Die Cohors I Tungrorum [milliaria] (deutsch 1. Kohorte der Tungerer [1000 Mann]) war eine römische Auxiliareinheit. Sie ist durch Militärdiplome, Inschriften, Ziegelstempel, einige Vindolanda-Tafeln und die Notitia dignitatum belegt. In der Notitia dignitatum wird sie als Cohors prima Tungrorum bezeichnet.

Eine Inschrift, gefunden in Castlecary (RIB 2155)

Namensbestandteile Bearbeiten

  • I: Die römische Zahl steht für die Ordnungszahl die erste (lateinisch prima). Daher wird der Name dieser Militäreinheit als Cohors prima .. ausgesprochen.
  • milliaria: 1000 Mann.[A 1] Je nachdem, ob es sich um eine Infanterie-Kohorte (Cohors milliaria peditata) oder um einen gemischten Verband aus Infanterie und Kavallerie (Cohors milliaria equitata) handelte, lag die Sollstärke der Einheit entweder bei 800 oder 1040 Mann. Der Zusatz kommt in Militärdiplomen von 103 bis 135/138 und Inschriften[1] vor. In einigen Militärdiplomen und in einer Inschrift wird statt milliaria das Zeichen   verwendet.

Da es keine Hinweise auf den Namenszusatz equitata (teilberitten) gibt, ist davon auszugehen, dass es sich um eine Cohors milliaria peditata, eine reine Infanterie-Kohorte, handelt. Die Sollstärke der Einheit lag bei 800 Mann, bestehend aus 10 Centurien mit jeweils 80 Mann.

Geschichte Bearbeiten

Die Kohorte war in der Provinz Britannia (und möglicherweise auch in der Provinz Noricum) stationiert. Sie ist auf Militärdiplomen[2] für die Jahre 103 bis 161/163 n. Chr. aufgeführt.[3][4] Tacitus erwähnt Kohorten der Tungerer sowohl in den Historiae (Buch II, Kapitel 14) als auch in seinem Werk Agricola (Kapitel 36).[5][A 2]

Die Einheit wurde vermutlich in julisch-claudischer Zeit auf dem Gebiet der civitas Tungrorum (im heutigen Belgien) aufgestellt; sie war vor dem Jahr 69 n. Chr. in der Provinz Germania inferior stationiert. Im Bürgerkrieg zwischen Otho und Vitellius kämpfte die Kohorte auf Seite des Vitellius; zwei Kohorten der Tungerer wurden von Fabius Valens in die Provinz Gallia Narbonensis geschickt, um gegen die Truppen Othos zu kämpfen. Nach dem Bataveraufstand kamen die Kohorten der Tungerer zusammen mit dem neuen Statthalter Quintus Petillius Cerialis nach Britannien. Unter Gnaeus Iulius Agricola nahmen zwei Kohorten der Tungerer 83 an der Schlacht am Mons Graupius teil und wurden dafür ausgezeichnet.[5][A 2]

Der erste Nachweis der Einheit in Britannia beruht auf einem Diplom, das auf 103 datiert ist. In dem Diplom wird die Kohorte als Teil der Truppen (siehe Römische Streitkräfte in Britannia) aufgeführt, die in der Provinz stationiert waren. Weitere Diplome, die auf 122 bis 161/163 datiert sind, belegen die Einheit in derselben Provinz. Es ist unsicher, ob eine Vexillation aus der Kohorte um 133/138 von Britannien in die Provinz Noricum abgeordnet war.[5][6][7][A 3]

Letztmals erwähnt wird die Einheit in der Notitia dignitatum[8] mit der Bezeichnung Cohors prima Tungrorum für den Standort Borcovicio. Sie war unter der Leitung eines Tribuns Teil der Truppen, die dem Oberkommando des Dux Britanniarum unterstanden.[9]

Standorte Bearbeiten

Standorte der Kohorte in Britannia waren möglicherweise:

  • Vercovicium (Housesteads): mehrere Inschriften[14] wurden hier gefunden. Darüber hinaus wird die Einheit in der Notitia dignitatum für diesen Standort aufgeführt.

Ziegel[15] mit dem Stempel COH I TUN wurden in Hare Hill gefunden.

Angehörige der Kohorte Bearbeiten

Folgende Angehörige der Kohorte sind bekannt:[3]

Kommandeure Bearbeiten

Sonstige Bearbeiten

Vindolanda-Tafeln Bearbeiten

Auf der Vindolanda-Tafel 88/841 findet sich für den 18. Mai eines unbestimmten Jahres (vermutlich 90 n. Chr.) die folgende Aufstellung der Mannschaftsstärke der Einheit:[5][A 1]

  • Gesamtstärke der Einheit 752 Mann, davon 6 Centurionen, unter dem Kommando des Präfekten Iulius Verecundus.
  • Abwesend 456 Mann, davon 5 Centurionen; eingeteilt für verschiedene Aufgaben, u. a. waren 337 Soldaten nach Coria abgeordnet.
  • Am Standort anwesend 296 Mann (davon 1 Centurio); 265 Mann dienstfähig und 31 Mann dienstunfähig (krank oder verwundet).

Siehe auch Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Commons: Cohors I Tungrorum – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur Bearbeiten

  • Robert Nouwen: The Vindolanda tablet 88/841 and the cohors I Tungrorum milliaria In: M. Lodewijckx (Hrsg.) Archaeological and Historical Aspects of West-European Societies. Album amicorum ANDRE VAN DOORSELAER (Acta Archaeologica Lovaniensia Monographiae 8), 1995, S. 123–134 (Online).
  • John Spaul: Cohors² The evidence for and a short history of the auxiliary infantry units of the Imperial Roman Army, British Archaeological Reports 2000, BAR International Series (Book 841), ISBN 978-1-84171-046-4

Anmerkungen Bearbeiten

  1. a b Die Kohorte verfügte zu dem Zeitpunkt, als der Bericht über die Mannschaftsstärke auf der Vindolanda-Tafel 88/841 erstellt wurde, nur über 6 Centurionen. Laut Robert Nouwen (1995) wäre sie damit eigentlich als eine Cohors quingenaria (bestehend aus 6 Kohorten) anzusehen; möglicherweise fand zu dieser Zeit die Aufstockung zu einer Cohors milliaria statt. Andere Historiker nehmen an, dass die Einheit schon zum Zeitpunkt der Schlacht am Mons Graupius eine Cohors milliaria war.
  2. a b Laut Robert Nouwen (1995) handelte es sich bei einer der beiden von Tacitus erwähnten Tungerer-Kohorten um die Cohors I Tungrorum.
  3. Zu einem unbestimmten Zeitpunkt wurde eine Vexillation aus einer Tungrer-Kohorte in die Provinz Noricum verlegt, wo sie durch zwei Diplome für 133 und 135/138 nachgewiesen ist. Da die Diplome unvollständig erhalten sind, ist es umstritten, um welche Kohorte es sich dabei gehandelt hat: in Frage kommen sowohl die Cohors I Tungrorum als auch die Cohors II Tungrorum. Joachim Ott hält es für sicher, dass es sich um die Cohors I Tungrorum gehandelt hat; er geht davon aus, dass die Vexillation bis spätestens 142 nach Britannia zurückkehrte.
  4. Laut Robert Nouwen war die Einheit von etwa 90 n. Chr. bis 122 (möglicherweise bis 140) in Vindolanda stationiert.
  5. Die Inschrift ist nur teilweise erhalten. Laut Hubert Devijver und Robert Nouwen war der spätere Kaiser Präfekt der Cohors I Tungrorum.
  6. a b John Spaul gibt die beiden Namen in dieser Form an; die Lesung der EDCS weicht davon ab.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Inschriften mit milliaria (RIB 1580, RIB 1586, RIB 2155)
  2. Militärdiplome der Jahre 103 (CIL 16, 48), 122 (AE 2008, 800, CIL 16, 69), 124 (CIL 16, 70), 127 (RMD 4, 240), 133 (CIL 16, 174), 135/138 (RMD 2, 93), 146 (RMD 2, 97) und 161/163 (ZPE-171-250).
  3. a b John Spaul, Cohors², S. 207–208, 225–227.
  4. Jörg Scheuerbrandt: Exercitus. Aufgaben, Organisation und Befehlsstruktur römischer Armeen während der Kaiserzeit. Dissertation, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau 2003/2004, S. 157 Tabelle 1 (PDF).
  5. a b c d e Robert Nouwen, The Vindolanda tablet 88/841 and the cohors I Tungrorum milliaria, S. 123–134.
  6. Robert Nouwen: The Vexillationes of the Cohortes Tungrorum During the Second Century In: Proceedings of the XVIth International Congress of Roman Frontier Studies, Oxbow Monograph 91, 1997, S. 461–465, hier S. 461–462 (Online).
  7. Joachim Ott: Die Kommandeure der norischen Hilfstruppen. In: Tyche. Beiträge zur Alten Geschichte, Papyrologie und Epigraphik, Band 10, 1995, S. 107–138, hier S. 113 (PDF).
  8. Notitia dignitatum in partibus Occidentis XL (Online).
  9. Margaret M. Roxan: Pre-Severan auxilia named in the Notitia Dignitatum In: British Archaeological Reports, Band 15 (1976), S. 59–80, hier S. 73.
  10. Inschriften aus Brocolitia (AE 1966, 222, RIB 1556)
  11. Inschrift aus Castlecary (RIB 2155)
  12. Inschriften aus Vindolanda (RIB 3364, ZPE-186-287)
  13. Vindolanda-Tafeln (Vindolanda 00154, Vindolanda 00295, Vindolanda 00857)
  14. Inschriften aus Vercovicium (RIB 1578, RIB 1579, RIB 1580, RIB 1584, RIB 1585, RIB 1586, RIB 1587, RIB 1588, RIB 1589, RIB 1591, RIB 1598, RIB 1618, RIB 1619, RIB 3326, RIB 3331)
  15. Ziegel aus Hare Hill (RIB 2477).
  16. a b c Tablet 295. Vindolanda Tablets Online, abgerufen am 24. Juli 2019.
  17. Hubert Devijver: Les „militiae equestres“ de P. Helvius Pertinax. In: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik, 75, 1988, S. 207–214, hier S. 210 (PDF)