinett. In: Günther Dahlke, Günther Karl (Hrsg.): Deutsche Spielfilme von den Anfängen bis 1933. Ein Filmführer. 2. Auflage. Henschel Verlag, Berlin 1993, S. 105 ff. ISBN 3-89487-009-5.
  • Thomas Kramer: Lexikon des deutschen Films, Stuttgart 1995, S. 336.
  • Jürgen Müller: Filme der 20er und das frühe Kino, Köln 2007, S. 162–167.
  • Dietrich Neumann: Filmarchitektur von Metropolis bis Blade Runner, München/New York 1996, S. 84–87.
  • Helmut Weihsmann: Gebaute Illusionen – Architektur im Film, Wien 1988, S. 120–12?.
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