Christoph Engelhardt

deutscher Physiker, Analyst und Sozialunternehmer

Christoph Engelhardt (* 27. August 1965[1] in Göttingen) ist ein deutscher Physiker, Analyst und Sozialunternehmer. Bekannt wurde er als Sachverständiger in der Kontroverse um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21.

Christoph Engelhardt

Leben und Beruf Bearbeiten

Engelhardt studierte Physik an der TU München und wurde 1998 mit einer Arbeit in der Halbleiterphysik promoviert.[2] Er arbeitete unter anderem als Konzernstratege bei der Siemens AG. Engelhardt ist Initiator der Faktencheck-Plattform WikiReal.org sowie Gründer und Geschäftsführer der WikiReal gGmbH.[1] Engelhardt ist vor allem als fachlicher Kritiker des Projekts Stuttgart 21 bekannt und zeigte sich zuletzt auch kritisch gegenüber der 2. Stammstrecke in München[3][4].

Engelhardt ist Mitglied der Expertengruppe Bürgerbahn statt Börsenbahn[5] und arbeitet mit im Arbeitskreis Schienenverkehr[6] des Münchner Forums. Er lebt in München, ist verheiratet und hat drei Kinder.[7]

Kritik an dem Projekt Stuttgart 21 Bearbeiten

Engelhardt war Experte in der „Stresstest-Präsentation“ mit Schlichter Heiner Geißler,[8] in zahlreichen Medienveröffentlichungen wurde er zu den Mängeln des Projekts zitiert, die aus seiner Sicht und entsprechend den Ergebnissen auf der Faktencheck-Plattform bestehen: Dies sind vor allem die mangelnde Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs,[9][10][11][12] die Unterdimensionierung für die Fußgänger,[13][14] der unzureichende Brandschutz,[15][16] die gefährlich überhöhte Gleisneigung[17] und das durch den Tiefbahnhof deutlich erhöhte Überflutungsrisiko[18].

Engelhardt trat zu den Themen als Gutachter vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg,[19][20] bei Planfeststellungsverfahren,[21] für die Fraktion SÖS/Linke des Stuttgarter Gemeinderats,[13] die Fraktion Die Linke des Bundestags[22][23] und für das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21[24] auf. Er gehörte zu den Kritikern, die Ministerpräsident Kretschmann am 9. Februar 2012 zu einer Aussprache einlud.[25] In der Sendung „Mario Barth deckt auf!“ vom 7. Oktober 2015 wurde Engelhardt zu den technischen Kritikpunkten am Tiefbahnhof befragt.[26]

2011 begründete Engelhardt seine Kritik an der Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs mit Quervergleichen zu bereits in Betrieb befindlichen Bahnhöfen. Große deutsche Durchgangsbahnhöfe, die nach Fahrplan in der Hauptverkehrszeit mehr als 4 Züge pro Stunde und Gleis zählen, neigten demnach zur Unpünktlichkeit.[27] Die mit 6 Zügen pro Stunde deutlich höheren Leistungserwartungen an Stuttgart 21 durch die DB Netz AG seien nur aufgrund von unrealistischen Annahmen und methodischen Fehlern nur auf dem Papier darstellbar.[28] So kritisiert Engelhardt etwa, dem Stresstest zu Stuttgart 21 lägen zu geringe Mindesthaltezeiten zu Grunde und in der Simulation abgebildete Verspätungen seien auf unkritische Werte gekappt worden.[29] Er argumentierte zuletzt 2017, diese Kritikpunkte seien von der DB AG nie in der Sache entkräftet,[30] sondern vielmehr inzwischen von der Fachwelt bestätigt worden[31].

2014 kritisierte Engelhardt, dass der Brandschutz im Tiefbahnhof nicht funktioniere. Es würden zwar in den Betriebsprogrammen vier Züge pro Bahnsteig geplant, aber die Entfluchtung sei nur für zwei Züge pro Bahnsteig geprüft worden.[16] Entweder könne der Bahnhof die geforderte Leistung nicht bringen oder aber der Brandschutz sei nicht gewährleistet.[32] 2018 kritisierte Engelhardt auch den Brandschutz in den Stuttgart 21-Tunneln, sie seien "die gefährlichsten Tunnelneubauten Europas".[33][34]

Am 16. März 2016 trat Engelhardt im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur des Bundestags als Sachverständiger auf zu der Frage, ob in Deutschland die maximale Längsneigung von Bahnsteiggleisen zukünftig beschränkt werden soll.[35] Er zeigte mit ins Gleis rollenden Kinderwagen in Ingolstadt Nord, dass die Maßnahmen der Deutschen Bahn, mit denen gleiche Sicherheit wie im ebenen Bahnsteig hergestellt werden soll, in der Praxis versagen.[36]

2018 kritisierte Engelhardt zusammen mit Dipl.-Ing. Hans Heydemann die deutlich erhöhte Überflutungsgefahr durch den S21-Tiefbahnhof. Der Wall des Bahnhofsdachs staue das Wasser bei plötzlichem Starkregen, bis es die unterirdische Einkaufspassage, U- und S-Bahn-Stationen sowie den Tiefbahnhof flute, was Leib und Leben hunderter Menschen gefährden könne. Außerdem würden der Tiefbahnhof und seine Zulauftunnel bei erhöhtem Grundwasser planmäßig geflutet. In beiden Fällen seien erhebliche Schäden insbesondere auch volkswirtschaftlich durch die monatelangen Sperrungen zu befürchten.[18][37]

Weblinks Bearbeiten

Veröffentlichungen Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b Amtsgericht München Aktenzeichen: HRB 213517
  2. Christoph Martin Engelhardt: Zyklotronresonanz zweidimensionaler Ladungsträgersysteme in Halbleitern, Effekte der Elektron-Elektron-Wechselwirkung und Lokalisierung. Walter Schottky Institut, München 1998, ISBN 3-932749-20-0.
  3. Markus Wagner: Kein zweites Stuttgart 21 in München!. In: Haidhauser Nachrichten 1/2018, Januar 2018 (haidhauser-nachrichten.com), S. 1, 9
  4. Christoph Engelhardt: Parallelen – Stuttgart 21 und 2. Stammstrecke in München, 19. Dezember 2017 (wikireal.org)
  5. Bürgerbahn statt Börsenbahn: Bahncard50 + Integraler Taktfahrplan oder Stuttgart 21, 8. Dezember 2014 (bei-abriss-aufstand.de)
  6. https://muenchner-forum.de/mitmachen/arbeitskreise/schienenverkehr/
  7. http://wikireal.org/wiki/Stuttgart_21/Expertenrat#Christoph_Engelhardt
  8. Heiner Geißler: Pressemitteilung „Präsentation Stresstest – Ergebnisse Stuttgart 21 PLUS“. 28. Juli 2011 (stuttgart.de [PDF]).
  9. Thomas Wüpper: Das ist völlig unrealistisch, Online-Artikel der Frankfurter Rundschau, 7. Juni 2011.
  10. Arno Luik: Das falsche Versprechen. In: Stern 44/2012, S. 52–55, 25. Oktober 2012 (Kopie auf de.scribd.com).
  11. Kerstin Bund: Den Bau sofort stoppen!, In: Die Zeit, 52/2012, S. 33, 19. Dezember 2012 (online).
  12. Arno Luik: Showdown. In: Stern 8/2013, S. 54–58, 14. Februar 2013 (Kopie auf siegfried-busch.de (Memento vom 22. Dezember 2015 im Internet Archive)).
  13. a b Thomas Braun: Zweifel an den Fluchtwegen, Online-Artikel der Stuttgarter Zeitung, 1. März 2013.
  14. ZDF heute journal: Stuttgart 21, Baustart neben Pannen, 4. August 2014 (Video youtube.com).
  15. Simone Salden und Andreas Wassermann: Gefährliche Defizite. In: Der Spiegel 32/2014, S. 31, 4. August 2014.
  16. a b SWR Fernsehen, Wissensreihe Odysso, Folge Feueralarm im Tunnel – Rettung aus der brennenden Hölle mit dem Beitrag Brandschutz – Ist Stuttgart 21 eine Todesfalle?, 5. März 2015 (Video youtube.com)
  17. Christoph Engelhardt: Stellungnahme zur Gleisneigung in Bahnhöfen "Änderung der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung zur Erhöhung der Sicherheit im Eisenbahnverkehr", 14. März 2016 (bundestag.de)
  18. a b Oliver Stenzel: Wasser Marsch! (Memento vom 12. Juni 2018 im Internet Archive) In: Kontext: Wochenzeitung, Ausg. 375, 6. Juni 2018.
  19. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Aktenzeichen 5 S 1200/12, Urteil „Kein Anspruch auf Rücknahme eines Planfeststellungsbeschlusses nach Rechtskraft des Urteils über dessen Rechtmäßigkeit“, 13. August 2012 (lrbw.juris.de).
  20. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Aktenzeichen 5 S 2429/12, Urteil Beeinträchtigung des Eigentums infolge eines bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses als Nachteil für das Gemeinwohl, 3. Juli 2014 (landesrecht-bw.de).
  21. https://rp.baden-wuerttemberg.de/rps/Abt2/Ref24/Seiten/Eroert_S21.aspx
  22. Bankrotterklärung der Bundesregierung zum Brandschutz bei Stuttgart 21 (Memento vom 22. Dezember 2015 im Internet Archive), Pressemitteilung der Fraktion Die Linke im Bundestag, 13. August 2015.
  23. Gutachten beleuchtet aktuellen Stand von Stuttgart 21, Online-Veröffentlichung der Fraktion Die Linke im Bundestag, 2. Juli 2015.
  24. http://www.kopfbahnhof-21.de/ueber-uns/
  25. fluegel.tv, Interview Dr. Engelhardt zu Stuttgart 21, 9. Februar 2012 (Video fluegel.tv (Memento vom 15. März 2016 im Internet Archive)).
  26. RTL Fernsehen, Mario Barth deckt auf!, 7. Oktober 2015, 20:15 Uhr.
  27. Christoph M. Engelhardt: Stuttgart 21: Leistung von Durchgangs- und Kopfbahnhöfen. In: Eisenbahn-Revue International. Juni 2011, S. 306–309 (archiv.kopfbahnhof-21.de (Memento des Originals vom 4. März 2016 im Internet Archive) [abgerufen am 7. Oktober 2015]).
  28. Christoph Engelhardt: Stuttgart 21, Anhörungsverfahren PFA 1.3, Einwendung: Kritik an der Leistungsfähigkeit des Gesamtprojekts, 19. Dezember 2013 (wikireal.org)
  29. C. Engelhardt, Nachforderungskatalog zur Stellungnahme des Vorhabensträgers, 29. September 2014 (rp.baden-wuerttemberg.de), S. 77 ff, 63 ff
  30. Christoph Engelhardt: "Rückbau der Leistungsfähigkeit durch Stuttgart 21, Kurzgutachten zur Information des Aufsichtsrats der Deutschen Bahn AG", 9. März 2017 (wikireal.org), S. 4 ff
  31. Ingo A. Hansen: Review of planning and capacity analysis for stations with multiple platforms – Case Stuttgart 21. In: Journal of Rail Transport Planning & Management 6 (2017), S. 313–330. Siehe dazu: http://wikireal.org/wiki/Stuttgart_21/Leistung#Hansen
  32. Christoph Engelhardt: Bestandsaufnahme: Warum der Weiterbau des Projekts Stuttgart 21 nicht zu rechtfertigen ist, 6. Mai 2015 (nachhaltig-links.de)
  33. Arno Luik: Katastrophe mit Ansage. In: Stern 24/2018, S. 104–107, 7. Juni 2018
  34. http://wikireal.org/wiki/Stuttgart_21/Brandschutz/Tunnelvergleich
  35. Bundestag, Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur, öffentliche Anhörung Änderung der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung zur Erhöhung der Sicherheit im Eisenbahnverkehr, 16. März 2016 (bundestag.de (Memento vom 25. März 2016 im Internet Archive))
  36. ZDF Frontal 21: Unfälle durch abschüssige Bahnsteige (Memento vom 3. Dezember 2016 im Internet Archive). 24. Mai 2016, abgerufen am 30. Mai 2016.
  37. Hans Heydemann, Christoph Engelhardt: Überflutungsrisiken durch Stuttgart 21, 25. Mai 2018, Gutachten für das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 (pdf parkschuetzer.de)